Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdEine Studentenreise vor hundert Jahren.
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die fahrenden Schüler des Mittelalters erinnernden, an allerlei Abenteuern, an heiteren wie ernsten Erlebnissen so reichen Wanderungen von einer Hochschule zur anderen ganz aus dem Bilde alter Burschenherrlichkeit verschwunden. Beim Durchblättern des erwähnten Tagebuchs fühlt man sich vollständig in alte Zeiten zurückversetzt, und ich möchte daher dies ansprechende und echtfarbige Zeit- und Sittenbild den Lesern dieser Hefte nicht vorenthalten. Um ihm seine ganze Frische, Unmittelbarkeit und Eigenart zu wahren, habe ich möglichst wenig daran geändert, nur einige Längen gekürzt, Derbheiten gemildert, ungebräuchliche Ausdrücke durch verständlichere ersetzt. | |
Darmstadt, am 29. September 1804.Hier sitze ich in einem der ersten Gasthäuser, Zur Traube, ganz allein in dem schönen, grossen Speisesaal, wie Adam im Paradies, ehe ihm die Rippe aus dem Leibe gerissen war, vor mir eine Flasche Wein - schon über die Hälfte geleert, denn es sind schon fünf Minuten, dass sie vor mir steht. Als ich mir vorhin das dritte Gläschen einschenkte, dachte ich mir: wie wär's, wenn du auf deiner Reise ein Tagebuch schriebst? Ich trank das Glas aus, machte mir's in meinem Sessel bequem und fing an der Sache weiter nachzudenken; auf der Reise kommt man manchmal in schlechte Wirtshäuser und muss oft länger, als einem lieb ist, darin verweilen; es darf nur Regenwetter einfallen, so sitzt man fest. Häufig muss man auch lange auf das bestellte Essen warten, und Gesellschaft, wenigstens geniessbare, findet sich selten; zum Lesen ist auch nichts Ordentliches da, eine alte Zeitung wohl, ja die lässt sich schliesslich auftreiben, aber das ist gerade ein Mittel, die Langeweile herbeizulocken, statt sie zu verscheuchen. Hübsche Wirtstöchter oder ein artiges Kellermädchen, mit denen man - in allen Ehren, versteht sich - ein bischen kosen könnte, findet man auch nicht überall. Was kann man also unter solchen Umständen besseres tun, als seine Gedanken, wenn schon alltäglich, nicht verloren gehen zu lassen, sondern auf ein Blatt Papier hin- | |
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zuwerfen? In diesen Betrachtungen stand ich auf, riss an der grossen, von der Decke herabhängenden Quaste, dass der Schellenklang fürchterlich durchs ganze Haus tönte und befahl dem eilends herbeispringenden Kellner, mir Tinte, Federn und Papier zu bringen. Der Herr Kellner mochte (mein starkes Schellen hatte ihn dazu berechtigt) eher erwartet haben, ich wollte eine Flasche Champagner bestellen, wenigstens verzog sich seine freundliche Miene sehr ins saure, als er von - Tinte hörte; indessen brachte er doch sogleich das Verlangte, und da sitze ich nun und schreibe den Eingang zu meinem Tagebuch. Wem ich es widmen will? Darüber besinne ich mich keinen Augenblick, wem anders als dir, mein lieber Bruder! Dir, der mir von meinen - ach! - wenigen Freunden der liebste ist, von dem mir die Trennung am schwersten wurde, dessen Bild neben dem meiner künftigen Geliebten steht, in Träumen von einer glücklichen Zukunft! Bei dir, lieber Bruder, ist keines meiner Worte einer Missdeutung ausgesetzt, vor dir habe ich kein Geheimnis, du kennst mein Herz auch in seinen verborgensten Falten. Wenn dir meine Mitteilungen nur für ein einziges Viertelstündchen Unterhaltung gewähren, wenn sie auch nur für Augenblicke dir das Bild des fernen Freundes ins Gedächtnis zurückrufen, bin ich für die kleine Mühe reichlich belohnt. Um in dem Tagebuch nicht gleich anfangs eine Lücke zu lassen, muss ich mich wieder nach Heidelberg zurückversetzen. Du schiedst von mir zwei Tage vor dem zu meiner Abreise bestimmten Morgen. Unbegreiflich schnell schwanden mir diese beiden letzten Tage in Heidelberg dahin. Ich hatte noch ein halbes Dutzend Briefe zu schreiben, ein Dutzend Abschiedsbesuche zu machen und - Gott weiss wie viele - andere Dinge zu tun; kaum die Hälfte war erledigt, als der Abend heranrückte. Am folgenden rage gings ebenso, zwar waren mit einbrechender Nacht die Briefe geschrieben und die Besuche gemacht, aber von Anstalten zum Einpacken sah man noch nicht die Spur. H. kam um mir zu helfen, aber es ging (ich weiss nicht, was uns die Hände hielt) äusserst langsam | |
