Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdSigfrid nur Sagenheld?
| |
[pagina 321]
| |
MeniaGa naar voetnoot(1) wurde das Weib des Thüringerkönigs Bisin, dessen Tochter Radegunde die erste Gemahlin Wachos gewesen war. Er selbst muss aber, da er schon vor seiner Thronbesteigung mit Rodelinde, einer thüringischen Fürstentochter aus dem hochberühmten Amalerstamm, einer Grossnichte Theoderichs, vermählt war, von königlicher Abstammung und mit Walthari blutsverwandt gewesen sein. Da er in dem Königsverzeichnis des Gesetzbuchs von König Rothari ein Sprössling aus dem Geschlechte Gausus (ex genere Gausus) genannt wird, muss sich sein Stammbaum von dem der Lethinger bei Gudeok oder Gauzo abgezweigt haben, und eine Ahnenreihe Gauzo (einer der bei den Langobarden so beliebten Kosenamen), Albhari, Walthari, Authari,Ga naar voetnoot(2) Audwin fällt geschichtlich und sprachlich durchaus in den Bereich der Möglichkeit. Nehmen wir an, Audwin wäre bei der Königswahl (reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt, Tac. Germ. 7) ungefähr fünfzig Jahre alt gewesen - er starb schon ums Jahr 560 -, so könnte sein Vater Mitte der sechsziger, sein mutmasslicher Gross- | |
[pagina 322]
| |
vater Walthari aber Anfangs der dreissiger Jahre des 5. Jahrhunderts geboren sein. Wie andere Fürstenkinder an Attilas Hof als Geisel heranwachsend, kann er sich im blühenden Jünglingsalter wohl in die durch hohe Schönheit ausgezeichnete burgundische Königstochter - Ez wuohs in Buregonden ein vil edel magedin,
daz in allen landen niht schöners mohte sin -,
verliebt haben; selbst eine frühere Verlobung, wie sie das Lied andeutet, Nam iusiurandum Heriricus et Alphere reges
Inter se dederant, pueros quos consociarent,
Cum primum tempus nubendi venerit illis,
wäre nicht ausgeschlossen, und es könnte somit der rührenden Sage ein wirklicher Liebeshandel mit Fluchtversuch zu Grunde liegen. Nach der Vilkina und der Thidreks Saga wird Valtari af Vaskasteini auch von den Hunnen verfolgt und kämpft mit diesen. Den Alemannen aber, die den Schauplatz der berühmten Zweikampfe in den benachbarten Wasgenwald verlegten, mochte es eine besondere Befriedigung gewähren, dass ein schwäbischer Held so tapfer und siegreich gegen Franken stritt; der Strauss mit dem alten Waffenbruder, dem fränkischen Hagen - Francorum vereor Haganone superstite nullum - gab Anlass zu diesem Rollenwechsel. ‘Aquitanien ist’, wie schon Wilhelm Grimm (a. O.) richtig vermutet, ‘wohl nur eine gelehrte Übersetzung von Wascono lant’, dieses selbst aber eine Verwechselung mit dem ähnlich lautenden Wasgenstein, daher Walther ‘von Spane’ oder ‘von Spanilant’; auch sein Schwert heisst Waske. Mit ‘Kerlingen’ kann Frankreich oder Italien gemeint sein. Der ‘Lengesaere’ (Rabenschlacht) bezieht sich eher auf den Langensee (Lagomaggiore) als auf Langres. Trifft meine Voraussetzung zu, so waren Walthari und Unigis, | |
[pagina 323]
| |
König Wacho's Vater, Geschwisterkinder, ersterer also ein entfernterer Oheim des Königs, dessen Name (bei Prokop lautet er Wachis) auch eine der erwähnten Abkürzungen, und zwar zweifellos aus WaldugisGa naar voetnoot(1), darstellt und daher den ersten Teil mit Walthari gemeinsam hat. Damit ist also auch für die Sage von ‘Walther und Hildegunde’ ein geschichtlicher Kern wahrscheinlich gemacht. Nach der Chronik von Novalese beschliesst der Held ja auch in einem langobardischen Kloster sein Leben. Da sich von Alters her beide Völker besonders nahe standen - schon zur Zeit Armins hatten sie sich gemeinschaftlich auf dessen Seite geschlagen, denn die Semnonen waren die