Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Heinrich van de Velde
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Die Pariser Wallfahrt blieb im Schwange, bis als letzter vor wenigen Jahren Theo van Rysselberghe nach der Seine zog.Ga naar voetnoot(1) Die grossen Leistungen der französischen Impressionisten bieten keine ausreichende Erklärung für diese Erscheinung, vielmehr müssen wir sie in den politischen Ursachen suchen, die auch Belgiens Wissenschaft und geistiges Leben in vollständige Abhängigkeit vom französischen Volke brachten. Ein UmschwungGa naar eindnoot1 trat erst ein, als vor zwei Jahren Hr. Friedrich Deneken die vlamischen Künstler zu einer Ausstellung nach Krefeld einlud und von dort aus die Zeugnisse ihres Könnens einen SiegeszugGa naar eindnoot2 durch die grossen Städte des Reiches antraten. Damals kamen mit den Vlamenfreunden viele Kunstfreunde, um in den alldeutschen Ortsgruppen den Rednern zu lauschen, die vom Erwachen der viamischen Volksseele erzählten. Von viel grösserer Bedeutung ist es aber für das Zusammenwachsen germanischer Kultur, dass vor Kurzem der begabteste aller vlamischen Künstler, Heinrich van de Velde, der selbst neun Jahre in Paris als Maler thätig war, seinen Wohnsitz von Belgien nach Deutschland verlegte, und zwar in der festen Ueberzeugung, in Paris niemals für sein gesundes kraftvolles Schaffen ein Verständnis zu finden, das er von Deutschland zuversichtlichGa naar eindnoot3 erhoffte. Die germanische Kultur hat sich in ihm einen bewussten, unerschrockenen Bahnbrecher zurückgewonnen. Von der figürlichen Plastik abgesehen giebt es kaum ein Gebiet menschlichen Kunstschaffens, das van de Velde nicht mit Meisterschaft beherrschte. Englische Anregungen haben eine Vorliebe für den Möbelbau in ihm hervorgerufen. Aber er schafft auch die Beschläge dazu, er entwirft die Muster der StoftbezügeGa naar eindnoot4 er liefert | |
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Vorlagen, Stickereien und Gobelins, zeichnet Teppiche, Tapeten, somit den Stuck der Decken, bildet Vasen und Geschirre, leitet mit Geschick und Sicherheit das schwierige Verfahren farbigerGa naar eindnoot5 Glasuren, schafft Silbergerät und Bronzearbeiten, nicht zu vergessen der Arm-und Hängeleuchter für alle Arten der Beleuchtung, kurz, die ganze Einrichtung unsrer Häuser. Aber hier bleibt er nicht stehn; mannigfaltig sind die SchmucksachenGa naar eindnoot6, die unsre Frauenwelt ihm verdankt; epochemachend wirkten seine zuerst in Krefeld ausgestellten Damenkleider, die den lange fruchtlosen hygienischen Bestrebungen erst zum künstlerischen Ausdruck verhalfen. Rechnet man hinzu, dass er als Maler Bedeutendes geleistet und in Brüssel der Baukunst neue Wege erschlossGa naar eindnoot7 so wird man abstehenGa naar eindnoot8, nach einem Talent von ähnlicher Vielseitigkeit in unserer Zeit zu suchen. Vollendet wird das Bild durch seine schriftstellerischeGa naar eindnoot9 ThätigkeitGa naar eindnoot10, doch stände es freilich bedenklich um seine Kunst, wenn sie nicht besser wäre, als er sie in seinen Schriften verteidigt. Es ist nicht die Aufgabe eines Künstlers, sich selbst historisch einzuschätzen, und die Neigung van de Veldes, von dieser Regel abzuweichen, hat ihm viele erbitterte Feinde gemacht. Die äusserst scharfe Polemik, die er gegen Alle führt, mit deren kunstlerischer Auffassung er nicht einverstanden ist, erleichtert aber die Umgrenzung der seinigen. Seine Prinzipien als Maler brauchen wir nur zu streifenGa naar eindnoot11. Da er selbst mit dieser Thätigkeit abgeschlossen hat. Er hat sich in Paris jenen angeschlossen, die nach Seurats Vorgang eine Steigerung der Lichtwirkung durch eine systematisch betriebene prismatische ZerlegungGa naar eindnoot12 der Farben anstreben. Als Künstler hat er die begreifliche Gewohnheit, die Wichtigkeit dieser technischen Seite seines Schaffens zu übertreiben; aber so gewiss Böcklin und Watts auch ohne impressionistische Kunstgriffe die grössten Maler des Jahrhunderts sind, wird man van de Veldes | |
