Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die burische GeschichtsschreibungPaul Krüger. Lebenserinnerungen des Präsidenten Paul Krüger. Von ihm selbst erzählt, nach Aufzeichnungen von H.C. Bredell, Privatsekretär, und Piet Grobler, gew. Unterstaatssekretär der S.A.R., herausgegeben von A. Schowalter. Deutsche Original-Ausgabe, München 1901, J.F. Lehmanns Verlag. (I. Band: Im Kampf um Sudafrika). General Ben Viljoen. Die Transvaaler im Krieg mit England Kriegserinnerungen. Mit vielen Abbildungen von Fritz Bergen und Anton Hoffmann, einer Kartenskizze und einer mehrfarbigen Karte von Südafrika. München 1902. J.F. Lehmanns Verlag. 404 S. 8o. Geb. 8 Mk. (II Band: Im Kampf um Südafrika). Dietlof van Warmelo, Kriegsbilder aus Südafrika; meine Erlebnisse im Guerillakriege, Berlin bei Meyer und Wunder. Oberst Schiel: 23 Jahre Sturm und Sonnenschein. Leipzig bei Brockhaus. Fr. Rompel und Feldprediger Kestell: Präsident Steyn und die Freistaate, München bei J.F. Lehmann (III Band: Im Kampf um Südafrika). Hofmeyer: 6 Monat bei den Burenkommandos. Christian de Wet: Der Kampf zwischen Bur und Brite. Kattowitz bei Siwinna
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Nachdem man während des Krieges fast nur auf trübe englische QuellenGa naar eindnoot1 angewiesen war, strömt überreichlich jetzt das Licht aus burischen und burenfreundlichen FedernGa naar eindnoot2. Mit einem Male erhebt sich die burische Geschichtsschreibung aus dem Nichts zür ansehnlichen Höhe. Es ist eine Ehrung, dass der deutsche Buchhandel hier die Führung hat. Es beweist seine Bedeutung und die ThatsacheGa naar eindnoot3, dass der Schwerpunkt der burenfreundlichen Volksgesinnung doch in Deutschland lag und liegt. Frankreich ist und denkt doch keltisch-romanisch, seine Burenfreundschaft ist bei Lichte gesehen nichts, als Englandfeindschaft und diese ist Ueberlieferung. Holland aber ist u klein; es giebt dem Buchhandel nicht Raum genug. 1750 erschienen die leitenden Weltzeitungen in Holland; um sie warbGa naar eindnoot4 Friedrich der Grosse, das ist heute vorbei. So fiel fast alles nach Deutschland. Allein die erste Sendung von Krügers Erinnerungen, die Lehmann von München nach dem Leipziger Stapelplatz sandte wog 800 Centner. Mit Siwinna, welcher Lehmann überbot, beging allerdings de Wet vielleicht einen Missgriff.
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Wir stellen voran Krügers Lebenserinnerungen, der Bedeutung Krügers entsprechendGa naar eindnoot5, nicht dem Werte des Buches entsprechend; Viljoens und de Wets Kriegsbücher sind bedeutender. Paul Krüger stammt wie sein Name schon besagt aus Deutschland, näheresGa naar eindnoot6 darüber weiss er nicht. Der Name deutet nach der Elbe und Oder, wo er stärker verbreitet ist als im Westen und Süden Deutschlands. Das 300 Seiten starke Werk bietet manches Interessante, kann sich natürlich in keiner Richtung mit den ‘Gedanken und Erinnerungen’ des Fürsten Bismarck vergleichen lassen, ebenso wie die Theater, auf den die beiden ihre Rollen spielten, das eine die kleinen afrikanischen Staaten und das andere das ganze grosse Europa, zum Teil sogar die | |
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Erde. Unsere Kenntnisse über Krüger werden vornehmlich durch die ersten 10 Hauptstücke des Werkes, welche bis zum Jahre 1893 gehen, vermehrt. Es sind dies im wesentlichen die Jugenderinnerungen, Jagd- und Kriegsabenteuer Krügers, welche allerdings ein politisches und diplomatisches Interesse nicht besitzen. Hier erscheint Krüger ganz als der muskelkräftige thatenfroheGa naar eindnoot7 Germane und seine Jagdabenteuern zeigen nicht die geringste Neigung für Uebertreibung. Hier erweist sich gleich der Grundton Krügers: die Aufrichtigkeit und die völlige