Stammväter der Alemannen -, ist es begreiflich, dass die Walthersage, die übrigens auch zu den Angelsachsen und Normannen, ja sogar zu den PolenGa naar voetnoot(2) gelangte, besonders bei den Alemannen beliebt war. Es war notwendig, diese Erörterungen über den Anteil der Burgunden und Langobarden am geschichtlichen Kern des Nibelungenliedes vorauszuschicken, um die den Franken in demselben zufallende Rolle richtig verstehen zu können. Nach der Entscheidungsschlacht in Chlodwigs fünfzehntem Herrschaftsjahr, also im letzten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts, die gewöhnlich nach Zülpich benannt wird, mussten die Alemannen das linke Rheinufer mit Ausnahme des Elsass räumen, und der Wormsgau ging endgiltig in den Besitz der Franken über. Was wunder, dass auf diesem von jeher für die Sagenbildung so fruchtbaren Boden auch das von den neuen Herren mitgebrachte Reis kräftig Wurzel schlug, dass sich seine Triebe mit den schon früher aufgesprossten zu einem schier unentwirrbaren Rankenwerk, nach Art der Dornröschen- | |
[pagina 324]
| |
hecke, verflochten? Wie der keltische Name Borbetomagus, den wir vielleicht mit ‘Wurmfeld’, ahd. Wormazfeld, übersetzenGa naar voetnoot(1) dürfen, vermuten lässt, war diese Gegend schon in vorgermanischer, ja vorrömischer Zeit die Stätte uralten Götterglaubens, ‘durch der Väter Gebet und der Vorzeit Schauer geheiligt (auguriis patrum et prisca formidine sacram)’, wie Tacitus ungewolltem Vers von einem anderen Orte schreibt. Unter ‘Wurmlage’ oder ‘Wurmgarten’Ga naar voetnoot(2) verstehen nämlich altdeutsche Gedichte und Chroniken Festplätze, auf denen bei feierlichen Gelegenheiten Schmäuse oder ritterliche Spiele abgehalten wurden. Wie kommen sie zu einem so seltsamen Namen? Die Antwort hat schon KrauseGa naar voetnoot(3) in seinen ‘Trojaburgen Nordeuropas’ gegeben, dass nämlich die Wurmlagen nichts anderes sind als die wegen ihrer gewundenen Gänge so genannten Irrgärten und Labyrinthe, uralte, der Sonnenverehrung dienende Opferstätten, wo besonders im Frühling der Sieg der Sonne über den Winter gefeiert und durch ein Festspiel, bei dem ein reisiger Recke einen grimmen Drachen erlegte, veranschaulicht zu werden pflegte. Als die damals noch heidnischen Franken sich im Wormsgau niederliessen, fanden sie die aus keltischer Zeit stammende Verherrlichung des Sonnengottes schon vor, nahmen sie aber als etwas ihren Vorstellungen Verwandtes und Entsprechendes bereitwillig auf und bildeten sie noch weiter aus. Bis auf den heutigen Tag ist die Gegend erfüllt von Erinnerungen an solche Frühlingsfeiern. Auf dem Feldberg bei Frankfurt wird schon in Urkunden | |
[pagina 325]
| |
vom 9-13. JahrhundertGa naar voetnoot(1) ein ‘Brunhildenstein’ oder ein ‘Brunhildenbett’ erwähnt, der DrachenfelsGa naar voetnoot(2) bei Dürkheim, wo nach der Volkssage Sigfrid den Drachen getötet haben soll, ist bekannt, und in Worms selbst befindet sich der ‘Rosengarten’, der uralte KampfplatzGa naar voetnoot(3) der Helden. Wie fest derartige, durch Altertum und Götterglauben geheiligte Bräuche an der Stätte haften, dafür bietet gerade Worms mit seiner Nornenverehrung ein treffliches Beispiel. Dass schon zur Römerzeit die Schicksalsgöttinnen im Wormsgau, in der Civitas Vangionum, angefleht wurden, zeigt ein bei Wies-Oppenheim gefundener, von einem Veteranen Deabus Parcis gewidmeter Stein; die Namen Einbede, Warbede, Wilbede der drei Jungfrauen des jetzt im Dom befindlichen Bildwerkes sind burgundischGa naar voetnoot(4), und noch in christlicher Zeit musste der | |
[pagina 326]
| |
