Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Eine Studentenreise vor hundert Jahren.
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und hat meines Erachtens grosse Aehnlichkeit mit den Tänzen, die auf unseren Dorfkirmsen aufgespielt zu werden pflegen. Es war, wie auf dem Komödienzettel ziemlich marktschreierisch angekündigt war, die kurfürstlich-badische Hofschauspielergesellschaft aus Karlsruhe, die spielte. Die ehrsamen Mitglieder dieser wandernden Hofschauspielergesellschaft erhoben sich jedoch samt und sonders kaum über die Mittelmässigkeit, die meisten blieben sogar noch darunter. Nachdem ich ziemlich oft gegähnt hatte, war endlich das Stück aus und wir gingen nach Hause. Ein kleiner Junge leuchtete uns mit ziemlich trüber Laterne vor und forderte dafür - ein Weg von hundert Schritten! - ein Vierundzwanzigkreuzerstück; statt dessen bekam er aber nur 16 Kreuzer und, um die Zahl voll zu machen, acht Kopfnüsse dazu. Wir assen in der Geschwindigkeit zu Nacht und legten uns zu Bette. Es war mein Vorsatz gewesen, noch diesen Morgen vor Tisch von hier abzureisen, da ich doch den Kaiser der Franzosen schwerlich zu sehen kriegen würde - denn er geht nicht aus seiner Klause -, und mich ihm vorstellen zu lassen, dazu habe ich keine Lust. Auf Zureden meiner Freunde habe ich mich indessen entschlossen, heute noch hier zu bleiben - vielleicht dass wir ihn doch noch zu Gesicht bekommen, wenigstens alle par Tage reitet er auf ein Stündchen aus. Es wäre denn doch blamant, um mich deines Ausdruckes zu bedienen, wenn wir (wie es mehreren, blos seinetwegen hierhergekommenen Fremden gegangen sein soll), von hier abziehen müssten, ohne den Bonaparte gesehen zu haben! Nein, ich will ihn sehen, und sollte ich deswegen acht Tage hier bleiben müssen; man soll nicht mit Fingern auf mich deuten und sagen: der war auch in Rom und hat den Papst nicht gesehen. Soeben kommt Sch. herauf und fordert mich auf, mit ihm und den beiden Andern ans Deutsche Haus (wo der Kaiser wohnt), zu gehen, und ich folge dem Rufe. Nach Tisch, lieber Bruder, werde ich Zeit finden, dir weiter zu schreiben, - vielleicht kann ich dann melden, dass ich den Mann gesehen habe, der schon so viel Lärm in der Welt gemacht hat und noch macht; wenn nicht, | |
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nun, dann wird sich wohl was anderes finden, um ein Blatt in meinem Tagebuche auszufüllen. | |
Abends neun Uhr.Ich hab' ihn gesehen, Bruder, und zwar nicht blos aus der Ferne oder flüchtig, nein, ganz in der Nähe und recht genau betrachtet. Es sollte mir, wenn ich ein Porträtmaler wäre, nicht schwer fallen, ihn, ohne dass er mir dazu sässe, ganz aus dem Kopfe zu malen, und die ganze Welt müsste den Bonaparte in meinem Bilde erkennen. Er ist - doch ich will in der Ordnung erzählen. Mit meinen drei Reisegefährten ging ich - es war ungefähr zehn Uhr - an's Deutsche Haus. Am Eingange des Palastes hielten zwei Grenadiere zu Pferd mit blankem Säbel, auf dem freien Platze vor demselben stunden fünfzig bis sechzig Menschen in verschiedenen Gruppen beisammen. Ich hatte Tausende hier vor dem kaiserlichen Palast zu finden geglaubt, doch ich mochte zählen, so oft ich wollte, mehr als sechzig brachte ich nicht heraus. Wir stellten uns auch dazu, in der auch von den andern Herumstehenden genährten Hoffnung, dass sich der Kaiser vielleicht einmal am Fenster zeigen werde. Wir wurden's nicht