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Bilder nicht um ihrer technischen Behandlung willen schätzen sondern anderer VorzügeGa naar eindnoot13 wegen, die ihm selbst vielleicht unbewusst geblieben sind. Eigentümlich ist die mit den Jahren immer zunehmende Vorliebe für reiche Linienbewegung und eine dadurch bedingteGa naar eindnoot14 Starke dekorative Wirkung. So liegt keine KluftGa naar eindnoot15 zwischen dem Maler van de Velde und dem Begründer des ‘neuen Stils’ im Handwerk. Von seinem letzten Bilde zu seiner ersten Applikation ist nur ein Schritt. Das im Maler ausgebildete Gefühl für edle Linienführung zeichnet, immer reiner und feiner werdend, alle seine handwerklichen Arbeiten aus. Reifsten Farbengesmack und eine Entwickelte EmpfindungGa naar eindnoot16 für edle VerhältnisseGa naar eindnoot17 fliessen aus derselben QuelleGa naar eindnoot18. Den Geist seines architektonischen und handwerklichen Schaffens kennzeichnet die Ablehnung dessen, was er vorfandGa naar eindnoot19. Seit Jahrzehnten befanden sich Baukünstler und Musterzeichner in sklavischer Abhängigkeit von alten ‘Stilen’, die sie mehr oder weniger missverstanden. Van de Velde lehntGa naar eindnoot20 sich gegen diesen Missbrauch alter Kunstformen auf. Er widerspricht den Architekten, die eine moderne Eisenkonstruktion mit Formen umkleiden, die für den Stein erdacht waren, den Tischlern, die Säulen und DachgesimseGa naar eindnoot21 auf hölzerne SchränkeGa naar eindnoot22 übertragen, den TöpfernGa naar eindnoot23, die dem Thone jene Buckel aufkneten, die der Edelschmied aus dem Metallbleche herauszutreiben pflegt, aber ebenso missbilligt er jene französischen Blumen und Amoretten, die ohne innere BeziehungGa naar eindnoot24 alles Gerät unseres Haushaltes, Teppiche, Tapeten, Frauenkleider und EssgeschirrGa naar eindnoot25 überwuchert haben, mit einem Worte, er lehnt jede SinnwidrigkeitGa naar eindnoot26 ab. Ein Kunstwerk soll nach seiner Auffassung von innen heraus entwickelt werden. Es soll dem ZweckGa naar eindnoot27 dienen, dem es gewidmetGa naar eindnoot28, dem Material gerechtGa naar eindnoot29 werden, aus dem es gebildetGa naar eindnoot30 ist. Keine Nachahmung, keine Anlehnung lässt er zu. In seinen Gesprä- | |
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chen mit Eckermann äussert sich Göthe folgender Massen über einen Korb: Er kommt der Antike nahe, denn er ist nicht allein so vernünftig wie möglich, sondern er hat auch die gefälligste Form, so dass man sagen kann, er steht auf dem höchsten Punkte der Vollendung. Diese Worte könnte man das Programm van de Veldes nennen. Aber wir finden bei unseren Geistesgewaltigen noch ein anderes Wort, das ins tiefinnerste Wesen Vandeveldescher Kunst hineinweist. Im Künstlerliede sagt Schiller: ‘Was wir als Schönheit hier empfinden, Wird dort als Wahrheit uns entgegensehn’. Mit anderen Worten: Wir werden erkennen, dass alles Schöne auf innerer Wahrheit beruht. Van de Velde sagt: ZweckmässigGa naar eindnoot31 ist schön. So spielen in seiner Schöpfung ErwägungGa naar eindnoot32 und EmpfindungGa naar eindnoot33 die gleiche Rolle, und das ErgebnisGa naar eindnoot34 gewährtGa naar eindnoot35 dem Künstler die hohe Genugthuung, dass die berechnende Erwägung zu neuen Schönheiten führte, die Empfindung aber neue Zweckmässigkeiten entdecken half. Das so vollbrachte Kunstwerk gleicht nicht nur den von Göthe genannten Werken der Antike, sondern auch den organisch gewachsenen Lebewesen. Was kennen wir schöneres als die Blume, als das Auge im Angesicht des Menschen? Und doch finden wir nicht einen Farbenfleck, nicht einen LinienschwungGa naar eindnoot36 darin, der nur der Schönheit und nicht vielmehr mit höchster ZweckentsprechungGa naar eindnoot37 seinem Organismus diente. Es ist das weiseste Gesetz der Natur, dessen erneute Anwendung auf das menschliche Kunstschaffen wir van de Velde verdanken. Das seine Arbeiten unserer zu Schanden ornamentierten Zeit so fremdartig erschienen, beruht nur auf ihrer ausserordentlichen SchlichtheitGa naar eindnoot38. Um ihre Schönheit erfassen zu können, müssen wir uns wieder gewöhnen, unseren Blick vom Zierrat weg auf die Formen der Dinge selbst zu richten. Die unberechenbaren Folgen für unsere gesamte Kultur aber, | |
