Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdEine Studentenreise vor hundert Jahren.
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ich hier schreibe, später, wenn es anders der Mühe wert ist, wieder abgeschrieben.
Die Luft zitterte noch vom zehnten Glockenschlage, als ich am Ufer ankam, und schon verkündete auch ein Trompetenstoss die Abfahrt des Schiffes. Ich hatte gerade noch Zeit, über den schmalen Steg zu laufen, der gleich hinter mir eingezogen wurde. Da die Bootsleute den anderen Raum beanspruchten, sprang ich aufs Verdeck, wo es anfangs so voll war, dass man kaum stehen konnte. Einer hielt sich am Andern, ich wählte als das Sicherste den grossen Mast. Ein Weibsbild (keine von den Feinsten, wie ich nachher erfuhr) wollte wahrscheinlich ebenso sicher stehen und hielt sich ohne Umstände an mir, was ich mir jedoch auf der Stelle höflich, aber bestimmt verbat. Nach und nach wurde es leerer, denn es war nicht etwa ein sanfter Zephyr, der in die Segel blies, sondern ein leibhaftiger Bruder des Boreas. In einer Viertelstunde stund ich mit drei oder vier Anderen noch allein auf dem Verdeck, und da die Stadt Frankfurt dem Gesicht entrückt und die Gegend sehr einförmig war, fühlte ich keinen Beruf in mir, weiter als Segel zu dienen, und stieg auch ins Schiff hinunter, wo ich, in Ermangelung eines Besseren, das schon erwähnte Plätzchen fand. Ich sitze wenigstens ganz bequem, wenn auch nicht warm, denn das alte Mütterchen gibt verdammt wenig Hitze, und sollte mich die Lust zu schlafen anwandeln, ihm könnte ich ohne Gefahr für meine Tugend (wenn sie dir noch so sehr am Herzen liegt, Bruder, so kannst du ruhig sein) mein Haupt in den Schoss legen.
Die Wirtschaft hier auf dem Marktschiff ist wirklich einzig in ihrer Art. O, könnte ich doch malen, um all das Wesen und Unwesen, wie ich's hier sehe, mit einigen Pinselstrichen auf ein Stück Leinwand hinzuzaubern, es müsste ein Meisterstück werden! Dir aber, mein lieber V., würde ich's, wenn mir auch ein Fürst 100 Louisdor dafür böte, dennoch als Kabinetstück verehren. Eine Beschreibung ist gar nicht möglich, doch will ich versuchen, dir wenigstens einen Begriff von der Sache beizubringen. Denke dir ungefähr hundert Menschen in einem ziemlich engen Raume ein- | |
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geschlossen, und zwar so bunt als möglich durch einander, denn unter unserm Dache sind Manner, Weiber und Kinder, Knechte und Mägde, ungerechnet das liebe Vieh, als da sind Hühner, Enten, Ganse, Spanferkel (ich wollte, meine Mutter hätte eines davon, sie isst sie so gerne). Es sind da Juden und Christen, Studenten (ausser meiner Wenigkeit noch einige Stück von dieser Gattung) und Philister, Gelehrte und Scharfrichter, Soldaten und Pastoren, Kaufleute und Diebe (lässt sich wenigstens vermuten), Narren (einer sicher) und Professoren (zwei solche fahren nach Mainz, um den Bonaparte zu sehen), Komödianten und Bettler, Jesuiten und Invaliden, Marktschreier und Doktoren, Guckkastenmänner und Musikanten. Den Beschluss macht ein bettelnder Kapuziner. Was das andere Geschlecht betrifft, das in dieser schwimmenden Stadt die kleinere Hälfte der Einwohnerschaft ausmacht, so sind darunter (wie in unserm guten Heidelberg auch) Schöne und Hässliche, Junge und Alte, Blonde, Braune, Schwarze und - Graue (z. B. meine holde Nachbarin), Magere und Dicke, Grosse und Kleine, Verheiratete und Heiratslustige, Spröde und Willige, Vestalinnen und (um das deutsche Kraftwort zu vermeiden) das Gegenteil. Ich habe übrigens Grund zu glauben, dass die Zahl der Vestalinnen ziemlich gering, die der Venuspriesterinnen dagegen umso grösser ist. Nun stelle dir vor, was unter einer solchen Menschenmenge sich für närrische Verhältnisse, für sonderbare, aber oft sehr malerische Gruppen bilden mögen! Wahrlich, eines Phidias und Apelles würdig! Gerade mir gegenüber sitzt ein Pärchen (wenn ich es nur in Wachs getrieben hätte, um es dir am Vorabend deiner, Gott geb's, baldigen Hochzeit verehren zu können), das, wie ich weiss, sich heute zum erstenmal sieht und doch schon so vertraut wie Mann und Frau ist. Das Mädchen sitzt dem jungen Burschen auf dem Schoss, die linke Hand vertraulich auf seine rechte Schulter legend und ihm beständig in die Ohren flüsternd. Da wirft mir, der ich flüchtig hinüberschaue, der Kerl einen durchbohrenden Bliek zu, aber ich fürchte den Helden nicht, er hat ja keine Hände, wenigstens sehe ich keine. Nun, er | |
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wird sie wohl unter des Mädchens Schürze haben, aber, mein Gott, jetzt sehe ich's erst, sie hat ja keine Schürze an!
