Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die klassische Periode der niederländischen Literatur
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uns in den Kopf oder auch nur in die Finger kommt. Nein, wer nicht alles tief empfindet und den starken Drang hat, sein Gefühl auszusprechen, ist nicht wirklich Dichter und lasse ab, mit Klängen und Reimen zu spielen, die nur dem Ohre schmeichelnGa naar eindnoot11; Dichter ist nur, wer in der That das, was er schreibt, empfand. Und das reimende rhythmieren ist nicht mehr als eine FertigkeitGa naar eindnoot12, die beinahe jeder lernen kann, auch ohne dass er ein Dichter ist, und die, auch ohne gefühlten Inhalt, für einen oberflächlichen Leser der wahren Poesie ganz gleich ist. Man lässt sich wiegen auf dem angenehmen Fluss hinwogendenGa naar eindnoot13 Wortgetanzes, während der oft wiederkehrende glatte Reim Euer Ohr berückt und Euch vielleicht für einen Augenblick ein bischen anregtGa naar eindnoot14, wie es auch eine Drehorgel vermag, wobei jedoch Eure Seele kalt bleibt wie Stein. Nein, Dichter ist nur der, für den die Dichtkunst kein Spiel mit Worten ist, sondern die zu Musik sich austönende Stimmung seiner Seele.’ Mit Bezugnahme auf Aussprüche wie diese konnte Frans Netscher, ein nahmhafter holländischer Novellist und Kritiker der neuen Schule, sagen: ‘Es ist der auf die Spitze getriebene Subjektivismus der Kunst, das hohe Lied des Individualismus in der Poesie.’ So sind manche Gedichte von Willem Kloos ganz biographisch: Verkehrt war's, dass ich geworden,
Dass ich geboren ward!
Die Welt war voll vom Morden
Der Horden,
Meine Kindheit war hart.
Das waren Tage
Voll Schreien und Weinen und Not und Plage.
Wie ein wildes Tier,
Das umschleichtGa naar eindnoot15 in blutiger Beutgier,
Sah ich das Elend vor mir,
Dass nachts ich erwachte und ausbrach in Klage,
In Mannesklage.
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Die Jünglingszeit darauf
War Träumen und Hoffen wirr und verschwommen,
Es möchte das Glück vielleicht noch kommen,
Einmal kommen,
Auf einmal aus der Jahre trägem Lauf.
Doch nun bin ich ein Mann,
Der alles litt, was ein Mensch leiden kann,
Der betete, fluchte,
Mied und suchte,
Ein schwergeprüfter Mann.
Würde aber Kloos nur sein reales Leben in Worten aussagen, so gehörte er zu den Naturalisten, die ihre ‘erlebten Gedichte’ als einzig berechtigt in der Literatur anpriesen. Aber das innere Erleben ist doch ebenso wahr wie jenes, es ist sogar das persönlichere, weil es weniger abhängig ist von den Zufälligkeiten des äusseren SchicksalsGa naar eindnoot16, die oft auf dasselbe mehr Einfluss haben, als der Charakter, aus dem der Dramatiker es abzuleiten streben soll. Willem Kloos drang bis in die innerste Seele und offenbarte seine geheimsten RegungenGa naar eindnoot17. Aber indem er sein Ich von dem Nicht-Ich ausser ihm fast allzu ängstlich zu sondern strebte, geriet er hart an die Grenze einer neuen Künstlichkeit. Der Dichter soll im Ausdruck originell sein, aber man soll nicht merken, dass er es sein will. So erinnert manchmal Willem Kloos' Diktion an die Gongoristen und Euphuisten, nur dass er auch dann die ‘Richtigkeit des Klangausdrucks’ und die ‘Klarheit der Bildersprache’, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, nicht ausser acht lässt. Ein sehr bezeichnendes Sonett von ihm möge seine Art an einem BeispielGa naar eindnoot18 zeigen: O reine Seele, mir zum Nachflug winkend,
O Silberklang im Alletagsgeläute!
Sag, wie ich Deinen Augenglanz mir deute,
Wenn ich Dich anstarr', vor Dir niedersinkend?
