Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Auf dem Marktplatz von Delft
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kahlen Kircheninnern wirkt sein Renaissance-Grabmal mit den zweiundzwanzigs chwarzen dorischen Säulen besonders prächtig. Zwischen diese Säulen fügen sich vier Nischen, die auf sechzehn metallenen Schilden die fürstlichen Wappen von Nassau, Stollberg, Hessen und Königstein zeigen. ‘Wilhelmus van Nassouwen ben ick van duitscheu bloed’ heisst es im alten Volksliede. Zweitens ruht hier Piet Hein, der 1628 den Spaniern die Silberflotte abjagte und von dem das Volkslied singt: ‘Piet Hein,
zijn naam is klein,
zijn daad is groot,
hij heeft gewonnen de zilvere vloot.’
Die den Platz erfüllenden ‘kermis’ -BudenGa naar eindnoot4 wurden heut schon teilweise abgetragen. Fliegende Händler, die es eilig hatten, ihre BandresteGa naar eindnoot5, ihre Ramsch-Handschuhe oder Obst an den Mann zu bringen, riefen ihre Waren nicht, sondern, sangen sie aus. Ein Handschuhmann und ein Pflaumenjunge führten so ein weithin schallendes Duett auf. Der Handschuhmann:
16 centen haal maar
Uit een paar!
U kan nehme
Wat U will!
Ze liggen alle maal
Door mekaar!
Der Obstjunge:
Dat is en koopie!
3 centen maar!
Beider:
Beste kualiteit
Wat 'n kopie!
Uebertönt aber wurden ihre durchaus nicht dünnen Stimmen durch die eines ‘Theaterdirektors’, der, auf hohem Fasse stehend, sich in folgendem französitch-holländischen Versgemisch ergingGa naar eindnoot6 (den letzteren Teil gebe ich deutsch wieder): ‘Nous voici, nous voilà!
Bald hier und bald da!
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Pour vous faire du plaisir
Erschienen wir hier;
Il ne coute pas cher,
Und amüsant ist es sehr.
Trente ou cinquante cents la place
Ist für sie, meine Herrschaften, nur ein Spass!’
In dieser Lockweise musste sein Bajazzo mit Programmen um den ganzen Markt laufen, ‘hard loopen!’ (scharf laufen), wie des Direktors mahnende Stimme ihm nachrief. Wie der Buntscheckige an der ersten grün lackierten Hausthür den blanken Klopfer in Bewegung gesetzt, stürmte er, ohne ein Oeffnen abzuwarten, zum zweiten, dritten, vierten Hause weiter; pochte hier, schellte dort. Inzwischen steekt des ersten Hauses Magd das saubere Köpfchen mit der goldblitzenden Metallhaube zur Thür hinaus: ‘wer klopft da so stürmisch?’ Flugs ist mein Bajazzo bei ihr, drückt ihr den Zettel in die Hand mit dem Programm zu der ‘Heden avond 8 uur’ unwiderruflich letzten ‘Debuut Voorstelling, endigende met het groote Lawinen-Stürtz van het Gezelschap!’ Dann rast er weiter. Während die erste Magd und nun auch die zweite sich in den Inhalt des Programms vertiefen und den aufgedrückten Mann anstarren ‘met het Leeuwengebit (Löwengebiss), die een schip met den mond vast houdt met 4 matrozen er in. Muziek met 2 clowns!’ Da war mein Bajazzo schon an Haus 5, 6, 7 vorbei!! So ward die ganze Bewohnerschaft des Platzes durch den einen flinken Burschen in die heitersteGa naar eindnoot7 Stimmung versetzt. Jetzt wandte er sich in die nächste GasseGa naar eindnoot8, die allgemeine Aufmerksamkeit des Marktes aber ganz plötzlich einem unscheinbaren Manne zu, welcher sich unter Gefolgschaft zweier Polizisten, die den sozialdemokratischen Redner (denn ein solcher war er) überwachten, am Standbilde Hugo de Groots aufstellte. Das Grab des in Rostock verstorbenen gelehrten Staatsmannes befindet sich ebenfalls in der nieuwen Kerk. Sein vor der Kirche befindliches Denkmal und den Redner davor umstanden jetzt die | |
