Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die hollandischen Arbeitskammern
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und den kleinen Irrthümern in der Verwerthung einzelner Worte stossen, wenn niederländische Gelehrte in deutschen Zeitschriften das Wort ergreifen. Bei unsern nordwestlichen Grenznachbarn setzt die Bewegung die man in Deutschland, nach ihren Führern, die zumeist Universitätsprofessoren waren, die ‘Kathedersozialistische’ nennt, reichlich ein Jahrzehnt später ein. Längst war bei uns der erhebende Inhalt der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 Gemeingut, ehe dort die Arbeiterfreunde, (Grossindustrielle, Geistliche, Professoren, Parlamentarier u.s.w.) mit ihrer Forderung nach einer umfassenden Erhebung über die Lage der Lohnarbeiter durchdrangen (1886). Der mit dieser Aufgabe betraute parlamentarische AusschusGa naar eindnoot7 erstattete im Jahre darauf einen auf Zeugenaussagen beruhenden Bericht, der vor den erstaunten Augen der Holländer ein Bild allergrössten Massenelends entrollte. Und dennoch bedurfteGa naar eindnoot8 es einer unverhältnismässig langen FristGa naar eindnoot9, ehe man über Mittel und Wege der Abhilfe schlüssigGa naar eindnoot10 wurde. Erst am 5. Mai 1889 erhielt das erste niederlandische Arbeiterschutzgesetz, das sich auf Fabriken, Handwerkerbetriebe und Hausindustrie erstreckte, die Zustimmung der Kammer. Den kräftigsten Anstoss zu weiteren Reformen gab dann die neue Enquete die ihre Untersuchung auf die gesamte Industrie ausdehnenGa naar eindnoot11 und zugleich das Verkehrswesen, die Fischerei und die Torfgräberei einbeziehenGa naar eindnoot12 sollte. Das Ergebnis der umfänglichen Protokolle wurde erst durch langwierige Vorarbeitungen um die Mitte der neunziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts allgemeiner bekannt. Der Eindruck war dass man unbedingt mit den alten Zuständen brechen und unter allen Umständen endlich durchgreifendeGa naar eindnoot13 Reformen in die Wege leiten müsse. Und zwar wollte man jetzt von dem System der kleinen Mittel ganz und gar nichts mehr wissen, vielmehr schaute man nach | |
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einer Massnahme aus durch die so zusagen mit einem Ruck der verfahreneGa naar eindnoot14 Wagen wieder in das rechte GleisGa naar eindnoot15 geschoben werde. Damit aber die Hilfe eine ausreichende und in jeder Beziehung sachgemässeGa naar eindnoot16 sei, sollte sie nicht einseitig von oben kommen: den Arbeitern vor allem wollte man Gelegenheit geben an der Besserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage mitzuwirken. Zu dem Zweck durchmusterte man die Gesetzgebung Belgiens wo seit 1887 die ‘Werkrechtersraden’ ins Leben getreten sowie die Deutschlands, wo seit 1890 besondere Gewerbegerichte geschaffen waren. Aus dem Gewirr der Vorschläge und Gegenvorschläge traten nun aber, wie Harms darlegt, allmählich drei Forderungen deutlicher hervor, man wollte einmal eine besondere Rechtsprechung bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern, man verlangte ferner die Einsetzung gesetzlicherGa naar eindnoot17 Körperschaften bei Interessenstreitigkeiten zwischen diesen beiden Parteien, und man hätte drittens am liebsten auch die Lebenshaltung der arbeitenden Klassen gebessert. Diesem Drängen der öffentlichen Meinung konnte auf die Dauer auch die Staatsregierung nicht widerstehen; nachdem sie am 27 Juni 1891 wenigstens erklärt hatte der Errichtung von Arbeitskammern