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Glockenweihe in Wynberg-Vlakte.
In leuchtenden Farben steigt besonders ein Tag meines Kapstädter Aufenthalts vor meiner Erinnerung auf: Es war ein wunderbarer Sonntag im September. Etwas spät hatte kalter Regen und Sturm uns wenige Tage vorher noch daran erinnert, dass wir eben am Beginn des südafrikanischen Frühlings standen. Auf den Bergen im Norden grüsste frischer Schnee zu uns herüber, die Luft war rein und klar und der Himmel leuchtete in azurner Bläue, wie ich ihn nur je in Italien gesehen hatte. Mit einigen Kapstädter Freunden bestieg ich bald nach dem Mittagsimbiss die Kapkarre, die uns nach Wynberg-Vlakte führen sollte, wo heute auf afrikanischem Boden ein echt deutsches Fest gefeiert werden sollte. Erst ging es durch die verlassenen Strassen der eigentlichen Kapstadter Geschäftsstadt, dann durch die ersten, etwas ärmlichen, viel von Farbigen bewohnten Vororte; und dann durch die eleganten Villenorte, die sich meilenweit längs des Tafelbergs hinziehen bis über Wynberg hinaus. Alles prangte im frischesten Grün; wenn auch der Frühling hier nicht im gleichen Masse ein Erwachen der Natur bedeutet wie bei uns, so ist es doch die Zeit, wo die Natur ihr schönstes Kleid anlegt. Dann bog der Weg nach Norden in die Ebene; eine breite Strasse von der für Südafrika so charakteristischen roten Farbe des Bodens. Die Villen werden spärlicher, der Boden ist sichtlich kärglicher, hier und da liegt ein Fleck dürren Sandes bloss. Die Strasse ist von Gefährten stark belebt. Wir überholen eine Kapkarre, die bis zur Grenze des Möglichen mit Männlein und Weiblein besetzt ist; deutsche Laute und deutsche Grüsse klingen zu uns herüber. Bald winkt auf der Höhe einer leichten Bodenwelle ein schmuckes Kirchlein zu uns herüber, daneben einige saubere Farmhäuser, nach europäischen Begriffen mehr
Villen als Bauernhäuser. Gleich zeigen sich unserem Blick neben der Kirche ein nettes Pfarrhaus, die
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Schule und die Lehrerwohnung. Auf dem Raume vor der Kirche entfaltet sich uns ein reichbewegtes Leben, eine ganze Burg von Wagen steht beisammen, Reitpferde werden festgemacht, Männer und Frauen begrüssen sich und schütteln sich die Hände, die Männer, meist derbe deutsche Bauerngestalten mit breitrandigen Burenhüten, die jungen Mädchen städtisch gekleidet in hellen Farben, in Gestalt und Gesicht, aber nicht im Anzug an deutsche Bauernmädchen erinnernd. Meist schlagen plattdeutsche Laute an unser Ohr, aber auch Hochdeutsch wird gesprochen, denn auch aus Kapstadt waren Gäste erschienen, darunter die Beamten des deutschen Generalkonsulats und wohl auch englische Freunde aus der Nachbarschaft hatten sich eingefunden.
