Germania. Jaargang 6
(1903-1904)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
[pagina 379]
| |
schiedenen politischen Parteien und ebenso verschiedenartig war das Publikum zusammengesetzt. Nicht aus Brüssel allein, sondern aus allen vlamischen Orten waren Zuhörer oder Vertreter vlamischer Vereine herbeigeströmt. Es handelte sich besonders um eine öffentliche Gesamtkundgebung des vlamischen Volkes für den Gesetzentwurf Coremans, den vlamischen Unterricht in den Privatschulen betreffend. Die Versammlung nahm unter begeisterten Zurufen die Entschliessung an, die Kammern zu ersuchen, noch während dieses Jahres den Gesetzentwurf vorzunehmen und zum Gesetz zu machen. Was uns besonders interessirt, ist die Tatsache, dass zwei der Redner die Zusammengehörigkeit der Vlamen als Stammesgenossen mit Deutschland deutlich betonten, was bis heute noch nie so offenkundig und ausdrücklich hervorgehoben worden war, ein Zeichen, dass unter den Vlamen und nicht bloss unter den Führern, sondern auch unter dem Volke der germanische Gedanke bedeutende Fortschritte gemacht hat. Auf unverdächtige Aussrpüche französischer Gelehrten gestützt, bewies der tapfere Vorkämpfer Reinhart aus Brüssel, dass die lateinische Rasse ihre führende Rolle unter den Völkern verloren hat und dass die nächste glänzende Zukunft dem Germanentum gehört, es also nicht nur aus völkischen Gründen, sondern aus rein praktischen eine Pflicht ist, das Vlamische gründlich zu unterrichten, dass es der beste Schlüssel ist zu den germanischen Sprachen, die jetzt schon den Welthandel und Weltverkehr beherrschen. * * * Eine empörende Rechtsverletzung ereignete sich jüngst am Brüsseler Gerichtshofe. Der überzeugte vlamische Staatsanwalt De Hoon sprach vlamisch, weil die ganze Sache in vlamischer Sprache untersucht und eingeleitet worden war. Als er trotz einer Mahnung des Vorsitzenden fortfuhr vlamisch zu sprechen, wurde die Sitzung aufgehoben und der Gerichtshof zog sich zur Beratung zurück. Nach zehn Minuten erging der Befehl, der Staatsanwalt müsse französisch sprechen, der nunmehr den Antrag stellte, die Sache aufzuschieben, damit er Zeit habe, seine Rede zu übersetzen. Die drei Richter, die den Spruch gefällt haben, sind alle drei Vlamen. Der Fall wird aber zu einer Interpellation in der Kammer Anlass geben. * * * Das Vlamische im Richterstande. - Eine Abordnung des jüngsten Rechtskongresses ist kürzlich vom Justizminister empfangen worden und hat von diesem das Versprechen erhalten, dass von jetzt an von den Rechtsanwälten, die in den Richterstand überzutreten wünschen, die gründliche Kenntnis der vlamischen Sprache gefordert werden wird. Er hat diesbezüglich ein Rundschreiben an die Vorsitzenden der vlamischen ‘Pleitgenootschappen’, eine | |
[pagina 380]
| |
Art Uebungsvereine für vlamische Rechtsgelehrte, erlassen, um diese zu ersuchen, ihm jährlich eingehend Bericht zu erstatten über ihre Mitglieder und deren Arbeiten, um bei bevorstehenden Ernennungen von neuen Richtern davon Gebrauch machen zu können. Dies ist insofern von Bedeutung, als sich die Anwälte, die sich zum Richteramt melden, nicht mehr so leichtherzig dem Erlernen des Vlamischen gegenüber verhalten werden, wie dies gegenwärtig nur zu sehr der Fall ist.
* * *
Gefährlicher Einfluss Frankreichs auf die Bildung in Belgien. - Soeben ist wieder seitens der Eisenbahnverwaltung Belgiens ein französisches Blatt an der Südgrenze verboten worden. So steigt die Anzahl der bis heute in Belgien verbotenen französischen Blätter auf 72, gewiss bezeichnend für ein Land, wo sonst die grösste Pressfreiheit herrscht. Kein Wunder, dass die Vlamen dadurch gestärkt werden in ihrem Streben, das sie mit vollem Recht national nennen dürfen, den französischen Einflus entschieden zu bekämpfen.
