Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdAlkmaar, die Düftereiche
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‘In Alemaria fängt der Sieg an,’ heisst es in der Chronik. Unfern von der Stadt liegen spärliche Trümmer des von den Spaniern zerstörten Stammschlosses der Grafen ‘Egmond’ malerisch verstreut. Die landschaftliche Reize Alkmaar's, so wie Charakter und Anschauungsweise seiner Bewohner schildert zutreffend ein dort bei Koster u. Ko. 1898 in vier Sprachen erschienener ‘Führer’. In der deutschen Ausgabe empfiehlt derselbe, ebenso wie in den drei anderen, ‘den Fremdlingen, die häufig an Schwitzfüssen zu leiden pflegen’, ehe sie sich seiner Leitung anvertrauen, etwas ‘Speck oder Schmalz einzustecken.’ ‘Dreimal einreiben’ befähige ihn auf Dünenwegen bis an den Grenzpfahl Alkmaar's zu folgen, wo auf eine hübsche Schilderij (Bild) aufmerksam gemacht wird, die einen geistlichen, einen Soldaten, einen Advokaten und einen Bauern zeigt. Der letztere sagt zu den übrigen: ‘Obschon Ihr betet, kämpft und plädiert, habe ich doch die Henne, welche die Eier legt.’ Und wie dieser Bauer denkt jeder hier zu Lande, jeder hält den Bauern- für einen Ehrentitel. Ein Fischer stellte sich mir mit den Worten vor: ‘Ick ben ein Fisker - Bur! - Nachstehendes zum Ruhm Alkmaars aber entnehme ich wörtlich seinem Führer’, der besonders die Wissenschaftlichkeit der 17,000 Einwohner rühmt. Für diese und speziel ihre deutschen Sprachkenntnisse legt er selbst folgenden überzeugenden Beweis ab: ‘Wenn man die zahlreichen, flinken Gebäude und trotzigen Kirchen sieht und besonders jenen erstaunlichen Gashalter, der alles beherrscht, so wird jeder Fremdling beistimmen müssen, dass die Stadt und ihre Einwohner in lichtgebendem Vermögen nicht hintenaus gegangen seien und der sichtbare Beweis ihres Geschmacks und Kunstgefühls ist die Kunstbutterfabrik Kinheim, die innerhalb dieses Gesichtskreises fallt. Links die Ebene voll Abwechselung, das schönste Vieh auf den üppigsten Weiden, wie mit Dörfchen und den notwendigsten Mühlen bestreut, | |
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was Nord-Holland so eigentümlich macht. Rechter Hand der Dünengürtel, dergerade hier solche schönen, launenhaften Formen hat. Der Wind, welcher die Dünen bildete, spielt, wo es ihm möglich ist, fortwährend mit dem Sande. Ueber den einsamen Dünen schweben viele Vögel, welche durch Gekreisch und Geschrei die Ruhe noch stärker auskommen lassen.’ Von den Einwohnern meint der Führer, ‘dass sie, obwohl sie alle Heiligen hassen, doch gute Menschen seien.’ ‘Selbst den St. Nikolaustag’, so fährt er fort, ‘erkennen sie nicht; statt davon feiern sie ara zweiten Christtag das Fest “des goldenen Engels” einigermassen auf der Art des St. Nikolaustages. Daraus mag man schliessen, dass dieses Vorurteil auf Prinzipien und gelehrten Einsichten und nicht auf Sparsamkeit beruht. -’ Ich habe Alkmaar, ‘die Düftereiche’ benannt, zunächst weil ich den hübschen, altertümlichen Ort an einem Freitag zuerst betreten, wo sein malerischer Marktplatz in einen einzigen, ungeheuren Käsegarten verwandelt ist. Käse- und Kuhduft aber sind, wie oben bestätigt, dem Holländer lieblicher denn Weihrauch, er verbindet mit Kuh und Kalb die höchsten und reinsten Begriffe. ‘Hij is een goed kalf’ bedeutet: er hat ein gutes (Kalbs-) Gemüt, oder wie wir sagen: Er ist eine Seele von einem Menschen. Wo wir ‘hundemüde’ sind oder ‘müde wie ein Pferd’, ist der Holländer: so lui as eene koe. Der niederländische, gemeine Mann (im Sinne unseres ‘deutschen Michels’) heisst Jantche Koe (Hänschen Kuh), ein Gegenstück zu John Bull. Betritt man die Wohnstube einer hiesigen Kuh, - Stall kann ich ihren Zierraum nicht wohl nennen - so drängt sich, wenn einem der Mund nicht vor Staunen offen bleibt, Mephistos Wort auf die Lippen: ‘Nicht jede hält so rein!’ Wird doch ‘der Sand, der sich zu ihren Füssen kräuselt’ mit Schablone und Besen in den reizendsten Mustern erhalten, die regelmässig | |
