Germania. Jaargang 6
(1903-1904)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdAn der BrennereiGa naar voetnoot(1)
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träge weiter, jedes, nachdem seine Fässer mit Spülung gefüllt waren. Der Regen fiel überflüssig, als wollte er die ganze Welt sättigen und das Wasser lief in breiten Streifen den Bauch und die Beine der Pferde hinunter, rann über dass Strassenpflaster nach den Rinnen und floss weg in die Rinnsteinlöcher oder sammelte sich zu grossen Schlammsümpfen an. Das Stossen der Maschiene klang dumpf-dröhnend durch die Luft, ab und zu begleitet durch das ängstliche Wiehern der Pferde. Die Fuhrleute suchten Schutz unter den offenstehenden Toren der Magazine, rauchend, in dreisten Haltungen sich gegen den Pfeilern lehnend und in ihrer Langweile pfiffen sie ihre melancholischen Strassenweisen, so endlos wie der Regen, durch den sie gedämpft und in dem sie verloren gingen. Die in der Umgegend liegenden Kneipen waren vollständig besetzt. In dem ‘Zoeten Inval’Ga naar voetnoot(1) klangen lärmend die Stimmen vieler Menschen. Aus dem dicken Tabaksqualm tauchten ihre Häupter auf mit unregelmässigen Linien in huschenden Bewegungen. Um die plumpen Kneiptische sassen Kartenspieler, Kerle von durcheinander laufenden Altern, voll Leidenschaft über ihr Spiel gebogen, mit Erregung die Schläge berechnend. Ab und zu begleitete ein Jauchzen oder ein Fluchen das Hinschlagen der Spielkarten oder das Aufschreiben auf der schwarzen Schiefertafel mit der kreischenden Kreide. Dazwischen bewegte sich das dicke Budikerweib, Bier und Schnaps schenkend, kwatschend und mit lebhaften Bewegungen. In der Ecke, in der Dämmerung, sassen ungefähr zwanzig an der Zahl, nach den Gesprächen zu hören, die jeder abwechselnd auftischte. Manche davon, die Beine lang ausgestreckt, andere das Haupt oder die Kinne auf ihrer Stuhllehne, mit kurzen Pfeifen oder einen Priem zwischen den Zähnen, nippten in Pau- | |
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sen langsam an ihrem Schnapsglase oder spuckten auf den Fussboden, vergnügt in der Atmosphäre häuslicher Wärme. Von Zeit zu Zeit erhob sich Einer oder der Andere um Platz für einen Andern zu machen, wenn seine Reihe an ihn kam um draussen zu laden - und diese Gruppe glich einer Malerpalette auf der stets alles harmonisiert, in Zusammensetzung von typischen, jungen und alten Kerls in ihren verschlissenen Kleidern, barchentschen Hosen, blauen Kitteln und schwarzen Mützen. Ihre Gespräche, die Geschichten von gewöhnlichen Erdmenschen, voll Glauben und Vorurteilen, Aufrichtigkeit und Roheit wurden die Gewächse ihres Bodens, aufgewachsen aus ihrer Umgebung, einträchtig mit ihrer eig'nen Lebensweise. Der Erzähler war ein kurzer, breitschultriger Bursche, mit blauen Augen; sein rötlich-blonder Schnurrbart überschattete seine roten Lippen, welche stets often, zwischen den glänzend-weissen Zähnen durch, wollüstig das Leben schienen ein zu atmen. Seine schweren, fleischigen Glieder streckten sich in einem blauen Kittel. Mit neugierigen Blicken hörten sie Sander'sGa naar voetnoot(1) Worte an, seine Worte, welche langsam aus seinem Munde flogen, sich zu unregelmässigen Sätzen bildeten und seiner Erzählung, voll Wiederholungen und Flüchen, zu einem Gesang von schrecknissvoller Furcht liess wachsen. Bewegt durch dieses entsetzliche Gefühl, niedergeschlagen durch seine Worte, blieben sie still sitzen. * * * Es war an einem Sommerabend. Er kehrte hauswärts von einer Probeversammlung eines Musikvereins. Er ging in der Nacht sich des heutigen Abends erinnernd: eines Seidels mit den ‘Floeren’Ga naar voetnoot(2), zwei Schnäpse mit DriesGa naar voetnoot(3) des radaumachenden | |
