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Niederländer und Hanse im Kampf um die Ostsee
von Erich Liesegang (Wiesbaden)
Schluss
IV
Wie nach Osten und Westen so war das Gesicht Lübecks, fast möchte man sagen von den Tagen Heinrichs des Löwen an, auch nach Norden gerichtet gewesen. Denn grade dadurch wurde die ganz einzige Gunst seiner geographischen Lage noch erhöht, dass dieser Ort an der alten binnenländischen Verkehrsstrasse zwischen Nord- und Ostsee zugleich der Halbinsel Schonen so benachbart war, deren weltberühmte Märkte (nundinae Scanenses) den zweiten grossen Umschlagsplatz in dem Welthandel des nördlichen Europa darstellten. So konnte es nicht ausbleiben, dass die Führerin der wendischen Städte fort und fort hineingezogen wurde in die wechselreichen Geschicke Dänemarks, Norwegens und Schwedens. Hier in Lübeck sind zum Beispiel auf einem Fürstentage im Jahre 1340 die Bedingungen festgestellt worden, unter denen der spätere erbitterte Widersacher der deutschen Hanse, Waldemar Atterdag, nach Dänemark zurückgeführt werden sollte, das sein Vater vierzehn Jahre zuvor flüchtig hatte räumen müssen. Wessen sich die Städte von diesem vielgewandten, rücksichtslosen Fürsten zu gewärtigen hatten, zeigte sich sehr bald, als er ihnen nicht die herkömmlichen Handelsprivilegien in Schonen bestätigen wollte, obwohl er doch die Provinz mit ihrer Hilfe König Magnus von Schweden abgewonnen hatte. Den Ausbruch zu dem ruhmvollen Kampfe aber, aus dem der neuentstandene Städtebund am letzten Ende als unbestrittener Sieger hervorging, führte die Vernichtung Wisbys, des alten Sitzes deutscher Kultur und
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deutscher Handelsinteressen an der skandinavischen Küste (1361) herbei. Das Ergebnis des Stralsunder Friedens im Jahre 1370 war die durch den Besitz fester Plätze gesicherte Herrschaft der wendischen Städte über den Sund für das nächste halbe Menschenalter. In der Folge aber wusste Waldemars kluge Tochter Margareta, die Gebieterin aller drei nordischen Reiche, während ihrer vierzigjährigen Regierung dafür zu sorgen, dass die Macht der Hanse ihr nicht über den Kopf wachse. Immerhin blieb das Verhältnis zwischen beiden Teilen ein ganz leidliches, eine Verschlechterung trat erst ein, als Margaretens Nachfolger und Grossneffe, der schon erwähnte König Erich von Pommern, sich in langen und fruchtlosen Kämpfen abmühte dem Grafen von Holstein das Herzogtum Schleswig zu entreissen. Hätte für die Städte selbst schon die Erreichung dieses Zieles eine Gefahr bedeutet, so wurde ihr Unwille noch stärker, als die steigende Finanznoth den König zwang, sich alle möglichen neuen Steuerquellen zu erschliessen und im Besonderen einen Sundzoll von beträchtlicher Höhe zu erheben (1422). Bei einmüthigem Widerstand der deutschen Hanse in ihrer Gesammtheit wäre es wohl möglich gewesen, derartigen Versuchen von vorn herein mit Erfolg entgegenzuwirken: Und Das um so leichter, als wirklich die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten gemeinen Bürger der Hansestädte fest entschlossen waren, alle solche Neuerungen unter keinen Umständen aufkommen zu lassen. Wo aber war jetzt die Interessengemeinschaft der deutschen Hanse geblieben, die ehedem zur Zeit Waldemar Atterdags zu der imposanten Kundgebung der Kölner Konföderation die Veranlassung gewesen war! Hatte es damals schon Mishelligkeiten gegeben, die nur schlecht beglichen werden konnten, waren damals schon
Kampen und die oberysselschen Städte, sowie die Preussen nur mit halbem Herzen bei der Sache, so konnte nunmehr von einheitlichem Handeln überhaupt kaum noch die