ihre Aufmerksamkeit schenken zu wollen, brachten im Frühjahr 1892 ein liberales und bald darauf ein konservatives Mitglied der zweiten Kammer einen entsprechenden GesetzesentwurfGa naar eindnoot18 ein. Jahr aus Jahr ein wurde über diese Entwürfe gestritten. Kam man auch nicht sogleich zu einer Einigung, so klärten sich doch die Meinungen, auch ergab sich sehr bald, dass die Mehrheit auf jeden Fall auf der Einsetzung von Arbeitskammern bestehe. In ein neues Stadium trat aber die Angelegenheit erst als endlich am 10. Oktober 1895 durch königliche Botschaft der zweiten Kammer ein Gesetzentwurf die Errichtung von Arbeitskammern betreffend überreicht wurde. | |
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Es kann nicht die AbsichtGa naar eindnoot19 meiner flüchtigen Skizze sein diesen Entwurf, der aus 42 Artikeln bestand, sowie die ihm beigegebene grössere DenkschriftGa naar eindnoot20 auch nur in Kürze zu charakterisiren. Vielmehr mag es genügen zu erwähnen, dass beide Stücke sich als geeignete Grundlage für die parlamentarische Behandlung erwiesen, die wiederum mit echt niederländischer Gründlichkeit betrieben wurde. Nach sehr eingehender BerichterstattungGa naar eindnoot21 der Kommission wurde im Frühjahr 1902 die Vorlage von der zweiten und der ersten Kammer angenommen und endlich am 2. Mai zum Gesetz erhoben. Von dieser Wet op de Kamers van Arbeid giebt Harms in der Beilage eine nicht immer völlig deutliche Uebersetzung. Richtiger wäre es ohne Zweifel gewesen, den Originaltext mitzutheilen, da es für jeden Deutschen, wofern er nur den guten Willen mitbringt, leicht ist den Sinn zu verstehen. Was nun die neuen Arbeitskammern anbetrifft, so wird es in dem neuen Gesetz als ihre vornehmste Aufgabe bezeichnetGa naar eindnoot22, die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gemeinschaftlichem Zusammenwirken durch Erstatten von GutachtenGa naar eindnoot23 an Einzelne, an Parteien und staatliche sowohl wie GemeindebehördenGa naar eindnoot24 zu fördern. Sie sollen ferner eine schiedsrichterliche Thätigkeit ausüben, sei es nun dass sie StreitigkeitenGa naar eindnoot25 vorbeugen,Ga naar eindnoot26 sei es dass sie um ihr Urtheil angegangen,Ga naar eindnoot27 werden. Solche Organisationen sollen überall durch königl. VerordnungenGa naar eindnoot28 ins Leben gerufen werden können, wo ein Bedürfnis vorliegt; der Wirksamkeit nach kann eine Arbeitskammer verschiedene Gemeinden umfassen und ebenso für ein oder mehrere Gewerbe zuständigGa naar eindnoot29 sein. In jeder eine Arbeitskammer begründenden königlichen VerfügungGa naar eindnoot30 muss deren Sitz angegeben und auch bestimmt werden, welche Gewerbe innerhalbGa naar eindnoot31 welches Bereiches in ihr vertreten sein sollen. Jede Kammer giebt sich ihr Reglement, das indessen obrigkeitlicherGa naar eindnoot32 BestätigungGa naar eindnoot33 bedarf, | |
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selbst; ihre Mitglieder bestehen zur Hälfte aus Arbeitgebern, zur anderen aus Arbeitern der bestimmten BetriebeGa naar eindnoot34. Die WählerlistenGa naar eindnoot35 werden von den Gemeinden, in denen die Berechtichten ihr Gewerbe treiben, für Unternehmer und Arbeiter besonders angefertigtGa naar eindnoot36. Die Mitglieder der Kammer ernennen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und zwei VorstandspersonenGa naar eindnoot37, der Vorsitz wechselt jedes halbe Jahr. Nachdem dieses offenbar bis ins kleinste Detail sorgfältig erwogene Gesetz von den