Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die klassische Periode der niederländischen Literatur
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sehr oft ganz versteekt und nur dem Auge erkennbar ist. Was soll man von Versen halten wie die folgenden?
Kom uit die werkelijke wereld onbe-
vredigend, meê naar 't stille en klaar-geschapen
vredevol rijk, waar grasje en mensch en zon be-
scheidene plaats heeft, en een wakend slapen
droomen, waar licht in schijnt, doet schijnen 't onbe-
angstigend land met de veilige kapen.
Komm aus dieser wirklichen Welt, der unbe-
friedigenden, mit nach dem stillen und hell-geschaffen-
friedevollen Reich, wo Gras und Mensch und Sonne be-
scheidenen Platz hat und ein wachend Schlafen
lichtdurchleuchtetes Träumen scheinen lässt das unbe-
ängstigende Land mit den sichern Asylen.
Die Prosaverdeutschung ist in diesem Falle noch dazu viel verständlicher, als das Original, das dem Leser anfangs ähnliche Rätsel aufgibt, wie eine horazische Ode dem des Lateinischen nicht völlig Kundigen. Jedoch liessen sich noch viel härtere und auch dunklere Stellen aus Verweys Gedichten zitieren. Es fehlt ihm offenbar der Sinn für das Musikalische, oder er verschmäht es aus Eigenwilligkeit. Allerdings kann man hierdurch seine Verse schon an der Sprache sofort als die seinen erkennen. Wer vom Still diese Persönlichkeit verlangt, wird das zu schätzen wissen. Nur selten vermag Verwey Stimmung zu erwecken, nur selten bietet er ungetrübten Kunstgenuss. So in dem Sonett ‘Sommerwiese’, das wie eine holländische Landschaft eines neuen Ruisdael anmutet: Die weissen Kühe waten durch das Gras,
Das hellsmaragden glänzt, halmhoch und dicht,
Auf ihre Rücken strahlt das Sommerlicht
Aus hohen Himmels wolkigem Topas.
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Der Strom, den grünen Schilfs ein Kranz umflicht,
Wogt warm dahin, ein wellig Spiegelglas,
Erst dieser Dampfer stört sein ebenmass, -
Das Schilf rauscht lauter, wo die Flut sich bricht.
In meinem Hirn ist Mittagsstille, warm
Schwellen die Glieder mir; ich lieg' und lausch'
Derq Wiesenflüstern und dem Stromgerausch.
Zwischen den Wimpern seh ich hinter mir
Eine Lichtlinie, matter wird mein Arm,
Ich hör' den Dampfer ziehn und schlafe schier.
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Ebenso eigensinnig originell in der Sprache wie Albert Verwey ist Herman Gorter (geb. 1864), aber er ist Künstler durch und durch. Er ist Impressionist. Ein holländischer Kritiker schrieb über ihn: ‘Gorter ist ein Dichter, der seine Worte nicht braucht, um Denkbilder auszudrücken, sondern seine Worte selbst seine Gefühle ausdrücken lässt. Seine Worte, seine Versregeln wirken demnach nicht indirekt durch Gedanken, die sie im Leser anregenGa naar eindnoot7, sondern direkt, durch das Erwecken von Stimmungen.’ Das Erstlingswerk Herman Gorters war ‘Mei’ (1889), eine symbolistische Dichtung, die das kurze Leben des Mai von seinem Erscheinen auf Erden an bis zu seinem frühen Tode in paarig gereimten, metrisch aber unerhört freien Quinaren voll Farbenreizen und ungeahnten Sprachschönheiten schildert und sogleich das grösste Aufsehen erregte. Man lese die folgende Schilderung des Meeres, die ich mit all ihren Eigentümlichkeiten übertrug und man wird Gorters unruhigen, flirrenden Stil wohl für immer im Gedächtnis behalten. | |
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Blau trieb die See; das frische Sonnenwasser
Floss aus dem goldnen Bronnen, heller, blasser,
Auf wollige Wogen, die sich liessen baden,
Salben auf seinem Licht; auf weiten Pfaden
Standen Wogen, wie weisse Widder, auf,
Schaumzottig und gehörnt zum Sturmanlauf.