müde, eine ganze Stunde sozu stehen. Kutschen fuhren ab und zu, Offiziere sprengten hin und her, Bediente liefen ein und aus - aber Kaiser war keiner zu sehen. Ich kann indessen doch nicht sagen, dass mir auch nur einen Augenblick die Zeit lang geworden wäre, nicht dass mir die fahrenden Kutschen, die reitenden Offiziere und die zu Fuss gehenden Bedienten so viel Spass gemacht hätten, sondern weil gewisse andere Umstände eintraten. Wir waren zufälliger Weise in die Nähe einer zahlreichen Gesellschaft von Herren und Damen zu stehen gekommen, die, ebenso wie wir, von der Begierde erfüllt waren, Seine Majestät den neugebackenen Kaiser der Franzosen zu sehen. Da nun die Majestät nicht ans Fenster kam, sann ich auf andere Mittel, mir auf andere erlaubte Art die Zeit zu verkürzen. Unwillkürlich griff ich in die Tasche und holte meine Lorgnette (ein Geschenk von dir, ich habe seitdem schon manchem schönen Kinde damit in die Augen gesehen) hervor, | |
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um damit die Damengesichter zu mustern. Es war ein allerliebstes Mädchen darunter, das ich, vermöge einer mir eigenen Gabe, augenblicklich unter einem ganzen Haufen von Alltagsgesichten herausfand. Schwarz von Haar und Augen (eigentlich sonst meine Lieblingsfarbe nicht), wich sie keiner Blondine an Schönheit. Ich wurde gar nicht satt, sie anzusehen. Das Mädchen war ganz nach dem Modell griechischer Schönheit gebildet, ihr Wuchs ohne Tadel und alle Züge ihres Gesichts regelmässig. Ihr Bliek, der mich einigemale traf, brannte von einem Feuer, das einem das Herz in lauter Kohlen zu verwandein drohte. Auf diese Gefahr hin wagte ich es mit dem meinigen (nicht als ob ich es für feuersicher hielte, bewahre der Himmel, ich habe Beweise vom Gegenteil!); es braucht nicht von jedem Fünkchen in Flammen gezetzt zu werden, doch ein bischen warm werden darf's schon zu Zeiten, und das war auch die einzige Wirkung der feurigen Blicke des schönen Mädchens. Ich weidete meine Blicke an der schönen Gestalt, während meine drei Begleiter die Wände angafften. Letzteres kann ich allerdings nicht mit voller Bestimmtheit sagen; da der hübschen Kinder mehrere waren, könnte es auch sein, dass einer oder der andere (dem Freund Sch. traue ich in diesem Stücke nicht über den Weg) ebenfalls seine Augenweide gehabt hätte. Nachdem wir, um in meiner Erzählung fortzufahren, eine Stunde vergeblich auf die Erscheinung des Kaisers gewartet hatten, beschlossen wir (ein guter Genius flüsterte uns den Gedanken zu), uns an die hintere Seite des Palastes zu stellen, die gegen den Rhein zu liegt. Kaum waren wir da angekommen, so trat auch schon der Kaiser ans Fenster, mit ihm einer seiner Hofleute, mit dem er sich über einen Gegenstand von Wichtigkeit zu unterhalten schien, denn seine Miene war sehr ernsthaft - menschenfeindlich möchte ich beinahe sagen. Nur ein einzigesmal, und auch da nur für einen Augenblick, sah ich ein flüchtiges Lächeln auf seinen Lippen, als eine hübsche Mainzerin - sie stand zunächst neben mir - mit ihrer Nachbarin, die auch ein reizendes Kind war, von ihm sprach und dabei mit dem Finger auf ihn zeigte. Es lässt | |