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vonstatten. Es schlug neun Uhr, und von allen meinen Habseligkeiten war noch nichts eingepackt als meine - Bibliothek, quod bene notandem, nur aus drei Bänden bestehend; alles Übrige, Hosen und Westen, Kleiderbürsten und Hemden, Kämme, Stiefel u. dgl., kurz alles was man gewöhnlich in einer ordentlich eingerichteten Studentenwirtschaft findet, lag bunt durcheinander auf Tischen und Stühlen umher. Ich liess alles liegen, ging zu Tische und verschob das Einpacken auf den folgenden Morgen. Ich stund früh auf, und um 8 Uhr kam H., den ich zum Frühstück gebeten hatte, und siehe da, alles lag noch gerade so herum, wie am Abend vorher. Nun wurde aber ernstlich Hand ans Werk gelegt, und unsere vereinten Bemühungen brachten es in nicht ganz zwei Stunden so weit, dass nichts mehr fehlte, als den Koffer zuzumachen, doch da sass der Hauptknoten! Zwei, drei, vier (es waren indessen noch einige meiner Freunde dazugekommen) stunden auf dem Koffer, um den Deckel herunterzudrücken; nachdem sie eine gute Viertelstunde darauf herumgetanzt hatten, gelang's ihnen endlich. Aber nun zeigte sich ein neues Hindernis, das Schloss wollte nicht schliessen; es war kein anderer Rat als den Schlosser zu holen, der nach vielem Klopfen und Hämmern dem Uebel abhalf. Nun war endlich die herkulische Arbeit vollbracht, tantae molis erat, konnte man mit Virgil ausrufen. Es hatte bereits zehn Uhr geschlagen; länger durft' ich wahrhaftig nicht säumen, wenn ich, wie vorgesetzt, noch nach Heppenheim kommen wollte. Ich ass in der Geschwindigkeit noch einen Teller voll Trauben, den mir Schwester Caton aus unserm Garten geholt hatte, warf mich in meinen Ueberrock, schnallte meinen Säbel um, setzte den StürmerGa naar voetnoot(1) auf und eilte die Stiege hinab. Unten nahm ich kurzen Abschied von meiner Mutter und Schwester, wobei ich (im Vorübergehen sei's gesagt) in ihren Augen keine Tränen, vielmehr empfindliche Kälte zu bemerken glaubte. Es dauerte keine fünf Minuten, so war ich schon aus dem Hause und um die Ecke herum; | |
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H. und T. begleiteten mich. Beim Ueberfahren über den Neckar genoss ich noch einmal die schöne Gegend, die ich nun verliess, um sie mit einer äusserst elenden (so stell' ich mir Göttingen an der Leine vor) zu vertauschen. Nie ist mir Heidelbergs gepriesene Lage so reizend vorgekommen wie gestern. Bei der kleinen Kapelle vor Handschuchsheim trennten sich meine Begleiter von mir; ich rief H., als er schon zehn Schritte entfernt war, noch tausend Grüsse an dich nach, bis ihn die neidischen Nussbäume meinen Blicken entzogen. Noch einmal wünschte ich in Gedanken allen, die ich liebte und nun verliess, ein herzliches Lebewohl; der Mutter und Schwester hatte ich den kalten Abschied schon verziehen, in diesem Augenblick konnte ich keinen Groll im Herzen hegen und bat den Himmel um Glück für sie; noch einmal dachte ich dein, mein Bruder, und deiner Freundschaft; einen Blick noch warf ich auf die Gegend, die Jahre lang der Tummelplatz meiner Leiden und Freuden gewesen war, dann gings, als ob mir die Sohlen brännten, die Landstrasse hin, und wer mich sah, musste mich für landflüchtig halten.
