Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Neue niederländische Literatur
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auf Effekt oder Tendenz verzichten, fast alle auf literarischen Wert Anspruch; freilich ist auch viel darunter, das ‘des Papiers nicht wert, worauf es gedruckt’; aber es ist Sache des Kritikers, die Spreu von dem Weizen zu scheiden. Wenn wir einen Rundgang durch die letzten wichtigen Erscheinungen antreten, so stossen wir zuerst auf ein zweibändiges Werk: In hooge Regionen von G. van HulzenGa naar voetnoot(1) . Obwohl in der Schweiz spielend, trägt das ganze Werk den Stempel einer holländischen Persönlichkeit. Dort, inmitten hoher Berge, in einem kleinen Hotel lernt er, der Typus eines Holländers, sie kennen, die schlanke Russin mit ihrer einfachen und doch aristokratisch wirkenden Eleganz; äusserlich das emanzipierte Weib zur Schau tragend, fehlt es ihr trotzdem an einer Leitung, einer Stütze; und auch bei ihm ist es ähnlich. Während sein Äusseres den strammen Lebemann kennzeichnet, sucht er im Innern nach einer Frau, die das echt weibliche Wesen nicht verleugnend, seinen Idealen volles Verständnis entgegenbringt. Schon in aller Kürze fühlen sie sich einander näher, machen Ausflüge in den Bergen, führen Gespräche über alle Zweige der Literatur und Kunst, was der sich nach und nach entwickelnden Liebe neue Nahrung gibt. Doch da kommen die Bedenken. Weder er noch sie besitzen genügend Vermogen, um das Leben, wie es leider künstlerische Entwickelung vorschreibt, führen zu können. Und als sie später bemerkt, dass sie auch noch finanziell abhängig ist, da ist es auch mit dem letzten Restchen von Optimismus vorbei, und bedrückt scheiden sie. Die Charaktere sind wie im allgemeinen treffend und sicher und zeigen die liebevolle Sorge eines Künstlers. Eine weitere Novität hat uns Herm. Heyermans jr. mit seiner Diamantstadt (Deutsch bei Egon Fleischel & Co. Berlin) gebracht; ein Roman von einem, ‘der will und nicht kann’. Ursprünglich aus treffenden, wenn auch düsteren Episoden aus dem jüdischen Volksleben Amsterdams bestehend, ist in dieses Werk eine Tendenz gezwängt worden, die den an und für sich schon nicht be- | |
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deutenden literarischen Wert vollständig verdrängt hat: Eleazar, ein ‘Sohn des Volkes’, kehrt aus Amerika zurück und ‘sieht’ das Elend worin er selbst aufgewachsen, von ihm früher nie bemerkt und auch von seiner Umgebung als etwas Selbstverständliches aufgefasst. In feuchten, übelriechenden Räumen hocken ganze Haushaltungen zusammen; Vater, Mutter, eine zahlreiche Familie, Aftermieter etc., alles kriecht zusammen in den Betten, auf Strohsäcken, zwischen Lumpen oder auf dem Fussboden, essen und trinken da, kurz alles tierische wird unbekümmert um die Umgebung ohne Scheu ausgeführt. In seinem ganzen Umfang wird der Schmutz und der Abscheu vor einem solchen Leben gezeichnet; das Leben und vor allem die sittliche Verderbtheit eine notwendige Folge dieser elenden Wohnungszustände; (nach Heyermans ist die Religion daran Schuld, doch das zu widerlegen gehört nicht hierher). Ferner finden wir in dem Buche die Schilderung eines Diamantarbeiterstreiks sowie die Liebesgeschichte eines sinnlichen polnischen Mädchens mit dem Helden. Und als der Verfasser sich am Schlusse in seinen weder ethischen noch ästhetischen Ansichten, die er zum Besten gibt, verstrickt, weiss er nichts besseres als seinen Held bei einer Feuersbrunst umkommen zu lassen, um uns von der unerquicklichen Lektüre seines schlechtesten Werkes zu befreien. Ist es hier die Tendenz, die uns unangenehm berührt, so ist es in dem Buche S.C. Sonneborn: Wrakhout in de BrandingGa naar voetnoot(1) (Trümmer in der Brandung) der Naturalismus, der uns Ekel einflösst. Dabei eigentlich furchtbar inhaltslos oder auch inhaltsvoll, wie man es nimmt. Wir sehen einige Liebhaber eines Weibes an uns vorüberziehen, um am Ende zu erfahren, dass sie dem einen mit einem Brotmesser den Hals abgeschnitten hat. Voilà tout! Es würde sich sehr empfehlen, das Werk gleich zu makulieren. Ein ähnliches Milieu aber in ganz anderer Weise behandelt Gustav Vermeersch in De LastGa naar voetnoot(2), obwohl das Thema eigentlich | |