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die van de Veldes Schöpfung nach sich ziehen muss, wird erst ein kommendes Geschlecht in ihrer ganzen Tragweite erkennen. Man hat Van de Velde einen Sozialisten genannt. Mit Unrecht; aber sein Schaffen, richtig erkannt und fortentwickelt, wird man als eine der grössten sozialen Thaten preisen müssen. Bisher war die Kunst dem Luxus verbunden. Prunkvollem FlitterGa naar eindnoot39 im Palaste des Reichen stand das erbärmliche AusschussgeräteGa naar eindnoot40 in den Kammern des Arbeiters gegenüber. Aus dem traulichen Fachwerkgiebel40a mit grünen Fensterläden, mit Blumenbrettern voll rankender Kapern, war das abstossende Steingemäuer geworden, hinter welchem unten die Schnapswut und oben die Roheit wohnt. Die Gesellschaftsforscher mögen sich fragen, welchen Schuldanteil am Elend der Massen sie der Entseelung ihrer Heimstätten zur Last legen sollen. Der Gedanke, dass es ihre heiligste Aufgabe sein könne, diesen Misstand zu hebenGa naar eindnoot41 lag der Kunst unendlich fern. Vollaufbeschäftigt, FürstenlaunenGa naar eindnoot42 zu befriedigen, Europas Hauptstädte mit Helden und AhnenregimenternGa naar eindnoot43 zu bevölkern, berührte sie mit dem Saum ihres stolzen GewandesGa naar eindnoot44 kaum die Provinzialstädte, geschweige die ViertelGa naar eindnoot45 des Proletariats. Wie hätte man sie dort auch bezahlen sollen! Van de Velde leitet sie in jedes Haus. Ihm ist sie nicht die Vertreiberin der Langeweile, die Coiffeuse des ProtzesGa naar eindnoot46, ihm ist sie die VerklärerinGa naar eindnoot47 des DaseinsGa naar eindnoot48, die wie die Sonne über Reiche und Arme scheint. Damit war die Schönheit der Einfachheit vermähltGa naar eindnoot49, macht sie Allen erreichbar. Mit freudiger Genugthuung können wir fest stellen, dass Deutschland Van de Veldes Hoffnungen nicht betrogen hat. Nahmen auch einige Hitzköpfe unter den süddeutschen Künstlern seine viamische Abkunft zum Vorwande einer etwas unritterlichen AblehnungGa naar eindnoot50 des sogenannten Ausländers, so wurde in den niederdeutschen Teilen des Reiches, die auf starker Intelligenz | |
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mitberuhende Kraft des Künstlers als innere Verwandtschaft empfunden und Van de Velde als Stammesgenosse mit besonderer Vorliebe begrüsst. Die Uebertragung der Einrichtung des Folkwangs in Hagen an ihn, wurde jedenfalls durch diese Empfindung stark beeinflusst. Den jungen, um die künstlerische Hebung seines Landes so thatkräftig bemühte Grossherzog von Weimar werden bei der Berufung Van de Veldes zum Leiter seines kunstgewerblichenGa naar eindnoot51 Seminars künstlerische Erwägungen allein geleitet haben, aber es ist ein erfreuliches Zeichen für die hohen Gesichtspunkte, deren ein deutscher Fürst fähigeGa naar eindnoot52 ist, dass die Reichsgebürtigkeit nicht ausschlaggebendGa naar eindnoot53 wurde, wo es höhere, wo es Interessen des deutschen Kulturlebens galt. Die Wirksamkeit, die Van de Velde jetzt von Weimar aus entfaltet, findet vielerörtertGa naar eindnoot54 fruchtbaren Boden. Die Uebertragung der Einrichtung eines Ozeandampfers an ihn von Seiten der Hamburg-Amerika-Linie ist wohl das erfreulichste Zeichen dafür. Aber auch aus privaten KreisenGa naar eindnoot55 mehren sich die AufträgeGa naar eindnoot56. Beginnt man doch allmählich bei uns einzusehen, dass Reichtum verpflichtet. Möchte Van de Velde auch bald in die Lage versetzt werden, die sozialen Folgen seiner Lehre selbst herbeizuführen. Es ist eine alte Wahrheit, das kulturelle ThatsachenGa naar eindnoot57 wirtschaftliche Folgerungen nach sich ziehen. Rechnen wir zu der Uebersiedlung van de Veldes nach Deutschland die Erscheinung, dass die niederländischen Künstler sich immer mehr an deutschen Ausstellungen beteiligen, augenblicklich gar - in Hagen und Krefeld - zwei Sonderausstellungen auf deutschem Boden stattfinden, so kann man sich der EinsichtGa naar eindnoot58 nicht verschliessenGa naar eindnoot59, dass der kulturelle Zusammenschluss der kontinentalen germanischen Stämme Thatsache zu werden beginnt. Ob der wirtschaftliche folgen wird? Oder werden wir ewig für die Erzbilder Meuniers in Deutschland Zoll bezahlen, falls sie nicht - o Weis- | |
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heit des Deutschen Reichstags - ihre Qualifikation als Kunstwerke durch Lebensgrösse auszuweisen vermögen? |
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