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Ich sinke, wonnig Deine Stimme trinkend
Und Deiner Augen Leuchten... Braut der Bräute!
Sieh, der Choralklang Deiner Stimme streute
Tautropfend auf die Gräser, hell erblinkend.
Ja, Braut der Bräute bist Du, Frau der Frauen,
Durch Pracht der Seele jedes Wunsches Ziel,
Die als kristallklar Kleinod niederfiel,
Gefasst in Deines Leibes samtneGa naar eindnoot19 Schöne,
Aus Jenseitslanden, die wir Erdensöhne
Mit heiliger Scheu nur nennen, nie erschauen.
Doch wie Gongora selbst neben seinem an Redeblüten überreichen estilo culto auch das schlichteGa naar eindnoot20 Volkslied pflegte, so versteht auch Willem Kloos ganz einfach zu sein. Er singt seine ‘Todeslieder’, die fast nur Prosa und selbst von alltäglichen Wendungen nicht frei sind, aber weil sie des Dichters trostlose Apathie gerade in ihrer scheinbaren Kunstlosigkeit ganz und voll wiedergeben, echte Kunst im Sinne der Individualisten sind. Eines von ihnen lautet in deutschen Versen: Ich sang von stolzen Dingen,
Von Pracht und Glut und Kuss,
Jetzt kann ich nichts mehr singen,
Als dass ich sterben muss!
O dass ich nicht Tränen habe!...
Wenn ihr gestorben seid,
Gehn hin von eurem Grabe
Die Menschen und - das Leid.
Dann lachen und dann spassenGa naar eindnoot21
Wie früher gross und klein
Und fern den vollen Strassen
Liegt jemand kalt - allein.
Ausser seiner Lyrik, die in zwei Bänden gesammelt vorliegt, | |
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Versen (1894) und Nieuwe Verzen (1895) und seine literarischen Abhandlungen, die er in dem Buche Veertien Jaar Literatuur Geschiedenis (Vierzehn Jahre Literaturgeschichte) vereinigte, verfasste Willem Kloos noch einige poetische Uebersetzungen. Ein klassisches Drama ‘Phädra’, blieb Fragment. * * * Frederik van Eeden hat ein viel grösseres Gebiet als Willem Kloos und ist auch weit populärer als dieser. Man kann ihn den erfolgreichstenGa naar eindnoot22 holländischen Dichter nennen. Zwei seiner Werke erschienen bereits in fünf Auflagen, was in den Niederlanden sehr viel bedeuten will. Frederik van Eeden ist 1860 zu Haarlem geboren und studierte Medizin. Als Psychotherapeut erwarb er sich einen grossen Namen und schrieb auch wissenschaftliche Abhandlungen über sein Fach. Seit einigen Jahren jedoch lebt er ganz seinen sozialistischen Ideen. Wie Ruskin möchte er eine Kolonie gründen, in der sich jeder voll ausleben kann und doch dem ZweckeGa naar eindnoot23 des Ganzen dient. Soviel mir jedoch bekannt geworden, ist auch sein VersuchGa naar eindnoot24 in dieser Richtung kein erfolgreicher gewesen. Er zeugt jedenfalls von Frederik van Eedens Menschenliebe und Hochsinn. Ein ähnlichesGa naar eindnoot25 Bild von ihm haben gewiss auch jene Leser, die seinen ‘kleinen Johannes’ kennen, der ja in der ‘Bibliothek der Gesamtliteratur’ (Nr. 609, 610) auch in deutscher Sprache zu lesen ist. ‘Der kleine Johannes’ erschien im ersten Jahrgang des ‘Nieuwen Gids’ noch im Jahre 1885 und machte grosses Aufsehen. Der idyllische Sinn der Holländer ward von den Idyllen des ersten Teils dieses lebenswahren Märchens bezaubert, aber die Schreckbilder des Todes im zweiten Teil, namentlich die furchtbare Friedhofszene, stiessen ab. Ein Gottbegnadeter Dichter sprach hier sein eigenes innerstes Erleben in schlicht symbolischer Weise aus, ohne doch jemals sich in eine Scheinwelt zu | |