In Weinheim kehrte ich, von Hunger und Durst geplagt, vor dem Städtchen in einem an der Strasse liegenden Wirtshause ein. Hier traf ich schon Gäste, eine aus vier Köpfen bestehende, und, meines Dafürhaltens, von der Frankfurter Messe kommende Kaufmannsfamilie. Sie schienen schon gegessen zu haben und knackten zum Nachtisch nach Herzenslust Nüsse. Es war ein hübsches Mädchen oder Weibchen dabei, das mir gar nicht übel behagte. Da es keine unzugängliche Schönheit zu sein schien (ohne gerade ein Kenner zu sein, hab' ich so was doch auf den ersten Blick weg), hätte ich für mein Leben gern ein Gespräch mit ihr angeknüpft, wenn nicht so ein alter Drache von Tante oder Schwiegermutter das liebe Kind und jeden seiner Blicke (die, beiläufig gesagt, ziemlich viel Feuer verrieten) mit Argusaugen bewacht hätte. Unter diesen Umständen war nichts zu machen, doch blieb es meinem Paar Augen unverwehrt, das holde Täubchen mit Behagen anzusehen; ich blieb auch nicht unbemerkt und er- | |
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hielt von Zeit zu Zeit einen Blick, den ich auslegen konnte, wie ich wollte. Der alten Tante mochte die stumme Unterhaltung aufgefallen sein, oder hatte sie zur Verdauung der Nüsse einige Bewegung nötig, genug, sie stund auf und sprach einige Worte mit den beiden Herren, zwei hageren Kerlen von etwa dreissig und fünfzig Jahren, denen der Handelsgeist aus den Augen sah; der ältere gab sogleich Befehl zum Anspannen, und nach wenigen Augenblicken schon rollte die Kutsche davon. Ich schaute zum Fenster hinaus, um noch einen Blick des schönen Kindes zu erhäschen, sah aber nur - Staubwolken. Jetzt erst fiel mirs ein, dass ich Hunger und Durst hatte, die freie Wirtin sagte mir jedoch, die Gäste hätten alles aufgezehrt. Ich begnügte mich mit dem Uebriggebliebenen, einem halben Huhn, zwei Stückchen Kuchen und einem Teller voll Nüsse und setzte meine Reise fort.
Als ich nach Heppenheim kam, schien Gottes Sonne noch über Berg und Tal, und ich beschloss daher, noch ein Stündchen weiter zu wandern. Mit Einbruch der Nacht kam ich nach Bensheim, wo mich der Goldene Löwe, das berühmteste Gasthaus der Stadt, in seine Krallen nahm. Schon von weitem schallte mir Musik entgegen und ich sprang mit dem Ruf ‘Da gehts ja hoch her!’ die drei Treppenstufen hinauf. Als ich mich durch einen Haufen von Nachbarskindern durchgearbeitet hatte, fand ich in der Stube eine musikalische, eben, wie ich nachher erfuhr, von der Frankfurter Messe gekommenen Familie, bestehend aus einem Manne, der unermüdlich die Orgel drehte, einem dicken Weib, das den Bass spielte, und zwei Mädchen, anscheinend ihre Töchter, von denen die ältere, etwa siebenzehnjährige, sich die Geige erwählt hatte, während die jüngere Schwester so das Tamburin bearbeitete, dass es das ganze Orchester übertönte; einen kleinen Jungen von ungefähr sechs Jahren hätte ich beinahe vergessen, er spielte, um das Orchester vollständig und die Harmonie vollkommen zu machen, nach Leibeskräften auf dem Triangel. Das Ganze - ein wahrer Hohn auf die edle Tonkunst - unterhielt mich dessen ungeachtet ein halbes Stündchen ganz gut. Ich Hess den reisenden Virtuosen | |
