Germania. Jaargang 6
(1903-1904)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Karl Lamprechts Deutscher Geschichte, von der diese Zeitschrift hier und da Proben mitgetheilt hat, erörtert der Verfasser aus seiner tiefen Kenntniss der Vergangenheit heraus die Frage, welche Staaten der Gegenwart als moderne Weltmächte bezeichnet werden könnten. Russland, das deutsche Reich, Oesterreich-Ungarn, Italien, Frankreich und England sowie die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan, sie alle lässt der Leipziger Historiker an unserem geistigen Auge vorbeigleiten, aber nur den drei grossen germanischen Staaten, der Union, Grossbritannien und Deutschland erkennt er das Maass von Expansionskraft auf wirthschaftlichem Gebiete zu, das in dem Getriebe der Weltwirthschaft der Gegenwart auf eben jenen Rechtstitel Anspruch verleiht. Indem Lamprecht dann des Weiteren die Ausbreitung unseres Handels durch Kaufleute unserer Nationalität auf dem ungeheuren Erdenball verfolgt, kommt er auch auf den Antheil zu sprechen, den Angehörige des deutschen Volkes an der Entwicklung des niederländischen Ostindiens im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts genommen haben. ‘Ueberwiegend handelt es sich hierbei um rein kommerzielle Angelegenheiten, vornehmlich um den Tabakhandel.’ In jenem Bezirk, so hebt er treffend hervor, seien freilich niederländische und deutsche Interessen in der Form der Teilhaberschaft und der Kreditvereinigung derartig verquickt, dass sich eine Scheidung nach Nationalitäten kaum durchführen lasse. Immerhin aber liege zum Beispiel die Verschiffung der gesamten Tabakernte von Ostsumatra in der Höhe von 200.000 Ballen ausschliesslich in den Händen deutscher Häuser. Schon 1898 seien die deutschen Werte in den niederländischen Kolonien auf 100 bis 150 Millionen Mark geschätzt worden. An diese Schilderung musste der Schreiber dieser Zeilen denken, als vor einigen Tagen die Kunde von dem Ableben des Mannes durch die Zeitungen lief, den man als den | |
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hervorragendsten Begründer deutschen Ansehens in den niederländischen Besitzungen wird ansehen dürfen. Am 3 November starb in Amsterdam hochbetagt im drei und achtzigsten Lebensjahr P.W. Janssen, der allbekannte erste Direktor der Deli-Maatschappij. Wohl ziemt es sich in unserer Zeitschrift an die Thätigkeit und die reichen Erfolge des seltenen Mannes zu erinnern, denn Deutsche wie Niederländer haben Ursache stolz zu sein auf diesen Niedersachser, der vor nunmehr 60 Jahren mit dem Gedanken nach Amsterdam kam, sich im fernen Ostindien sein Glück zu suchen. Die ersten Dezennien in der Fremde freilich schienen dem jungen Oldenburger aus Langeroog, der in Bremen seine Lehrzeit durchgemacht hatte, seinem ursprünglichen Ziel fern zu halten. Zunächst trat er in ein Geschäft in Amsterdam ein, dann versuchte er es zunächst mit, dann ohne Kompagnon auf eigene Faust, dergestalt gelangte er als Getreideagent im Laufe der Jahre zu verdientem WohlstandGa naar voetnoot(1). Die Gelegenheit nun aber auch in grösseren Verhältnissen zu wirken zeigte sich erst, als unser Landsmann zu Ende der sechsziger Jahre in Beziehung zu I. Nieuhuis kam, der eben damals herausgefunden hatte, dass der Boden des östlichen Sumatra sich vorzüglich für den Tabakbau eigne. Eine umfängliche vom Sultan von Delhi gewährte Landkonzession eröffnete grosse Aussichten, wofern sich nur ein Betriebskapital mässigen Umfangs herbeischaffen lasse. Indem Janssen hier beherzt zugriff und als gereifter Mann bereit war, seine Ersparnisse dem Lande zuzuwenden, das ihm in der Jugend glückverheissend aus der Ferne gewinkt hatte, legte er den Grund für seine spätere Stellung als fürstlicher Kaufmann. Gleich die erste Ernte ergab einen unerwartet reichen Ertrag, | |