fränkische Bischof Burkhard (gest. 1024) verbieten, ‘jenen drei Schwestern, die der alte Aberglaube Nornen nannte (tres illae sorores, quas antiqua posteritas et antiqua stultitia Parcas nominavit)’, ein Tischlein zu decken. Gerade so hat auch das von allen Ariern, besonders aber von den am längsten in der nordischen Heimat verbliebenen Germanen, mit allerlei Lustbarkeiten und sinnigen Gebräuchen gefeierte Fest des Frühlingsanfangs in Worms die keltische, vangionische, römische, burgundische, alemannische und fränkische Herrschaft überdauert. Die Feier der Auferstehung des Herrn vereinigte die christliche Kirche wohlweislich, um die hergebrachten Anschauungen und Gewohnheiten der bekehrten Völker zu schonen, mit derjenigen des Wiedererwachens der Natur, mit dem Hauptfest der germanischen Frühlingsgöttin Ostara. Aber noch andere Feiertage kommen hier für uns in Betracht, der Fridolinstag am 6. März, der ‘Sommertag’ zu LaetareGa naar voetnoot(1), der Georgstag am 23. April und die Walpurgisnacht am 1. Mai. Die beiden Heiligen, Frido- | |
[pagina 327]
| |
linus, der Bekehrer der Alemannen und darum besonders von diesen verehrt, und der Drachentöter Georg, der Schutzpatron jedes wackeren Reitersmannes, hauptsächlich in fränkischen Gauen gefeiert, sind für das Verständnis der Sigfridsage von besonderer Wichtigkeit. Zahllose Georgskapellen, meist mit bildlichen Darstellungen des Drachenkampfes versehen, bezeichnen die Stätten, wohin man vor Alters die Höhle des Lindwurms verlegte und wo sein Besieger, der strahlende, sonnenhafte Frühlingsheld vor anderen verehrt wurde. An manchen Orten pflegte man bis in die neuere Zeit die Erlösung der Jungfrau aus der Höhle des Ungeheuers in Festspielen dem Volke lebendig vor Augen zu führen: ‘In der Grenzstadt Fürth in der Oberpfalz’, erzählt PanzerGa naar voetnoot(1), ‘wird jährlich am Sonntage nach Fronleichnam der Drachenstich gefeiert. Eine Königstochter mit der Goldkrone, ihre Nachtreterin, ein Ritter zu Fuss im Harnisch und ein aus Holz gezimmerter, durch zwei Männer im Innern bewegter Drache sind die Personen des Stückes. Sie sitzt auf dem harten Stein und erzählt dem Ritter ihre Not, der sie tröstet und das Untier, sobald es sie anfassen will, ersticht oder erschlägt. Dann verspricht sie ihm von Seiten ihres Vaters das halbe Königreich. Zwölf bis fünfzehn Stunden weit her erscheinen Böhmen und Pfälzer und fassen mit Tüchern das Drachenblut auf, das auf die Flachsfelder kommt, wo es das Wachstum fördert und gegen die Hexen dient. Die Böhmen sagen, der Drache sei der Lindwurm und der Ritter Siegfried gewesen.’ Die befreite Jungfrau wird bald Walburg, bald Brunhild oder Chriemhild genannt; in Frankreich und in den wälschen Niederlanden ist an Stelle des H. Georg der H. Victor getreten, wohl nur eine Uebersetzung des germanischen Namens des Helden. Offenbar aus dem gleichen Grund, wegen der Namensähnlichkeit, haben die Alemannen den christlichen Glaubensboten Fridolin später als Verkünder des Frühlings gefeiert. Auch in protestantischen Gegenden der Schweiz wird der Fridlitag, zum Teil mit | |
[pagina 328]
| |
Umzügen und Freudenfeuern, festlich begangen. Im Glarnerland ist noch heute Fridolin der gebräuchlichste Vorname, und bis vor kurzem pflegten dort die alten Leute am Fridolinstage die zum erstenmal hinter der Glärnischwand hervorbrechende Abendsonne durch Aufstehen und Entblössen des HauptesGa naar voetnoot(1) zu begrüssen. Bemerkenswert ist das von J. GrimmGa naar voetnoot(2) angeführte Tanzlied zum Osterspiel: Fridebolt setz uf den huot
wolgefriunt und gang es vor,
bint das ostersahs zer linken siten u.s.w.