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einige Gläser Wein einschenken und warf auch noch einige Groschen (die übrigen Gäste bezahlten den Ohrenschmaus nur mit Kupferkreuzern) auf den Teller des sammelnden Mädchens. Dann liess ich sie zufrieden ziehen und ging, nachdem ich mein schmales Abendbrot verzehrt, zu Bette. Bald war ich eingeschlafen und träumte - nun, rat' einmal! Von Heidelberg, rufst du; ja, das ist gut raten, aber von wem in Heidelberg, von wem? Du rätst es doch nicht, darum lass mich's dir sagen: - von Lisette Sp. Heute morgen nach dem Frühstück unterhielt ich mich ein Viertelstündchen mit der Wirtstochter. Sie erzählte mir viel von dem benachbarten Lustschloss Auerbach, das dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt gehört und dessen gewöhnlicher Sommeraufenthalt ist. Ich bekam einen hohen Begriff von der Schönheit dieses Orts und beschloss, auf der Stelle hinzugehen. Dort angekommen, fand ich mich in meiner Erwartung sehr getäuscht. Nachdem ich alle Anlagen besehen hatte, fällte ich das Urteil, es sei nicht der Mühe wert, ihretwegen eine halbe Stunde Weges zu machen. Ich setzte daher, ohne mich lange aufzuhalten, meinen Fuss weiter und kam, nachdem ich in dem Dorfe Bickenbach etwas Weniges (viel war nicht zu haben) zu Mittag gegessen, gemächlich meine Wanderung fort und kam um sechs Uhr Abends hier in Darmstadt an. Am Tor bestand ich vorhin einen Strauss mit einem jungen Laffen von Offizier, der die Wache hatte und mir auf grobe Art meinen Pass abforderte. Ich gab ihn hin, liess aber dabei ein Wörtchen von ungeschliffenem Benehmen verlauten. Da Seine Gnaden der Herr Unterleutnant darauf nichts erwiderten, kam es nicht zum Duell, was mir sehr leid tat, denn ich hätte gerne seine Klinge gesehen, auf der vermutlich das fünfte Gebot eingeätzt war: Du sollst nicht töten! Soeben hatte ich Besuch von St., einem Bruder von dem, der diese Woche in Heidelberg war; ich hatte, da ich nicht mehr ausgehen mochte, meine Ankunft in seiner Wohnung melden und ihn zu mir bitten lassen. Statt des Erwarteten kam sein Bruder, | |
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der ehemals auch in Heidelberg studiert hat und jetzt hier, wenn ich nicht irre, Hofgerichts Assessor ist. Von ihm erfuhr ich, dass sein Bruder den ganzen Nachmittag auf mich gewartet habe, erst um fünf Uhr nach Arheilgen geritten sei und ihm den Auftrag hinterlassen, mich am andern Morgen dorthin zu bringen. Aber horch! Da schlägt eben eine nahe Uhr mit einem allerliebsten Glockenspiel sieben - acht - neun! Es ist Zeit, dass ich aufhöre, der Kellner hat mich ohnehin schon zweimal gebeten, Platz zu machen, damit er die Abendtafel decken könne. Da kommt er schon wieder! Nur Geduld, mein teurer Herr Kellner, ich gehe schon! | |
Langen, am 30. September.Vor einer Viertelstunde kam ich, mehr von der drückenden Sonnenhitze als von dem zurückgelegten Weg ermüdet, hier an und ging sogleich ins erste beste Wirtshaus (wie ich sehe, hab' ich mich unter die Flügel des Schwarzen Adlers begeben). Meine erste Frage an den Wirt, der mir eine Flasche Wein gebracht hatte, war: Wie weit ist's noch bis Frankfurt? Die Antwort ‘Drei gute Stunden’ klang mir recht unangenehm in den Ohren, denn ich hatte mir vorgenommen, heute in Frankfurt in's Theater zu gehen, was nun, da es schon um fünf Uhr anfing, nicht mehr möglich schien. Ich liess meinen Wein stehen und lief in wahrer Verzweiflung ans Fenster, doch nicht um mich hinauszustürzen, sondern um nach Hilfe auszuschauen. Da fiel mein Blick auf ein vor der Tür stehendes Einspännerwägelchen, und ein Hoffnungsstrahl fiel in meine Seele. Sogleich erkundigte ich mich nach dem Fuhrwerk, und, siehe da, es gehörte dem Wirt. Meine Erfahrung, dass einem Wirte alles feil ist, bestätigte sich auch diesmal, und schon nach drei Minuten war ich mit dem Philister handelseinig. Während eingespannt wird, will ich dir in aller Geschwindigkeit die Begebenheiten des heutigen Tages erzählen. Diesen Morgen lief ich mit St., der bei mir frühstückte, ein halbes Stündchen in Darmstadt herum, um die Merkwürdigkeiten zu besehen, als da sind: das mitten in der Stadt stehende, rings von tiefen Gräben | |