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Rede sein. Zudem lief des Königs Politik darauf hinaus der Hanse Feinde im eigenen Lager zu erwecken. Neben den Engländern begünstigte er daher die holländischen Kaufleute. Nicht selten kam es während der langen Kriegsjahre vor, dass beider Schiffe gemeinsam die hansischen Schifte im Sunde angriffen! Vor allem aber die Städte des Ostens trennten sich jetzt von Lübeck und seinen Bundesgenossen. Die von diesen betriebene gewaltsame Sperrung des Sundverkehrs zeigte aller Welt deutlich, dass von dem Kriege gegen König Erich nur die wendischen Plätze Vorteil, Danzig und Riga hingegen, denen der direkte Verkehr mit Flandern versagt blieb, schweren Nachteil hatten. Während das Baiensalz von den dortigen Märkten fast verschwand, eroberte das Produkt der Lüneburger Saline wieder sein altes Absatzgebiet zurück. Für die feinen westlichen Tuchstoffe vollends forderte der wendische Zwischenhändler in Preussen und Livland die höchsten Preise, Pelzwerk, Getreide und Holz hingegen wusste er seinerseits für ein Geringes aufzukaufen. Kein Wunder, dass man trotz der Kriegsläufte in Lübeck fröhlich und guter Dinge war; gerade die gemeinen Bürger dort und in den anderen wendischen Orten wurden während der ganzen Dauer der Feindseligkeiten nicht müde einer nachdrücklichen Kriegführung das Wort zu reden. Noch vor dem Friedensschluss, der erst im Jahre 1435 zu Wordingborg zu Stande kam, setzten sie es durch, dass die alten für die Ordnung des Verkehrs erlassenen Bestimmungen aufs neue in Kraft traten und in Bezug auf die Nichthansen noch verschärft wurden. Denn grade der Friedensschluss, so wurde gefürchtet, werde nach Oeffnung der Sundstrasse den Holländern die Möglichkeit geben, den ganzen Osten mit Waaren und Schiffen zu überschwemmen. In Anbetracht des
Umstands, dass die wendischen Städte die grössten Opfer im Niederkämpfen des Gegners gebracht hatten, war es an sich vielleicht gerechtfertigt, dass
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ihnen das Abkommen vom Jahre 1435 nun auch den grössten Vorteil verschaffte, nämlich die Befreiung vom Sundzoll. Ebenso begreiflich aber ist es, dass in Preussen, das an den wirtschaftlichen Folgen der unseligen gar nicht enden wollenden Wirren ganz anders zu tragen gehabt hatte, ein Friedensschluss mit dieser Sonderbedingung als ein Abfall Lübecks und seiner Genossen von der gemeinsamen hansischen Sache angesehen werden musste. Wenn dennoch in dem offenen Konflikt der wendischen Städte mit den Niederländern innerhalb der nächsten Jahre Danzig nur wenig für diese Letzteren ins Zeug geht, so lag dass daran, das sofort nach der Befriedung der Ostsee die Holländer den Versuch gemacht hatten, direkte Beziehungen mit seinem polnischen Hinterland anzuknüpfen.
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V
Wenn hier bisher nach deutscher Ausdrucksweise von den Holländern insgemein die Rede war, wurde nicht weiter unterschieden zwischen den einzelnen Provinzen der Niederlande, deren handelspolitische Interessen übrigens wieder durchaus auseinander liefen. In der älteren Zeit zumal sind es die oberysselschen Plätze, die als wirkliche, wenn auch zur Sonderbündelei geneigten Glieder der Hanse, bedeutend hervortreten. Ein undatirtes Schreiben der Städte Kampen und Zwolle, das aber jedenfalls noch in das dreizehnte Jahrhundert zurückreicht, an die Lübecker ist noch vorhanden, in dem diesen Dank dafür gesagt wird, dass sie das ‘alte Recht’ wiedergestellt hätten, nach dem die Friesen und die Flandrer nicht in die Ostsee nach Gothland, damals noch das Zentrum des Handels jener Regionen, fahren dürften. Desgleichen möge aber auch den Engländern die Ostsee verschlossen werden, während andererseits den Gothländern verboten werden müsse, die Nordsee zu besuchen.