Demnach scheint bei einigen deutschen Stämmen der Frühlingsheld Fridebald, bei andern, z. B. bei den Franken, vielleicht geradezu Sigifrid geheissen zu haben. In den Wörtern sig und bald liegt ja das ‘kühne, sieghafte’, und frid hat ursprünglich nicht die heutige Bedeutung, sondern die der strahlenden Schönheit gehabt (an. fridhr, schön, stark, ags. fridhcandel, Sonne, wörtlich ‘herrliche Leuchte’). Aus dem göttlichen Sonnenhelden ist später ein Halbgott, der herrlichste aller Helden und das leuchtende Vorbild aller ritterlichen Tugenden, geworden. Ihn haben unsre Vorfahren vor Beginn des Kampfes in brausendem Schlachtgesang um Sieg angefleht (primumque omnium virorum fortium ituri in proelia canunt, Tac. Germ. 3) und nach dem Hall und Widerhall solcher Lieder auf den Ausgang des Streites geschlossen (futuraeque pugnae fortunam ipso cantu augurantur). Mit Recht wird er von den Römern mit Herakles verglichen, der ja auch ein Sohn des Himmelsgottes Zeus war, vor Troja (man beachte wohl den Anklang an die nordischen Trojaburgen und römischen Trojaspiele) die Jungfrau Hesione der Gewalt eines Meeresungeheuers entriss und viele Heldentaten und Wunderwerke verrichtete. Auf diesen mit übermenschlicher | |
[pagina 329]
| |
Kraft und Schönheit ausgestatteten Helden, der bei den Franken Sigifrid, bei den Nordgermanen Sigiward (dän. Sivard, an. Sigurd), bei den Alemannen vielleicht Fridubald oder ähnlich genannt wurde, beziehen sich alle die wunderbaren Taten und Abenteuer ‘Jungsigfrids’, seine Erziehung in der Waldschmiede, seine Kämpte mit Drachen und Rittern, sein Verständnis der Vogelsprache, seine Ueberwindung der schatzhütenden Zwerge und die Erringung des Nibelungenhortes, endlich ‘Hürnen Seyfrids’ Unverwundbarkeit, bis auf die verhängnisvolle, an die ‘Achillesferse’ erinnernde Stelle, die er ebenfalls mit Herakles und dem herrlichen Peliden gemein hat. So waren im Wormsgau, nach der Besitznahme durch die Franken, alle Voraussetzungen für eine Verschmelzung der Sigfridsage, einschliesslich der Befreiung einer holden Jungfrau aus den Krallen des Lindwurms und der ritterlichen Waffengänge im Rosengarten, mit den auf geschichtliche Ereignisse sich beziehenden Heldenliedern der Burgunden und Alemannen gegeben. ‘Die eigentliche Siegfriedsage gehört den Franken an’, sagt KögelGa naar voetnoot(1), und ebenso Siefert (a. O.), ‘Kriemhild, Gunther und die Ihren sind Burgunden, Siegfried ist Franke’, Ganz recht, war er aber ein Franke, dann muss er mehr sein als der allen Germanen gemeinsame Sonnenheld und DrachentöterGa naar voetnoot(2), als der germanische Herakles, es muss in ihm die Erinnerung an die gewaltigste Heldengestalt der fränkischen GeschichteGa naar voetnoot(3) fortleben. | |
[pagina 330]
| |
‘Die historische Sage’, schreibt Siefert weiter, ‘bedarf Siegfrieds nicht; er kann aus ihr glatt herausgelöst werden.’ Gewiss, der burgundischen Sage war er ursprünglich fremd, anders aber verhalt es sich mit der fränkischen. Demnach ist auch nicht jede Deutung verfehlt, die ausgeht von seiner ‘(Siegfrieds) Verflechtung in die historische Burgundensage.’ Ist es denn wahrscheinlich, dass nur der burgundische Anteil des Nibelungenliedes eine geschichtliche Grundlage hat, der fränkische dagegen rein sagenhaft ist? Was soll denn aus den geschichtlichen Heldenliedern der Franken, die zweifellos bestanden haben, geworden sein? Beim Poëta Saxo (V 117; 9. Jahrh.) lesen wir: vulgaria carmina magnis
laudibus eius avos et proavos celebrant:
Pippinos, Carolos, Hludowicos et Theodoricos
et CarlomannosGa naar voetnoot(1) Hlothariosque canunt.
