Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die Hollandgängerei
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spanischen SchlachthaufenGa naar eindnoot4 zersprengteGa naar eindnoot5; hier, an der Mündung der Ems, organisirten sich zuerst die Geusen, deren wirksames Eingreifen in den Kampf die Morgenröthe der niederländischen Freiheit heraufführte. Der Reisende der Gegenwart aber, der etwa um Pfingsten die Eisenbahn von Leer nach Groningen benutzen will, bemerkt auf den deutschen Grenzstationen kleine Trupps von Landleuten, die einen weissgrauen Sack auf dem Rücken, die zusammengelegte Sense in der Hand, den ZugGa naar eindnoot6 in der gleichen Richtung besteigen. Diese Männer im kräftigsten Alter sind ostfriesische Tagelöhner; sie sind im Begriff als Saisonarbeiter nach Holland zu fahren. Seit Jahrhunderten ziehen solche Schaaren jedes Frühjahr dieses Weges. | |
I.Das Verdienst, der Hollandgängerei der norddeutschen Landarbeiter zuerst nachgeforscht und ihre Geschichte von den Anfängen bis zur GegenwartGa naar eindnoot7 an der Hand der QuellenGa naar eindnoot8 ergründet zu haben, gebührt einem jüngeren deutschen Gelehrten, dessen Arbeit von dem Leipziger Nationalökonomen Wilhelm Stieda angeregt worden istGa naar voetnoot(1). Der Verfasser hat sich die Mühe nicht verdriessen lassen, für die Behandlung aller Seiten seines GegenstandesGa naar eindnoot9 archivalisches Material heranzuziehen: die meist erst im 18. Jahrhundert einsetzenden Akten der Staatsarchive zu Hannover, Münster und Aurich, die des Hausarchivs zu Oldenburg sowie die einiger niederländischen Archive sind von ihm mit Fleiss und Umsicht ausgebeutet. Aus Tacks Werk erfährt man, dass wie zu vermuthen war die Hollandgängerei bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zu- | |
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rückreichtGa naar eindnoot10 und durch die allbekannten damaligen BegebenheitenGa naar eindnoot11 in den Niederlanden hervorgerufen worden ist. Wie man weiss nahmen die nördlichen Provinzen noch während des Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien einen ungeheuren wirtschaftlichen AufschwungGa naar eindnoot12. Handel und Industrie erreichten in kurzer Zeit eine fast unglaubliche BlütheGa naar eindnoot13. Dabei hatten erst wenige Jahrzehnte vorher unter dem Eindruck des Albaschen Schreckenregiments viele Tausende fleissiger Bürger Haus und Hof verlassen. Andere Tausende hatte der Krieg verschlungen, der mehrere Menschenalter hindurch ununterbrochen zu Wasser und zu Lande geführt wurde. Noch andere wiederum hatten jenseits des WeltmeersGa naar eindnoot14 das neue grössere Niederland begründen helfen: kein Wunder, dass gar baldGa naar eindnoot15 in den Brennpunkten des kommerziellen Lebens, in den kräftig aufstrebenden Hafenplätzen, starke Nachfrage nach rührigenGa naar eindnoot16 Händen war. Dieses Bedürfnis wurde zwar zunächst durch die Schaaren der Arbeiter gedeckt, die nunmehr vom platten Lande hereinströmten. Ein so geistreicher Schriftsteller wie der jüngst verstorbene Georg Hansen führt in seinem klassischen Werke von den ‘Bevölkerungsstufen’Ga naar voetnoot(1) die staunenswerthen FortschritteGa naar eindnoot17 des ‘goldenen Zeitalters’ auf allen Gebieten der geistigen und wirthschaftlichenGa naar eindnoot18 Kultur eben auf diesen allzureichlichen ZuzugGa naar eindnoot19 unverbrauchter bäuerlicher Kraft zurück, der leider einem RaubbauGa naar eindnoot20 gleichkam, insofern er in keinem Verhältniss mehr stand zu dem natürlichen Wachsthum der ländlichen Bevölkerung. In diese also entstandene LückeGa naar eindnoot21 drängten sich die Hollandgänger, deren Geschichte nunmehr auf Grund der Ergebnisse Tacks im UmrissGa naar eindnoot22 vorgeführt werden mag. Zuerst waren es die Grenznachbarn vornehmlich aus dem Münsterlande und dem Stift Osna- | |