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erneuert werden, sobald sich die Inliegerin auf die andere Seite wälzte, oder mit Schnaufen die feine Linienführung der Ornamente verwischte. Dass die Letzteren eine ernstlichere Verunstaltung nie erleiden, verbürgt ein hinterwärts sorglich gebreiteter Teppich von Prima-Linoleum, der nach jedesmaligen Gebrauch abgekehrt und - wie misere Parkettfussboden - glänzend gewichst wird. Ein, mit mir zugleich einen solchen Musterstall besichtigerider deutscher Dienstboten-Beglückungs-Apostel geriet über die weiteren Wohlfahrtseinrichtungen als da sind: Ringe an der Decke zum Heraufbinden der Schwänze, mit blütenweissen Tüllgardinen züchtig verhüllte Spiegelscheibenfenster über den Krippen, wollene Umschlagetücher für Spaziergange bei unsicherer Witterung, in heftige Verzückung und schwur, nicht nur die ‘Tüchtige, die uns mit Butter versorgt,’ sondern das ganze getretene Dienstmenschtum des alternden Europa müsste von nun an solcher Fürsorge geniessen? Im Sommer wohnt das liebe Vieh als kräftiges Nomadenvolk im Freien und vervollständigt den Findruck jener vollkommenen Ruhe und satten Zufriedenheit, die ganz Holland atmet. Doch dürfen wir über Betrachtung socher Bilder nicht die Zeit versäumen den Alkmaaren Käsemarkt pünktlich zu erreichen! Schon sind droben an der alten Stadthausuhr die beiden Ritter in der Morgensonne herausgetreten: achtmal schlagen ihre Klingen hell aufeinander. Nun läutet auch die ‘Käseglocke’ vom Turm herab, - das bedeutet die jedesmalige Eröffnung des Marktes. Flugs springen die Käsebauern, die auf ihren rot, gelb, blau, grün gestrichenen und theilweise recht zierlich geschnitzten Wagen auf dies Zeichen geharrt haben, herab und laufen mit schweren Leinen-Tüchern bepackt, die altertümlichen Gassen und die malerischen Grachte (Kanäle) entlang. Jeder möchte der erste auf dem Markte sein, sich den günstigsten Platz auszusuchen, wo er sein grosses Käsebrett anlege, denn | |
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das hat der Käse - ausser den Duft! - mit den Blumen gemein, dass er im Strahl der Augustsonne rascher welkt als im Schatten. Wo aber ein jeder seinen Plan gebreitet und seinen Stand also bezeichnet hat, da fährt nun langsam sein Wagen in die Nähe. Der kräftige Gaul wird abgeschirrt und die Knechte knieen sich zur Seite der Leinewand, der Bauer aber wirft, auf dem Wagen breitbeinig stehend, die randen Edamer Käse ihnen zu, dass sie so hoch durch die Luft und über die Köpfe der Umstehenden hinfliegen wie goldene Sonnenbälle! Dies mit grosser Geschicklichkeit von allen zugleich betriebene Wurfspiel dauert so lange, bis auch der letzte Käse in das Gesamtfeld eingefügtGa naar voetnoot1. Prangt alles in zierlicher Vollendung, so beschreiten Käufer und Markthelfer bedächtig die schmalen Wege zwischenden gelb und rötlich schattierten Teppichbeeten. Prüfend klopfen sie an die blonden Rundköpfe, die ihnen zu Füssen liegen, ob die auch nicht etwa eine hohle Antwort geben. Jetzt heben sie einen aus dem Haufen heraus, drehen einen kleinen Bohrer in sein Inneres, ein