Es ist doch seltsam, dass auf der ganzen langen Bank da drüben und, wie ich eben bemerke, auch auf unserer Seite, immer so ein junges Weibsbild neben einem jungen Kerl sitzt, und zwar immer so nahe beisammen, man könnte fast sagen, auf einander. Sollte man da nicht auf allerlei Gedanken kommen? Je nun, der Zufall führt die Menschen zusammen, und an dem engen Sitzen ist ja nur der Mangel an Raum schuld.
Zu meinen Füssen liegt ein fettes Schwein, nach Mainz bestimmt, und gleich daneben auf einer rotangestrichenen Kiste sitzt ein Jude, dem ich schon eine gute Weile mit Verwunderung zuschaue. Er lebt mit der Sau wie ein Bruder, unterhält sich mit ihr aufs angenehmste und treibt allerlei verliebte Neckereien, krabbelt ihr auf dem Kopf, zerrt an ihren Borsten oder zupft sie bald an den Ohren, bald am geringelten Schwänzchen. Dort am Eingang steht ein Mann mit einem Guckkasten, um den sich die liebe Jugend, an der wir auf dem Schiffe, Gott sei Dank, keinen Mangel haben, an den Haaren rauft; jeder will hineinsehen, und doch ist nur ein einziges Loch da. Wie ich höre, zeigt ihnen der Mann eben den Bonaparte, wie er aus Ägypten kommt. Ganz in meiner Nähe steht ein Tisch, an dem alle möglichen Esswaren, Apfelkuchen, Milchbrötchen, Knackwürste, Lebkuchen und dergleichen verkauft werden. Dicht dabei sitzt eine Obsthökerin, bei der zu haben ist, was das Herz begehrt, Zwetschgen, Äpfel, Nüsse, Birnen, Trauben, gebratene Kastanien u.s.w. Dort am andern Tische wird Wein geschenkt, weisser und roter; einige zwar schon halbbesoffene Kerle stehen davor und lassen sich von Zeit zu Zeit die Schoppenglaser füllen. Aber wer beschreibt den Lärm, der in diesem hölzernen Kasten herrscht. Ich beneide den Taubgeborenen, dem ich vorhin einen Groschen in den Hut warf. Die Sprachen aller bekannten Völker (obgleich das Deutsche vorherrscht) werden hier gesprochen, und zwar alle zu gleicher Zeit. Die Kerle am Schenktisch schreien | |
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einmal übers andere aus Leibeskräften Juchhe!, andere zanken sich mit den Hökerweibern. Die verliebten Pärchen haben immer etwas zu lachen und zu schwatzen, besonders die Mädchen, wie denn überhaupt auf dem ganzen Schiffe keine einzige Weiberzunge auch nur einen Augenblick stille steht. Nur mein altes Mütterchen macht, das muss ich zu ihrem Ruhme sagen, eine Ausnahme und verhalt sich, seit ich neben ihr sitze, so stille wie ein Mäuschen. Die beiden Professoren und der Scharfrichter sind in einen äusserst hitzigen gelehrten Disput verwickelt, aber das ist alles noch nichts gegen den Gesang dort hinten in der Ecke, als ob die Raben krächzten! Zum Glück wird er etwas durch eine aus der andern Ecke schallende Musik übertönt, aus Geige, Bass und Querpfeife bestehend. Denke dir dazu noch das Rufen und Fluchen eines halben Dutzends von Bootsknechten, und du hast einen Begriff von dem, was hier die Ohren aushalten müssen. Du hältst meine Schilderung für übertrieben? Höre, Brüderchen, tu mir den Gefallen, nimm Extrapost, fahre nach Frankfurt und setze dich ins Marktschiff! Ich will alles bezahlen, wenn du's nicht ebenso findest! | |