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sich hieraus nicht eben schliessen, dass Bonaparte ein Feind des schönen Geschlechts sei, was ich ihm auch nun und nimmermehr vergeben könnte. Bei Tische erfuhren wir von unserm Wirte, einem Kapitän der von den Mainzern dem Kaiser zu Ehren errichteten Bürgergarde, dass dieser nachmittags um drei Uhr ausreiten würde, um die Citadelle in Augenschein zu nehmen. Wir Hessen uns die Mühe nicht verdriessen, seinetwegen noch einen Gang zu tun, und fanden uns zur bestimmten Stunde vor dem Palaste ein. Seine Leibgarde, ohne die er nicht einmal spazieren reitet, hielt bereits auf dem Platze; sie war ungefähr 200 Mann stark und bestund aus Grenadieren zu Pferde, aus Husaren und Gensdarmen. Vor der Türe des Palastes stund unter anderen Pferden auch ein Schimmel, der für den Kaiser bestimmt war. Die Pracht, mit der dieses Pferd gesattelt war, ist höchst verschwenderisch: Steigbügel, Schnallen, Stange, kurz alles was, wenn unser einer reitet, an Sattel und Geschirr von Eisen zu sein pflegt, war hier von gediegenem Golde. Nach einer Viertelstunde erschien endlich der Kaiser, von mehreren Generälen und seinem Mameluken, der ihm nicht von der Seite weicht, begleitet, an der Türe. Hier hatte ich nun Gelegenheit, ihn, so wie ich mir's wünschte, recht in der Nähe zu sehen; ich betrachtete ihn so genau, dass ich ihn dir vom Scheitel bis zur Fusssohle beschreiben kann. Sein Äusseres gibt ihm wenig Ansehen; er ist nur von mittlerer Grösse und, wie es scheint, gar nicht von starkem Körperbau. Seine Gesichtsfarbe ist etwas gelblich, was, da er ein Corse ist, seinem Vaterlande zugeschrieben werden muss, dabei ziemlich blass.... (Gerade hier bricht leider die später von Göttingen aus fortgesetzte Reisebeschreibung ab). | |
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galt, die eben nach Frankental abfuhr, wusste jedes Kind auf dem Schiffe. Der Rhein war mit dichtem Nebel bedeckt, und der Wind blies aus allen 32 Weltgegenden; ich stieg also wohlweislich vom Verdeck herab in das niedliche Passagierstübchen, und darum kann ich dir auch von der Rheingegend unterhalb Mainz nichts weiter sagen, als dass sie sehr schön ist, denn das sah ich trotz Nebel und Wind durch das kleine Schiffsfensterchen, an dem ich sass. Gegen elf Uhr landeten wir in Bingen, wo wir im Weissen Ross den Tisch schon gedeckt fanden. Nach einem Aufenthalte von einer Stunde ging's wieder zu Schiffe. Jetzt hindert mich, da die Sonne Meisterin geworden war, kein Nebel mehr, die Gegend zu betrachten. Sie ist bei Bingen über alle Beschreibung schön. Nach viertelstündiger Fahrt passierten wir das berühmte Bingerloch. Es ist ganz und gar unter meiner Erwartung geblieben: alles was man sieht, ist, dass der Rhein hier ziemlich starke Wellen schlägt, während er weiter oben eine Spiegelfläche bildet. Dem Bingerloch gegenüber steht auf einer kleinen Insel der Mäuseturm, von dem man allerhand Märchen erzählt, und dahinter erhebtsich auf französischem Boden eine alte Ritterburg, an der der Zahn der Zeit schon seit Jahrhunderten nagt. Überhaupt sieht man auf der Fahrt von Bingen nach Bacharach eine Menge Bergschlösser, die noch aus den Zeiten stammen, da die RömerGa naar voetnoot(1) an diesem Flusse ihr Wesen trieben. Es wäre ewig schade, wenn es wahr wäre, dass der Kaiser, wie man sagt, mehrere dieser Schlösser zum Abbruch vergeben habe, denn diese stolzen Ruinen gewähren dem Reisenden einen prächtigen Anblick. Gegen vier Uhr fuhren wir an Bacharach vorüber, wo für diesmal das Ende meiner Rheinreise sein sollte. Da die Diligence hier nicht anlegt, musste ich mich von einem Schiffer in einem kleinen Kahn abholen lassen. Während wir dem linken Rheinufer zusteuerten, zeigte mir mein Schiffer einen Stein im Flusse, der dem Städtchen seinen Namen, | |
