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Auf den Spuren eines deutschen Dichters
Gedenkblatt zur Denkmalsfeier fur Hoffmann von Fallersleben
durch Paul Everts (Brussel)
Bei einem Glase deutschen Bieres lernte ich vor längerer Zeit hier in Brussel den Besitzer und Chefredakteur des ‘het laatste Nieuws’, der meistgelesenen hiesigen flämischen Zeitung, kennen. Herr J. Hoste, so ist der Name des jugendlich-greisen Herrn, ist einer der Vorkämpfer der flämischen Bewegung und
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somit naturgemäss ein Freund unseres deutschen Volkes. Diese Begegnung war mir um so wertvoller, als ich gerade wenige Tage zuvor beim Durchlesen einer Nummer seines Blattes dort eine Uebersetzung (‘Vertaling’) unserer ‘Wacht am Rhein’ in flämisch gefunden hatte. Es mag wohl dem Leser ebenso viel Freude machen, wie mir, sie kennen zu lernen; deshalb möge sie hier folgen:
De wacht aan den Rijn
Daar klinkt een kreet als donderknal,
Als zweerdgekletter, golvenschal:
Ten Rijn! ten Rijn, ten Duitschen Rijn!
Wie zal des stroomes hoeder zijn?
Lief Duitschland, gij moogt rustig zijn!
Sterk staat en trouw de wacht ten Rijn!
Door duizend boezems trilt het snel,
En aller oogen bliksmen hel.
De Duitsche jongling sterk en vroom
Beschut des landes heilgen stroom.
Hij blikt omhoog ter hemelsfeer,
Daar blikken heldenvaders neer.
Hij zweert met stouten strijdersgloed:
Gij, Rijn, blijft Duitsch gelijk mijn bloed!
En of mijn hart in doodsangst breek,
Nooit stroomt gij door een waalsche streek.
Zoo rijk aan water is uw vloed,
Is Duitschland rijk aan heldenbloed.
Zoolang een druppel bloed nog laait,
Nog eene vuist den sabel zwaait,
En nog een arm de bukse spant,
Betreedt een vijand nooit uw strand!
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En de eed weergalmt, de golve zwelt,
De vanen fladdren over 't veld.
Ten Rijn! ten Rijn! ten Duitschen Rijn!
Wij willen al beschermers zijn!
Lief Duitschland, gij moogt rustig zijn!
Sterk staat en trouw de wacht ten Rijn!
In längerem Gespräch kamen wir, von der flämischen Bewegung ausgehend, auf Herrn H. 's persönliche Beziehungen zu Deutschland zu sprechen. Ich war überrascht zu erfahren, wie gross die Zahl allbekannter deutscher Männer war, denen er, sei es im brieflichen Verkehr, sei es durch persönliches Bekanntwerden, nahe getreten war. Zum Schlusser unsere Unterhaltung sagte mir Herr H. - immer in deutscher Sprache, die er gern und fliessend spricht -: ‘Wenn es Sie interessieren sollte, kann ich Ihnen verschiedene Briefe und Gedichte Hoffmans von Fallersleben zeigen, den ich sehr gut gekannt habe.’
Am folgenden Tage schon waren die Sachen in meinem Besitze!
Es ist nicht zu verwundern, dass Hoffmann, einer unserer ‘deutschesten’ Dichter, dessen Wahlspruch ‘Ganz dem Vaterlande’ war, innigen Anteil genommen hat an der Sache der Flamen, eines deutschen Bruderstammes in ihrem Lande, an ihrem Kampfe für Sprache und Recht. Ebenso natürlich ist es, dass er durch Wort und Schrift den kämpfenden Brüdern treu zur Seite gestanden hat. Sagt er doch selbst: ‘Die Freunde der flämischen Bewegung sind auch meine Freunde!’ Hoffmann von Fallersleben war, wie mir Herr Hoste versicherte, des Flämischen vollkommen mächtig. Ich will hier nur eben daran erinnern, dass er es ist, dem die Niederdeutschen die Wiedererlangung eines der wertvollsten Schätze ihrer Volksliteratur verdanken: des Antwerpener Liederbuches von 1544. Nachdem es unter der Herrschaft der Spanier im Jahre 1596 mit vielen anderen Perlen der flämischen Literatur auf Befehl des Herzogs
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Alba vernichtet worden war, blieb es lange Jahre völlig verschwunden, bis Hoffmann ein letztes Exemplar in der Wolfenbütteler Bibliothek entdeckte und das Buch neu herausgab.