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umgebene Schloss, der neuerbaute Palast des Erbprinzen, das grosse Exerzierhaus und verschiedene andere schöne Gebäude. Hierauf traten wir zusammen die Wanderung nach Arheilgen an, das eine Stunde von Darmstadt an der Strasse nach Frankfurt liegt. St. empfing mich sehr freundschaftlich, bewirtete mich mit rotem Wein, Kuchen und Trauben und führte mich in Haus und Hof, Stall und Garten herum, mir seine Wirtschaft zu zeigen. Er wohnt wirklich ganz artig, mir wär's aber in dem kleinen Dörfchen zu stille; doch er hat ja Darmstadt und Frankfurt in der Nähe. Ich hielt mich einige Stunden auf, bis mir's wieder einfiel, dass ich heute noch nach Frankfurt wollte. Ohne länger zu säumen, trat ich nun; von den Gebrüdern St. bis auf die Landstrasse begleitet, meinen Weg dahin an. Ich eile, ihn zu vollenden, mein Einspänner wartet. Leb' wohl! | |
Frankfurt am Main, des nämlichen Tages, abends neun Uhr.Seit einer halben Stunde bin ich aus dem Theater zu Hause, wo ich zu meiner grössten Freude die dampfenden Schüsseln bereits auf dem Tische fand. Nun ich gegessen, will ich vor dem Schlafengehen noch die vor mir stehende Flasche roten Elsässers leeren und dabei mit Musse einige Zeilen in mein Tagebuch schreiben. Auf das Versprechen eines guten Trinkgeldes, das aber erst seine Wirkung tat, als er den Augen seines nachsehenden Herrn entschwunden war, führte mich der Knecht des Wirtes in Langen im schärfsten Trab nach Frankfurt; kurz vor vier Uhr fuhr ich dort ab, mit dem Glockenschlag fünf war ich hier. Sogleich ging ich ins Theater, wo ich die junge schöne Welt von Frankfurt versammelt fand. Im Parterre war es schon so voll, dass ich verzweifelte, einen guten Platz zu bekommen; als es anfing, etwas hell vor meinen Augen zu werden, sah ich mich nach einem Sitze um, entschlossen, den ersten besten einzunehmen, und sei es auch neben einem Juden, an denen es nicht fehlte, - doch das Glück | |
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hatte mich besser bedacht. Schon hatte ich die Hoffnung, eine Ruhestätte für meinen armen Leichnam zu finden, aufgegeben, schon glaubte ich während des ganzen Stückes auf meinen zwei müden Beinen stehen zu müssen, da winkte mir (ein leuchtender Stern in dunkler Nacht!) ganz in der Nähe ein freies Plätzchen - mitten zwischen zwei, wie es schien, ganz artigen Mädchen. Wie es kam, dass gerade dieser Sitz frei geblieben war, weiss ich nicht, ob ihn niemand bemerkt hatte, ob ihn keiner wollte? Die Mädchen waren doch nicht aussätzig? O nein, wenigstens konnte ich auch mit Hilfe meiner Lorgnette nichts dergleichen entdecken, auch späterhin nicht, als ich dicht neben ihnen sass und manches, was nicht allzu sorgfältig verschleiert war, auch ohne Glas betrachten konnte. Mit grösster Geschwindigkeit nahm ich Besitz von dem allerliebsten Plätzchen; mein Glas hatte mich nicht betrogen, die Mädchen waren zum Ansehen - und vielleicht zu etwas Anderem noch - wirklich gar nicht übel. Bei meiner Nachbarin zur Linken, die sehr gesprächig war, fand ich überdies auf ein halbes Viertelstündchen, bis das Stück anging, die angenehmste Unterhaltung. Sie erzählte mir unter anderem, dass heute das Fest der Errichtung des Frankfurter Nationaltheaters zum zwölften Male gefeiert werde und dass nach dem Schauspiel eine grosse Gasterei von zweihundert Gedecken für das ganze Personal vom Direktor bis zum Lampenputzer stattfinde. Sie wollte mir noch mehr dergleichen mitteilen, als auf einmal der Vorhang in die Höhe flog. Ein Mädchen trat auf, hold wie eine Göttin, eine