Abwesenheit aller PrahlereiGa naar eindnoot8. Erst etwa seit dem Jahre 1893 tritt das Buch aus dem persönlichen Rahmen hinaus und wird ein politisches Werk. Aber zugleich lässtGa naar eindnoot9 es von da ab stark nach. Der gewichtige VorwurfGa naar eindnoot10 der gegen das Werk erhoben werden kann, geht dahin, dass alles hier Gesagte aus dem Gedächtnisse geschöpft ist. Denn ohne Aufzeichnungen ist ein fester Aneinanderschluss in Erinnerungen nun einmal nicht herzustellen. Daher auch das vielfach Aphoristische und Zusammenhanglose dieser Aufzeichnungen, die der Gedächtniskraft des Verfassers zwar ein glänzendes Zeugniss ausstellenGa naar eindnoot11, aber über das Gefühl der LückenhaftigkeitGa naar eindnoot12 nicht hinweghelfen. In einem Vorworte, das selbstverständlich von Krüger gesehen und gebilligt und somit in seiner Bedeutung erhöht ist, ist allerdings von dem Herausgeber eine Erklärung über das Wie und Warum dieser Art des Entstehens der ‘Erinnerungen’ gegeben, die aber die Thatsache, dass es eben doch nur ‘Erinnerungen’ sind, nicht aus der Welt schaftt. So sagt der Herausgeber u.A.: ‘Paul Krüger hat sich viel zu sehr allezeit als Werkzeug als Diener Gottes betrachtet, als dass er unbefangen von sich reden könnte; und die Furcht, dem göttlichen Meister die Ehre zu nehmen und sich widergöttlicher SelbstüberhebungGa naar eindnoot13 schuldig zu machen, hat ihm gar oft das Wort, wenn es schon auf der Zunge lag, wieder zurückgedrängt. Es musste | |
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eine Zeit kommen wie die gegenwärtige, bis er in völlig selbstloser Weise sich entschloss nachzugeben. Aber die Aufzeichnungen mussten in dritter Person niedergeschrieben werden, als rede Krüger nicht von sich selbst, sondern von einem, der nicht sich selbst, sondern nur der Geschichte angehört. Ein religiöses Gefühl hat dieses Zugeständniss erfordert.’ Das scheint uns nur ein Versuch der Uebersetzer zu rechtfertigen, dass sie reden und nicht Krüger. Man wird aber den Eindruk nicht los, dass hier und da überhaupt Schowaltersche und nicht Krügersche Erinnerungen vorliegen. Bei aller Bewunderung für die Kraft des Krügerschen Gedächtnisses kann man nicht umhin, das gänzliche Fehlen von Aufzeichnungen, auch schon darum als einen Verlust zu betrachten, weil bei einem so bewegten Lebensgange wie dem des Präsidenten selbst Zufälligkeiten und Zwischenfälle von anscheinend untergeordneter Bedeutung Inhalt und Werth erlangen. Was Krüger an bedeutenden Aktenstücken der späteren Zeit giebt, ist fast alles schon aus den Blaubüchern bekannt, wozu noch die 2 Bände Veröffentlichungen der Südafrikanischen Republik kommen. Auch schon bekannt aus dem Prozess gegen Jameson, worin Labouchère sich auszeichnete; aber doch in der Presse neu sind einige DarlegungenGa naar eindnoot14 über den Jameson-Einfall. ‘Eines der Telegramme von Flora Shaw an Rhodes endigte mit den Worten: ‘Chamberlain rein im Falle der Intervention europäischer Mächte, aber ich habe besondere Gründe zu glauben, dass er wünscht, dass Sie es sofort thun sollen.’ Dazu nehme man noch folgende Telegramme von Rhodes an Miss Shaw: ‘Teilen sie Chamberlain mit, dass ich gut durchkommen werde, wenn er mich unterstützt, aber er muss keine Kabel senden, wie er sie an den Hohen Kommissar in Südafrika gesandt hat. Heute ist die Krisis, ich werde gewinnen, und Südafrika wird England gehören.’ ‘Wenn Sie nicht sorgen können, dass Chamberlain den Hohen Kommissar beauftragt, sofort nach Johannesburg zu gehen, so ist die ganze Sache verloren. Der Hohe Kommissar würde eine ausgezeichnete Aufnahme finden und den Dingen noch eine Wendung zu Gunsten Englands geben können, aber er muss | |
