Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Zur niederländischen Stammeskunde.
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Condrusen, Eburonen, Caeroesen und Paemanen (qui uno nomine Germani appellantur, B.G. II 5) und die zwischen Waal und Rhein (Vacalus insulam efficit Batavorum, B.G. IV 10) wohnenden Bataver, sich schon dauernd auf dem linken Ufer niedergelassen hatten. Diese Wanderungen und Kämpfe, die auf ähnliche vorgeschichtliche Vorgänge schliessen lassen, haben sich später noch mehrmals wiederholt. Ein schier unerschöpflich scheinender Völkerstrom hat sich, Welle auf Welle, im Lauf der Jahrtausende von Nordosten her, über den Niederrhein ergossen und immer wieder dem Westen unseres Weltteils neue Kraft und frisches Blut zugeführt. Die ersten Einwanderer, deren Namen uns die Geschichte bewahrt hat, waren Kelten; aber auch sie müssen zahlreiche namenlose Vorgänger gehabt haben, die ihrerseits wieder kein menschenleeres Land vorfanden. Frühere Bewohner wurden zwar teils verdrängt, teils ausgerottet, ein kleiner Bruchteil blieb aber doch immer zurück, zunächst geknechtet, schliesslich aber mit den Eroberern verschmelzend. Gerade unter den Frisen mit ihren oft flachen Schädeln, fliehenden Stirnen und starken Augenwülsten scheinen die Urrassen der älteren Steinzeit (Homo primigenius und H. mediterraneus var. prisca) immer wieder durchzuschlagen. Auf die ältesten Wellen der Kelten folgten jüngere gallische, zuletzt die Belgen, noch im engsten verwandtschaltlichen Zusammenhang mit ihren östlichen Nachbarn, den Westgermanen, stehend und mit ihnen durch den gemeinschaftlichen Kimbernnamen verbunden. Von der Südküste des Ärmelmeers aus besiedelten die Belgen auch die nächstliegenden Teile von Britannien (marituma pars ab iis, qui praedae ac belli inferendi causa ex Belgio transierant, sc. incolitur, B.G. V 12), wobei manche Namen, besonders die Stammesnamen Belgae und Cimbri (Cymbri, Kymri, Cumberland) vom Festland auf die Insel übertragen wurden (qui omnes fere iis nominibus civitatum appellantur, quibus orti ex civitatibus eo pervenerant). Von ihrer eigentlichen Heimat auf der nach ihnen benannten Halbinsel erstreckten sich die Wohnsitze kimbrischer Völker bis an die Rheinmündungen (Strabo VII 2), | |
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sodass die ganze Nordsee auch ‘Kimbrisches Meer’ (Cimbrica Thetis, Claudian) hiess. Eine scharfe Scheidung zwischen Germanen und Kelten ist hier nicht zu machen; denn bei den zum westlichsten (kimbrisch-ingävonisch-frisischen) der vier Germanenstämme gehörenden Völkern finden wir Eigennamen, die nach Lautstand und Zusammensetzung ebensogut keltisch sein könnten, zumteil es auch wirklich sind, Boiorix, Teutobodus, Cesorix, Lugius, Claodicus, Boiocalus, Verritus, Malorix, Cruptorix, Catuvolcus, Ambiorix. Zu diesen Völkern gehören vor allen die Kimbern, Teutonen, Ambronen, dann die Frisen und auch die gewöhnlich zu den Franken gerechneten Ubier (mit den Ortsnamen Gelduba und Marcodurum), die Amsivarier (Emsanwohner), die Usipeter und Tubanten, die Tenkterer und Bukterer (Ortsnamen Teutoburgium) und die Sigambern (Sieganwohner, mit den Eigennamen Baetorix und Deudorix), endlich die Nemcter und Triboker. Obwohl gerade dieser Stamm durch den Kimbernzug ungeheure Verluste erlitten hatte, setzte er doch, von nachrückenden Völkern gedrängt, vielleicht auch durch verheerende Sturmfluten eines Teils seiner Wohngebiete beraubt, sein Vordringen gegen Südwesten fort und besetzte zunächst die von den Belgen bei ihrer Besiedelung Britanniens verlassenen Landstriche.