siebzehnjährige, blauäugige Blondine in griechischem Gewande - an Wuchs, Gang und Anstand eine Grazie. Im Augenblick waren meine Nachbarinnen vergessen und ich hatte nur noch Augen fùr die bezaubernde Schönheit, die unwillkürlich aller Blicke auf sich zog. Wer doch so glücklich wäre, dachte ich bei mir, dies entzückende Geschöpf auch in der Tracht der Grazien umarmen - ach! nur sehen zu dürfen. Die Erfüllung meines Wunsches wäre freilich vor Hunderten von Zuschauern nicht möglich gewesen, ich bin aber überzeugt, dass das Mädchen als Meisterstück der Schöpfung auch in den Augen eines Kenners (wofür ich mich | |
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übrigens nicht ausgeben will) dabei nichts verloren haben würde. Das süsse Kind sprach einen Prolog - er hätte minder gut, er hätte sogar schlecht sein dürfen, er würde aus dem liebelächelnden Munde dennoch gefallen haben. Welcher Beifall die junge Schauspielerin belohnte, kannst du dir denken. Ich war vielleicht in diesem Augenblick der einzig Unzufriedene im Theater, warum? wie kannst du noch fragen? Weil der Vorhang niederfiel. Er rauschte zum zweiten Mal auf, und das Schauspiel nahm seinen Anfang; man gab den Essighändler, ein Stück das du wahrscheinlich kennst, da es auch in unserm Mannheim aufgeführt wird. In dem kurzen Zwischenakt hatte ich die Hoffnung gehegt - einen Komödienzettel besass ich nicht -, dass das liebe Mädchen vielleicht als Tochter des Juweliers auftreten würde, doch, kaum war der Vorhang aufgeflogen, erkannte ich auch schon meine Täuschung. Die Tochter des Juweliers erschien, und als ich ein weisses Röckchen flattern sah, das sich an niedliche Füsschen, Knie u.s.w. anschmiegte, glaubte ich zuerst meine schöne Blonde wiederzuerkennen, doch, als ich den Blick erhob, da sah ich - hilf heiliger Antonius! - statt des reizenden Gesichtchens eine grundhässliche Larve, statt der schmachtenden, liebeflehenden blauen Augen ein Paar kohlpechschwarze, statt des kleinen, zum Küssen geschaffenen Mündchens ein Maul von stattlicher Breite und endlich - o heilige Mutter Anna, steh' mir bei! - statt des klassischen Busens einen - leeren Raum! Dem Essighändler, der ziemlich gut gegeben wurde, folgte eine Oper, der Kalif von Bagdad, die ich hier zum drittenmale sah. Das Frankfurter Orchester ist ganz vortrefflich, so musste auch das Stück gut ausfallen. Unter den Darstellern gefiel mir besonders Madame Urspruch als Mirza vorzüglich wohl; sie spielte die ohnedies muntere Kammermädchenrolle sehr lebendig und liess mich, da sie jung und schön ist, die abgetretene blonde Schönheit (du weisst, lieber Bruder, ich bin etwas veränderlich in der Liebe) in kurzer Zeit vergessen. Die Oper ging, wie alles unter dem Mond, zu Ende. Der Vorhang | |
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fiel, und alles drängte nach den Türen, um nach Hause zu eilen. Besonders beflügelten die Herren und Damen vom Theater ihre Schritte, um ja nichts von der grossen Gasterei zu verlieren. In diesem Augenblick wünschte ich selbst ein Komödiant zu sein - der grossen Gasterei wegen, meinst du? Gotte bewahre, die gönne ich den armen Teufeln von Herzen, nein, um die schöne Mirza zu treffen. Da ich aber von Gottes Gnaden und meines wertesten Herrn Vormunds Geldern ein Student und kein Komödiant bin, in der Geschwindigkeit auch keinen Rat wusste, wie ich mich bei dem Festmahl einführen könnte, beschloss ich, mich in meine Herberge zu begeben und dort guten Rat, der ja oft über Nacht kommt, abzuwarten. Aber wie blutsauer wurde mirs, bis ich mich bei stockfinsterer Nacht, in einer wildfremden Stadt und schlecht erleuchteten Gassen, vom Theater