Dann ward die See ein grosser, schwerer Mann
Aus längstvergangener Zeit und reicher an
Gewand wie wir: Seide mit Silberschmelz
Und brauner Samt und schwarzes Tuch und Pelz
Fern aus Sibirien; und voll kupferner
Reflexe flackerten die Falten der
Gepufften Hosen, Knöpfe und Bordüren
Des breiten Mantels umgerafft von Schüren.
War so die See? Nein, eine Stadt war sie,
Strassen und Plätze voller Bauern, wie
Zur Kirmeszeit, und mit Musik und Tanz
In allen Schenken, um den lichten Kranz
Der Naschwerkbuden lauten Marktes Treiben;
Oder voll Lichtern abends in den Scheiben,
Aus jedem Dache Fahnen weiss wie Schnee,
Wie wenn ein König kommt... So war die See.
Von allen Giebeln wehten Flaggen licht;
Erhellt war jedes Wogenfenster; dicht
Drängte das Volk. Meermänner schwammen an,
Nymphen und Nixen der See und sassen an
Den grünen Hängen. Von Tritonen stund,
Alt, bärtig, eine Reihe dort, am Mund,
Trompeten, eine Strasse bauend her
Von Klang über das weite Meer.
Niemals hat ein Dichter so ganz die gewöhnliche Kunstform missachtet und indem er jedes ihrer Gebote (freilich mit Grazie) übertrat, eine neue geschaffen, die, in allen Einzelheiten persön- | |
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lich, nur ihm eigen ist. Wie Segantini und Rysselberghe, der ‘Pointillist’, das Licht in Farbenelemente verlegen, um auf ihren Bildern das Irisieren der Luft wiederzugeben, so war Gorter zu ähnlichen Mitteln zu greifen gezwungen, wenn er was er sah, schildern wollte, wie er es sah. Von den freirhythmischen Quinaren, deren Reim wie bei Verwey und auch in Frederik van Eedens ‘Lied von Schein und Wesen’ oft nur für das Auge da ist, zum vers libre war nur ein Schritt. Gorters zweites Buch, Verzen (1892), das 1897 in einer nur etwas vermehrte Neuauflage erschien, enthält mit wenigen Ausnahmen nur ‘freie Verse’. Es ist neben ‘Mai’ Gorters einziges poetisches Werk. War er im ‘Mai’ mehr Dichter in Bildern, die freilich oft mit jeder ZeileGa naar eindnoot8 wechselten, so ist er in den ‘Versen’ ganz Dichter in Farben, also Impressionist. Aber er dichtet nicht wie andere Poeten, die alle Farben ihrer Palette auf ein Bild verschwenden, sondern im Sinne Jacobsens, der in einem seiner Briefe schrieb: ‘Ich will nicht Rot und Violett nebeneinander haben’, dichtet er in stets einheitlichenGa naar eindnoot9 Farben, in Gold, in Silber, in Rot, in Grün, in Schwarz, manchmal auch in Farbenakkorden, wie in Weiss-Blau-Gold. Man wird fast an den genialen schwedischen Spätromantiker Karl Jonas Love Almqvist erinnert, den Ellen Key dreissig Jahre nach seinem Tode den modernsten schwedischen Dichter genannt hat, dessen Gefühle stets Farbe annahmen, der von Purpurwonnen und Amethysthumor spricht und der sich deshalb beim Niederschreiben seiner Phanthasien oft verschiedenfarbiger Tinten bediente, also Impressionist war, lange bevor Arthur Rimbaud sein berühmtes Vokalsonett A noir, E blanc, I rouge, U vert, O bleu schrieb, dass für viele den Ausgangspunkt des Impressionismus bedeutet. Wer die älteren Literaturen des Abendlandes wie die des Morgenlandes genauer durchforscht, wird auf manche ganz ähnliche Erscheinungen stossen und somit auch dem Impressionismus, sofern er nicht | |
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angeheuchelt ist, seine BerechtigungGa naar eindnoot10 zuerkennen müssen. ‘Tod ist mein Lieb’ beginnt Gorter ein Gedicht und das Wort ‘tod’ erweckt ihm alle möglichen Vorstellungen des Rothen: Von rotem Mohn und roten Tulpen flammt's
Ueber die breite Flut des roten Samts,
Blüten auf Blüten fallen hernieder,
Leuchtend dringen rote Lieder
Aus roter Vögel Kehlen; Wein,
Ein Teich, überpurpert den Marmelstein...