Dann begann die Feier. Im Tore der Kirche, das mit Laubgewinden geschmückt war, stand, von der grellen Nachmittagssonne beschienen, der deutsche Pastor aus Kapstadt, Wagener, mit seiner hohen Gestalt und seinem ausdrucksvollen Charakterkopf. Er hielt die Weiherede für die Glocke, deren Geläute heute zum ersten Male ertönen sollte. Er durfte wohl auf die Geschichte dieser Gemeinde zurückgreifen, denn er kannte sie von Anbeginn an. Erst hatte er die über die Wynberger Ebene zerstreuten Einwanderer zu einer Gemeinde gesammelt, dann hatten sie ihre Kirche errichtet, ein Schulhaus war gefolgt und dann hatten sie auch ihren eigenen Seelsorger erhalten; war es auch im Anfange furchtbar hart gegangen, so hatte doch der Segen Gottes auf der Gemeinde geruht und sie war zu Wohlstand und Blüte gelangt. Aus der alten Heimat sei die Glocke gekommen, deren eherner Mund heute zum ersten Male sprechen sollte; sie sollte die Gemeinde stets daran mahnen, deutsch zu bleiben und treu der Sprache, den Sitten und Gebräuchen ihrer Väter. Die Worte kamen aus warmem Herzen und hatten eine Leuchtkraft wie der herrliche Frühlingstag, in den sie hinausklangen. Dann kam ein Gottesdienst in der Kirche, die freilich alle Besucher nicht fassen konnte; und meinem Geschmacke entsprach es auch mehr, um die Kirche herumzustreifen und hier und dort ein Wort mit den Bauern und Bäuerinnen zu
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tauschen. Als dann der Gottesdienst zu Ende war, da hätte es wohl heimischem Gebrauch entsprochen, dass sich alles im Dorfkruge noch gestärkt hätte und vielleicht hätte sich die Jugend zum Klange von Fiedelbogen und Ziehharmonika noch etwas beim Tanze vergnügt. Aber darauf müssen wir verzichten, es gibt hier kein Dorfwirtshaus, wie ja auch die ganre Siedlung nicht den Charakter eines Dorfes in deutschem Sinne hat, denn jeder lebt für sich auf seinem ‘Platz’. So wird denn noch Abschiedsgruss und Händedruck getauscht und Wagen und Reiter setzen sich wieder in Bewegung nach den meist nicht weit entfernten Farmhäusern.
Man ist in Afrika und das Zufussgehen erfreut sich hier keiner sonderlichen Wertschätzung. Wir fahren wieder der Stadt zu, aber wir wählen einen höheren, sich am Abhange des Tafelberges ziehenden Weg, der uns durch die ‘Groote Schuur’, den Rhodesschen Landsitz führt. Vom höchsten Punkte des Weges entrollt sich vor uns ein entzückendes Bild, das sich wohl den schönsten Landschaftsbildern dieser Erde an die Seite stellen kann. Im Westen die reichen Korndistrikte der Gegend von Malmesbury, von wo die grünen Saaten vielversprechend herübergrüssen, und dann die schneebedeckte Bergkette mit den roten und purpurnen Tönen ihrer nackten Felsen, auslaufend in dem letzten Kap, das noch im Osten sichtbar ist, Kap Hanlip, links der glatte Meeresspiegel der Tafelbai, rechts der der falschen Bai und dazwischen die weite Ebene, die wir eben verlassen haben; unmittelbar unter uns die prachtvollen hundertjährigen Eichenalleen Wynbergs und der anderen Kapstädter Vororte und aus dem satten Grün der Bäume und Rasenflächen ragen zahllose behagliche Wohnstätten von Menschen hervor. Wie wunderbar! Vor wenig mehr als zweihundert Jahren war dieses selbe Land, das uns heut solch' ein lachendes Bild bietet, den holländischen Pionieren, die von der holländisch-ostindischen Kompagnie als Farmer hinausgeschickt wurden, als eine gräuliche Einöde erschienen und unter hartem Kampf mit Eingeborenen und wilden Tieren gründeten sie da ihre ersten Heimstätten; und dieser selbe Fleck Erde, auf dem ich eben Zeuge
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einer Feier gewesen war, durch die ein Zug von dankbarer Zufriedenheit über das Vollbrachte und froher Zuversicht für die Zukunft ging, war noch vor einem Menschenalter eine unfruchtbare Sandwüste gewesen.