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Sehr alte Beziehungen zwischen Lübeck und seinen engeren Verbündeten und den süderseeischen Städten, die zugleich die Interessen der später der Hanse zugezählten geldernschen Binnenstädte vertreten haben mögenn, scheinen hier zu Grunde zu liegen, ohne dass die Quellen ein sicheres Urteil über den wirklichen Thatsbestand zulassen. Zu den unmittelbaren Grenznachbaren der süderseeischen Städte nach Osten zu gehören nun auch die Bewohner Groningens und des ‘Umlands’, die in dem vorliegenden Schreiben unter dem Namen ‘Friesen’ erwähnt werden. Ihr Ruf als Seefahrer namentlich in dem älteren Mittelalter ist weitverbreitet, in den späteren Jahrhunderten hingegen werden sie durchaus in den Hintergrund geschoben von ihren westlicheren Stammesgenossen im Kennemeerland und Waterland, den Vorfahren der jetzigen Bewohner Nordhollands und Seelands. Die verschiedensten Umstände wirkten zusammen, dieses Geschlecht der zukünftigen Seehelden emporzubringen. Einige davon wurden schon aufgeführt, die Entwicklung der Tuchindustrie und der Aufschwung des Heringshandels im Nordmeer. Hinzukam vor allem der Niedergang Brügges, das dem Wandel der Zeiten nicht zu folgen vermochte und seine Handelsherrschaft an Antwerpen abtrat. Dieser Verrückung des Schwerpunkts merkantiler Interessen auf niederländischem Boden von Westen nach Osten, der zwei Jahrhunderte später darin seine Fortsetzung und seinen vorläufigen Abschluss fand, dass Amsterdam wiederum Antwerpen beerbte, - entsprach schon damals eine zweite Verschiebung in derselben Richtung: der früher allmächtige Stapelplatz Dordrecht konnte sein Monopol nicht behaupten. Seine jungen Rivalinnen Bergen-op-Zoom, Veere, Brielle, Zierikzee, vornehmlich aber Amsterdam, machen sich frei und wissen mit bewundernswertner Geschicklichkeit
die Gunst der Stunde auszunutzen. Hinter ihnen aber erhebt sich riesengross und unüberwindlich die die Kraft der Niederlande im weitesten
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Umfang zusammenfassende und einende Persönlichkeit Philipps des Guten, des Staatsmanns unter den burgundischen Herzögen. Seinen und seiner Nachfahren politischen Zielen war vorzüglich damit gedient, dass die nordniederländischen Städte wie innerlich so auch äusserlich das Band zerschnitten, das sie noch mit ihren Schwestern von der deutschen Hanse verknüpfte. Bei dieser ungleichen Verteilung der Mittel konnte von vorn herein nicht zweifelhaft sein, dass im Laufe der Zeiten die jungerblühende frische von den Verhältnissen getragene Macht in dem Kampf um den Handel in der Ostsee über die Nebenbuhlerinnen an der wendischen Küste den Sieg davontragen würde. Unwillkürlich aber drängt sich der nachträglichen Betrachtung die Frage auf, wie ganz anders die Verhältnisse sich gestaltet haben würden, wenn auch nach Luder von Supplinburg Könige sächsischen Stammes die Krone des Reiches getragen oder aber Herzog Heinrich dem Löwen oder einer ihm verwandten Herrschernatur die Gründung eines die norddeutsche Tiefebene in ihrer gesamten Ausdehnung umspannenden Territorialstaates gelungen wäre! -
Um auf die niederländisch-hansischen Zwistigkeiten zurück-zukommen, hatte sich Dänemark in dem uns bereits bekannten Friedensvertrag verpflichtet, die Holländer vom Verkehr auszuschliessen und den Städten in deren Bekämpfung hilfreiche Hand zu leisten. Hin und her gingen inzwischen die Kaperfahrten; war den Westländern die Ostsee versperrt, so fielen ihre Auslieger jedes Handelsschiff an, das sich aus dem Sund herausgetraute, und ebenso die Hamburger Schiffe, wenn sie ihren Weg nach Bergen nahmen oder an der friesischen Küste entlang nach England oder Flandern segelten. Dabei machten die Holländer kaum einen Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen des hansischen Verbandes. Wie sie ihrerseits einmal von den süderseeischen und dann auch von den flandrischen Städten verlangten,