bis zum Goldenen Löwen durchgefragt hatte. Bald waren die Strassen wie ausgestorben, und ich befand mich, das merkte ich gleich, auf unrechtem Wege. Was war zu machen? Ich entschloss mich weiter zu gehen, bis ich einen Menschen anträfe. Endlich hörte ich auch Fusstritte, die mir entgegenkamen, ich ging freudig klopfenden Herzens drauf los, aber es war ein Fremder, der nicht mehr Bescheid in Frankfurt wusste als ich. Schon war ich im Begriff, den ganzen Weg zum Theater zurückzuwandeln, als - was wären wir ohne die Weiber! - ein Mädchen kam und mir aus der Not half. Sie führte mich in eine Strasse, die man die Zeil nennt; hier fand ich mich wieder zurecht, hier war es auch wieder lebhafter, da wurde von einem Orgelmann ein Ständchen gebracht, dort stund noch ein verliebtes Pärchen an einer Ecke. Endlich im Gasthof angelangt, beschloss ich meine Grillen zu ersäufen, trank bei Tische eine Flasche Elsässer und liess mir eine zweite auf's Zimmer bringen. Hier steht das letzte Restchen, ich trink's auf deine Gesundheit, Bruder! - So! - Gute Nacht! | |
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zwar zu Wasser auf dem - Marktschiff. Zuvor aber muss ich noch ein paar Zeilen ins Tagebuch schreiben. Ich ging diesen Morgen schon um sieben Uhr aus, um mir die Stadt ein bischen zu besehen. Gleich beim Austritt aus dem Hause umringte mich ein Dutzend Juden, um mir ihre Waren anzubieten. Trotz meinem kurzen Bescheid, dass ich nichts brauche, liefen einige die ganze Strasse (sie heisst Fahrgasse) neben mir her. Halb ausser Atem, - denn ich ging so schnell ich konnte, um das Gesindel los zu werden - rühmten sie unaufhörlich die Güte und Wohlfeilheit des Mantels, des Rocks, der Hosen oder was sie mir sonst aufhängen wollten. Es war kaum auszuhalten, denn wenn auch manchmal einer abliess, vertraten mir gleich zwei andere den Weg. Endlich klopfte mir einer sogar ganz vertraulich auf die Schulter und raunte mir geheimnisvoll in die Ohren, er habe mir etwas zu sagen. Sogleich blieb ich stehen und war ganz Ohr; da rückte denn der Ehrenmann mit dem Vorschlag heraus, er wolle mir einen nagelneuen schwarzen Frack, noch nicht (das schwur er hoch und teuer bei seiner armen Seele!) auf dem Leibe gewesen und mir wie angegossen sitzend, verhandeln. Da riss der langgespannte Faden meiner Geduld, ich holte aus und wollte dem Unverschämten, in Ermangelung eines anderen Züchtigungsmittels, mit meinem Säbelgriff einen Rippenstoss versetzen. Er musste meine Bewegung bemerkt haben, denn er machte einen Seitensprung wie ein angeschossener Hase und - weg war er. Auch die übrigen beschnittenen Plagegeister wichen jetzt auf eine wiederholte Bewegung mit dem Säbel, wie Satanas auf das Zeichen des Kreuzes, von mir. Wenn auch nachher mich einer anreden wollte, warf ich ihm gleich einen von entsprechender Gebärde begleiteten Blick zu, dass ihm das Wort im Halse stecken blieb. Von der berühmten Frankfurter Messe sah ich zu meinem Bedauern nur noch einige Überbleibsel. Was mir sonst hier gefällt, ist ausser dem Theater eine grosse Anzahl schöner Gebäude, besonders auf der Zeil, obwohl meist Privathäuser, doch wahre Paläste. Von öffentlichen Bauten sah ich aus Mangel an Zeit nur | |
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einige Kirchen und den Römer, ein altes Gebäude von schlichtem Äusseren, drinnen war ich nicht. Er verdankt seinen Ruhm wahrscheinlich nur dem Alter und dem Gebrauch bei der Kaiserkrönung. - Da schlägt's drei Viertel auf zehn, und mit dem Glockenschlage zehn fährt das Marktschiff ab. Ich eile, meine Zeche zu berichtigen und ans Mainufer zu kommen. Lebe wohl! (Fortsetzung folgt.) |