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brück, die in den anliegenden Provinzen während der Sommermonate einen lohnenden Gewinn suchten; aber sehr bald, noch während der 30jährigen Krieges, dehnte sich das Rekrutierungsgebiet über die niedersächsischen Landertheile bis jenseits der Weser aus. Die Lebenslage der ländlichen Bevölkerung Norddeutschlands war der Art beschränktGa naar eindnoot23, dass die Aussicht, in fester Arbeit einen Extragewinn einzuheimsenGa naar eindnoot24, auf die anderen Häuslinge, Brinksitzer, Maier und Köter, oder wie sonst noch die kleinen Tagelöhner in jenen GegendenGa naar eindnoot25 heissen mochten, geradezu verführerischGa naar eindnoot26 wirkte. Trotz aller Abmahnungen und Strafandrohungen, die auf den Ständeversammlungen in den verschiedenen Territorien beschlossen wurden, liess sich die Auslandfahrt während des Elends der grossen Krieges sowie in der Periode, die unter seinen Nachwirkungen stand, schlechterdingsGa naar eindnoot27 nicht unterbindenGa naar eindnoot28. Zu Anfang vollendsGa naar eindnoot29 des folgenden Jahrhunderts war dieser NahrungserwerbGa naar eindnoot30 bereits etwas Althergebrachtes und durch die Ueberlieferung mehrer Generationen Ehrwürdiges. In den Spinnstuben wusste man an den langen Winterabenden nicht wenig zu erzählen von den Leiden und Freuden, die den ‘Hankemeyer’, wie der Holländer im Scherz den deutschen Mäher nannte, auf seiner Fahrt in die Ferne erwarteten. Da die Ursachen, die in der Heimath zur Abwanderung drängten, während der nächsten Menschenalter im Grossen und Ganzen dieselben blieben und andererseits auch in den Generalstaaten sich nach wie vor reichlich Arbeitsgelegenheit darbot, wuchsen vielmehr im 16. Jahrhundert noch die Schaaren, die sich bei Lingen über die Emsbrücke drängten oder sonst dem Nachbarlande zuzogen. Die GesammtmengeGa naar eindnoot31 der jährlichen Abwanderer ist unsicher, indessen mag die Zahl 20,000, die von einem Zeitgenossen berechnet worden ist, für die Zeit in der die Auslandfahrt den Höhepunkt erreicht hatte, kaum zu hoch gegriffen sein. | |
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Aber schon die Epoche der Revolutionskriege verringerte den Andrang. Der Aufschwung der deutschen Handelsemporien an den Mündungen der Elbe und Weser verschlang einen Theil der überschüssigenGa naar eindnoot32 ländlichen Bevölkerung. Meliorationen grösseren Stiles ferner und die schüchternen Anfänge der heimischen Industrie beschäftigten die Arbeitskräfte, die dem Schicksal entgiengen, von Napoleon auf die russischen und spanischen Schlachtfelder geschleppt zu werden. Trotz dieser Umstände und trotz des Niedergangs des durch die KontinentalsperreGa naar eindnoot33 besonders schwer getroffenen holländischen Handels fand nach wie vor jährlich ein AustauschGa naar eindnoot34 an Arbeitskräften zwischen Norddeutschland einer- Westfriesland und Nordholland andererseits statt. Die ländlichen Tagelöhner Westfalens, Oldenburgs und Ostfrieslands blieben auch während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auf Nebenverdienst angewiesen: zumal Emden, dessen Emporblühen viele hätte beschäftigen können, sich nicht vom Schlage der Kontinentalsperre erholte. Erst im Laufe der Zeit verengerte sich allmählich das Abwanderungsgebiet sowie die Zahl der Hollandgänger. Heutigen Tages entsenden nur noch Ostfriesland und das Emsland Saisonarbeiter über die Grenze. Die Zahl der Hollandgänger - am Ende der 60ger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts bereits auf 4000-5000 gesunken - dürfte indess seither noch beträchtlichGa naar eindnoot35 abgenommen haben. Und wie die Menge zurückgegangen ist, so ist auch die BeschäftigungsartGa naar eindnoot36 in der Neuzeit eine sehr viel weniger mannichfacheGa naar eindnoot37. Noch in einer Resolution der Staaten Westfrieslands vom Jahre 1666 werden die Fremden als Mäher, Torfgräber, HausirerGa naar eindnoot38 (mit Leinen und Wollwaren) und KesselflickerGa naar eindnoot39 charakterisirt. Damit ist aber die Verwendungsmöglichkeit der deutschen Arbeiter jener Tage noch keineswegs erschöpftGa naar eindnoot40. So verdienten sie als GärtnerGa naar eindnoot41 und ZiegelbrennerGa naar eindnoot42, als Maurer und | |