Freilich hat gerade über der geschichtlichen Heldendichtung der Franken ein Unstern gewaltet. Karl der Grosse liess zwar, wie sein Geschichtschreiber Eginhard (Vita Caroli M. c. 29) berichtet, die uralten deutschen Lieder ‘von Königen und Helden alter Zeit’ | |
[pagina 331]
| |
sammelnGa naar voetnoot(1) und aufzeichnen, (item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit), sich solche auch während der Mahlzeiten vorlesen (c. 23: legebantur ei historiae et antiquorum res gestae), doch wollte sein Sohn Ludwig ‘der Fromme’ in falschem Glaubenseifer solche weder selbst hören noch gelehrt wissen (Thegan. Gest. Ludovic. pii c. 19: poëtica carmina gentilia, quae in inventute didicerat, respuit nec legere nec audire nec doceri voluit), welche Geringschätzung wahrscheinlich die Geistlichen benützten, um die ihnen verhassten heidnischen Gesänge, die heute für uns von unschätzbarem Wert wären, zu vernichten. Bücher und Pergamentrollen lassen sich verbrennen, der unerschöpfliche Born des Volksliedes aber nicht verstopfen oder verschütten, und wird es auch aus den Hallen der Vornehmen vertrieben, so flüchtet es sich an den Herd der Bauern. Thideric de Berne, heisst es in den aus dem 10. Jahrhundert stammenden Quedlinburger Jahrbüchern, de quo cantabant rustici olim. So haben auch die fränkischen Bauern, obwohl seit dem frömmelnden Ludwig die alten, nach dem Heidentum schmeckenden Lieder nicht mehr hoffähig waren, sicherlich nicht aufgehört, von ihren alten Stammeshelden zu singen und zu sagen. Unaufhörlich schafft und dichtet die Einbildungskraft des Volkes; so treibt die Volkssage immer neue Schosse und umspinnt, wie Efeu- und Schlingrosen, mit dichtem, wild verschlungenem Rankenwerk den alten Stamm, gerade dadurch aber den vom Alter morsch gewordenen aufrecht haltend. Daher kann auch der fränkischen Sage der geschichtliche Kern nicht ganz fehlen, wenn er auch vielleicht nicht so deutlich wie sonst zu erkennen ist. Unstreitig ist Sigfrid die grösste und herrlichste Gestalt derselben - | |
[pagina 332]
| |
sin lip der ist so schöne, man sol in holden han,
er hat mit sinem ellen so manigiu wunder getan. (Nib. 101.)