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Bacchi ara, gegebenGa naar voetnoot(1) haben soll. Tritt er im Herbste bei anhaltend trockener Witterung über die Wasserfläche heraus, so wird dies von den Bewohnern der Gegend als Zeichen eines guten Weinjahres angesehen. Von Bacharach ging ich, nachdem ich eine Flasche edlen Rheinweines ausgestochen hatte, diesen Abend noch bis Rheinböllen, einem zwei Stunden vom Flusse entfernten Dorfe. Ich wurde von einem Wirtshause zum andern geschickt, denn überall hatten die kaiserlichen Bereiter und Stallknechte von allen Stuben und Kammern des Hauses Besitz genommen. Einer der Dorfwirte musste mich am Ende doch behalten, aber ich musste mir gefallen lassen, auf der Streu zu schlafen, die ich mit einem halben Dutzend Stallknechte, mit zwei Handwerksburschen und einer reisenden Krämerfamilie brüderlich teilte. Durch Zufall kam ich gerade neben die sechzehnjährige Tochter des Krämers zu liegen, und, weit entfernt mir diese Nachbarschaft auf irgend eine Weise zu nutze zu machen, beschloss ich vielmehr (wie es ja die Pflicht eines fahrenden Ritters ist), das Mädchen gegen jeden Angriff von Seiten der Stallknechte in Schutz zu nehmen. Es war ein unnötiger Entschluss, denn auf dem harten Lager war den armen Teufeln jede sündliche Lust vergangen. Mit Tagesanbruch kam die Stallmagd herein, um das von meinen Schlafgenossen schon verlassene Stroh hinaus zu schaffen. Mir wurde zwar das wenige, worauf ich lag, gelassen, und da ich sehr schläfrig war, wollte ich noch ein Stündchen liegen bleiben, da aber die rote Anneliese jetzt anfing, mit dem Besen zu hantieren und dicke Staubwolken sich über mich hinwälzten, hätte ich ein Hiob von Geduld sein müssen, wenn ich nicht fluchend von meiner Streu aufgesprungen wäre. Ich goss mir beim Waschen einen halben Eimer Wasser über den Kopf, und das war ganz gut, um den Staub, der sich an meinem Tituskopf angesetzt hatte, abzuwaschen, aber für den, | |
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der mir in Mund und Nase geflogen war, halfs ganz und gar nichts. Mit einem Worte, ich hatte den schönsten Husten und Schnupfen weg. Als ich gegen neun Uhr in Simmern anlangte, hielt ich es für das Ratsamste, acht Tassen Tee zu trinken und mich zu Bett zu legen. Ich schlief in einem fort bis zum andern Morgen und fand beim Aufstehen, dass meine doppelte Unpässlichkeit glücklich vorüber war. Herr D., ein Schwager von Th., der meine Ankunft erfahren hatte, kam zu mir in den Gasthof, um mich zum Mittagessen einzuladen. Gleich nach Tisch ging ich mit einem Bauern aus meines Schwagers Mairie, der sich zu meinem Führer erbot, nach Ravengiersburg, wo ich meine Schwester allein zu Hause traf, denn ihr Mann war als Mitglied der vom Bezirk Simmern errichteten Garde d'honneur dem Kaiser nach Stromberg entgegengeritten. Eine halbe Stunde nach meiner Ankunft, als ich eben mit dem Mosier fertig wurde, den Schwester Nanette aus dem Mutterfässchen heraufgeholt hatte, kam ein Bote aus Simmern mit der Nachricht, dass der Kaiser Napoleon heute noch dort eintreffen und auch übernachten werde. Herr D. schrieb dabei sehr höflich, dass er mir, wenn ich mich entschliessen könne, nach Simmern zurückzukommen, Tisch und Wohnung anbiete. Nicht um