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weit mehr geeignet ist, sich in breiten Schilderungen von Schweinereien zu ergehen. Aber hier ist es der Künstler, der wählt und sichtet, und gerne verzeiht man ihm, wenn er hier oder da etwas zu weit geht. Die Hauptperson, der Sohn anständiger Bürger, ist in einem Bureau tätig, wo er gerade genug verdient um zu leben. Kommt er abends nach Hause und versucht eine Zeit lang zu lesen oder gemütlich auszuruhen, so kommt gleich die Unruhe über ihn; er geht fort und trinkt. Im Dusel läuft er dann durch die Strassen, von wollüstigen Gefühlen gequält und doch so trübselig wegen des Fehlens warm mitempfindender Liebe. Das dauert so lange bis er eine Frau findet. Doch auch da findet er Enttäuschung. Bald sieht die Wohnung vernachlässigt aus und der Schmutz ekelt ihn von allen Seiten an. Was soll er da anderes tun als das frühere Leben wieder von neuem aufnehmen, das sein Ende darin findet, dass er sich endlich ertränkt. Die psychologische Durchführung dieses Menschen ist mit überzeugender Treue festgehalten. Auch in Holland werden grössere oder kleinere Skizzen mit Recht sehr gewürdigt. Mit das Beste ist die Sammlung von Henri Hartog: SjofelenGa naar voetnoot(3), ein Gegenstück zu Heyermans Diamantstadt. Hier kann man sehen, welchen Schaden blinde Parteiwut einem Werke zufügen kann. Auch Hartog gibt Skizzen von ‘Sjofelen’, Menschen aus den Vorstädten, die er genau beobachtete, ‘à travers son tempérament d'artiste’. Aber keine schmutzige oder grobe sexuelle Lebenseinbildungen, sondern Menschen in ihrem täglichen Handeln und Tun. Zwar sind die Skizzen fast ausschliesslich descriptiv, aber eine Description, die Milieu und Personen mit festen Zügen und frischen Farben mit wundervollen Nüancen leben lässt. Während Hartog die Erwachsenen beobachtet, macht Fritz Leonhard in Kleine BandeloozenGa naar voetnoot(4) die Kleinen dieses Viertels zum Mittelpunkte seiner Studien. Mit Liebe zeichnet er die kleinen Vagabunden mit ihren guten und bösen Eigenschaften, in ihrem | |
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Spiel, Leben und Treiben, vollkommen naturgetreu. Es ist auch hier sehr schwierig, eine genaue Beschreibung dieser Skizzen zu geben, es würde zu weit führen, aber wer Kinder gerne hat - auch Vorstadtkinder - für den ist dies Buch eine Fundgrube angenehmer Erholung, ein wahrer Genuss für den, der sich in diese Welt hineindenken kann. Betraf das zuletztgenannte Werk die Gesamtheit, so behandelt M.J. Brusse in Boefje (Spitzbübchen)Ga naar voetnoot(1) das Schicksal eines einzelnen Jungens. Der Inhalt ist schnell erzählt. Ein Strassenjunge wird von einem Verein, der sich das zum Ziel gesteckt hat, einer Besserungsanstalt überwiesen und kehrt als tatsächlich gebessert zurück. Wir lernen zuerst seine Streiche als ganz kleines Kind kennen, dann seine weitere Entwicklung bis zu dem Alter, wo er schon etwas ‘mitverdienen muss’ und er endlich der Anstalt überwiesen wird; dann aber sehen wir ihn erst wieder, nachdem er seine Untugenden abgelegt hat und hierin liegt die Schwäche des Werkes. Die psychologische Entwicklung vom Bösen zum Guten hat man uns nicht gezeigt, oder liegt der Weg des Verfassers nach einer anderen Richtung? Wie dem aber auch sei, der Autor hat das Werk mit warmer Empfindung geschrieben und uns eine gesunde und gute realistische Kost mit diesem Buche geboten, das den Riesenerfolg durchaus verdient. Zum Schlusse möchte ich noch auf ein vorzügliches Werk nicht moderner Richtung hinweisen, das aber ebenfalls warme Empfehlung verdient. Arthur Schendel: Een ZwerverGa naar voetnoot(2) (Landstreicher) verliefd. Ein Werk von stiller Entsagung und ausserordentlicher Schönheit aus dem Zeitalter der Ritter, wie uns das Buch überhaupt wie ein gewissermassen neuklassiges Epos anheimelt. Hoffen wir, dass die niederländische Literatur weiter auf diesen Bahnen fortschreitet; dann werden wir uns noch des öfteren mit ihr zu beschäftigen haben. |
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