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dass sie sich ohne weiteres gleichfalls der Fahrt an die russische oder preussische Küste enthielten, so scheuten sie andrerseits nicht vor der Wegnahme der Schiffe jener östlichen Gegenden zurück. Dreiundzwanzig livländische und preussische Schifte mit Baiensalz, die auf der Heimkehr begriffen waren, wurden also im Jahre 1438 ihre Beute. Bei solchen Verlusten beiderseits liess der Kriegseifer allmählich doch nach, ein Friedensabkommen, das im Jahre 1441 vereinbart wurde und einen Waffenstillstand zum wenigsten auf zehn Jahre vorsah, stellte die Verkehrsfreiheit im baltischen Meere wieder her. Während des nächsten Menschenalters blieb dieser ausdrücklich oder stillschweigend immer wieder verlängerte Vertrag die Grundlage. - Nur schweren Herzens waren hierbei die Bevollmächtigten der Hanse von ihrer Hauptforderung zurückgetreten, dass der Gegner sich allen Bestimmungen zu fügen habe, die von ihr in Sachen der Ordnung des Verkehrswesens erlassen würden. Andererseits war auch die Siegesfreude der Holländer mit nichten ungetrübt. Nicht allein dass ihr Wohlstand in den Kriegszeiten erheblich abgenommen, die Stockung des Tuchexports hatte dieser Hauptindustrie schwere Wunden geschlagen; grösse Anleihen waren nötig gewesen zur Bestreitung der kriegerischen Rüstungen: nun aber legte der Friedensschluss selbst der Bevölkerung Nordhollands nochmals schwere Lasten auf, um den sehr umfänglichen Zahlungsverbindlichkeiten zu genügen, die Dänemark, den Preussen und Livländern, dem Herzog von Schleswig und Spanien gegenüber eingegangen worden waren. Es sollen nun die manigfachen Verwicklungen der folgenden Jahrzehnte, die ‘nicht seltenen Versuche der Hansen dem Handel der Gegner trotz aller Verträge in der Ostsee Schwierigkeiten in den Weg zu legen, hier nicht weiter verfolgt werden.
In einer Hinsicht jedenfalls hatte sich das Blättchen zu Ungunsten der wendischen Städte gedreht. Die früheren Beherrscher Skandinaviens und
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Dänemarks, wenn sie auch hier und da in offene Feindschaft mit der Hanse geraten waren, hatten diese doch schliesslich als ebenbürtige Macht anerkennen müssen. So hatte es vor allem König Waldemar Atterdags Tochter, die ‘Semiramis des Nordens,’ während ihrer langen Regierung gehalten; und diese Praxis war auch von König Erich von Pommern beobachtet worden, bis er in der Not des Kampfes um die Erhaltung seiner Krone die Städte auf der Seite seines Todfeindes und Neffen, des Herzogs Christoph von Baiern, sah. Als aber dieser von kleinfürstlichen Anschauungen erfüllte in Verachtung städtischen Wesens aufgewachsene Prinz mit Hilfe der Hanse zuerst Reichsverweser und dann gekrönter König von Dänemark, Schweden und Norwegen geworden war, entdeckte er sein wahres Herz und glaubte fortan seinen Vorteil in einem Rollentausch suchen zu sollen. Er fing daher an sich auf die Holländer Livländer, und andere Ausländer zu stützen, mit deren Hilfe er dann die übermütigen Kaufherren Lübecks matt setzen wollte. In den Jahren 1443 und 1444 verlieh er einer Anzahl von Städten der nördlichen Niederlande ausgedehnte Freiheiten für ihren Verkehr in Norwegen. Gegen Ende seiner Regierung - er starb im Januar 1448 - bestätigte er den Kaufleuten von Holland und Seeland ihre Privilegien in den drei Reichen auf ewige Zeiten. Und hiermit begann nun in der That eine neue Phase in der Geschichte des Kampfes um das dominium maris Baltiri: Seit den Tagen König Christophs, so urteilt ein neuerer Forscher, ‘stand der gefährlichste und rücksichtsloseste Wettbewerber der Hanse im Ostseehandel dicht vor den Thoren der Ostseestädte’.
