Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Studien zur deutschen Kulturgeschichte
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die Antriebe sind, die besonders auf ihren früheren Stufen die Gesamtkultur durch kriegerische Tätigkeit empfängt, so spiegelt wiederum kein Zug im Antlitz eines Volkes so treu sein inneres Leben wieder, wie sein Kriegswesen. Wir sehen bei den Völkern der verschiedensten Zeiten die Wehrverfassung sich ablösen. Die Waffenpflicht jedes Waffenfähigen folgt das Waffenrecht einer bevorzugten Kaste, diesem die Erwerbsfreiheit des Söldners. Von den Eigenhufen germanischer Freien zog der Heerbann zu Felde, die Lehengüter der Feudalzeit entsandten die berittenen Wappner zu des Kaisers Heer; die erwerbslosen Söhne der üppig emporgeschossenen Städte folgten den werbenden Fahnen der Landsknechte, bis in den Gräueln des grossen Krieges mit der sittlichen zugleich die kriegerische Tüchtigkeit der Deutschen zu vermorschen schien. Aber während überall sonst die Herrschaft zügellosen Söldnertums den unaufhaltsamen Verfall des Staatswesens einleitet, waren im deutschen Volkstum Kräfte an neuem Leben wirksam. Ihrer nicht die kleinste war die Fähigkeit, mit den Forderungen einer neuen Zeit die Schöpfung eines wehrhaften Volksheeres in Einklang zu bringen, eine Aufgabe gelöst durch die Neuorganisation Brandenburg-Preussens. Nächst des Soldaten ist es wohl der Kaufmann, der zur Befestigung einer Kultur beitragen kann. Allerdings setzt ein einiger massen entwickelter Handel schon eine gewisse Kulturhöhe voraus; ist doch der Handel selbst wieder die Grundlage höheren materiellen, künstlerischen und geistigen Daseins. Mit Recht bemerkt Gg. Steinhausen in seinem gründlich durchgearbeiteten Werke ‘Der Kaufmann’Ga naar voetnoot(1): Der Kaufmann ist der Pionier dieser Kultur, eine Kultur, deren Spuren man wohl noch in der deutschen Vorzeit zurückverfolgen kann, wenn man ja auch von einem deutschen Kaufmannsstande erst verhältnismässig spät sprechen kann, und nicht früher als vor Ablauf des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung. Nach dem ersten Anschein sollte man zwar meinen, dass bei den Germanen der Handel überhaupt nicht gepflegt | |
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wurde, in Wirklichkeit aber sind die alten germanischen Stämme niemals so handelsfeindlich gewesen, und es hat frühzeitig Deutsche gegeben, die dem Handel oblagen; denn schon das Alter und der Umfang des von den Fremden betriebenen Handels müssen die Stämme mit dieser Tätigkeit früh vertraut gemacht haben. Der spätere Kaufmann ist dann wieder zum Teil die Geschichte des deutschen Bürgertums, sei es der harte frühmittelalterliche Händler oder der stolze und gewaltige spätmittelalterlicher Grosskaufmann, des ‘Pfeffersacks’, den der Ritter ingrimmig hasste, oder des ‘Herrn Negocianten’ der Zopfzeit.
amsterdam im 17ten jahrhundert
Interessant dürfte es sein, einmal die Rolle des Arztes in der deutschen Vergangenheit zu betrachten. Wie uns ein altgermanischer Merseburger Zauberspruch, dessen Übersetzung wir dem von treffender Sachkenntnis zeugenden Werke: Herrn Peters. Der Arzt und die HeilkunstGa naar voetnoot1 entnehmen, lehrt, wurde ursprünglich dem höchsten und hehrsten Germanengotte die Heilkunst zugeschrieben. | |
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Während er einst mit Phol (wol mit Baldur identisch) in den Wald ritt, heilte er die Beinverrenkung durch Besprechen. Der Spruch lautet: Phol und Wodan
Fuhren zu Holze;
Da ward dem Fohlen Baldurs
Sein Fuss verrenkt;
Da besprach ihm Sinthgunt,
Sunna ihre Schwester;
Da besprach ihm Freya,
Volla ihre Schwester;
Da besprach ihm Wodan,
So er wol konnte:
So Beinverrenkung,
So Blutverrenkung,
So Gliederverrenkung:
‘Bein zu Beine,
Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern,
Als ob sie geleimt seien!’
In der deutschen Sage (Gudrunlied) werden schon eine Anzahl Männer als heilkundig gerühmt, vorwiegend jedoch wurde bei den alten Deutschen die Heilkunst durch Frauen ausgeübt, die dann nach der Einführung des Christentums zu Hexen erklärt wurden. Erst im früheren Mittelalter gab es dann wirkliche Ärzte, wenn auch nur an den Höfen der Könige, bis dann Kaiser Karl IV. 1348 die erste deutsche Universität in Prag gründete, welcher dann bald die in Wien, Heidelberg und Tübingen etc. folgten, und womit dann eine Grundlage für die spätere Entwicklung der Heilkunde geschaffen wurde. Den Richter und die Rechtspflege in der deutschen Vergangenheit zu skizzieren, ist eigentlich eine Unmöglichkeit; in hervorragender Weise unterrichtet uns F. Heinemann in seinem gleichnamigen WerkeGa naar voetnoot(1) darüber, nichtdestoweniger will ich aber meinen Ausführungen einige kurze Bemerkungen darüber zufügen. Erscheint | |
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männerbad im anfang des l6ten jahrhunderts
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uns der Richter seinerseits als die Verkörperung des Rechtslebens und der Gerechtigkeitsidee, so hat sich andererseits das geschichtliche Werden und Wandeln der Rechtsformen mit deutlichem Stifte in das konkretere Bild des Richters und seines Standes eingezeichnet. Die germanische Rechtssitte sehen wir mit einem sakralen Charakter umwoben, der auch spät noch in den mittelalterlichen Gottesurteilen und selbst am heutigen Rechtsgang im Schwören noch durchschimmert. Der ‘Gesetzeskodex’ des altdeutschen Richters war kein Buch mit sieben Siegeln; vor aller Augen lag er aufgeschlagen; soweit das deutsche Wort erklang, ging auch seine Rede, und sie war nur Geist, nur Leben, ja das über den Stämmen schwebende Rechtsbewusstsein selbst. Eine schriftlose Überlieferung trug diesen Geistesinhalt den folgenden Generationen zu. Aus diesem ursprünglichen, grundsätzlichen Kern sind bald neue Bildungen herausgewachsen - Gewohnheitsrechte, - die ihrerseits wieder so hart und dauerhaft, wie der Urkristall selbst, zur Unterlage des sich entwickelnden Rechtsbewusstseins wurden.
der richter aus dem totentanz von holbein
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