Den genannten, in fortwährenden Fehden und Grenzkriegen sich erschöpfenden Völkern folgten aus dem inneren Germanien, aus dem fruchtbaren Mutterschoss (vagina nationum, Jordan, der Urheimat (officina gentium) bald andere nach, noch in ungeschwächter Kraft strotzend und dem zweiten (istävonisch-fränkischen), sowie dem dritten (herminonisch-schwäbischen) Hauptstamm der Germanen angehörend. Am Oberrhein waren es besonders Schwaben, darunter Markomannen, Haruden, Eudosen, Wangionen, die seit dem achten Jahrzehnt vor unsrer Zeitrechnung unter dem kriegerischen Heerkönig Ariorist bis ins Herz von Gallien vorgedrungen, teilweise sogar schon dauernd auf dem linken Ufer angesiedelt waren. Ihr Stammesname lautete in gallischem Munde Germani und wurde wegen ihres unwiderstehlichen, | |
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siegreichen Vordringens (a victore ob metum, Germ. 2) auch auf die übrigen, damals noch einer gemeinsamen Bezeichnung entbehrenden Stämme übertragen (nationis nomen, non gentis evaluisse paulatim). Wenn auch die ursprüngliche Bedeutung der indogermanischen Wurzel herman, german, carmanGa naar voetnoot*) nicht feststeht, so kommt doch wahrscheinlich der Ulmer Mönch Felix Faber (Histor. Suevorum, Goldasti Suevor. script., Francof. 1605) der Wahrheit sehr nahe, wenn er den neuen Volksnamen (vocabulum recens et nuper additum, Germ. 2) also deutet: ‘Theutonici dicuntur Germani, id est viri nobiles.’ Am Niederrhein waren es fränkische Chatten oder Hessen, die teils wegen wachsender Volkszahl, teils wegen innerer Streitigkeiten (seditione domestica pulsi, Tac. Hist. V 2) die von ihren Bewohnern verlassenen Teile des nördlichsten Galliens, besonders das Land zwischen Waal und Rhein (extrema Gallicae orae vacua cultoribus simulque insulam iuxta sitam) in Besitz nahmen. Die Landschaft Betuwe, alt Batavia, hat bis auf den heutigen Tag den Namen dieser fränkischen Ansiedler bewahrt, die sich nach einem Teilstamm der Chatten (Batten, Soubatten d.h. Sigibatten, Strabo) ‘battische Männer’, Batavi, nannten. Zu ihnen gehörten die Cannenafaten, ‘ruhmreiche Männer’ (origine, lingua, virtute par Batavis, Tac. Hist. IV 15), die Chattuarier, ‘chattische Männer’, die späteren Hetvären, und die Marsaci, deren Name eine Ableitung von dem uralten Stammesnamen (Marsi) der Franken ist. Diese Landnahme fränkischer Völker auf dem linken Rheinufer muss, wie erwähnt, schon vor Caesars Ankunft in Gallien begonnen haben. Durch die entscheidenden Siege dieses hervorragenden Feldherrn und die Errichtung des römischen Weltreichs wurde zwar ein Damm gegen die germanische Völkerflut aufgeworfen, zugleich aber auch die Kraft des keltischen Stammes gebrochen und das | |
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Land entvölkert. Trotz Wall und Graben, Grenzfestungen und verschanzten Lagern lockten daher Galliens fruchtbare Gefilde immer wieder die sich stark vermehrenden, kriegslustigen Germanen.Ga naar voetnoot*) Von den Freiheitskämpfen und Ausdehnungsbestrebungen der Frisen, denen im J. 12 v. Chr. Drusus eine Abgabe von Ochsenhäuten auferlegt hatte (Cass. Dio LIV 32), lesen wir bei Tacitus (Ann. IV 72, XI 19, XIII 54, Hist. IV 15); infolge der siegreichen Schlacht beim Hain der Baduhenna hatten sich Ansehen und Selbstgefühl des tapferen Volkes (Clarum inde inter Germanos Frisium nomen, Ann. IV 74) mächtig gehoben, sodass die frisischen Gesandten im Zirkus zu Rom sich unbedenklich auf den Sitzen der Senatoren niederliessen, da ‘kein Sterblicher an Waffenruhm oder Treue die Germanen überträfe.’ Den von den mächtigen Chauken vertriebenen, ebenfalls zum kimbrisch-ingävonischen Stamm gehörenden Amsivariern wollte dagegen eine neue Ansiedelung nicht glücken; weder im römischen Gallien noch bei den stammverwandten germanischen Völkern fanden sie Aufnahme, und in stolzer Verzweiflung musste ihr unter den Waffen ergrauter Führer Boiocal ausrufen: ‘Land zum Leben kann uns wohl fehlen, nicht aber zum Sterben.’ Diese düstere Vorhersage sollte nur zu bald in Erfüllung gehen: auf langer Irrfahrt, bald durch Bitten bald mit den Waffen Ackerland zu erringen strebend, ging der grösste Teil des Volkes zugrunde; doch finden wir sie in späteren Quellen (Veroneser Völkertafel, Weltkarte des Honorius, Gregor v. Tours, Notitia Dignitatum) als Nachbarn und Verbündete der Frisen und Niederfranken, als Bestandteil des römischen Heeres wieder. Der an erbitterten Kämpfen und Wechselfällen reiche Aufstand der Bataver, dem sich auch die Frisen angeschlossen hatten, endete im Jahr 70 mit einem Vergleich, der so ziemlich alles beim Alten liess. Die Bataver behielten ihre Rheininsel und leisteten, | |
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von jeder Steuer frei (exemti oneribus et collectionibus, Tac. Germ. 29) und ihrer oftbewährten Tapferkeit wegen hochgeachtet (manet honos et ambiguae societatis insigne), den Römern in allen Kriegen Waffenhilfe (in usum proeliorum sepositi: velut tela atque arma bellis reservantur). Auch die Frisen behaupteten ihre Wohnsitze östlich von der Rheinmündung und an den Nordseeküsten (A fronte Frisii excipiunt. maioribus minoribusque Frisiis vocabulum est ex modo virium. utraeque nationes usque ad Oceanum Rheno praetexuntur ambitque immensos super lacus et Romanis classibus navigatos, Germ. 34).
Als später, etwa vom Ende des dritten Jahrhunderts an, das Römerreich den Gipfel seiner Macht überschritten hatte, begann auch am Niederrhein von neuem ein unaufhaltsames Vorwärts-drängen germanischer Völker, in erster Reihe der Franken, welcher Name von nun an die älteren Bezeichnungen des marsisch-istävonischen, Chauken, Chamaven, Cherusker, Chatten, Bataver, Cannenafaten, Marsaker, Chattuarier, Chasuarier, Theotmarsen, Stormarsen umfassenden Stammes verdrängt. Vormacht desselben blieben die mächtigen, in den Werken des Friedens wie des Krieges gleich tüchtigen Chauken (populus inter Germanos nobilissimos, Germ. 35), nach denen noch im Mittelalter alle Franken Hugen, ahd. Huga, as. Hugos, ags. Hugas, genannt wurden (Ann. Quedlinburg). Unter den neuen Namen Franken oder Salier (beide gleichbedeutend; mit Salland, Salhof, terra salica, curtis salica, wurde das ‘freie’ Grundeigentum bezeichnet) überschritten sie um die Wende des 3. und 4. Jahrhunderts den Rhein und besetzten zunächst die Betuwe, Batavia. Im Jahre 358 bekämpft sie Julian an der unteren Maas (primos omnium Francos, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit, Ammian-Marcell, XVII, 8). Bei diesem unter schweren Kämpfen und mit vorübergehender Zurückdrängung erfolgten Vorrücken gingen die nahverwandten Bataver, die Cannenafaten im Kennemerland, die Marsaker in Marsum und die Chattuarier im pagus Hattuariorum, Veluwe, in den salischen Franken auf. Nur die Chamaven im | |