und man hat darum schon früher nach einem geschichtlichen Vorbild gesucht. Eine Aehnlichkeit des Namens und Schicksals - er wurde unmittelbar nach seiner Erhebung auf den Schild im Jahr 575 vor versammeltem Heere heimtückischGa naar voetnoot(1) ermordet - liess an König Sigibert von Austrasien denken, doch ist im übrigen die Uebereinstimmung zu gering und der geschichtliche Vorgang zu spät für die Entstehung der Sage. Man griff daher weiter zurück und kam auf Arminius, den grössten aller germanischen Helden, den ‘in Schlachten zwar besiegten, im Kriege aber unbezwungenen’ Vorkämpfer gegen das römische Weltreich, dem wir die Erhaltung unseres Volkstums verdanken und der ja auch nach Tacitus' Zeugnis noch ein Jahrhundert nach seinem Tode in Liedern verherrlicht wurde. Dass trotzdem sein Name aus der Heldensage verschwunden, ist ebenso auffallend wie das Fehlen eines geschichtlichen Urbildes für Sigfrid. Wie für so manche früher dunkle Fragen der deutschen Altertumskunde und Geschichte hat auch für diese die bessere Erkenntnis von unsres Volkes Urheimat und Stammesgliederung eine überraschend einfache Lösung gebracht. Wenn Golther in einer BesprechungGa naar voetnoot(2) neuerer Werke über germanische Mythologie die Frage aufwirft: ‘Muss Sigfrid mythisch sein, weil wir keinen fränkischen König oder Edeling nennen können, der dieser herrlichen Dichtergestalt Modell stand?’ so können wir ihm antworten: Das Vorbild ist gefunden, und zwar in der grossartigsten Gestalt der alten deutschen Geschichte, denn Arminius war ein Franke. Die Cherusker wurden zwar bisher meist für Sachsen gehalten, doch sind sie nach Sprache und Geschichte, besonders nach dem Lautstand ihrer Namen, wie ich zuerst im Jahr 1889Ga naar voetnoot(3) und seitdem | |
[pagina 333]
| |
wiederholt mit verstärkten Gründen nachgewiesen habe, entschieden als Teil des grossen Frankenstammes zu betrachten. Erst nach der Südwanderung der Franken, Schwaben, Baiovaren und Goten wurde die niederdeutsche Ebene für die aus der kimbrischen Halbinsel, wo sie noch im 2. Jahrhundert Ptolemäus kannte, nachrückenden Sachsen frei. Sind demnach die Überbleibsel der Cherusker im spätern Frankenvolk aufgegangen, so ist es auch nicht wunderbar, wenn die Heldenlieder von dem grössten Cherusker, die dessen Kühnheit und Kriegsglück feierten, seinen jammervollen Tod beklagten, in der fränkischen Sage nicht ganz verschollen sind. Im Nibelungenlied ist der ‘helt uz Niderlant’, der Sohn Sigmunds und ‘der Sigelinde kint’, zugleich Herrscher über ‘Nibelunge lant’. Die alten nebelhaften (alth. nebulo scrato) Gestalten der schatzhütenden Zwerge sind zu einem unterworfenen Teilstamme der Franken geworden - die hiezen Nibelunge unt waren sine man,
lant unde bürge daz was im allez undertan (Nib. 493) -,
die schliesslich selbst allgemein diesen Namen führen - die Sifrides helede von Nibelunge lant...
daz sich wern wolde der kuenen Nibelunge hant (Nib. 1029, 1106).
Im ersten Teil des Gedichtes, der mit Sigfrids Tod abschliesst, heissen immer nur die Helden aus Niederland, d.h. die Franken, Nibelunge, welcher Name erst in der zweiten Hälfte, die von Etzels Brautwerbung und der Fahrt Gunthers und seiner Brüder ins Hunnenland handelt, auf die Burgunden übergeht: Do reit von Tronege Hagen zaller vorderost,
er was den Nibelungen ein helfelicher trost (Nib. 1562).
| |
[pagina 334]
| |
Schliesslich wird die ganze Dichtung nach den Nibelungen benannt: hie hat din maere ein ende, daz ist der Nibelunge liet (2440).
Im Waltharilied haben die Burgunden mit dem tränkischen zugleich den Nibelungennamen angenommen: Non assunt Avares hic, sed Franci Nebulones,
Cultores regionis (555/6).