Es wird zweifellos welche geben, die solche Verse einfach für verrücktGa naar eindnoot11 erklären. Ich will hier prinzipiell den Zusammenhang, in dem sie mit dem übrigen Gedichte stehen, gar nichterwähnen, um sie voll wirken zu lassen. Andere aber werden in ihnen ein Dokument für die Psychologie des lyrischen Schaffens sehen. Und in der Tat, wenn man hierzu die berühmte Abhandlung, die Allan Poe über sein Gedicht ‘Der Rabe’ schrieb, vergleicht, wird man einen gewissen Einblick in die Werkstatt des Lyrikers gewinnen. Poe geht von dem Worte Nevermore aus. Dieses erweckt ihm nach und nach alle die Vorstellungen, die er in dem Gedichte so meisterhaft wiedergegeben hat. Ebenso geht Gorter von dem Worte ‘tot’ aus, dessen Reimwort ‘rot’ - im Holländischen dood und rood - allein schon die ganze Vorstellungsreihe erweckt. Allerdings ist zuzugeben, dass diese eigentümliche Methode zu dichten leicht zur Manier verführt und jeder, der nach Gorter sie anwenden wollte, ja sogar Gorter selbst, wenn er sie noch fürderhin verwendete, würde in die Manier verfallen. Gorter jedoch war selbstkritisch genug, nicht bis ins unendliche Farbengedichte zu machen, nachdem er sein ursprünglichstes in der ersten Sammlung gegeben. * * * | |
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Es ist bezeichnend, dass alle die sleben grossen modernen holländisch-vlamischen Dichter ihrem Wesen nach Lyriker sind und sich in ihrem Schaffen mit wenigen Ausnahmen auf die Lyrik beschränkten, nur Pol de Mont schrieb in neuester Zeit - schon nach 1895 - einige Erzählungen in Prosa, aber auch diese gehören einer ganz fernen Vergangenheit oder selbst der Legende an, und nur Frederik van Eeden und Albert Verwey versuchten sich im Drama, aber es sind im ganzen nur drei Werke. Keiner der Dichter schrieb eine Novelle aus dem modernen Leben, keiner erfand ‘Fabeln’. Dies ist dafür bezeichnend, dass sie es mit ihrem Individualismus wahrhaft ehrlich meinten. Sie beschränktenGa naar eindnoot12 sich darauf, ihr Leben auszusagen, die Welt vom Standpunkte des objektiven BeobachtersGa naar eindnoot13 aus zu schildern, lag ihnen stets fern. Dies aber zog ihrem Schaffen enge Grenzen. Wenn nun Willem Kloos die Hoffnung ausspricht, durch die neuen Talente werde die holländische Literatur zu einer neuen Blüte kommen, so muss man vor allem an das Gebiet des Dramas und der Erzählung denken. Und in der That hat die neueste holländische Literatur in Louis Couperus einen bedeutenden Romancier und in Heijermans einen erfolgreichen dramatischen Dichter aufzuweisen. Aber ein stets wieder als war sich erweisendes Naturgesetz, jenes von Ebbe und Flut im geistigen Leben, zwingt uns dazu, anzunehmen, dass die eben besprochene Dichtergruppe geraume Zeit hindurch unübertroffen bleiben werde, somit ihre Bezeichnung als Klassiker berechtigt ist. |
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