Leider ist von all den Beweisen seiner tätigen Anteilnahme nur ein kleiner Teil übrig geblieben, was die grosse Anzahl der leeren Briefumschläge und Streifbänder beweist, die sich unter den mir von Herrn H. in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellten Papieren befinden. Was noch vorhanden ist, ist wert, dass Hoffmanns Landleute und Verehrer es kennen lernen. Dem Ruhmeskranze des Dichters flicht es ein neues Blatt ein.
Ich glaube nicht, dass es nötig ist, den Lesern dieser Zeilen umständlich Auskunft zu geben über die Verhältnisse, auf die sich die in Frage kommenden Briefe und Dichtungen Hoffmanns beziehen. Einige kurze Bemerkungen zu wenigen Punkten werden zum Verständnis genügen.
Vor mir liegen eine Anzahl Streifbänder und Briefumschläge, sowie drei Briefe mit Einlagen. Alle tragen in der charakteristischen Handschrift Hoffmanns (von der er selbst in einem der Briefe mit Recht sagt, dass sie leserlich sei) die Adresse: ‘Den Heere Julius van Thielt, Hoofdopsteller der “Zweep”. Elsener Steenweg 91, Brüssel’ Jul. van Thielt ist das Pseudonym des Herrn J.H., unter dem sowohl seine Zeitungsartikel wie auch viele seiner flämischen Gedichte erschienen sind. Die ‘Zweep’ (Geissel, Peitsche) ist der Name eines damals schon von Herrn H. herausgegebenen humoristisch-satirischen Wochenblattes, das auch heute noch existiert.
Auf der Rückseite der Briefumschläge befindet sich entweder das Siegel der ‘Fürstlichen Bibliothek Corvey’ oder Privatsiegel Hoffmanns mit den Inschriften: ‘Soli tibi patria’ ‘Klar und wahr’, ‘Sic nos, non nobis’.
Der Inhalt des ersten noch vollständig erhaltenen Briefes ist folgender:
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Schloss Corvey, 26. April 1872.
Hochgeehrter Herr!
Ein deutsches Lied mit deutscher Volksweise! Ich hoffe und wünsche, dass Sie es gerne in die ‘Zweep’ aufnehmen. Die Fransquillons müssen nicht glauben, dass wir dem Kampfe unserer Brüder um die heiligsten Belangen teilnahmlos zusehen. Nebenbei mögen auch die Vlamingen es nicht verschmähen, ein Lied in der Sprache ihrer Freunde zu singen, nachdem sie so lange und leider! so gerne die Lieder ihrer Feinde gesungen haben.
Mit deutschem Grusse Ihr Ergebener
H. v. F.
Siegel: Soli tibi patria.
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An die Männner von Flandern
Der Kampf mit den Welschen
Den mächtigen Schlachtruf:
Der Kampf mit den Welschen
Schloss Corvey, 24. April 1872.
Hoffmann von Fallersleben.
Dazu auf einem andern Blatt: die erste Strophe des Gedichtes mit der von Hoffmann auf selbstgezogenen Notenlinien geschriebenen, mit Stärke- und Zeitmassbezeichnung versehenen Melodie des Liedes: ‘Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein!’
‘Schild ende Vriend!’ (Schild und Freunde!) ist der alte flä- | |
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mische Schlachtruf, der manchen Lesern vielleicht aus der Geschichte oder Literaturr z. B. aus ‘Der Löwe von Flandern’ von H. Conscience (in deutscher Uebersetzung und Bearbeitung von A. Schowalter) bekannt sein mag. (Letzteres übrigens ein Buch, welches jeder Volks- und Jugendbücherei nur unbedingt zur Anschaffung empfohlen werden kann.)
Der zweite Brief hat folgenden Wortlaut:
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Zum Sprachkongress in Antwerpen
Das ist die rechte Regung,
Wenn Ihr mit Herz und Hand
Nur flämisch denkt und sprecht
Und mit Gesang und Worten
Den Fluch der Welschheit brecht.
Hört nicht umsonst ihr Mahnen
Ihr edler Geist mag schweben
Nur so kann sich gestalten
Nur so kann endlich walten
Nur Mut! es muss gelingen!
Harrt aus! was auch geschieht -
Bald sollt Ihr selbst Euch singen
Schloss Corvey, 18. August 1873.
Hoffmann von Fallersleben,
Hochgeehrter Herr!