den Kaiser der Franzosen zu sehen (den hatte ich in Mainz sattsam betrachtet), sondern um zu sehen, wie sich die Stadt Simmern bei diesem Besuche benehmen werde, beschloss ich hinzugehen und trat sogleich meinen Weg an. Dort fand ich alles in der grössten Verwirrung, denn so schnell war der Kaiser nicht erwartet worden, am allerwenigsten zum Übernachtbleiben. Simmern wollte sich - vermöge des dem Städtchen eigenen Stolzes - vor andern Orten auszeichnen; es hatte daher schon seit langer Zeit eine Garde zu Pferde errichtet, die zugleich mit dem Fussvolk der Spiessbürger beim Einzug des Kaisers paradieren sollte. Jetzt, da Seine Majestät der Stadt sogar die Ehre des Übernachtens antat, musste, koste es was es wolle, auch zu einer Illumination Rat geschafft werden. Alles lief und rannte gegen einander. Hier war ein ehrsamer Bürger, auf einer Leiter stehend, damit be- | |
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schäftigt, eine transparente Inschrift über seiner Haustüre anzubringen, dort ein anderer, junge Maien vor seiner Wohnung aufzupflanzen, da ein dritter, sein Haus mit Latten zu benageln. Drüben waren Frau und Töchter in voller Arbeit, Lämpchen und Leuchter vor den Fenstern zu ordnen, weiter oben war der Sohn des Hauses mit Gefahr des Halsbrechens im Begriffe, den Namenszug Napoléons, der Abends im Feuer brennen sollte, am Giebel festzumachen, und daneben stund der Hausvater und betrachtete mit sichtbarem Vergnügen das Machwerk seiner lieben Angehörigen; aber ach, nur wenige Schritte davon schlug ein armer Teufel, der weder Gemälde noch Namenszug fertig hatte, die Hände über dem Kopfe zusammen, während ein anderer, dem die Ehre der Stadt am Herzen zu liegen schien, mit kläglicher Gebärde ausrief: was fangen wir nur an?! Jetzt begannen auch Trommeln zu wirbeln und Trompeten zu schmettern, denn in Zeit von einer halben Stunde sollten die Garden zu Fuss und zu Pferde ausrücken. Da hättest du sehen sollen, was das für ein Jammer war. Dem mangelte noch ein Federbusch, jenem ein Säbel, einem dritten, der zu den Reitern gehörte, fehlte es an einem Paar Sporen oder einem Sattel, während ein anderer erst nach einem Gaul suchte. In dieser allgemeinen Not, wo nichts Geringeres auf dem Spiele stand als die Ehre und der Ruhm der Stadt, gab jeder gerne alles was er hatte, zum allgemeinen Besten her. Selbst ich lieh meinen Säbel mit der goldenen Troddel einem Offizier der Garde, der auch seiner Truppe, wie jedermann sagte, damit Ehre gemacht hat. Das Bürgermilitär marschierte in bester Ordnung vor die Stadt, wo man einen Triumphbogen errichtet hatte. Kaum war es hier an der Landstrasse aufgestellt, als eine prächtige Kutsche mit acht Pferden und mehreren Vorreitern angerollt kam. Das konnte niemand anders sein als der Kaiser, daher wurden, wie billig, der vorüberfahrenden Kutsche alle militärischen Ehrenbezeugungen gemacht, man präsentierte das Gewehr, man rührte die Trommeln, man schwenkte die Fahnen. Quasi re bene gesta wollte man jetzt, | |