Pröbchen auszulösen. Der wahre Käsekenner kostet nicht mit der Zunge; nein, der kunstgeübte Finger zerreibt ein wenig von der Masse, die Nase, das feine Gefühl sind ihm sichere Richter über die Qualität. Nachdem er sich die gewünschte Einsicht verschafft, wird das ausgebohrte Probestücklein kunsteerecht in die entstandene Lücke wieder eingefügt. Nun kann der Handel beginnen. Hat man sich über den Preis, etwa 17 - 18 Gulden pro Zentner, geeinigt, so packen die Knechte je 100 Käse auf Tragbahren, die in derselben Farbe angestrichen sind, wie die Wagen des Bauern, der entweder zur gelben, roten, blauen oder grünen ‘Maatschappij’ (Genossenschaft) gehört. Diese schweren Bahren hängen die Träger an | |
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Gurten über den Nacken, lassen die Hände frei herabbaumeln und ‘lopen’ in hüpfendem Lauf, den wir als ‘Zuckeltrapp’ bezeichnen würden, mit ihrer Last nach der ‘Stadtwage’. Dies alte, 1602 erbaute Haus ist die schönste Zierde des Marktes, vielleicht der Stadt. Jährlich werden in ihm 10 Millionen Pfund Käse gewogen, denn die Hälfte des nordholländischen Käsehandels wird von Alkmaar aus betrieben. Ist das Gewicht jeder Ladung dort amtlich von vier, durch weisse Kleidung und bunte Hüte gekennzeichnete Wiegemeister festgestellt, so geht es per Bahre in gleichem Trabe wie vorhin zu den, auf den Grachten liegenden Schiffen, welche bereits durch schräg an das Ufer gelehnte Brücken die Verbindung mit dem Markt hergestellt haben. Die Bahre wird umgedreht und hurre-hopp! rollen die dicken, blanken Kugeln in den Schiffsraum hinab, um zunächst nach Rotter- und Amsterdam und von dort in die Häfen aller Zonen befördert zu werden. In Alkmaar wird nur der sogenannte ‘Edamer’ verhandelt. Natürlich gibt es ungezählte andere Arten, vom scharfen Kräuterkäse bis zum süssen, mit Rosinen durchsetzten. Einen sehr merkwürdigen ‘grünen’ erzielen die Bewohner der nahen, durch ihren Schaf- und Seevögel-Reichtum berühmten Insel Texel, indem sie den Abgang der Schafe, in ein Läppchen gebunden, in die Milch hängen. Ich denke mir, diese appetitreizende Erfindung ist von einem verliebten Schäfer gemacht, den irgend ein Dünenjäger beim Liebchen ausgestochen und der in bitterer Eifersucht diesen letzten Versuch anstellte (nach dem Rezept: ‘mein Schatz hat's Grün so gern’), das verlorene Herz durch den Magen zurückzugewinnen. In den glorreicheren Tagen seiner Vergangenheit hat Alkmaar zartere Düfte, kostbarere Knollen über den Erdball verbreitet. Nach einer alten öffentlichen ‘Lijste van aenighe Tulpaen’ sind hier ‘op 8 Februarij 1637 aen de mest bidende verkocht’: (verkauft) ein ‘Viceroy’ (weiss mit lila), die Zwiebel im Gewicht | |
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von 658 Assen für 4200 Gulden! Ein ‘Admiral Liefkans’, Zwiebel 59 Assen, zu 1015 fl. Ein Bellaart von 39h Assen, 1560 fl. ‘Sjern Katelijn’ von 616 Assen: 2610 fl.! An der Börse wurde mit Zwiebeln spekuliert, die noch gar nicht gewachsen waren! Als im Jahre 1637 die Regierung diese Art der Spekulation, bei der Einzelne bis zu 68,000 Gulden in einem Jahre gewonnen haben sollen, hintertrieb, fielen die Tulpen so im Preise, dass z. B. dieselbe ‘Semper Augustus-Zwiebel’, die bis zu 13 tausend fl. heraufgetrieben worden, jetzt nur 50 fl. galt. Im 18. Jahrhundert wucherte dann der Hyazinthenhandel ebenso üppig (eine ‘Bleu passe non plus ultra’ kostete 1600 fl.), urn im 19. der reelleren Käse-Passion den Markt gänzlich zu überlassen. |
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