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weitere Kreise begannen sich für die Tabakplantagen Sumatras zu interessiren, die Deli-Maatschappij [...], deren Direktor unser Landsmann fast bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts blieb. Ein reicher Goldstrom floss nunmehr in das Mutterland zurück, der neue Handelsartikel erlangte Weltruf, Amsterdam stieg zum ersten Tabakplatz empor. Es ist hier und da darauf hingewiesen worden dass Janssen es in einer Art von souverainem Stolz für unnöthig erachtete sich in der neuen Branche wirkliche Waarenkenntniss an zu eignen. Der Mann, der unbeschwert durch gelehrtes Wissen mit offenen Blick zumeist vom Leben gelernt hatte, hatte genug andere Eigenschaften in die Wagschale zu werfen. So verstand er es meisterhaft zu organisiren, nicht wenige seiner jungen Landsleute wusste er - und wahrlich nicht zum Schaden der Sache - für die Gesellschaft zu gewinnen. Wie fern ihm aber alles Cliquenwesen war und wie ernst er über seine Pflicht der Gesellschaft gegenüber dachte, bewies die Thatsache, dass er seine eigenen Söhne absichtlich dem von ihm ins Leben gerufenen Unternehmen fern hielt. Aufmerksamen Blicks verfolgte der schlichte Mann - der Freund der Kinder und Blumen wie man ihn genannt hat - die wirtschaftliche Entwicklung seiner Zeit. Der ungeheure Aufschwung stellte sich in seinen Augen dar als im Fortschritt der Menschheit zum Guten. Als Einer von denen aber die dadurch eines bis dahin unerhörten Reichtums theilhaftig geworden waren fühlte er sich durchdrungen von der Verpflichtung seinen Mitmenschen zu helfen und ihnen wohl zu thun, wo sich nur immer ein wirklich guter Anlass darbot. Am liebsten freilich sollte sein Name bei allen diesen Werken der Barmherzigkeit und fördern der Menschenliebe nicht genannt werden. Wenn es aber doch geschah und ihm der Dank übermittelt wurde, dann hatte der Mann, der beim Verkauf seiner Waare hier und da kleinlich | |
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sein konnte, eine wahrhaft vornehme Art ihn abzulehnen und sich als den empfangenden Theil hinzustellen. Denn was seine Wohltaten so schön und liebenswerth machte, das war der Umstand, dass jeder bald die Ueberzeugung gewann, Janssen gebe in Wahrheit mit dem Herzen: ‘Kein Dank! ich gebe nur von meinem Ueberfluss und nichts, was ich entbehre.’ Nur der Arme der die Hälfte seines Brotes dem Mitmenschen darreiche obwohl er selbst hungere, hatte nach dem Ausspruch dieses edlen Menschenfreundes Anrecht auf Menschendank. Obwohl Janssen Bürgerrecht in dem Lande erwarb das die Tage seines Glücks sah, hat er, wie nicht anders zu erwarten, seiner Heimath nicht vergessen. Davon weiss das kleine Nordseeiland zu erzählen, auf dem er geboren wurde, dafür zeugen vor allem auch seine Landsleute in den Niederlanden. Wie der deutsche Schulverein in Rotterdam, so legten auch Vertreter der Kaiser-Wilhelm-Schule und des Deutschen Hülfsvereins zu Amsterdam an seiner Bahre im dem stillen Hause an der Keizersgracht Kränze nieder. Nachdem aber der Altminister Cremer am offenen Grabe ergreifende Worte der Freundschaft gefunden hatte, nahm der deutsche Generalkonsul Gillet nochmals das Wort, um auch in deutscher Sprache dem deutschen Manne den tiefempfundenen Dank aller Landsleute darzubringen. Der alten und der neuen Heimath, jeder auf die geeignete Weise gerecht zu werden, war Janssen Herzensbedürfnis. Aüsserlich bekundet sich dieser Zwiespalt in einer seiner schönsten Stiftungen: In dem etwa vor zehn Jahren in Amsterdam begründeten Asyl für alte Männer und Frauen sind für beide Nationalitäten je 30 Betten bestimmt. Wir Deutsche aber sind stolz auf diesen Volksgenossen, der, wie einer seiner Freunde sagte, dem deutschen Namen in der Fremde ein Ehrenmal errichtet hat. |
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