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verlieren, ja selbst ohne dunkel zu sein. Man wird manchmal an Andersens Märchen erinnert. Hier wie dort die feine Naturbeseelung, die an Schelleys Apostrophe ‘Earth, Ocean, Air beloved brotherhood’ und seine zärtlicheGa naar eindnoot26 Liebe zur Natur gemahnt. Andererseits denkt man auch an Jens Peter Jacobsen, den grossen dänischen Dichter, der, wie Frederik van Eeden seinem Studium nach ein Naturforscher, die Natur bis in ihr geheimstes Kleinleben zu belauschen verstand. ‘Der kleine Johannes’ erhielt in ‘Johannes Viator, ein Buch von der Liebe’ nach mehr als einem JahrzehntGa naar eindnoot27 eine Fortsetzung, die schon in seinem Schlüsse versprochen war. Dieses neue Werk aber, obgleich ebenso erlebt wie das erste und vielleicht noch tiefer, fand wenig Verständnis. Der Dichter hatte es allzu sehr nur für sich geschrieben. Daher wirkt seine Symbolik an vielen Stellen dunkel. Als Dramatiker gab Frederik van Eeden ebenfalls zwei Werke seinem Volk, ‘Die Brüder’ eine Rechtstragödie, wie er sie nennt, und ‘Lioba’, ein Drama, das in der germanischen Vorzeit spielt. Auch hier ist das erste das unmittelbarer wirkende. Die Konflikte in der Familie Peters des Grossen sind in der Rechtstragödie ‘Die Brüder’ in grandiosen Szenen dargestellt. EigentümlichGa naar eindnoot28 ist die zwischen Epos und Drama schwankende Form des Werkes, die ihm jede Bühnenmöglichkeit raubt. Noch ein drittes Paar Schöpfungen Frederik van Eeden zeigt ein gleiches VerhältnisGa naar eindnoot29 des ersten Werkes zum zweiten: ‘Ellen, ein Lied vom Schmerz’ und ‘das Lied von Schein und Wesen’, von dem erst der erste Teil erschienen ist. ‘Ellen’ ist Frederik van Eedens Hauptwerk. Schon im ‘kleinen Johannes’ konnte man in dem Dichter einen Mystiker vermuten, aber er schien dem positiven Christentum entsagt zu haben. Am Schluss sagt nämlich der ‘Mensch’, der über das Meer dahergekommen war, zu dem kleinen Johannes, der ihn ‘Jesus’ und ‘Gott’ nennen will: ‘Nenn' jene Namen nicht. | |
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Einst waren sie rein und heilig wie PriestergewänderGa naar eindnoot30 und köstlich wie nährendes Korn, aber sie wurden zur Narrenkleidung für die TorenGa naar eindnoot31. Nenn' sie nicht, denn ihr Sinn ward zum IrrtumGa naar eindnoot32, ihre Weihe zum Spott. Wer mich zu kennen wünscht, der werfe jene Namen von sich und höreGa naar eindnoot33 auf sich selber.’ Im Gegensatz zu diesen Worten beginnt ‘Ellen’ mit einem Liede, das die Vorbildlichkeit von Christi Leiden und Sterben preist. In ‘Ellen’ will Frederik van Eeden zeigen, wie er zur mystischen Gotterkenntnis kam. Es ist zu beachten, dass sich der Dichter erst wenige Jahre vorher, erst nach dem ‘kleinen Johannes’ seinem speziellen Fache, der Psychotherapie, zuwandte, so dass man wohl eine Verbindung zwischen seinem Studium in der Liébaultschen AnstaltGa naar eindnoot34 zu Lyon und seinem poetischen Schaffen annehmen kann. Gewiss war sein ärztliches Studium vor allem geeignet, ihm der Menschheit ganzen Jammer zu offenbaren. Auch Ellen, die der Dichter liebt, leidet, aber sie trägt das Leiden still, obwohl sie weiss, dass sie sterben muss. Sie liebt sogar den Tod, dass der Dichter auf auf ihn eifersüchtig wird. Die Liebe zu Ellen hat ihn ganz verwandelt: Ich träumt' als grossen grünen Hag das Leben;
Die Vögel schwiegen und das Laub hing still,
Die Bäche flossen nicht, kein Windeswehn
Fuhr durch die Zweige - reglosGa naar eindnoot35 stand das Gras -
Da lag ich einsam zwischen stummem LaubGa naar eindnoot36.