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Hamaland bewahrten, wie ihr besonderes Gesetzbuch beweist, eine gewisse Selbständigkeit. Bremers AnsichtGa naar voetnoot*), die Bataver, die ja doch nur Verbündete der Römer waren, seien zuerst ‘romanisiert’ und später wieder von den Franken ‘unterworfen und germanisiert’ worden, ist zweifellos verkehrt. Den Kern des zweiten fränkischen Stammes, der Ribuarier (auch dieser Name ist nur eine Umschreibung von Franken, vergl. die Namen Ribolf, Ribpolt, das mittelalterliche riboldus, ‘Freibeuter’, und das isl. rifr, bodrifr, ‘freigebig’, und hat mit ripa, Ufer, nichts zu tun; durch stärkeren Lippenschluss wegen des folgenden v ist b zu p geworden, wie in den Namen Ripuuinus, Gipuin) haben ohne Frage die Chatten, späteren Hessen, gebildet (duriora genti corpora, stricti artus, minax vultus et maior animi vigor. multum ut inter Germanos rationis ac sollertiae, Germ. 30), da die Cherusker, in alter Zeit das dritte Hauptvolk des istävonisch-marsischen Stammes, durch innere Streitigkeiten und unglückliche Fehden geschwächt, viel von ihrer früheren Bedeutung und ihrem Ansehen eingebüsst hatten (ita qui olim boni aequique Cherusci, nunc inertes ac stulti vocantur.... tracti ruina Cheruscorum et Fosi, Germ. 36). Um die Mitte des vierten Jahrhunderts waren auch die SachsenGa naar voetnoot**), 200 Jahre früher nach Ptolemaeus (II, 11) noch auf der kimbrischen Halbinsel wohnend, teils zu Wasser, teils zu Lande längs der Nordseeküste nach Westen vorgedrungen, hatten die belgischen und britischen Gaue gebrandschatzt und sich schliesslich dauernd am Südufer des Ärmelmeers (litus Saxonicum, Notit. Dignitat., Amm. Marc., XXVII, 8, XXIII, 2) niedergelassen; als Besitzer und Bewohner der Stadt Bayeux werden sie noch im 6. Jahrhundert von Gregor von Tours angeführt (Saxones Baiocassini, V, 26, X, 9. | |
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Im vierten und fünften Jahrhundert drangen auch die Franken wieder vor und setzten sich zunächst zwischen Maas und Schelde fest, in einem Lande, das damals Thüringen hiess (dehinc transacto Rheno Thoringiam transmeasse ibique iuxta pagos vel civitates reges crinitos super se creavisse... Ferunt etiam tunc Chlogionem... regem fuisse Francorum, qui apud Dispargum castrum habitabat, quod est in termino Thoringorum, Gregor II, 9). Es scheint, dass in dieser vielfach verderbten Stelle ein ungeschickter Abschreiber zwei Buchstaben auf den Kopf gestellt hat, daher Chlodio und Disbargun, wohl das heute unbedeutende Duysbergen zwischen Löwen und Brüssel, zu lesen ist. Wie kommt dies Land zu dem Namen Thüringen? Es muss unbedingt vorausgesetzt werden, dass hier schon vor den Franken ein schwäbisches Volk eingewandert war, und zwar von dem Teil des grossen Stammes, der später immer unter dem Namen Thüringe (Thuringi, Thoringi, Thyringas) zusammengefasst und durch die Einzelvölker der Angeln und Warnen gebildet wird (Lex Angliorum et Werinorum, hoc est Thuringorum). Waren es nun Angeln oder Warnen oder aus beiden Völkern gemischte Scharen, die sich hier im Niederland, auf dem linken Rheinufer und in der Nachbarschaft der Frisen niedergelassen hatten und von den fränkischen Chronisten auch ‘Schwaben’ (Suebi) und zwar ‘versprengte’ (erronei, Vita S. Chlothildis) genannt werden? Nach Procop (B. Got., II, 20) waren es Warnen, und auch ich habe stets diese Ansicht vertretenGa naar voetnoot*), da in diesem noch in mittelalterlichen Dichtungen Doringen, Dorringen (pagusTuringasnes für Turingensis im Test. S. Willibrordi) genannten Gebiete die für die Wanderungen der Angeln so bezeichnenden Ortsnamen auf lebenGa naar voetnoot**) | |