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VI
So kann man den niederländischen Historikern nicht durchaus Unrecht geben, wenn sie mit diesem langjährigen Ringen zwi- | |
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schen Ost- und Westsee die Begründung der Seegeltung ihres Vaterlandes in Verbindung bringen. Wenn aber die Erhöhung des politischen Ansehens der Westfriesen in der ganzen Welt des Nordens erst allmählich durchdrang, so hat doch auch die Festigkeit der wendischen Städte und ihr unbeugsamer Wille, das altüberlieferte Handelsmonopol in der Ostsee mit Waffengewalt zu behaupten, des Eindrucks auf die Zeitgenossen nicht ermangelt. Sogar im Westen scheint man durchaus nicht allgemein mit seinen Sympathien auf Seiten der Holländer und Seeländer gestanden zu haben, die in ihrer Bekämpfung der wendischen Städte ebenso ihren Sondervorteil im Auge hatten wie eben diese, wenn sie im allgemein hansischen Interesse den Ausschluss der Niederländer vom Ostseehandel zu betreiben vorgaben. Gewiss ist es kein Zufall, wenn die Vororte zweier der vier Quartiere Gelderlands, Arnheim und Roermond, 1441 in den Verband aufgenommen wurden und Utrecht im Jahre 1451 den gleichen Antrag stellte, der allerdings abschlägig beschieden wurde. Auch sonst liegen Anzeichen vor, dass der in Overyssel und den benachbarten östlicheren Bezirken gesuchte engere Anschluss an die Hanse eine Rückendeckung gegen das drohende Uebergewicht jener beiden westfriesischen Provinzen bezweckte. Leider verstanden es nun aber die leitenden bürgerlichen Staatsmänner in Lübeck und in den Nachbarstädten nicht, aus dieser für sie nicht ungünstigen Situation Vorteil zu ziehen. Ihnen, die in der Nachbarschaft nur schwächere territoriale Gebilde kannten und auch im Hinblick auf das lockere politische Gefüge in den skandinavischen Reichen keine allzuhohe Meinung von dem Inhalt königlicher Gewalt gewonnen hatten, fehlte nun
einmal das Augenmass für die ungeheure Machtfülle des sich eben damals erhebenden zentralisirten burgundischen Einheitsstaates. Nur so sind die Vorgänge erklärlich, die zum Schluss hier noch in Kürze berührt werden sollen.
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In der der Entstehung der eigentlichen Hanse vorhergehenden Periode war Köln ebenso die Führerin der an der Westsee belegenen Städte gewesen, wie etwa Wisby in eben jener Zeit der Mittelpunkt aller Kaufleute war, die Livland und Nowgorod besuchten. Schon im Jahre 1226 gehen die Lübischen England-fahrer für sich und ihre Bundesgenossen den Schutz Kaiser Friedrichs II. gegen den Missbrauch der Uebermacht an, den Köln auf dem Markt zu London sich zu Schulden kommen lässt.
