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Verscheidenheden.
Vom Deutschtum in Südafrika. - Einen erfreulichen Beweis für das Anwachsen des Deutschbewusstseins unter den meist bäuerlichen deutschen Kolonisten in englisch Südafrika liefert die im vorigen Jahre mit einer Anfangs-Schülerzahl von 13 Kindern gegründete ‘Allgemeine Deutsche Schule’ zu Lüneburg in Natal. Trotz der schweren Zeiten ist es der Opferwilligkeit der Leute gelungen, bereits im ersten Jahre ein Schulhaus zu errichten, während die Schülerzahl inzwischen auf 41 Kinder gewachsen ist. Auch das Reich gewährt der Schule einen Zuschuss von 1000 Mark im Jahr. Dieses Erstarken des Deutschbewusstseins unter den Kolonisten ist umso erfreulicher, als die Kolonie, wie schon der Name zeigt, aus dem Hannöverschen stammt und wie so viele andere in Südafrika eine Gründung der Hermannsburger Mission ist. Es ist schon während des Burenkrieges angenehm aufgefallen, mit welcher Stammestreue sich die Hermannsburger Mission in Südafrika für die gute Sache des Burenvolkes einsetzte. Sie hat infolgedessen auch die schwersten Opfer bringen müssen und die härtesten Strafen zu zahlen gehabt. Die älteren Kolonisten sind vor 1866 in Südafrika eingewandert, sie haben daher keine Gelegenheit gehabt, die grossen Zeiten der Einigung des Deutschen Reiches in näherer Berührung mitzuerleben und es ist vorwiegend dem Kirchen- und Schulwesen der Hermannsburger Mission zu verdanken, dass sie über zwei Generationen gute Deutsche in Sprache und Sitten geblieben sind, ohne eigentlich ein wärmeres Gefühl der Zugehörigkeit zu Kaiser und Reich zu besitzen. Es ist daher als ein bedeutsames Zeichen für das Eindringen des Reichsgedankens in dies überseeische Deutschtum zu betrachten, dass in diesem Jahre zum ersten Male seit Bestehen der deutschen Gemeinde Lüneburg der
Geburtstag des deutschen Kaisers festlich begangen wurde, bei dem zum ersten Male vaterländische Lieder wie ‘Deutschland, Deutschland über Alles, Heil Dir im Siegerkranz, Die Wacht am Rhein’ gesungen wurden und bei dem zum ersten Male die schwarz-weiss-rote Flagge wehte. Nach einem Bericht, den wir erhalten, ist der Eindruck dieser Feier zumal auf die älteren Leute ein so starker gewesen, dass gerade von diesen der Wunsch ausgesprochen wurde, die Kaiser-Geburtstagsfeier von nun an jährlich zu veranstalten. Der deutsche Verein in Kapstadt blickt in diesem Jahre auf 20jährige nationale
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und menschenfreundliche Arbeit zurück. Er ist auf deutsch-völkischer Grundlage aufgebaut, da er seine Unterstützungen in gleicher Weise Reichsdeutschen, Deutschösterreichern und Deutschschweizern zuteil werden lässt. Dieselben bestehen in Geldspenden, Darlehnen und Bestreitung der Unterhaltungskosten arbeitsunfähiger und stellenloser Leute. Die letzten Jahre haben infolge der durch den Burenkrieg hervorgerufenen Not und der nach dem Kriege eingetretenen Grenzsprerre zwischen Kapland und den früheren Burenrepubliken, welche eine Unmenge aus Europa herbeigeströmter deutscher Elemente arbeitslos in Kapstadt zurückhielt, an den Verein ganz besonders starke Ansprüche gestellt, denen er sich aber dank der Opferwilligkeit seiner Mitglieder im Grossen und Ganzen gewachsen gezeigt hat. Er wurde sowohl durch die Vermittelung der Generalkonsuln von Lindequist und von Jacobs durch das Deutsche Reich als auch durch den Schweizerischen Bundesrat finanziell unterstützt.