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Herberggequiekes und der Küsse der Dienstmagd auf der Kellertreppe; ein herrliches Ding, so ganz anders wie die dicke Budikerin. Diese Abende brachten ihn jedesmal in einer Betäubung voll gellender Freude, die ihm voll Wollust durch die Glieder fieselte.... und jetzt, wo er so ganz allein durch das Dunckel schlenderte, noch begeistert mit der glücklichen Laune, gewann ihn die Erregung abermals ganz und gar; er nahm seine Trompete, die er unter seinem Arme trug, setzte das Mundstück an die Lippen und liess seine Freude freien Lauf in Tanzweisen, welche durch die Nacht zitterten und über die Felder und Wiesen schwebten. Eine Fröhligkeit funkelte aus seinen Augen. Hurtig ging er seinen Weg. Plötzlich wurden seine Töne beantwortet, da hinten im Osten, eine Klarinette, weiter Nordwärts eine Posaune, dazwischen ein Paar Trompeten und die nächtliche Fanfare sandt eine Siegeshymne über die Ländereien!.... klein, gebückt zur Erde, erreichte Sander an seine Wohnung, unter dem grossen schweigenden Himmelsgewölbe voll der Sterne. Beim öffnen der Türe strömte ihm die muffige Luft der geschlossenen Wohnung entgegen; er trat zurück, lauschte nach den wegsterbenden Tönen und schloss dann langsam die Türe, voll Angst das Leben abzuschliessen, das Leben von der ganzen Welt dadraussen. Das ruhige Atmen des Viehes im Stalle zog leise durch das Haus. Geräuschlos stieg er nach seiner Bodenkammer unter den Dachziegeln und es wurde ihm noch schwermütiger zu Mute, da eine unbekannte Rührung sich seiner bemächtigte. Schnell entkleidete er sich unter seinem Bodenfenster gebückt, schaute dann nach seinem Schatten, der lang auf den Fussboden ausgestreckt lag, wie in einem Bade des Mondenscheines, das sanft durch die kleinen Scheiben hereinschien. Geschwind warf er sich auf sein Lager, mit steigender, irrender Angst. Seine Sinne gerieten in spannende, hitzige Erregung, es | |
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war ihm als wenn ein ihm bis jetzt noch ungekanntes Leben auf ihn aus der Ecken zuströmte. Dann entspannte sich wieder sein Gefühl und kraftlos lag er ausgestreckt. Irrend hatte er seine Blicke nach dem Fenster gerichtet und erschrack vor einem Wahnbilde, zähneklappernd gelähmt durch die Erschreckung. Es war ein langes, mageres, braunes Weib, mit herausstehenden Kinnbacken und schwarzen Augen, die fieberhaft glänzten; eine rote flanellene Nachtjacke, geschnürt durch einen blauen Unterrok zeichnete sie eckig ab in dem Mondenscheine, worin sie zu schweben schien. Ein neidischer, hartherziger Zug um den Mund, die dunklen Haare lose, wild zurückhangend und ihre blossen, entfleischten Arme vor sich ausstreckend, drang sie behutsam herein; scheinbar schritt sie durch die Kammer bis an sein Lager, blieb einen Augenblick regungslos und liess sich dann auf ihn niederfallen, ihm betäubend mit einem schweren, schwebenden Atem, welcher aus ihrem Munde über sein Anlitz wehte, während ihre abgemagerten Arme sich um sein en Leib schlangen. Vernichtet lag er ausgestreckt, tot gedrückt durch ihre Schwere, in der langsamen Schändung seines Leibes, konnte er nicht um Hilfe schreien und fühlte er seinen Willen gebrochen. Ihr Atem versengte sein Antlitz, liess sein Eingeweide brennen von unlöschbarem Durst und ihre Blicke drangen in ihn als wollten sie sich eingraben in seiner Seele, mit der Flammenschrift aus der Bibel. So blieb Sander liegen, hörte die Stunden schlagen, in stetigen gelassenen Klängen der Dorfuhr; sie drangen zu ihm durch, wie eine ferne Erinnerung vom Leben, das mit dem Tode in seinem Innern rang. In der bösen Umschlingung der verhängnissvollen Erscheinung blieb ihm sonst nichts, als eine endlose Erschreckung übrig, so dass sein Herz, mit schwerem, jagendem Gange, klopfte. Angstschweiss drang ihm aus dem Körper und stöhnend o...o...o... verlor er die Besinnung. | |