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nachdem die Kutsche vorüber war, den Rückmarsch antreten, als einer der Reiter, die ihr folgten, lachend heransprengte, um den Herren begreiflich zu machen, dass die Kutsche - leer sei und der Kaiser erst noch kommen werde. Eine Stunde nach Einbruch der Nacht kam er endlich, von der Garde des Bezirks begleitet, in sausendem Trab angefahren und hielt vor dem Triumphbogen still. Das Militär machte ein da capo, während neun junge Mädchen aus Simmern ihm einen Lorbeerkranz überreichten. Sie waren in die Farbe der Unschuld gekleidet, mit rosenfarbenen Schärpen über die Schulter. Mein kleiner Liebling, Lisette D. aus Wittlich, die gerade bei ihrem Oheim in Simmern zu Besuch war, hielt eine gereimte Anrede an den Kaiser, die er sehr verbindlich mit ein par Worten erwiderte. Trotzdem waren aber die Mädchen gar nicht zufrieden mit ihm, aus dem einfachen Grunde, weil er die ihm dargereichte Lorbeerkrone nicht abgenommen hatte. Die guten Kinder bedachten nicht, dass er, um sie in den Wagen zu nehmen, selbst wenn darin Raum genug gewesen wäre, notwendig den Kutschenschlag hätte erweitern lassen müssen, und das war dem Manne, der schon so viele Lorbeeren hat, wahrlich nicht zuzumuten. Während die Mädchen, in deren Nähe ich mich aufzustellen gewusst hatte, um mit einem oder dem andern hie und da ein Wörtchen zu kosen, bei dem Triumphbogen mit ihrem Lorbeerkranz warteten, erzählte eineneben mir stehende Bauernfrau ihrer Nachbarin, sie habe vor zwölf Jahren bei ihrer Hochzeit auch so 'nen Kranz geschenkt bekommen, der ihr in der Haushaltung recht gute Dienste tue, denn sie werfe jedesmal, wenn sie Fleisch koche, ein Blatt davon in die Suppenbrühe und habe noch heutigen Tages davon. Dabei konnte ich mich der stillen Bemerkung nicht enthalten, dass der Kaiser, wenn er von dieser Krone einen gleich haushälterischen Gebrauch machen wolle, trotz der grösseren Menge der in seiner Küche gekochten Fleischbrühe, wenigstens auch für zwölf Jahre versorgt wäre. Hinter der kaiserlichen Kutsche schloss sich die Simmern'sche Bürgergarde an und hinter dieser die ganze übrige hier versam- | |
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melte Menschenmenge, von der auch ich mit fortgestossen wurde. In den Strassen der Stadt, durch die sich der Zug wälzte, waren alle Häuser auf's beste, das heisst, so gut sich's eben machen liess, erleuchtet. Um alles recht in Augenschein zu nehmen, wanderte ich denselben Weg, den ich nolens volens mit dem grossen Haufen hatte machen müssen, noch einmal zurück. Indem ich so in den Strassen herumstrich, erblickte ich in einer derselben die an der weissen Uniform kenntliche Garde d'honneur aufgestellt. Wer mag doch der dort sein, der den dürren Braunen reitet? dort, der zweite Mann im ersten Glied - sein Gesicht kommt mir so bekannt vor! Ich trat einige Schritte näher, richtig, er war's leibhaftig, unser Schwager Th. Das Corps ging auseinander; der eine ritt dahin, der andere dorthin, Th. und ich gingen Arm in Arm zusammen nach D.'s Hause, wo wir vor allen Dingen in grösster Heiterkeit eine Flasche Wein mit einander leerten. Nach Tische ging's zum Balle - so wollten sie's wenigstens genannt wissen -, wo ich flott tanzte mit der Frau des Bürgermeisters wie mit der Besenbinderin. Als der Kaiser am andern Morgen um sechs Uhr Simmern verliess, lag ich noch tief in den Federn begraben, denn ich war erst seit drei Stunden zu Hause. Um elf Uhr trat ich endlich nach eingenommenem Reiterfrühstück, Wein und Schinken, mit Th. zu Pferde die Reise nach Ravengiersburg an, wo uns die Frau vom Hause mit freundlichem Gesicht und einem guten Mittagessen empfing. Nach Tisch gingen wir beide zusammen auf die Jagd; diese war überhaupt in den achtzehn Tagen, die ich bei meinem Schwager zubrachte, mein Hauptvergnügen. Zu Zeiten machten wir auch zu Fuss und zu Pferd kleine Ausflüge in die Umgegend. Am häufigsten gingen wir nach Simmern, wohin es nur anderthalb Stunden sind. Dass ich bei dem Balle, der in der Woche nach meiner Ankunft an diesem Orte gegeben wurde, nicht fehlte, versteht sich von selbst. Die Königin desselben war eine Demoiselle W. aus Wittlich, ein ganz allerliebstes Kind mit einem Paar schalkhafter Augen und einem Mündchen zum Küssen. Vom Übrigen lass mich schweigen - | |
