Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
[pagina 566]
| |
bung der niederländischen Schriftsprache festgestellt, die von allen holländischen und vlamischen Schriftstellern angenommen wurde. die sprachliche Einheit des Niederländischen, bis dahin ein frommer Wunsch, war nun zur Wirklichkeit geworden. Für den Fortschritt der vlamischen Bewegung sollten die Folgen dieser Tatsache unberechenbar sein, da die Hauptbeschwerde der sogenannten ‘Franskiljons’ - dass es allerdings vlamische und holländische Mundarten gebe, aber keine einheitliche vlamische oder niederländische Schriftsprache - damit endgültig aus dem Wege geräumt wurde. Seitdem aber hat eine von Dr. R.A. Kollewijn geleitete Gruppe eine neue und diesmal radikale Abänderung der Orthographie und wesentlich auch der Sprachlehre vorgeschlagen. Der Grundsatz dieser Schule ist: ‘Schreib wie du sprichst’, d.h. ‘wie du sprechen sollst’, da die von ihr festgestellte Norm die Umgangssprache der Gebildeten in der Provinz Holland ist. Nun, bei den Holländern im engeren Sinne ist das germanische Sprachgefühl insofern verschwunden, als sie nicht mehr deklinieren und zwischen den Geschlechtern keinen Unterschied machen. Z.B., wie Dr. Kollewijn selber gestattet, sagt der gebildete Holländer: ‘Zet die stoel in de hoek’ (= Setze diesen Stuhl in die Ecke) statt ‘Zet dien stoel in den hoek’; und sogar: ‘Hoeveel zou die koe moeten kosten? hij zal twee honderd gulden waard zijn’ (= Wie viel soll diese Kuh kosten? Er soll zweihundert Gulden wert sein). Obgleich in Belgien und im grosseren Teile des Königreiches der Niederlande derartige Fehler so gut wie unbekannt sind, will man jetzt nicht allein die eigentliche Rechtschreibung eingreifend ‘vereinfachen’, sondern ausserdem auch den Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ, zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht in der Schriftsprache abschaffen. Es handelt sich somit um eine wesentliche Umwälzung der Sprachlehre. Für die Deutschen im weiteren | |
[pagina 567]
| |
Sinne ist dies nicht unwesentlich: handelt es sich doch um die Frage, ob das Niederländische sich mehr und mehr vom Hochdeutschen entfernen und ein rein englisches Gepräge annehmen wird. Was heute geschieht,ist das Gegenteil der früheren Bemühungen von Dr. C.J. Hansen, Klaus Groths vlamischem Freunde, der eine sogenannte ‘alldietscheGa naar voetnoot(1) Rechtschreibung’ einführen wollte, urn niederländische Bücher für Deutsche und anderseits plattdeutsche Ausgaben für Niederländer lesbar zu machen und damit den Geistesverkehr zwischen Ost und West zu fördern. Die Urheber der neuen Richtung sind sämtlich Holländer und deren Anhänger hauptsächlich Elementarschul- und Gymnasiallehrer. Sie behaupten, es koste zu viel Zeit und Mühe, die jetzige Grammatik zu erlernen und der Büchersprache mächtig zu werden. Das ist nun nicht gerade das, was Karl Lehr von seiner Muttersprache sagt: Solch ein Ziel (d.h. die Eroberung der Büchersprache) ist des Schweisses der Lehrer und Schüler wert.’ (Die Praxis der Volksschulen, S. 158.) Und schliesslich sollte man doch nicht vergessen, dass die heutige niederländische Sprachlehre schon viel leichter und einfacher als die deutsche ist. Die Beantwortung der Frage, ob die Kollewijnsche Bewegung ihr Ziel erreichen wird, bleibt inzwischen höchst zweifelhaft Der Widerstand, in Holland von den besten Philologen und Schriftstellern geleitet, ist in Belgien tatsächlich allgemein: unbedingt missbilligen wir Vlamingen eine Umwälzung, welche wir für nutzlos und gefährlich halten. Sollte sie in Holland siegen - was aber hoffentlich nicht sehr wahrscheinlich ist - ganz gewiss würde Vlamisch-Belgien nicht folgen. Ich weise nur auf den einstimmigen Beschluss der Königlichen Vlamischen Akademie und auf den Vorfall im Sprachkongress zu Kortrik (August 1902) hin, als der stürmische Widerspruch der überwiegend vlami- | |
[pagina 568]
| |
schen Mehrheit einen von einem holländischen Mitgliede im Sinne Kollewijns vorgetragenen Antrag ohne Abstimmung entschieden abwiesGa naar voetnoot(1). |
|