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Stuckateure sowie als Matrosen ihr Brot. Vor allem aber waren beim Walfischfang, dessen Ausübung damals ungewöhnliche KraftanstrengungGa naar eindnoot43 erheischte, deutsche Hilfskräfte sehr gesucht. Gerade diese Seefahrer blieben nun am längsten aus, da sie sich schon im Februar und März in den Seehäfen einfanden und erst im August oder September nach Beendigung der Fangzeit heimkehrten. Die Torfgräber pflegten etwas später, vielleicht Ende März oder Anfangs April auszuziehenGa naar eindnoot44, um der Mehrzahl nach im Spätsommer die Rückwanderung anzutreten. Auf noch viel kürzere Zeit beschränkte sich die Auslandfahrt der Mäher, die durchschnittlichGa naar eindnoot42 nur 6 - 9 Wochen in der Ferne weilten, um dann zur ErntezeitGa naar eindnoot46 wieder in der Heimat zur Stelle zu sein. Von allen Beschäftigungsarten wird nur noch diese letzte gegenwärtig in grösserem Umfang von deutschen Saisonarbeitern ausgeübt. Daher mag unsere knappe Uebersicht mit einigen Angaben über den Hollandgang eben den Mäher beschlossen werden. | |
II.Um die Bedeutung der HeuernteGa naar eindnoot47 für den ganzen wirthschaftlichen BetriebGa naar eindnoot48 in vielen Theilen der nördlichen Niederlande zu ermessen, muss man eigentlich selbst im ‘Grasland’ gewesen sein, wie der Volksmund in den deutschen Grenzprovinzen die holländischen Gegenden nannte, in denen die Heuer und Mäher aus Westfalen ihr Werk zu verrichten hatten. Da sieht man so weit der Auge reicht über endlose Wiesenflächen, die von einem Netz von WassergräbenGa naar eindnoot49 durchzogen werden. Hinter hohen Ulmen, dem Lieblingsbaum Nordhollands, verstecken sich die Bauernhäuser, die kleinen Gutshöfen gleichen: sonst erheben sich nur noch Mühlen in unendlicher Anzahl aus dem grünen Meere oder aber mitten aus der Wiese tauchen Mast und Segel von Schiffen auf, die auf einer unsichtbaren Wasserstrasse da- | |
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hineilen. Dem Reisenden wird von den Bewohnern des Landes freundlich AuskunftGa naar eindnoot50 ertheilt über die einzelnen Polder und ihre Geschichte. Wer sich für die Eigenart der Gegend interessiert, weiss bald, ob er (etwa auf dem Wege von Edam nach Alkmar) durch Alt- oder Neuland schreitet; auch erfährt er leicht welchen Preis der Hektar des köstlichen Wiesenlands in den einzelnen Poldern gilt. Ist man gewohnt die Landschaft scharf zu beobachten, so merkt man sofort, dass jeder dieser oft mehrere Quadratmeilen umfassenden Polder trotz der scheinbaren Monotonie seinen besonderen Charakter hat. In Einem aber ist hier Alles gleich: in der Fürsorge, die dem Heu zu theil wird, das in diesen Gegenden ausschliesslicher Milch- und ViehwirthschaftGa naar eindnoot51 ein vielbegehrter Handelsartikel ist. Auch die Fischer und Tagelöhner an dem Saume der Ringschleusen oder am Ufer der Zuidersee haben ihren kleinen meist geschlossenen HeuschoberGa naar eindnoot52, einerlei ob sein Inhalt im Eigenbetrieb verfüttert oder zu Markt gebracht wird. Zwischen dem Besitzer dieser Wiesenflächen Nordhollands und Westfrieslands, dem sogenannten ‘Baas’, und seinen deutschen Saisonarbeitern entwickelt sich nun allmählich ein VerhältnissGa naar eindnoot53 gegenseitigen Vertrauens. Beiden Theilen gereicht es zum Vortheil, wenn in jedem neuen Jahr unter denselben Bedingungen die Arbeit wieder aufgenommen werden kann. Bringen die Hollandfahrer auch ein gute Ration Lebensmittel mit sich, so werden sie doch vom Brotherrn theilweise beköstigt und durchwegGa naar eindnoot54 beherbergt, so dass sie jedenfalls zum HausgesindeGa naar eindnoot55 im weiteren Sinn gehören. Ist also die Zeit der Ernte nah, so sendet der Baas einen Brief an einen bewährtenGa naar eindnoot56 Mann unter seinen früheren Arbeitern und beauftragt ihn, die ganze Schaar vom Vorjahr bis zu dem oder jenem Termin zusammenzubringen und heranzuführen. Etwaige LückenGa naar eindnoot57 werden dann gleich in der Heimat durch geeignete ErsatzleuteGa naar eindnoot58 ausgefüllt. Dort sind um | |