* * *
Rekrutirung in Belgien. - Aus Brüssel schreibt man uns unterm 14 d. Ms.: Jedes Jahr sehen die Bürger mit Schrecken die Tage nahen, wo die Wehrpflichtigen ausgelost werden sollen. Man batte dies Jahr Massregeln getroffen um die Sache an einem Tage statt wie früher in dreien abzutun, damit der friedlichen Bevölkerung die Szenen von bestialischer Trunkenheit und wildem Gebrüll möglichst erspart blieben. In keinem Jahre aber ist es so schrecklich zugegangen wie grade diesmal. Es sind nicht weniger als ein halbes Dut zend Totschläge zu verzeichnen. Man hat jetzt den Vorschlag gemacht, die Wehrpflichtigen nicht mehr selbst die Nummer ziehen zu lassen, sondern dies einem Waisenknaben anzuvertrauen. Dies alles, weil man sich nicht dazu entschliessen kann mit der Zeit zu gehen und das natürlichste der Bürgergesetze und pflichten, die allgemeine Wehrpflicht, einzuführen.
* * *
Zum Basuch des Königs der Belgier in Berlin. Der Besuch des Königs und der herzliche Emfpang seitens des deutschen Kaisers hat hier allgemein den günstigsten Eindruck gemacht. Die französischen Blätter geben den Vlamenblättern nichts nach in ihrem Lobe und man merkt nur zu gut, wie leicht die Deutschenfresser sich in Deutschfreunde umwandeln liessen, wenn das augenblickliche Bedürfnis der Annäherung unsres Königs etwa festere Formen annehmen und greifbare Ergebnisse zeitigen sollte. Nur ein halb belgisches, halb französisches Blatt | |
[pagina 381]
| |
lässt sich giftig über den königlichen Besuch aus, täuscht den Kenner aber kaum über die wirklichen Gründe dieser Stimmung. Das vlamische Hauptorgan Brüssels ‘De Vlaamsche Gazet’ nimmt unverblümt Stellung zu diesen franzosenfreundlichen Auslassungen und erwidert: ‘Die angebliche Sympathie für Frankreich sei nur sehr oberflächlich, viel eher ein Gefühl der Dankbarkeit von Journalisten wegen erhaltener Dekorationen. Die 4,000,000 Vlamen fürchten mit Recht die feurige Liebe Frankreichs für den schönen Bissen Belgien und sehr viele Walen, besonders an der Ostgrenze, welche Deutschland näher kennen, empfinden die grösste Achtung für das Deutsche Reich. Im Namen des Vlamentums protestiren wir gegen die kränkende Sprache des franztollen Blattes, das nur Ohren für Frankreich hat.’
* * *
Der Kampf gegen die Lex Coremans, die bekanntlich bezweckt, die klerikalen Privatschulen zur Aufnahme des vlamischen Unterrichts zu zwingen, zeitigt eigenartige Blüten. Ein Genter Hochschullehrer bekämpft in einem hervorragenden katholischen Blatt den Gesetzentwurf als verfassungswidrig und kommt Zu dem Vorschlag, dass in dem Gesetz nicht von zwei, sondern von drei nationalen Sprachen gesprochen werden müsse, nämlich von der französischen, der vlamischen und der deutschen. Dies entspricht ja insofern den Tatsachen, als wirklich die deutsche Spracheder vlamischen und französischen gleichgestellt sein soll, da ja in Belgien auch etwa 60,000 Deutsche, hauptsächlich in der Umgebung von Arel, wohnen. Wenn nun auch der Zwcek dieses Vorschlages offenbar der ist, die Forderungen der Vlamen al absurdum zu führen, so sind diese doch weit davon entfernt, sich dem Vorschlag zu widersetzen. Es wäre ihnen sogar sehr erwünscht, auf diese Art die Deutsch-Belgier zur Bundesgenossen zu erhalten, die sich bisher, da sie allzusehr unter französischer Vormundschaft stehen, leider dem Kampf der Vlamen für ihre nationalen Rechte, dessen Früchte ihnen ja auch zugute kommen müssen, allzusehr ferne gehalten haben. Diese Waffe dürfte also ziemlich stumpf sein. |
|