Nachmittags drei Uhr.Ich tat wohl daran, meine Schreibsachen einzupacken und mich von meinem Sacke zu erheben, sonst wäre ich allein sitzen geblieben, verlassen wie der arme Hiob. Nicht eine Christenseele, auch kein Jude (selbst mein Nachbar liess seine grunzende Gespielin im Stich, wie ich - sans comparaison - das alte Mütterchen), blieb auf dem Schiff, das schon angelegt hatte, denn wir waren in Höchst. Hier sollte Mittag gemacht werden, ein Vorschlag, zu dem ich aus tiefster Überzeugung ja sagte. Es war bereits 12 Uhr, und mein Magen hatte sich schon zu verschiedenen Malen ums Mittagsessen gemeldet; ich hatte ihn jedoch immer auf bessere Zeiten vertröstet, denn die auf dem Schiffe feilgebotenen Esswaren waren nicht sehr vertrauenerweckend. Wenn dir der Herr Pfarrer in Schwetzingen Apfelkuchen auftischt - ich weiss, du isst ihn gerne - so lass dir den Geschmack nicht verderben, wenn ich dir sage, | |
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dass aus demjenigen im Schiffe ellenlange Haare gezogen worden sind, ob rot oder schwarz, kann dir gleichgiltig sein.
Ich stieg also ans Land und schloss mich der grossen, buntscheckigen Prozession von Männern, Weibern und Kindern an, die vom Schiffe ins Städtchen zog. Unter der Tür eines Hauses, auf dessen Schild ein Fisch gemalt war, stund ein schon bejahrter Mann (der Wirt, wie ich bald erfuhr), der mich und die übrigen gar freundlich hereinzukommen nötigte. Wir fanden schon eine lange Tafel gedeckt, und bald stand auch die Suppe darauf, die ich mir, wie alles Folgende, trefflich schmecken Hess. Bei Tische hatte ich Gelegenheit, zwei Marburger Studenten, P. und W., mit denen ich schon auf dem Schiffe gesprochen hatte, näher kennen zu lernen. Sie machen eine Ferienreise und wollen u.a. auch nach Heidelberg und Schwetzingen, wo du sie vielleicht sehen wirst. Wir waren gerade im besten Gespräch, als ein Schiffer mit einer grossen Schelle in die Stube trat und damit einen solchen Teufelslärm machte, dass uns allen die Ohren gellten. Es war das Zeichen zum Aufbruch - o weh, was war das für ein Jammer an allen Ecken des Tisches und wie viele Flüche erschütterten die Luft! Es war, als ob die Posaune des jüngsten Gerichts geblasen würde, denn die meisten hatten sich kaum zur Hälfte satt gegessen und liessen vor Schrecken Messer und Gabeln fallen oder ein volles Glas der frisch bestellten Flasche. Aber alles war umsonst, es blieb nichts andres übrig, als sich zu fügen. Ich trank stehend mein Gläschen aus und eilte dem grossen Haufen nach. Meinen alten Platz nahm ich wieder ein, doch hatte ich jetzt die beiden Marburger zu Nachbarn, mit denen ich mich ein Stündchen unterhielt - länger aber konnte ich's wahrhaftig in dem Kasten nicht aushalten, denn was zu toll ist, ist zu toll! Man hatte zu Höchst eine Menge Vieh, Kälber, Schafe, Schweine, hereingebracht, und den Unfug, den vorher die vernünftigen Menschen getrieben, vergrösserte nun das unvernünftige Vieh. Es sah da unten aus wie in der Arche Noae. Es war, wie gesagt, nicht mehr auszuhalten, und ich stieg daher aufs Verdeck. Der rauhe Wind hat | |
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nachgelassen, und das Wetter ist ziemlich angenehm geworden, obwohl die Sonne nicht zum Vorschein kommen will. Ein Weilchen unterhielt ich mich mit dem Anblick der Maingegend; sie ist ganz artig, doch nicht reizvoll genug, um auf die Dauer zu fesseln. Ich bekam Langeweile und zog wieder meine Schreibtafel hervor; eine Zeit lang stund ich am Mast, am Ende fand ich's aber doch bequemer auf einem Koffer, wo ich noch sitze. Eben fahren wir an Hochheim vorbei, wo das