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die schöne Helena selbst, um die sie sich zehn Jahre lang herumgeschlagen haben, konnte nicht vollkommener sein. Was ich von den vor jedem zudringlichen Blick sorgfältig verhüllten weiblichen Reizen erriet oder nicht erriet, behalte ich für mich. Nur soviel kann ich dir sagen, dass dieses Mädchen in allen Stücken für das vollendete Modell zu einer Venus gelten konnte. Wenn ich, dies holde Kind im Arm, im flüchtigen Walzer dahin schwebte, so hätte die Welt in Trümmer gehen können, ich wäre nichts davon gewahr geworden, denn ich hatte nur Sinn für sie. Dass der Schlag meines Herzens dabei um ein gut Teil geschwinder ging als der Dreivierteltakt der Musik, brauche ich dir, wenn du dich jemals selbst in einem solchen Falle befunden hast, nicht zu sagen. Wir tanzten viel zusammen, und wenn ich nicht tanzte, so kannst du sicher sein, dass ich wenigstens mit ihr am Fenster stund, auf einer Bank sass, im Nebenzimmer ein Glas Punsch auf ihr Wohl trank oder Hand in Hand mit ihr im Saale auf und abging. Dass ich, als sie den Ball verliess, sie auch nach Hause führte, versteht sich von selbst. Sie wohnte bei Herrn D. (dessen Nichte sie abzuholen gekommen war) und schlief also mit mir unter einem Dache. Als ich ihr vor ihrem Schlafzimmer Gutenacht wünschte, war ein geraubter Kuss nicht das einzige, was ich davon trug; sie gab mir auch, was ich durchaus als Zeichen der Versöhnung verlangte, ihre Hand, und ich wollte darauf schwören, dass ich einen leisen Gegendruck gefühlt habe. Nur schade, dass das süsse Mädchen am folgenden Morgen um neun Uhr schon wieder abreiste. Nun war auch für mich in Simmern nichts mehr zu tun; ich ging also noch an demselben Vormittag mit Sch. nach Ravengiersburg zurück, wo es in den folgenden Tagen die Füchse und Hasen teuer büssen mussten, dass mir das Schicksal das reizende Kind entführt hatte. Meine Abreise wurde immer von einem Tag auf den andern verschoben; endlich setzte ich sie unabänderlich auf den nächsten Dienstag, den 23. Oktober, fest. Sobald Th. sich am Morgen dieses Tages von meinem festen Willen überzeugt hatte, liess er | |
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seine Halbchaise anspannen und stieg mit mir ein. Meine Schwester stand weinend in der Haustüre, ich rief ihr, gerührt von ihrer Liebe, noch ein herzliches Lebewohl zu; der Bauer auf dem Kutschbock schwang seine Peitsche - und dort rollten wir hin. Wir speisten in Stromberg zu Mittag und trafen noch vor Abend in Bingen ein, wo wir gerade zur Weinlese recht kamen. Am folgenden Morgen trat mein Schwager Th., nachdem wir noch in aller Geschwindigkeit auf ein glückliches Wiedersehen einer Flasche Rüdesheimer den Hals gebrochen, seine Rückreise an, während ich in Bingen blieb, um die Mainzer Wasser-Diligence zu erwarten, mit der ich dann einige Stunden später glücklich abfuhr. In dem deutschen