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fehlen. In dies, nicht in das rechtsrheinischeGa naar voetnoot*) Thüringen ist Childerich geflohen, dort hat er seinen Liebeshandel mit der Königin Basina angeknüpft. Von Chlodwig und seinen Nachfolgern wurden diese Schwaben unterworfen und bekehrt, keineswegs aber vollständig vernichtet. Ein Teil von ihnen blieb jedenfalls im Lande wohnen, wie auch von den Franken, obwohl sich diese, allerdings durch die Ribuarier verstärkt, im Lauf der nächsten Jahrhunderte über ganz Gallien ausbreiteten. Wie früher die Belgen das schmale Ärmelmeer überschritten und sich in den südlichen Teilen von Britannnien angesiedelt hatten, so machten es auch die ihnen folgenden Frisen und SachsenGa naar voetnoot**). Auf ihren flinken Schiffen (Kielen, cyulas) das ‘Frisische Meer’ (Fresicam mare, Nennius, Hist. Briton. 38) befahrend, waren sie zuerst gefürchtete Seeräuber, liessen sich aber später, indem sie die Streitigkeiten der eingeborenen Bevölkerung sich zu nutze machten, dauernd im Lande nieder. Bald schlossen sich ihnen die damals auf der kimbrischen Halbinsel wohnenden Angeln an, und diese im 5. Jahrhundert erfolgte Eroberung und Besiedelung Britanniens durch drei germanische Völker, Frisen (wegen ihrer nördlicheren Wohnsitze auch Jüten genannt), Sachsen und Angeln (Prokop B. Got. N. 20, Beda I, 14, Gildas, 14, Nennius, 38), ist von der Sage mit allerlei Rankenwerk umsponnen worden. Noch, im 13. Jahrhundert reimt ein flämischer Dichter, Maerlant: Een hiet Engistus, een Vriese, een Sas,
Die uten Lande verdrewen was.
Diese Auswanderung aber machte das Land nicht menschenleer, sondern verschaffte nur dem Überschuss der Bevölkerung neues Ackerland. Wir sehen im Gegenteil, dass im späteren Mittelalter | |
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die Niederländer sich zahlreich und tatkräftig an der Urbarmachung und Besiedelung der den Slaven abgerungenen ostelbischen Länder beteiligten. Besonders gesucht waren sie da, wo es galt, Sümpfe auszutrocknen oder Überschwemmungsgebiete durch Deichanlagen zu schützen. Das war ja ihre im harten Kampfe mit den Fluten der Nordsee erlernte und erprobte Kunst. Saxo, der Geschichtschreiber der Dänen, sagt von solchen im Marschland angesiedelten Frisen: ‘Hos a Frisonum gente conditos, nominis et lingue societas testimonio est; quibus novas querentibus sedes ea forte tellus obvenit; quam palustrem primum ac humidam longo duravere cultu.’ Von der Ansiedelung in den Weser- und Elbniederungen lesen wir in mittelalterlichen Chroniken, und Namen wie Holländerbruch, Flemendorf, Frisonefeld geben Kunde davon (qui - Heinrich von Scathen, ein Lehensmann Heinrichs des Löwen - etiam de Flandria adduxit multitudinem populorum et collocavit eos in Mikilinburg et in omnibus terminis eius... misit - Albrecht der Bär - Traiectum et ad loca Reno contigua, insuper ad eos, qui habitant iuxta oceanum et patiebantur vim maris, videlicet Hollandros, Selandros, Flandros, et aduxit ex eis populum multum nimis et habitare eos fecit in urbibus et oppidis Sclavorum...... civitates et oppida multa valde usque saltum Boëmicum possederunt Hollandri, Helmold I 87 und 88). Auch die Siebenbürger ‘Sachsen’, die eigentlich ‘Franken’ heissen müssten, stammen aus den Niederlanden, insbesondere der LützelburgerGa naar voetnoot*) Gegend. Vor Kurzem - Ende August 1904 - hat in der Hauptversammlung des Vereins für sächsische Landeskunde, Professor Kisch, einen Vortrag über die Urheimat der Siebenbürger Sachsen gehalten, worin er nach Zeitungsberichten ebenfalls für diese AnsichtGa naar voetnoot**) eintrat; dieselbe ist aber nicht neu, mir z. B. | |