Es lohnt wohl, der Geschichte dieser deutschen Ansiedlung in der Wynberger Ebene etwas nachzugehen, denn sie ist für die Schicksale deutscher Kolonisation in Südafrika in mancher Richtung typisch. Mitte der 70er Jahre machte sich ein holsteinischer Kapitän Rissler dem Ministerium Molteno gegenüber, das in vieler Hinsicht auf eine raschere Entwicklung der Kapkolonie erfolgreich hinarbeitete, verbindlich, deutsche Ansiedler nach der Kapkolonie zu bringen; es sollten seinen Versicherungen nach Bauern erster Güte sein. Er ging dann nach Deutschland und las in der Lüneburger Heide ganz armes Volk geradezu von der Strasse auf, Leute aus Armenhäusern u.s.w. Das war wohl auch nötig, denn jemand, der noch irgend eine Existenzmöglichkeit vor sich gesehen hätte, wäre wohl gleich umgekehrt, sobald er das ihm zugedachte Land gesehen hätte. Zwischen den beiden Buchten - der Tafelbai und der falschen Bai - dehnte sich ein wüstes Sandfeld aus, in dem sich im Winter durch die Regen grosse Sümpfe bildeten, die wegen der niederen Lage des Landes keinen Abfluss hatten. Hier wurden den meisten Lose von 10 kapschen Morgen(ca.7 Hektar) einigen 20 überwiesen, die sie aber nicht geschenkt erhielten, sondern in Jahresraten abzahlen mussten. So bescheiden der Preis des Landes verglichen mit dem heutigen Wert erscheint, für die damalige Lage war er immer noch viel zu hoch. Dazu kam, dass kein eigentlicher Weg zu der Ansiedlung führte und im Winter Regengüsse oft jede Zufuhr zur Stadt unmöglich machten.
Wo jeder andere verzweifelt haben würde, haben diese deutschen Bauern ausgehalten. Nach Versuchen in allen Richtungen kamen sie auf die Kultur, die heute noch ihre Haupteinnahmequelle bildet. Mit dem Einsetzen des Sommers beginnt auf der Kap-Halbinsel auch die trockene Zeit. Dann trocknen die erwähnten Sümpfe (holl. Vlei genannt) aus, und im Januar werden sie von den Bauern
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gepflügt und der an sich wunderbar fruchtbare Boden lässt alle Gemüse in ausgezeichneter Grösse und vorzüglicher Güte wachsen, gerade in einer Zeit, wo der Kapstädter Markt wegen der anhaltenden Dürre damit schlecht versorgt ist. Eine andere Einnahmequelle bildete die Anpflanzung des Port Jacksonbaumes, einer australischen Weide, die zunächst gepflanzt wurde, um die Sandstürme von der falschen Bai her abzuhalten und den Boden zu befestigen; dieser Baum wächst ungeheuer rasch und stirbt mit etwa 15 Jahren schon ab, liefert gutes Brennholz, während seine Blätter vom Vieh und seine Samen von den Hühnern gern gefressen werden. Mit den Bäumen bepflanzte sich endlich auch der Boden und gab gute Weide und die Stadt wuchs mit ihren Vororten in einer Weise an den Ort heran, wie man es vor 25 Jahren gar nicht ahnen konnte. Ein kleiner Teil der Ansiedler hatte den Kampf vorzeitig aufgegeben, aber die Masse hatte ausgehalten; etwa 300 Deutsche waren seinerzeit aus Deutschland herausgekommen, bis heute hat sich diese Zahl mindestens vervierfacht. Ein Teil der Kolonisten hatte neue Platze gegen die falsche Bai zu angekauft und bildete den Ort Neu-Eisleben. Die ganze Niederlassung aber ist ein Beweis, beiläufig bemerkt nicht der einzige, was gerade deutscher Fleiss, Genügsamkeit und Anspruchlosigkeit in Südafrika zu leisten vermögen. Es ist mir sowohl von burischer wie englischer Seite zugegeben worden, dass weder Engländer noch Bur gleiches zu leisten im Stande seien. Ein alter Afrikander sagte mir: ‘Ich glaube, man kann die Deutschen auf einen nackten Stein setzen und sie werden einen Garten daraus machen.’
Sollte diese Leistung nicht ein Anstoss sein, diese Deutschen mit Stolz auf ihre Abstammung, ihr Volkstum zu erfüllen, sollte das nicht ein Ansporn sein, es sich und ihren Kindern zu erhalten und mit aller Macht dafür zu kämpfen? Es wird zweckmässig sein, auf diese Frage, die die nach der Zukunft des Deutschtums in Südafrika überhaupt in sich schliesst, eine Antwort erst zu suchen, wenn ich den Leser mit den Verhältnissen des Deutschtums auch an anderen Orten Südafrikas etwas vertraut gemacht habe, denn
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die Verhältnisse von Wynberg-Vlakte sind durchaus vorbildlich für eine ganze Gruppe deutscher Siedelungen in diesem Lande.
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