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Die in das 13. Jahr ihres Bestandes getretene ‘Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande’ teilt mit, dass sie nun auch deutsch-belgische Interessenkreise in ihr Betrachtungsgebiet einbeziehen und demgemäss ihren Titel in ‘D.W. f.d. Niederlande und Belgien’ erweitern wird. Wir können dieser offenbar einem Bedürfnisse entsprechenden Ausdehnung der deutschen Presse in den uns wirtschaftlich und national so nahestehenden Nachbarländern nur den besten Erfolg wünschen.
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Über Literatur, die verschwindet, macht Georg Brandes in ‘Göteb. Handelstidning’ einige interessante Angaben, indem er darauf hinweisst, wie viele der vorzüglichsten Werke spurlos verloren gegangen sind und welchen Zufälligkeiten es zu danken ist, dass dasjenige, was wir noch besitzen, erhalten blieb. Die griechisch-römische Literatur bietet besonders lehrreiche Beispiele. Als bei der Einnahme Alexandriens durch Cäsar die Bibliothek des Ptolemäos in Flammen aufging, enthielt sie 700000 Buchrollen. Antonius schenkte der Kleopatra 200000 Buchrollen, die nur in je einem einzigen Exemplar vorhanden waren und den kostbarsten Schatz der Pergamonbibliothek bildeten. Die seltene Sammlung ging durch den Fanatismus des Bischofs Theophilus verloren. Als unter Kaiser Theodosius der Serapistempel vernichtet wurde, fiel auch die Büchersammlung der Zerstörung anheim. Wir kennen die Titel von 350 griechischen Tragödien; erhalten sind drei. Athenäos hat 800 Schauspiele gelesen; alle gingen verloren. Von den vorzüglichsten griechischen Lyrikern, darunter die Dichterin Korinna, die fünfmal selbst den Pindaros besiegte, sind nur unbedeutende Bruchstücke übrig geblieben. Die grössten Dichter zur Zeit des Augustus preisen Gallus und Varius als ihresgleichen, aber alles von diesen ist verschwunden. Dass Tacitus zu uns gekommen ist, beruht vielleicht darin, dass Kaiser Tacitus, der sich einbildete, er stamme von dem berühmten Geschichtsschreiber ab, die öffentlichen Büchersammlungen mit dessen Werken füllen und in jedem Jahre zehn Exemplare abschreiben liess. Trotzdem wäre er noch verloren gegangen, wenn man nicht im 15. Jahrhundert in einem Kloster in Westfalen Reste der Werke gefunden hätte, welche die einzige Abschrift, die man kennt, bilden. Im Jahre 1854 entdeckte der französische
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Ägyptolog Mariette, als er von der Brust einer Mumie einen Papyrus löste, schöne Verse des alten griechischen Dichters Alkman, von dem bisher nur wenig bekannt war. Man bildet sich gerne ein, es sei das Vorzüglichste der alten Literatur, was auf unsere Zeit gekommen ist. Aber in Wirklichkeit hat nicht literarische Vorsehung, sondern der blinde Zufall den Ausschlag gegeben. Ebenso ist es mit den Büchern des Mittelalters. Von Beowulf und Valdere ist nur eine einzige Handschrift vorhanden, ebenso von der älteren Edda. Die epische Literatur der Provence ging ganz verloren, von der komischen Literatur Frankreichs im Mittelalter blieb nicht der hundertste Teil erhalten. Im Jahre 1840 land man in Berlin zufällig auf einem Boden 61 alte französische Phrasen und Moralitäten, im 16. Jahrhundert gedruckt, die ohne dieses einzige Exemplar unbekannt wären. Selbst das Rolandslied wurde erst in 1837 in einer Handschrift gefunden, nachdem es 800 Jahre hindurch unbekannt gewesen war. Von Shakespeare wären menschlicher Berechnung nach nicht weniger als 19 Dramen verloren gegangen, wenn nicht Heminge und Condell sieben Jahre nach dem Tode Shakespeares dessen Stücke nach Handschriften herausgegeben hätten.