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schon seit der Studentenzeit vertraut und später durch mundartliche Forschungen bestätigt. Von einigen befreundeten Siebenbürgern, die zugleich mit mir in Heidelberg studierten, wurde mir folgende merkwürdige Geschichte erzählt. Als sie eines Abends in einer Wirtschaft sassen und sich in ihrer heimatlichen Mundart unterhielten, erhoben sich plötzlich von einem Nebentische zwei Herren und kamen auf sie zu mit den Worten: ‘Wir dürfen wohl hier Landsleute begrüssen?’, es waren, wie sich nachher herausstellte, zwei junge, auf einer Studienreise befindliche Ärzte aus Lützelburg. Daraus folgt zweierlei, erstens dass die Mundarten sich oft recht langsam verändern, zweitens dass die Siebenbürger nirgend anderswoher stammen können, als aus der Moselgegend. Dass trotz ihrer Herkunft und Sprache die Siebenbürger Deutschen ‘Sachsen’ genannt wurden, erklärt sich, weil man wegen des Vorherrschens der plattdeutschen, aus der altsächsischen entstandenen Sprache früher alle niederdeutschen Mundarten unter der Bezeichnung ‘sassisch’ oder ‘sächsisch’ zusammenzufassenGa naar voetnoot*) pflegte. So sind, wie wir gesehen haben, in den Niederlanden, in dem Gebiet der beiden Königreiche Holland und Belgien, Teile der drei westlichenGa naar voetnoot**) Germanenstämme, des kimbrisch-frisischen, des marsisch-fränkischen und des herminonisch-schwäbischen, zurückgeblieben, vermehrt durch einen sächsischen Einschlag. Im Laute der Jahrhunderte, besonders seit der Loslösung vom grossen Deutschen Reich, ist aus der Verschmelzung ihrer Mundarten eine neue Sprache, die niederländische, entstanden, die sich, besonders | |
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infolge der Entstehung eines selbständigen belgischen Staates, wieder in zwei verschiedene, wenn auch nah verwandte Schriftsprachen, Holländisch und Flämisch, gespalten hat. Nur die Frisen haben, wie in Niederdeutschland so auch in Holland, ihre angestammte, allerdings in viele örtliche Mundarten zersplitterteGa naar voetnoot*) Sprache bewahrt, die aber hier von der holländischen, dort von der plattdeutschen Mundart immer mehr verdrängt wird. Spuren aller an der Bildung der niederländischen Sprache beteiligten Mundarten lassen sich noch heute auffinden, allerdings mehr in der Aussprache als in der Schrift, So ist, wie im Englischen (house, fine, spr. haus, fein) auch im Holländischen (huis, fijn, spr. heus, fein) die Aussprache der alten Laute u und i auf schwäbischen und fränkischen Einfluss zurückzuführen, die Verkleinerungsendung (boompje, vogelijn) teils sächsisch, teils fränkisch-schwäbisch, die Nichterweichung des t-Lauts (in groot, twee), die Aussprache des g, des sch sächsisch, das Fürwort hij, het, teils sächsisch, teils niederfränkisch,Ga naar voetnoot**) ebenso p statt hochdeutsch pf (in paard, aardappelen) u.s.f. Der Uebergang von l in u (hout, Holz) liesse sich vielleicht sogar als keltisch (frz. Arnoud, Arnold) auffassen. Möchte Kenntnis und Verständnis der Entstehung und Zusammensetzung des niederländischen Volkes - mit diesem Wunsche darf ich wohl meine anspruchslose Darstellung schliessen - immer mehr dazu beitragen, das Gefühl von Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit in Flamen, Holländern und Deutschen zu wecken und zu stärken. |
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