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sofort per Kabel beauftragt werden, und die Instruktionen müssen sehr deutlich sein, da er schwach ist und keine Verantwortung auf sich nehmen will.’ Ausserdem muss man wohl beachten, dass der vom englischem Parlamente ernannten ‘Untersuchungskommission für Britisch-Südafrika nur ein Teil der Telegramme von der englischen Regierung vorgelegt und wahrscheinlich die kompromittierendsten zurück gehalten wurden. Warum thut man so etwas, wenn man doch eine Untersuchung anstellt, um die Wahrheit herauszufinden? Soll man nicht daraus entnehmen dürfen, dass Chamberlain ebenso schuldig war wie Rhodes? Dass aber auch aus den erwähnten publizierten Telegrammen bereits deutlich genug die Beteiligung Chamberlains an dem Komplott zu erzehen ist, wird wohl niemand im Ernste leugnen können’. Die Grösse des Buches liegt in der Tragik des Schicksales des Verfassers. Paul Krüger ist sicherlich eine der interessantesten Persönlichkeiten der Gegenwart, und dass er nun am Ende eines beispiellos mühevollen Daseins sein Lebenswerk in Trümmern sieht, umkleidet schon jetzt seine geschichtliche Gestalt mit jenem düsteren HauchGa naar eindnoot15 von Tragik, der von jeher die Menschenherzen am meisten bewegt hat. Es ha etwas Ergreifendes, diesen Mann, dessen früheste Erinnerungen mit der ‘Heimatlosigkeit’ der unter dem Druck englischer Chikanen nach Norden ‘trekkenden’ Burenfamilie beginnen, als 77-Jährigen wieder ‘heimatlos’ zu sehen, nachdem er inzwischen der heissgeliebten Freiheit seines Volkes ein stattliches, wohlgefügtes Haus gezimmert und diesen Bau durch lange Jahrzehnte hindurch mit der ganzen Kraft seines Wesens und nicht ohne das Glück vertheidigt hatte, das den Tapferen, Unerschroekenen, Gottvertrauenden auf die Dauer nicht zu fliehen pflegt. Ausserdem mussten ja diese Lebenserinnerungen in einer Zeit ausklinge, der jetzt noch das stärkste politische Interesse zugewendet ist. Zwei Stellen sind hier, welche diese Tragik verkörpern. | |
Zur Abfahrt Krügers nach Europa‘Waren schon die bisherigen Tage mit allen ihren Anforderungen für den Präsidenten schwer gewesen, so warden die folgenden noch viel schwerer. | |
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Als nach dem Entsatze von Mafeking dia britischen Truppen von allen Seiten in die Republik hereinströmten, wurde es mit jedem Tage gewisser, dass er auf seine alten Tage Frau und Haus und alles, was ihm teuer war, werde verlassen und im Osten der Republik eine Zuflucht suchen müssen um von da den Kampf von neuem zu beginnen. Dass ihm der Gedanke an diesen Abschied schwer auf dem Herzen lag, wird jedermann begreifen, zumal seine Gattin schon so alt und schwach war, dass er nicht daran denken konnte, sie mitzunehmen. Der Arzt hatte erklärt, eine solche Reise bedeute ihren Tod und doch musste der Präsident als sicher annehmen, dass er sie in seinem Leben nicht wieder sehen werde. Und doch, dieser Tag des Auseinandergehens nach einer so langen und glücklichen Ehe kam immer näher und eine ungewisse Zukunft voll Gefahren und Entbehrungen stand vor der Thür. In dieser Gewissheit eröffnete der Präsident im Anfang Mai die alljährliche Volksratssitzung. Die Ansprachen, die er dabei hielt, geben wieder, was in seinem Herzen lebte: festes Vertrauen und Zuversicht auf eine glückliche Zukunft trotz aller gegenwärtigen Not. Da Machadodorp eine der kälteste Plätze in Transvaal ist und der Präsident in dieser Zeit viel mit seinen kranken Augen zu thun hatte, so wurde auf Drängen der Bürger beschlossen, nach Waterval Onder, das, am Elandflusse inmitten hoher Berge tief gelegen, im Winter ein sehr mildes Klima hat, umzuziehen. Hier bekam der Präsident eine kleine Wohnung, die notdürftig für ihn eingerichtet war, und wo er noch die zwei schönsten Monate seit seiner Abreise aus