Um so mehr waren die wendischen Städte darauf aus, den zweiten grossen Weltmarkt im Bereich der Nordsee, Brügge, zu heben, an sich zu fesseln und womöglich durch Anlage einer besonderen Vorstadt an dem dem Meere zueilenden Kanal zu einem dauerhaften Stützpunkt ihrer Macht zu machen. In guten und bösen Tagen hielt der deutsche Kaufmann daselbst zu der Stadt; zuerst im Einvernehmen mit den dortigen territorialen Machthabern. Als dann später Brügge mitsammt seinen Schwesterstädten gewaltsam dem burgundischen Einheitsstaat einverleibt werden sollte, trat er mit unverhohlener Sympathie für die Aufrechterhaltung kommunaler Autonomie ein. In den Wirren der hier in Frage kommenden Periode des beginnenden Niedergangs Brügges blieb indessen das gute Verhältnis zwischen der Niederlassung des deutschen Kaufmanns dort und der städtischen Verwaltung nicht immer ungetrübt. Ja bei dem Zerwürfnis, das im jahre 1451 zur Abberufung der Deutschen aus Brügge und Unterbrechung der Handelsgemeinschaft führte, gingen Stadt und herzogliche Behörden Hand in Hand in der Schmälerung der alt überlieferten Anrechte der Glieder des hansischen Kontors zu Brügge auf gerichtliche Ausnahmestellung und Steuerfreiheit. Zunächst nach Deventer und dann nach Utrecht, also in das Stift Utrecht, das erst einige Jahre später durch die Wahl Davids von Burgund zum Bischof (1457) in den unmittelbaren Bereich der neuen
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mitteleuropäischen Grossmacht einbezogen werden sollte, wurde das hansische Kontor verlegt. Schwer litt Brügge unter der Aussperrung, aber auch die nicht zur Lübeschen Gruppe der Hanse gehörigen Städte waren voller Unzufriedenheit mit dieser Maassregel, die von Lübeck sechs lange Jahre hindurch mit äusserster Energie aufrecht erhalten wurde, bis endlich in Folge, beiderseitigen Nachgebens der deutsche Kaufmann nach Brügge zurückkehrte. Erwies sich diese übergrosse Empfindlichkeit der Hansen den städtischen Behörden Brügges gegenüber als ein politischer Fehler, so hatte es noch verhängnissvoller gewirkt dass auf dem Hansetag zu Lübeck im Jahre 1447 dem Antrag des deutschen Kaufmanns zu Brügge Folge gegeben worden war, dass alle auch ausserhalb Flanderns in Brabant, Zeeland, Holland und Friesland weilenden hansischen Kaufleute nur in Brügge ihr Geschoss entrichten sollten. Es mag richtig sein, dass die weitverbreitete Umgehung der Geschosspflicht und das Emporkommen von ‘sogenannten wilden Lagern’ diesen Wunsch als begreiflich erscheinen liess. In Wirklichkeit aber verbanden durch diesen unklugen Schritt die Hansen ihr Geschick viel zu eng mit dem Brügges, dessen auf dem alten längst unhaltbar gewordenen Stapelzwang beruhende Blüte dem unvermeidlichen Untergang verfallen war. Wie in den Holländern und Brabantern so schuf sich Lübeck hierdurch nun auch in den süderseeischen, geldernschen und allen Städten in Westfalen sowie am Niederrhein, die unter Kölns Führung stets ein besonderes Quartier der Hanse gebildet hatten, erbitterte Feinde. Während Lübeck also ein Aussenwerk nach dem andern einbüsste, erstarkten Holland und Seeland, die dereinstigen Erben seines Ruhmes und seiner Macht, stetig und unaufhaltsam. Schon lange vor dem
Daseinskampf, der aus der Vereinigung mit Spanien geboren werden sollte, viele, viele Jahrzehnte vor den religiösen Wirren, ganz im gleichem Tempo mit dem Umsichgreifen und
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der inneren Festigung des burgundischen Einheitsstaates, vollzieht sich - namentlich von Nordholland und Seeland ausgehend - die Ablösung der späteren Generalstaaten vom Verbande des deutschen Reichs. Bis zu welchem Grade in der Folge so zu sagen das umgekehrte Verhältnis Platz griff und die Niederländer ihrerseits die Ostsee als ihre besondere Domäne und als die Hauptwurzel ihrer maritimen Kraft ansahen, darüber soll später einmal in diesen Blättern gehandelt werden.
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