Vorstehendes Gedicht bitte in die ‘Zweep’ aufzunehmen und zwar nicht nur der Sache, sondern auch um meinetwillen, damit die Freunde der flämischen Bewegung, die ich auch als meine betrachte, erfahren, dass ich ihren edelen Bestrebungen fortwährend meine innigste Theilnahme bewahre.
Mit deutschem Gruss und Handschlag
H. v. F.
Auch hierzu einige erläuternde Worte: Bald nach den belgischen Befreiungskriegen von 1830 machte sich unter Holländern und dem flämisch sprechenden Teile der Belgier das Be- | |
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dürfnis geltend, auf Grund gemeinsamer Sprache - obschon politisch getrennt - sich zu nähern, namentlich um dies zu fordern. Es kam zu vielen Sprachkongressen, die in den verschiedensten Städten beider Länder abgehalten wurden, und deren eine Haupterrungenschaft die Aufstellung einer fürs Flämische und Holländische gemeinsamen Schriftsprache (‘Nederlandsch’) ist.
Schloss Corvey, 18. (1) Nov. 1873.
Hochgeehrter Herr!
Gestern erhielt ich Nr. 46 der ‘Zweep’. Ich danke Ihnen bestens und Herrn Hiel. Leider ist mir Nr. 43 der ‘Zweep’, Zondag, 25. Oktober, nicht zugekommen. Da ich darin mein Gedicht an Herrn von Balan vermute, so bitte mir diese Nummer noch zukommen zu lassen und zugleich ein Exemplar an die ‘Westfälische Zeitung’ zu senden unter Adresse: Herrn Friedrich Hasenow, Redakteur der ‘Westfälischen Zeitung’ zu Dortmund.
Herzlich grüsst Ihr Ergebener
H. v. F.
Siegel: Soli tibi patria.
Herr Hiel ist der vor einigen Jahren verstorbene Emanuel Hiel, einer der bedeutendsten neueren Dichter der Flamen. Von seinen Werken möchte ich hier nicht unterlassen anzuführen: ‘Lucifer’ ‘Die Schelde’, ‘Prometheus’, ‘Der Wind’. Manche seiner Dichtungen sind von den belgischen Meistern Benoit und Gevaert in Musik gesetzt und bilden die Glanzpunkte patriotischer belgischer Musikausführungen. Em. Hiel war eine in Brüssel - auch bei uns Deutschen - allbekannte und allverehrte Persönlichkeit. Wir alle sehen ihn noch vor uns, den alten Herrn in weissem, lang herabwallendem Haar und grauen Bart. Uns störte auch sein ällerdings sehr unmoderner Zylinderhut von riesigen Dimensionen (à la Ohm Krüger) nicht, der manchem, der eben ‘Emanuel Hiel’ nicht kannte, Anlass zu
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mitleidigem Lächeln oder spöttischen Bemerkungen gegeben haben mag. Hiel war ein Freund der Deutschen und des Deutschtums. Auf manchem unserer deutschen patriotischen Feste hat er uns begrüsst und manches durch einen Gruss in flämischer Sprache verschönt.
Schloss Corvey (Höxter), 9. Dezember 1873.
Hochgeehrter Herr!
Auf meinen Brief von 17. November habe ich mich bis jetzt noch keiner Antwort zu erfreuen, weiss also nicht, ob mein Gedicht an Herrn von Balan gedruckt und übersetzt ist.
Ich sende Ihnen heute das allerliebste innige und sinnige Gedicht von Coopmann Möchte es hochdeutsch nicht zu viel von seinem ursprünglichen Reize eingebüsst haben! Ich wünsche, wenn Sie ihm auch in dieser Gestalt eine Stelle gönnen, dass es recht korrekt gedruckt werde; ich schreibe ja so deutlich dass über keinen einzigen Buchstaben ein Zweifel sein kann. Herrn Demol, der es verstanden hat, das schöne Lied in Tönen zu verschönen, sowie dem Dichter bitte meinen herzlichen Gruss und Dank auszusprechen.
Nunquam retrorsum.
Hochachtungsvoll Ihr ergebener
H. v. J.
Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, class wir andern hiesigen Quellen noch mehr Erzeugnisse der politischen Muse Hoffmanns von Fallersleben zu verdanken haben werden. Mögen die vorstehenden schon jedem Deutschen, insbesondere denjenigen, die mit mir besondere Verehrer Hoffmanns sind, soviel Genuss bereiten, wie ich und manche hiesige deutsche Freunde an ihnen Freude gehabt haben.
in der ‘Täglichen Rundschau’
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