Städtchen Kaub wurde, wie nachher auch im französischen Sankt Goar, des Rheinzolls wegen angehalten. Während am ersten Ort die Zollbediensteten das Schiff nach Kastanien durchwühlten, von denen ihnen der Zoll zufällt, betrachtete ich die hier auf einer Insel mitten im Rhein erbaute Pfalz, wo die ehemaligen Pfalzgräfinnen die jungen Pfalzgrafen zur Welt bringen mussten. Wenn dies geschah, um die Gewissheit der Mutter ins Licht zu setzen, so habe ich nichts dagegen, wenn aber die Echtheit der Geburt damit bezeugt werden sollte, so kann man sich dabei allerlei Gedanken machen. Soweit war ich in meinen Betrachtungen gekommen, als das Schiff, von den Zollbedienten freigegeben, vom Ufer abgestossen und von neuem den Wellen des Rheins übergeben wurde. In kurzem verlor ich die Pfalz mit dem Städtchen Kaub aus dem Gesichte und überliess mich neuen Eindrücken. Mit Einbruch der Nacht kamen wir nach Boppard, wo das Schiff die Nacht über liegen blieb. Um vier Uhr morgens wurden wir schon wieder geweckt, um halb fünf gings zu Schiffe und ehe es neun geschlagen hatte, landeten wir in Koblenz. Nachdem ich mir die Stadt ein bischen besehen hatte, setzte ich mit der fliegenden Brücke über den Rhein und bestieg jenseits die in Trümmern liegende Festung Ehrenbreitstein. Mit grosser Anstrengung gelang es mir endlich, durch halb eingestürzte Gewölbe, auf zerfallenen Treppen, über | |
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geborstene Mauern die höchste Stelle dieser Ruinen zu erklimmen. Es ist ein fürchterlicher Anblick, selbst auf einer zersplitterten Mauer stehend, ringsum die ungeheuren Steintrümmer, in wirrem Durcheinander hingestürzt, zu betrachten. Man glaubt eine verwüstete Stadt, ein zerstörtes Troja zu sehen, so gross ist der Umfang der Ruinen. Mit schmerzlichen Gefühlen wandte sich mein Auge weg von diesem Denkmal der Kriegswut, um einen Blick auf die vor mir ausgebreitete Gegend zu werfen. Eine Beschreibung wage ich nicht zu unternehmen; ich fühle, sie würde unendlich weit hinter der Natur zurückbleiben. Denke dir selbst, wenn du kannst, welch ein herrlicher Anblick das sein muss: zu unsern Füssen der majestätische Rhein, gerade vor uns die Mosel, wie sie sich eben zwischen den Bergen hervordrängt und dem Rheine zueilt. Auf der Landspitze zwischen beiden Gewässern die Stadt Koblenz, durch steingewölbte Bogen mit dem linken Moselufer verbunden, während auf dem Rhein die fliegende Brücke in steter Bewegung ist. Auf beiden Flüssen schwimmen Hunderte von Fahrzeugen, und die blühenden Ufer des Rheins sind, soweit das Auge reicht, mit Städten und Dörfern besät. Doch genug, um dir einen ungefähren Begriff zu geben, mehr will und kann ich nicht. Vom Ehrenbreitstein führte mich ein Fusspfad auf dem Rücken des Berges nach dem nächsten Dorf an der Landstrasse. Ihr folgte ich bis zu dem vier Stunden vom Rhein entfernten Städtchen Montabaur, wo ich mein Nachtquartier nahm. Am folgenden Morgen setzte ich meinen Stab weiter, und so kam ich am Abend des fünften Tages glücklich in Dillenburg bei meinem Bruder an. Von hier aus reiste ich nach einigen in Saus und Braus verlebten Tagen über Wetzlar und Giessen nach Marburg und von da mit dem Postwagen über Kassel nach meinem Bestimmungsort Göttingen, wo ich nach einer Fussreise von sechs vollen Wochen noch so ziemlich wohlkonditioniert anlangte. |
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