Es kann darum nicht der geringste Zweifel bestehen, dass hier Nebulones, die Uebersetzung von Nibelungen, als Beiname der Franken gebraucht wird, und es ist mir unverständlich, wie SymonsGa naar voetnoot(1) behaupten kann, auf diese Stelle dürfe ‘kein Gewicht gelegt werden.’ Er sagt ja selbst, der Name Nibelung erscheine ‘zuerst und am häufigsten bei den Franken’ (u.a. heisst so der Sohn Childebrands, ein Enkel Pippins des Aelteren, der die fränkischen Jahrbücher vom Jahr 753 an fortsetzen liess), und meint, er habe nur beigelegt werden können, ‘nachdem seine ursprüngliche Bedeutung in der Sage verblasst war’. Da er aber so früh und in einem so erlauchten Geschlechte vorkommt, dürfen wir wohl schliessen, er sei von jeher bei den Franken beliebt gewesen und darum auch, vielleicht mit Erinnerung an die von einem Stammeshelden überwundenen Mächte des ‘Nebelreiches’, zu einem Beinamen des gesamten Volkes geworden. Nach dem Vorhergehenden ist demnach die Namenfrage, um die sich bisher der Streit zumeist gedreht hat, nebensächlich; denn, mag nun Arminius ein römischer Name sein oder das germanische Wort irmin, gross (nicht mit herman zu verwechseln), enthalten, in beiden Fällen könnte sein Träger im Helden der Nibelungensage fortleben. Ist er allerdings, wie ich annehme, römisch, so liegt auch die Uebereinstimmung der Namen nahe; da nämlich Armins Vater urkundlich Sigimer hiess, ist es nach der Sitte germanischer Namengebung sehr wahrscheinlich, dass auch der | |
[pagina 335]
| |
Sohn einen mit Sigi anlautenden Namen getragen hat. L. Schmidt der früher den Namen für römisch erklärt hatte, hielt ihn späterGa naar voetnoot(1), wie er selbst bekennt, durch HübnerGa naar voetnoot(2) bestimmt, für germanisch, Hermino oder Herminmer. Man sieht, wie leicht es in solchen Dingen ist, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite zu streiten. Eine Ansicht, deren Berechtigung er früher selbst zugestanden, tut er in seiner neueren Behandlung der Frage kurz mit den Worten ‘Dilettantismus’ und ‘Phantasien’ ab. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass der erste Vertreter derselben, Schierenberg, dies absprechende Urteil dadurch verdient hat, dass erGa naar voetnoot(3) bei manchem richtigen Gedanken doch in offenbare Irrtümer (so die Glelchstellung von Atli, der doch Attila ist, mit Italicus) und Uebertreibungen verfällt. Das Gleiche gilt von dem auf seinen Schultern stehenden JellinghausGa naar voetnoot(4), dagegen verdient der Isländer Gudbrand VigfussonGa naar voetnoot(5) mehr wissenschaftliche Beachtung. In ähnlichem Sinne hat sich R. MuchGa naar voetnoot(6) ausgesprochen; auch er hält es für möglich, dass Sigfrid der deutsche Name Armins gewesen, und fügt bei: ‘dass dieser Name trotzdem ganz vergessen worden sei, ist nicht so wahrscheinlich, als dass er, auf die Umbildung eines Gottes übertragen, in einer Sage von wesentlich mythischem Gehalt fortlebt, immer noch als der eines Helden, in dem Deutsche und Nordländer das Urbild und die edelste Verkörperung ihrer nationalen Eigenart erblickten.’ | |
[pagina 336]
| |
Dass der Sigfrid unsrer Heldenlieder weder eine rein geschichtliche noch eine rein sagenhafte Gestalt ist, sondern beiderlei Züge in sich vereinigt, ist auch meine Meinung. Vergleichen wir Armins mit Sigfrids Lebensbild und Schicksal, so lässt sich eine entschiedene Uebereinstimmung nicht verkennen. Beide sind hohe Heldengestalten, in denen sich Kraft und Schönheit mit Klugheit und Edelmut vereinigt, beide dürfen sich des durch Heldentum errungenen geliebten Weibes nicht lange erfreuen, beider Sohn erbt weder NamenGa naar voetnoot(1) noch Ruhm seines Vaters. Beiden, die aus zahllosen Kämpfen unversehrt hervorgehen - auch Armin wird nur einmal leicht verwundet - ist es nicht vergönnt, auf blutiger Walstatt einen ehrlichen Schlachtentod zu finden, sondern beide erliegen in der Blüte ihrer Jahre und in voller Heldenkraft dem Verrat und der Hinterlist ihrer eigenen VerwandtenGa naar voetnoot(2). Beide leben nach ihrem frühen Tode im Liede fort. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass man in dem von Sigfrid erschlagenen Drachen das Heer des Varus, im Nibelungenhort die römische Siegesbeute, die dem Ueberwinder der Legionen auch keinen Segen brachte, hat erblicken wollen. Jedenfalls ist es bemerkenswert, dass dem isländischen Abt Nikolaus, der im 12. Jahrhundert durch Deutsch- | |
[pagina 337]
| |
land reiste, nach seinem TagebuchGa naar voetnoot(1) die Gnitaheide, wo Sigurd den Fafner schlug, zwischen Paderborn und Mainz, also in der Nähe des varianischen Schlachtfelds, gezeigt wurde. Auch in dem bisher nicht richtig gedeuteten Namen Chriemhild, burgundisch Hromildis, fränkisch Chromichildis, später Chruomichildis, Chriemhilde, d.h. ‘Ruhmeskampf’, kann, obwohl er nach meiner Auffassung ursprünglich geschichtlich ist, sehr wohl ein tieferer Sinn und eine BeziehungGa naar voetnoot(2) auf die Niederlage der Römer gesucht werden. Wenn man aber auch darauf weniger Gewicht legen will, so sprechen doch, um das Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen, für die ursprüngliche Einheit von Arminius und Sigfrid folgende Tatsachen: die Nibelungensage ist der Hauptsache nach fränkischen Ursprungs, Arminius war ein Franke, sein geschichtlicher Name wie der seines Bruders Flavus römisch, sein heimischer dagegen, im Vergleich mit denen seiner nächsten Verwandten, höchst wahrscheinlich SigifridGa naar voetnoot(3) oder ähnlich. Den geschichtlichen Namen Hermanarich, Gibica, Gundahari, Gislahari, Attila, Theoderich bei Goten und Franken, Chochilaicus, Chilperich | |
[pagina 338]
| |
bei den Franken, Hilperich bei den Burgunden, Odoaker, Vidigoia, Audwin, Albwin, Rothari entsprechen die Formen der Heldenlieder Ermenrich oder Jarmericus, Gibich, Gifica oder Giuki, Gunther, Gudhere oder Gunnar, Giselher oder Gisler, Etzel, Aetla oder Atli, Dietrich, Thidrek, Thiodrekr und für die Franken Hugdietrich, Hygelac, Helferich von Lütringe, fränkisch, und Helferich von Lunders (Lyon), burgundisch, Otacher, Wittigowe, Wittich oder Vudga, Eadvine, Ealfvine, Rother; sollte für Sigfrid, die herrlichste Heldengestalt von allen, Sifriden den hochgemuoten, den starken und den guoten (Heldenbuch), allein das geschichtliche Vorbild fehlen? Ist es nicht Arminius, Germaniens Befreier, so wäre dieser im deutschen Heldensang, in dem er doch einst nach Tacitus' Zeugnis eine hervorragende Stelle eingenommen hatte, vollständig verschollen. In der deutschen Bühnendichtung hat Sigfrid entsprechende Behandlung gefunden, dadurch jedoch dass er nur als Sagenheld aufgefasst wurde, fehlt seiner glänzenden Gestalt das eigentlich dramatische Mark. Unter Arminius' vielen Bearbeitern ist Kleist der einzige bedeutende Dichter, aber auch seine ‘Hermannsschlacht’ hat grosse Schwächen: eine vollständige, oft lächerlich wirkende Unkenntnis des germanischen Altertums, grosse Flüchtigkeit der Ausführung und die Anspielungen auf die politischen Verhältnisse der Rheinbundszeit. Trotzdem wirkt sie durch die Grösse des Stoffes. Sigfrid-Arminius würde als dramatischer Held den Märchenzauber der Sage mit der erschütternden Gewalt der wirklichen Geschichte vereinigen. Wer verdiente mehr dem deutschen Volke als leuchtendes Vorbild edelsten Heldentums in lebendiger Handlung vor Augen geführt zu werden, als gerade er, wem wäre mehr ein grosser Dichter zu wünschen, als Sigifrid dem Sohne Sigimers! Berichtigung: Im ersten Abschnitt, Heft 5, S. 281, Z. 15 von oben, ist zu lesen: Es ist nicht unwahrscheinlich etc. |
|