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Delfter Arbeiter, welche gerade grosse ‘Koffie-Pause’Ga naar voetnoot(1) hatten. Teils mochten sie der Thoft-Labouchèreschen Porzellan-, teils der grossen Delfter Flaschen-, die Mehrzahl aber der ‘Genever-Brandewijn’ -Fabrik angehören, welche letztere ganz Delft mit sanftem Wachholderduft erfüllt. Der im Branntweinhandel berühmte sogenannte ‘Schiedamer’ wird vielfach aus Delft - statt aus Schiedam - bezopen. ‘Hört, meine Kreunde’, begann jetzt der moderne Menenius Agrippa in mildem Tone, ‘lässt Euch von mir eine hübsche Fabel aus dem Englischen erzählen, “vom Esel und dem Arbeitsmann”! Also: Eines Tages machte ein Esel, auf dem ein Arbeitsmann ritt, plötzlich mitten auf dem Wege halt.’ ‘Hotte hüh!’ sagte der Arbeitsmann. ‘Keinen Schritt gehe ich weiter’, antwortete der Esel, ‘Wa - was soll das heissen?’ rief der Arbeiter ganz verdutzt. ‘Undankbares Faultier, ist das der Lohn für alle meine Fürsorge? Was hätte ich Dir wohl zu Leide gethan?... “Du fragst noch?” rief der Esel ebenso erstauntGa naar eindnoot10 aus. “Habe ich Dich nicht gefüttert?” fubr der Arbeitsmann sich zu verteidigen fort, “habe ich nicht in jeder Weise für Dich gesorgt, Dich gepfl....” “Ja, geritten” fiel ihm der Esel ins Wort. “Aber bei der heiligen Distel schwöre ich, dass das ein für alle Male vorbei sein soll!” Damit warf er seinen Reiter ab. “Sackerlot!” schrie der sich mühsam aus dem StrassenschmutzGa naar eindnoot11 Erhebende. “das sollst Du mir büssen!” und er schwang seinen Stock. “Ich habe Hufe”, antwortete der Esel lakonisch und damit schlug er hinten und vorne aus, dass der Stock seines Herrn zerbrach und der sich nun nicht mehr an ihn heran wagte. Wie dieser das sonst so geduldige Tier fast Kopf stehen und mit den Hufen bedrohlichGa naar eindnoot12 ausholen sah, ging ihm plötzlich ein grosses Licht auf. Der angenehm überraschte Esel hörte seinen Exmeister | |
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murmeln: “Wenn ich meinem Meister so thäte wie der Esel mir, so wäre ich von ihm so unabhängig wie das Tier es jetzt von mir ist.” Darauf wandte er sich zu dem Esel und sprach ehrerbietig: “Ich danke Ihnen, werter Herr Esel, Sie gaben mir eine gute LehreGa naar eindnoot13, die ich niemals vergessen werde.” Damit empfahl er sich ihm und kehrte zu Fuss nach Hause zurück. Der Esel aber verzehrte von nun an in Freiheit das freie, fette Gras an der freien Landstrasse.’ Ich weiss nicht, ob die Zuhörer die Moral dieser ‘eselhaften’ Geschichte billigten. Mit von guter Pflege und gesunder Kraft zeugenden Gestalten und in anständigenGa naar eindnoot14 Arbeitsröcken, welche den stattlichen Männern wohl kleideten, so standen sie vor dem Agitator. Mit offenen aber unbewegten Gesichtern hörten sie zu, wie ihnen der Eselapostel darauf noch auseinandersetzte, warum jeder Fabrikherr, jeder Pächter ein Blutsauger sei; und wie die Arbeiter zusammenhalten müssten gegen den niederträchtigenGa naar eindnoot15 Geburts- und Geld-Adel; dass er, Redner, aber wohl von ihrem Seelenadel erwarten dürfe, dass sie jetzt Mann für Mann bei ihm für 2 Cents ein Anti-Alkohol-Traktätchen kaufen würden, enthaltend ‘die Gefahren des ersten Schluckes’, geschildert von Dr. Schöneberger. Kaum war das Wort von den 2 Cents gefallen, lichteten sich die Reihen genau wie bei allen Marktvorstellungen. Völkerschiebungen entstehen bei der noch so zarten Andeutung: ‘Dreht Euch nicht um, der Teller geht rum!!’ Die Arbeiter besannen sich alle plötzlich, dass Mutter zu Hause mit dem Koffie und dem SpickaalGa naar eindnoot16 wartete, sie liessen den Mässigkeits-Onkel, der ihnen dabei das Schlückchen. ‘sterken drank’ missgönnte, stehen. Mochte er seinen Zettelkram unter Assistenz der zwei Polizisten ruhig wieder in das Wachstuch hüllen! So sah es mir ganz aus, als ob ‘het groote Lawinensturz van het Gezelschap’ - welchen dieser Redner ebenso wie der Direk- | |
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tor auf sein Theater-Programm gesetzt - in Delft einzig als Glanznummer einer unwiderruflich letzten ‘Debuut-Voorstelling met Parade-Muziek en 2 clowns’ Anklang und Zulauf haben werde. |
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