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Der Mond sank weg, liess jedoch noch einen schmalen Streifen seines Scheines auf dem Fussboden, die bleichen Sterne bleichten zurück vor dem störrischen Morgenrot, auf der Welt begrüsst durch Hähnekrähen, welches von einem Bauernhofe zum andern lief. Dann erst kam er wieder zum Bewusstsein, sah sie vor seinem Bette stehen, mit dem neidigen Zuge um den Mund. Plötzlich wandte sie sich um, schwebte weiter, stieg wied'rum in die Luft, worin sie sich zu zerteilen schien, um danach in unsicheren Linien in einer grossen Wolke aus einander zu gehen. Eilends sprang er von seinem Lager auf, endlich erlöst kleidete sich träumend an, stieg nach unten und öffnete schnell die Vortür. Draussen in der silbergrauen Atmosphäre eines warmen Regentages, schwebte eine trübe, schwermütige Gelassenheit. Sander stand auf der Schwelle, schaute fragend nach dem geschlossenen Luftraum; jetzt erst fühlte er wie sehr er verändert war nach dieser Nacht und stöhnend, angstvoll vor der höheren Macht, die ihm von jetzt an beklemmte, jammerte er klagend: ‘Ach Gott! Ach Gott doch!’ Ohne Gedanken spannte er das braune, röstige Pferd in den langen Spülungswagen, der beladen war mit leeren Fässern, wovon verschiedene mit Ketten unten an befestigt waren und träge hin und her schaukelten. Langsam zog das Tier vorwärts, durch einen breiten Ulmenweg, wo das junge Grün voll Lebenssaft üppig durcheinander wuchs. Die Leine in der Hand sass er in einander geduckt auf dem Hinterteil des Wagens, schaute nach der Bauernwirtschaft, wo alles bei seinem Verlassen derselben noch schlief und die er in der Ferne noch liegen sah mit dem Schieferdach, ein roter Fleck in der Mitte von vielem Grün unter leichter Bedeckung von Perlgrau. Der Weg krümmte sich, das Grüne nahm zu und entzog das Rote seinem Auge... dann nickte er ein | |
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und sein stolzes Mannshaupt schwenkte hin und her durch das fortwährende Schuckeln des plumpen Fuhrwerks. Plötzlich zog abermals die Hitze über sein Anlitz, ein Arm um seinem Hals gepresst, schien ihm zu erwürgen. Erwachend sah er die nächtliche Quälerin, ganz dicht neben ihm sitzen, ihm mit rätselvollem, neidigem, grinsendem Lachen um den Mund beguckend. Seine Augen, fest auf sie gerichtet, quollen ihm fast aus dem Haupte. Instinctvoll fühlte er den Drang, sich zu wehren, mit ihr zu ringen, zu vernichten das Wahnbild, das ihn so klein machte in seinem eigenen Geiste. Er zog eine schwere, hölzerne Runge aus dem Wagen, schwenkte sie über seinem Haupte und schlug sie dann nieder, mit der Bewegung eines Schlächters, der ein Stück Vieh tötet. Der Hieb kam auf den Wagen nieder, während sie langsam fortschwebte in der Luft, die ruhig, schwelgend die Unheimlichkeit aufnahm und umfliessend verhüllte. Der Gaul schritt weiter. Sander lag betäubt, das Holz in der Faust geprangt, mit den Zähnen knirrschend, auf dem Wagen.. in der Ferne umhüllt von einer grünen Aureole, stand sie, mit ihrer drohenden Faust, ihm reizend zu winken. Auf der Landstrasse kam er zur Besinnung. Es war ihm, als wäre er durch eine mächtige Männerfaust tot gedrückt; und 's Pferd, den Kopf nach dem Boden, zog langsam, geduldig auf der Landstrasse, weiter nach der Stadt. * * * Eine angstvolle Stille herrschte in der Kneipstube. Durch die wogende Sprache seiner naiven, eindruckvollen Erzählung, waren sie aufgeweckt in ihrer wilden, tiefleidenschaftlichen Einbildung, sie zitterten vor Schreck und das Wahnbild erschien vor ihren Geist in seiner herrlichen Verworfenheit. Dann erhob sich Sander, die Arme auf der Brust gekreuzt. | |
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Wie einen Barden aus alten Zeiten, umwogten seine Worte den Einfältigen als Gegenstück ihrer eig'nen Aengstlichkeit. Er schaute nach draussen in die graue Regenluft, vergass seine Zuhörer.... schwieg, starrte mit weit geöffneten Augen vor sich und im höchsten Augenblick der Offenbarung, die er den Leuten gab erschien vor ihm drohend, im Regen, das unheimliche Weib, wie ein Verhängnis.
Alb. KLUCHERT |
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