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die Zeit die Frühjahrarbeiten in der eigenen kleinen Wirtschaft bereits erledigtGa naar eindnoot59. In gedrückter Stimmung setzen sich die einzelnen Trupps in Bewegung, bis nach einigen Stunden der Abschiedschmerz verwundenGa naar eindnoot60 ist. Früher gieng es meist zu Fuss dem Reiseziel entgegen; hier und da nahmen aber auch Frachtschiffe die Wanderer mit ihren schweren Proviantsäcken auf. In der Neuzeit sind dann Post, Eisenbahn und Dampfschiff als Beförderungsmittel in ihr Recht eingetreten. War man am Bestimmungsort angelangt, so harrte die schwere Arbeit des Mähens und des Grastrockenens. Da den Hollandgängern viel daran liegen musste zur rechten Zeit wieder zu Hause anzukommen, wurde meist AkkordarbeitGa naar eindnoot61 ausbedungen, die für jeden ein Ansporn ist seine ganze Kraft einzusetzen. Das finanzielle ErgebnissGa naar eindnoot62 war in der Regel kein bedeutendes, da die Unkosten für die Hin- und Herreisen den Reinverdienst wesentlich verringerten. Und dennoch spielten die etwa 10 Thaler in dem kleinen Haushalt des Tagelöhners des 18. Jahrhunderts eine ebenso grosse Rolle wie der doppelte Betrag, der gegenwärtig herauskommen mag. Jedenfalls war die Rückkehr ein Freudetag für das ganze Dorf, das-wofern die bevorstehende Ankunft vorher ruchbar geworden war - den Heimkehrenden jubelnd entgegeneilte. Dann war des Erzählens von dem fremden Lande und vom Glanz und Reichthum seiner Städte auf Lange kein Ende. Nicht immer war freilich der Aufenthalt in der Fremde ein leichter gewesen. Manch Einer hatte, ohne fest engagirt zu sein, die Fahrt angetreten, und auf den Arbeitsmärkten zu Oldeborn, Sneek, Bolsward oder Leeuwarden hatte das Angebot die Nachfrage weit übertroffen. Hatte dann der Baas noch dazu den Lohn nicht in holländischem sondern in dem niedrigeren preussischen Courant ausbezahlt, so blieb vom Gewinn trotz aller Sparsamkeit nur ein Weniges übrig. Gar mancher namentlich von den Torfgräbern in Groningen, der Drenthe oder in Oberyssel | |
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mochte auch in Folge der furchtbar anstrengenden Arbeit krank zurückgeblieben sein; und erst seit Anfang der 60ger Jahre des verflossenen Jahrhunderts hatten Veenbauern und Arbeiter für Anlage einzelner Krankenhäuser Sorge getragen. Diese Herzenshärtigkeit vieler Arbeitgeber hat einen Niederschlag in den alten Possen und Schwänken gefunden in denen die Hankemaaiers, Slenner-Hinkers oder wie man sonst noch die deutschen Muffs nannte, ihrer Armuth wegen manchmal mit protzenhaftemGa naar eindnoot63 Hochmut behandelt werden. Solche armen Teufel, denen doch wahrlich in der derben Komik jener Stücke wie znm Hohn FaulheitGa naar eindnoot64 und Prasserei vorgeworfenGa naar eindnoot65 wird, werden nicht selten in den Herbergen über das Ohr gehauenGa naar eindnoot66 oder gar um ihr ganzes Reisegeld geprelltGa naar eindnoot67. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird das allgemeine Urtheil billiger und freundlicher; aber erst die Erfahrungen der allerletzten Jahre haben den Holländer gelehrt die Angehörigen des grossen deutschen Bruderstammes unter dem Gesichtspunkt völliger Gleichberechtigung zu betrachtenGa naar eindnoot68. Dennoch rühmten auch in den früheren Jahrzehnten alle verständigen Beurteiler die Ehrlichkeit der fremden Arbeiter. ‘Ihre Jungen sind treu, wie Gold’ sagte einmal ein friesischer Bauer zu einem deutschen Wanderprediger; und wenn der Reisende in Friesland oder Nordholland Reden hört wie die ‘ein rechter, schlichter Deutscher’, so sollte er sich dess bewusst werden, dass es vornehmlich unsere kleinen Tagelöhner aus Westfalen und Hannover sind, die ihrem Volk diesen hohen Ruhmestitel eingetragen haben. |
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