gute Weinchen wächst. Ich wollte, ich hätte ein Gläschen hier, um deine Gesundheit zu trinken, denn mit dem schlechten, der unten verzapft wird, schickt sich das nicht. Hochheim hat, wie ich sehe, eine allerliebste Lage, auf einem Hügel am rechten Ufer des Mains, vom Rhein kaum eine Stunde entfernt. Ich finde überhaupt, dass die Gegend immer schöner wird, je mehr man sich dem Rheine nähert. Ich stecke daher meine Schreibtafel ein. Wir sind jetzt nur noch eine Viertelstunde von Mainz entfernt; von dort schreibe ich dir morgen, für heute - gute Nacht! | |
Mainz, am 2. Oktober (10. Vendémiaire 13).Da bin ich ja! - und um meinem Bruder Wort zu halten, habe ich auch schon die Feder in der Hand, obgleich ich erst vor fünf Minuten aufgestanden bin und noch nichts am Leibe habe als meine Beinkleider (da mein Tagebuch hoffentlich keinen Damen in die Hände fällt, brauche ich auch nicht salva venia zu sagen); im Leibe habe ich noch weniger, denn wir warten auf das Frühstück so sehnlich wie die Juden auf den Messias. Ah, da kommt ja eben unser Kaffee, welch ein herzerfreuender Anblick! So, mein liebes Kind, stell' sie ihn nur auf den Tisch dort am Fenster, denn hier habe ich meine Schreiberei. Meine Kameraden haben sich schon dahinter gemacht; ich muss mich eilen, sonst bekomme ich am Ende nichts mehr. O weh! die schönen mürben Bretzeln sind schon alle aufgezehrt. Wir haben dem Mädchen eine neue Auflage aufgegeben, und zwar eine vermehrte und verbesserte. Bis sie herauskommt, habe ich noch Zeit, dir zu sagen, wer meine drei Kame- | |
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raden sind: die beiden Marburger und - den dritten rätst du gewiss nicht - Sch. aus Heidelberg.
Da es zum Ausgehen noch etwas zu früh ist, setze ich mich wieder an den Schreibtisch, um noch ein halbes Stündchen mit dir zu plaudern. Es war fünf Uhr, als das Marktschiff gestern in Mainz landete, doch ehe ich's landen lasse, noch ein paar Worte über die Gegend. Nichts geht über den Anblick derselben, wo sich der Main mit dem Rhein - vermählt würde ich sagen, wenn sie nicht beide männlichen Geschlechts wären. Ich erinnere mich kaum (du weisst, ich bin ein weitgereister Mann), etwas Schöneres gesehen zu haben - eine zweite Züricher Gegend. Zur Linken hat man Kostheim, zur Rechten Gustavsburg, vor sich den prächtigen Rhein; er ist hier von gewaltiger Breite und bildet mehrere schöne Inseln, die man Auen nennt. Das Auge schweift über die reizenden Auen und die spiegelglatte Flut hinüber ans jenseitige Ufer und erblickt das am Wasser liegende Dörfchen Weissenau, zunächst dabei ein Nonnenkloster und die Favorite, weiland ein Lustschloss des Kurfürsten von Mainz, jetzt durch den Krieg zerstört. Weiter unten bietet die Stadt Mainz mit ihren Türmen und Palästen einen prächtigen Anblick dar, durch eine im halben Mond stehende Schiffbrücke mit dem deutschen Städtchen Kastel verbunden. Im Rheine selbst schwimmt eine zahllose Menge von Fahrzeugen jeder Grösse, und auf allen, von den ungeheuren Schiffen, die Köln heraufschickt, bis zu den kleinen Weissenauer Kähnen, weht die dreifarbige Flagge. Wo sich die Fluten des Mains mit denen des Rheins vermischen, sieht man es deutlich, denn die beiden Flüsse unterscheiden sich sehr durch ihre Farbe; das Rheinwasser hat noch die nämliche hellgrüne Farbe wie bei Schaffhausen, während das Mainwasser ins bräunliche fällt.