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Während einigen Wochen weilte die Königin-Witwe Karola von Sachsen bei der Gräfin von Flandern. Vor einigen Tagen beehrte sie die deutsche Schule mit ihrem Besuch. In ihrem Gefolge befand sich auch der kaiserliche Gesandte Graf von Wallwitz. Auf besonderen Wunsch war den Kindern nichts gesagt worden. Die Königin-Witwe wohnte längere Zeit dem Unterricht in den drei Vorschulklassen, wobei sie für die Kinder, die sie in französischer und deutscher Sprache zu hören Gelegenheit hatte, herzliche Worte fand. Mit besonderer Freude sah sie den turnerischen Leistungen der oberen Knabenklassen zu. Der gemischte Chor trug in der Aula einige Lieder vor, selbst die sächsische Nationalhymne fehlte nicht. Mit Worten höchster Anerkennung für dieses nationale Werk nahm die Königin von der Schule, insbesondere von deren Direktor und dem Vorsitzenden des Schulvereins Abschied.
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Auf dem Burenabend zu Kassel vom 13. 2. 1905 (veranstaltet vom ‘Burenhilfsbund’ und ‘Alldeutschen Verband’) wurden Ansprachen gehalten von General Kritzinger, Pastor van Heerden und Kommandant Jooste. Den Schluss bildete ein kleines hübsches Festspiel von F. Böderich ‘Bei den Burengeneralen in Berlin’. Der Reinertrag des Abends galt den Waisen der im Kriege gefallenen Freistaat-Buren. Es kamen etwa 1800 Mark ein, von denen ein Teil dafür verwendet wurde, Wandbilder für die Buren anzuschaffen mit der Aufschrift ‘Geschenk von deutschen Burenfreunden in Kassel’. So wird schon der heranwachsenden Jugend in Südafrika vor Augen geführt, wo befreundete Herzen für sie schlagen. Zur grossen Freude der burischen Gäste hatte sich eine erhebliche Anzahl früherer deutscher Ansiedler und Mitkämpfer eingefunden, darunter die Ärzte Dr. Kranz und Dr. Bertelsmann, letzterer einer der Ärzte der Alldeutschen Ambulanz.
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Es wurde in den letzten Jahren wiederholt der Versuch gemacht, deutsche Kunst bei den Holländern einzuführen. Aus verschiedenen Gründen blieben
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es Versuche. In Groningen hat man jetzt einen tüchtigen Schritt gemacht. Eine ‘Gesellschaft für deutsche Literatur’ ist dort gebildet worden, die ein Seitenstück zur französischen Allianz sein will. Am 29. März begann sie ihre Tätigkeit mit einer Aufführung von Lessings ‘Minna von Barnhelm’. Die Truppe des Bremer Stadttheaters war eingeladen worden, und nach der Kritik gab es einen schönen Abend. Dieser Gedanke aus der nordischen Universitätsstadt verdient im Lande nachgeahmt zu werden. Es leben in Holland so viele Deutsche - etwa 30000 - zumeist in den Städten Amsterdam, Rotterdam und Haag, dass sich die Gründung solcher Vereine finanziell sehr wohl ermöglichen würde. Bei dem Tiefstand des heutigen niederländischen Dramas und Theaters finden diese Vereine ein weites Feld. Und der Gewinn in kultureller Beziehung zum Besten einer engeren Verknüpfung der beiden Völker, wäre nicht zu unterschätzen. Die Sprache braucht kein Hindernis zu sein. So gut, wie in Amsterdam eine deutsch-österreichische Operettentruppe ständig spielt und ein grosses Publikum versammelt - so gut, wie Professor Adolf Harnack kürzlich auf einer Vortragsreise stürmischen Beifall und volles Verständnis finden konnte - ebenso gut würden deutsche Vorstellungen ernster Dramen in den Niederlanden ein Publikum haben. Es käme nur auf den Versuch an.