Es war ein banger Traum, denn alles, was
Ich schön doch wusste, war so fremd mir, SchattenGa naar eindnoot37
Von Schönheit nur in fahlem Schemenlicht. -
In Blau und goldner Kreise Aureole
Sah ich dann sinken eine weisse Taube;
Mit ihr kam über alles Sonnengold,
Der Wind begann zu rauschen, voll von Sang
Der Vögel und der Bäche ward der Wald,
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So dass die Schöne dieser toten Dinge,
Auffunkelnd in lebendigfrohem Licht,
Mit in der allerhöchsten Schöne lebte.
Aber bald erwacht in dem Dichter die Sinnlichkeit: Mein Verlangen ist heiss, wie das Feuer entlohtGa naar eindnoot38,
Gross wie das Leben, stark wie der Tod.
Es mordete tief in der Seele mir
Wie ein wildes Tier
Alles von Leben glühende -
Wie ein Baum, der weit seine Wurzeln streckt,
Tötend mit seinem Schatten deckt
Das schönste, zartest blühende,
Von all dem Leben blieb mir allein
Des Verlangens Pein.
Noch schmerzlicher fühlt er nun Ellens Leiden. Er begreift nicht, wie Gott ein solches Leiden zulassen kann. Er erschöpft sich in Anklagen gegen Gott, da jedoch kommt ihm die mystische Erkenntnis. Christi Leiden selbst ist vorbildlich für Ellens Leiden In ihm offenbart sich Gott, der für Frederik van Eeden wie für die Mittelalterlichen Mystiker mit dem Leiden identisch ist. Sonach ist das Leiden göttlich. O fühlt' ich, was ich weiss, nun allezeit!
Das ohne Schmerz kein Heil je wird geboren,
Und dass kein Herz kann werden auserkoren,
Dass nicht verbrannte in dem eignen Leid.
Ach, dass so oft dies Herz im Widerstreit
Die Wahrheit, die es kund tat selbst, verloren,
Dem Zweifel nicht, der Rache nicht entschworen,
Noch flucht dem Unrecht, das dem Schmerz es weiht.
Doch, Herr, ermiss auch, welches Leid es trägt!
Was es bedeutet, wüsst' es bald nicht mehr. -
Mach' denn die harte Last nicht allzu schwer.
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Dass nicht mein arm' Gemüt in wildem GrollGa naar eindnoot39,
Von Pein geblendet, sich empörtGa naar eindnoot40, und toll
Deine Steintafeln nicht, o Herr, zerschlägt.
Zuletzt weicht auch noch dieses Gefühl heimlicher Bitterkeit, das in den Terzetten des eben zitierten Sonettes ausgedrückt ist. ‘Ellen, ein Lied vom Schmerz’ ist demnach eine moderne Theodicee, ihrem Charakter nach lyrisch-philosophisch. Als reiner Lyriker veröffentlichte Frederik van Eeden das schmächtige Bändchen Enkele Verzen (Einzelverse), das aber ein Dutzend andere Lyriksammlungen aufwiegt. Auf dieses Buch schrieb Willem Kloos die schönen Worte über den wahren Dichter, die ich oben anführte. In diesem Jahre soll ein zweites Bändchen Gedichte von Frederik van Eeden erscheinen, für deren wertvollste Stücke der Dichter selbst den Weihekranz von Dreifaltliedern ‘Gott und Mensch’ hält. Durch seine Liebenswürdigkeit ward es mir möglich, diesen überaus kunstreichen Gedichtcyklus in meine ‘Niederländische Lyrik von 1875-1900’ vollständig aufzunehmen, noch ehe er in Holland in Buchform erschien. Eine ausführliche Studie über Frederik von Eedens gesamtes Schaffen erscheint in Westermanns ‘Illustrierten Deutschen Monatsheften’ (1902). (Schluss folgt.) |
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