Noch hatten wir nicht gelandet, als auf einmal ein anhaltender Kanonendonner an unser Ohr schlug. Ich konnte nicht anders denken, als dass diese Ehrenbezeugung mir gelte, und als Menschenfreund erwägend, dass das Pulver der Mainzer Bürgerschaft teuer zu stehen komme, als Jagdliebhaber, wie viele Hasen, Feld- | |
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hühner und Schnepfen man mit dem in die Luft verpufften erlegen könne, beschloss ich abzuwinken. Doch einer der Umstehenden bemerkte, dass der Kanonendonner nicht von Mainz, sondern von Kastel herüberschalle und wahrscheinlich der Kaiserin gelte, die nach der deutschen Seite hinüberfahre. So war's auch, wie ich nachher in Mainz erfuhr; die ganze fürchterliche Kanonade war nichts als eine Caresse, die der Fürst von Nassau-Usingen der Madame Bonaparte machte.
Das Schiff hatte gelandet, und Jung und Alt drängte sich unter dem Verdeck hervor, um ans Land zu springen oder fein sachte über den Steg zu gehen, je nachdem er eben jung oder alt war. Das Aussteigen in Masse verbat sich aber die Douane nationale (eine militärisch eingerichtete Truppe, die an den Grenzen der Republik steht, um die Einführung verbotener Waren zu verhindern) und liess nur einen nach dem andern heraus, nachdem festgestellt war, dass er keine Contrebande bei sich habe. Ich stund auf dem Verdeck und sah dem Schauspiel zu, endlich stieg ich auch herab und unterwarf mich der Untersuchung, von der keiner Mutter Kind verschont blieb. Da sie mir die Ehrlichkeit am Gesicht ansehen mochten oder es sonst nicht der Mühe wert hielten, sich viel um mich zu bekümmern, kam ich ziemlich gut durch, dagegen wurde ein nach mir kommendes Mädchen, obwohl das artige Kind auch nicht wie eine Spitzbübin aussah, ganz erschrecklich mitgenommen. Das arme Kind wehrte sich nach Leibeskräften, aber es half nichts, der rohe Kerl, war stärker und mit jedem seiner Griffe griff er auch mir an die Seele, denn ich hatte das Mädchen in Affektion genommen. Ob sie wirklich der Contrebande verdächtig war oder der Zollwächter nur seinen Spass hatte, dem blonden Schätzchen etwas ans Herzchen zu fühlen, wage ich nicht zu entscheiden - endlich bekam auch sie ihren Laufpass. Ich nahm die beiden Marburger an den Arm, und ging mit ihnen dem nächsten Tore zu, wo uns wider Erwarten nicht einmal der Pass abgefordert wurde. Wir waren kaum hundert Schritte in der Stadt gegangen, als ich auf einmal meinen Namen rufen | |
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hörte. Ungewiss ob es mir gelte, denn ich habe so viele Namensbrüder, schaute ich mich um und sah im Fenster eines Gasthauses ein Gesicht, von dem ich geschworen hätte, es gehöre unserm Sch. in Heidelberg. Er selbst konnte es nicht sein, denn ich hatte ihn ja erst vor wenigen Tagen in Heidelberg gesprochen und er nichts von einer Reise nach Mainz verlauten lassen. Doch das Gesicht nickte mir zu - ich traute meinen Augen kaum, aber er war's wirklich. Sogleich eilte ich ins Haus, mit mir meine Begleiter, die in Sch. einen alten Universitätsfreund wiedererkannten. Es herrschte allgemeiner Jubel, und jeder pries den Zufall, der uns in einer fremden Stadt so unverhofft zusammengeführt hatte. Vor allen Dingen wurden jetzt, um das Wiedersehen zu feiern, stehenden Fusses einige Flaschen Wein ausgestochen, dann wurde ausgemacht, dass wir im gleichen Hause wohnen und abends ins Theater gehen wollten, wohin wir uns, da es eben Zeit war, sogleich im Doppelschritt auf den Weg machten.
(Fortsetzung folgt.) |
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