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Eine ganz eigenartige Grabstätte hat man, wie man uns aus Lausanne berichtet, unlängst in den Steinbrüchen von Crion bei Morges am Genfer See aufgefunden. Dies aus unbehauenen Steinen gebaute Grab hat eine Länge von 86 Zentimeter, eine Breite von 40 und eine Tiefe von 37 Zentimeter. Es enthielt die vom Feuer versengten Knochenreste eines Mädchens, Bronzeschmuck, Vasen und Urnen, die, wie vom Kantonsarchäologen Naef festgestellt wurde, aus der Zeit der Pfahlbauten stammen. Neben einem Aschenhaufen fand man die Beinknochen einer Ziege, die vollkommen unversehrt, also nicht im Feuer gewesen sind. Der Ziegenschenkel ist demnach mit dem Fleisch beigesetzt und jedenfalls den Manen der Verstorbenen als Opfergabe dargebracht worden. Man schliesst daraus, dass die Bewohner der Pfahlbauten an ein Weiterleben nach dem Tode glaubten. Nur einmal - im Jahre 1865 - ist man auf derartige Grabstätten und zwar in der Nähe der jetzt entdeckten gestossen. Es ist dies wohl der einzige Fundort (wenigstens am Genfer See) von Gräbern, in denen sich Knochenreste und Aschenhaufen finden. Man scheint beim Verbrennen hier nur die Fleischteile des Körpers zu Asche verwandelt zu haben.
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O diese Fremdwörter. Selbst in den bekannten ‘besten Familien’, schreibt die ‘Zeitschrift des Allg. Deutschen Sprachvereins’ (Oktober 1904), führen die Fremdwörter zu dummen Verwechslungen. Wieder einen Beweis dafür bietet folgendes Schreiben aus dem Geschäftszimmer einer Berliner Hochschule an einen unserer Leser: ‘... Euer Hochwohlgeboren bitte ich um eine gefällige Rücksprache in Programmangelegenheiten; es handelt sich um Kollussionen in den Sälen ....’ Der ehrenwerte Empfänger würde mit Recht darüber entrüstet sein, so mir nichts dir nichts hier eines geheimen, nicht sauberen, abgekarteten Spiels beschuldigt zu werden - denn Kollusion bedeutet
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ein unerlaubtes, geheimes Einvernehmen - wenn er es nicht wagte, dem Briefschreiber die Verwechslung mit dem harmlosen Worte Kollision (Zusammentreffen oder -fallen) zuzutrauen, da es sich um eine Schwierigkeit in der Verteilung von Sälen handelt. Man sieht, selbst ganz geläufige Fremdwörter haben ihre Tücken. Welche Qual ein Fremdwort für den gemeinen Mann werden kann, insonderheit wenn er zur Feder greifen muss, beweist eine von der Schriftleitung des Blattes ‘Deutscher Müller’ veranstaltete Sammlung der Schreibungen einiger der beliebtesten Zeitungsfremdwörter. Die Versuche der Schreiber, mit dem Worte ‘Annonce’ oder ‘annoncieren’ fertig zu werden, haben zu folgenden Ergebnissen geführt: anonciren, Annoce, Anoce, Annocze, Anongse, Anogse, Anongce, Anockse, Anocsce, Anxunge, anocsieren, Anocne, Anochse, Auoncne, Anonce, Anocksen, Annonze, Arnonce, Anoxe, Anoxse, Annokze, Annonxe, Anxe, Ancse, Annocsse, Annokze, annongzieren, anonkzieren, Arnonxe, Arnocse, Arnungse, Anungse, Angnose, arnongsieren, Arnontze, Hannoce, Ornakce, Ononze. Viele dieser Spielarten kehren oft wieder. So gross ist die Hilflosigkeit des gemeinen Mannes - in den letzten, nur vereinzelten Schreibungen möchte man's fast Verzweiflung nennen - dem Klange des fremden Wortes gegenüber, und von allen diesen braven Leuten würde, so meint der Herr Schriftleiter des genannten Blattes, schwerlich einer das deutsche Wort ‘Anzeige’ unrichtig geschrieben haben.
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