Generalstaaten angenommen war, wurde bestimmt, dass es vom 1. Februar 1902 an in Kraft treten solle. Schon vorher waren eingehende Anordnungen über das bei der erstmaligen Wahl zu beobachtende Verfahren getroffen worden. Wenn man aber geglaubt hatte, dass die mit so viel Aufwand von Fleiss und Begeisterung ins Leben gerufene Einrichtung werde mit Begeisterung aufgenommen werden, so hatte man sich getäuschtGa naar eindnoot38. Immerhin hatten von den Arbeitern wenigstens 31 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht, wohingegen von den Unternehmern überhaupt nur ein Fünftel sich betheiligte. Lag der Grund bei den Letzteren vielfach in prinzipieller Abneigung gegen die ganze Institution, so standen die Arbeiter den Kammern noch häufig gleichgültigGa naar eindnoot39 gegenüber; vollends die extremeren Sozialdemokraten und Anarchisten lehntenGa naar eindnoot40 jede Theilnahme an einer auf die VerständigungGa naar eindnoot41 der beiden Parteien berechneten Einrichtung nachdrücklich ab. Man sieht es deutlich, das Gesetz hat den Interessenten beider Gruppen zuviel Freiheit gelassen. Und Dem entspricht das buntscheckigeGa naar eindnoot42 Bild das einem in der Zusammensetzung der Arbeitskammern entgegentritt. Da sind die verschiedensten Gewerke zusammengewürfelt, ohne dass von der für eine erspriesslicheGa naar eindnoot43 ThätigkeitGa naar eindnoot44 doch so wünschenswerthen inneren ZusammengehörigkeitGa naar eindnoot45 die Rede sein könnte. Im Ganzen betrachtetGa naar eindnoot46 ergibt sich dennoch, dass ganz bestimmte Branchen sich am häufig- | |
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sten zu einer derartigen Organisation haben bereit finden lassen: die Baugewerbe, die Nahrungs-, Genussmittel- und Konfektionsgewerbe stehen durchweg im Vordergrund. Was Harms über die eigentliche Wirksamkeit der Kammern mittheilt, sind meist Einzelheiten, auf denen man ungern weitergehende SchlüsseGa naar eindnoot47 aufbauen möchte. Gleichwohl möchte man annehmen, dass, wenn auch die ehemals so zuversichtlicheGa naar eindnoot48 Meinung, als habe man in der Errichtung von Arbeiterkammern das Universalmittel für die Heilung der sozialen Krankheit gefunden, gewiss auf IrrthumGa naar eindnoot49 beruht, die Arbeitskammern dennoch schon viel Anlass zu Hader und Zwist in aller Stille bei Seite geschafft haben. Im Besonderen scheint die Mitbetheiligung die das Gesetz den Gemeinden zuweist als durchaus geeignetGa naar eindnoot50, den Gedanken, dass ein jeder Volksgenosse soziale Pflichten zu erfüllen habe, in immer weitere Kreise zu tragen. Um endlich die MängelGa naar eindnoot51 der ganzen Organisation zu erwähnen so hat Harms deren nicht wenige aufgeführt und daran mancherlei Verbesserungsvorschläge geknüpft. Hierauf einzugehen, erscheint überflüssigGa naar eindnoot52. Die notwendigen Ergänzungen werden sich am besten aus der Praxis ergeben, und ein so hervorragend praktisch veranlagter Menschenschlag wie der holländische wird gegebenen Falls schon das Richtige zu treffen wissen. Wenn irgendwo die Erfahrung die Lehrmeisterin ist, so ist es der Fall auf diesem Gebiete. Die deutschen Freunde aber der Niederländer hoffen dass auch der Amsterdamer Streit mit allen seinen unerfreulichen Begleiterscheinungen den aufrichtigen Patrioten dort die Ueberzeugung festet, dass die Sünden ganzer Generationen nur in langer treuer selbstloser Arbeit wieder gut gemacht werden können. |
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