Prätoria zubrachte. War das Verlassen von Prätoria schon schwer für Krüger, so war das Verlassen seines Landes, dem er sein Leben geweiht hat unter solchen traurigen Umständen doppelt schwer. Er sah es überschwemmt und erfüllt von dem Feinde, der in seinem Uebermute bereits erklärte, dass der Krieg aus sei und nur noch Guerillabanden das Land durchstreiften. Er musste Abschied nehmen von den Männern, die ihm so viele Jahre zur Seite gestanden, und musste sein Land und Volk, seine greise Gemahlin, Kinder und Freunde und die kleine Schar todesmütige Kämpfer verlassen, die von allen Seiten eingeschlossen sich einen Weg bahnen mussten durch einen wüsten unbewohnten Strich nach dem Norden der Republik, um dort eine Reorganisation zustande zu bringen und den Streit auf's neue zu beginnen. Aber es blieb ihm nichts anders übrig. Er musste sich entwederGa naar eindnoot16 dem Beschlusse fügen oder sich gefangen nehmen lassen. Bei seinem hohen Alter, bei dem er nicht mehr zu Pferde sitzen konnte, war es ihm unmöglich, sich den Kommandos weiter zu fügen. Am folgenden Tage - der Präsident hatte in Krokodilpoort übernachtet - begann die lange Pilgrimsreise nach Europa, eine Reise, deren Ablauf man damals weder vorhersehen noch vorhersagen konnte. | |
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In Portugiesischer Gefangenschaft‘In Laurenzo Marquez liess man den Zug nicht in der Station halten, sondern auf ein Nebengeleise bringen, sodass (es war schon dunkel) der Präsident unbemerkt nach der Wohnung des Generalkonsuls Pott kommen konnte. Es war seine Absicht, hier zu bleiben, bis er sich auf dem ersten Dampfer - das wäre der Dampfer “Herzog” von der Deutsch-Ostafrika-Linie gewesen - nach Europa einschiffen könne. Aber bereits am folgenden Tage kam der portugiesische Gouverneur und meldete, dass er den Auftrag habe, den Präsidenten als Gast der portugiesischen Regierung mit sich nach seiner Wohnung zu nehmen. Als der Präsident dagegen Bedenken äusserte, erklärte der Gouverneur, er habe überhaupt keine Wahl, sondern müsse sofort mitgehen, und wenn er nicht wolle, müsse er Gewalt gebrauchen. Diese Handlungsweise der portugiesischen Regierung ist unzweifelhaft dem Drucke zuzuschreiben, den die englische Regierung auf sie ausübte, denn der portugiesische Gouverneur regierte nur dem Namen nach, der wirkliche Gouverneur war der englische Konsul in der Delagoabai. Der Gouverneur Machado, der vielleicht seine unangenehme Aufgabe sehr ungern ausführte, behandeltë den Präsidenten sehr freundlich, aber liess ihn doch nirgends hingehen, ohne ihn zu begleiten, und auch von dem Gefolge des Präsidenten, das ebenfalls im Hause des Gouverneurs einquartiert war, konnte niemand den Fuss in die Stadt setzen, ohne von einem Adjutanten begleitet zu werden; aber auch dann noch dürften sie mit niemand ein Gespräch führen. In den ersten Tagen hatte man den zwei Herren im Gefolge des Präsidenten ebenso wie einigen anderen Freunden wenigstens noch zugestanden, ihn zu besuchen, aber auch das wurde bald verboten und zwar, weil, wie erklärt wurde, der englische Konsul sich darüber beklagt habe. Dieser Zustand dauerte einige Wochen lang, währendGa naar eindnoot17 deren der Präsident thatsächlich ein Gefangener im Hause des Gouverneurs was. In die Zeit des Aufenthaltes im Hause des portugiesischen Gouverneurs fiel auch der 75. Geburtstag des Prësidenten. Wie ganz anders war es früher bei solchen Festtagen, wenn ganz Prätoria und viele Bürger von auswärts sich aufmachten, um ihre Glückwünsche darzubringen und ein Strom von Besuchern von morgens früh bis abends spät sich in der Richtung der Präsidentenwohnung dahin zog. Jetzt, von Land und Volk und seiner Familie getrenntGa naar eindnoot18, dürfte der Gefangene des portugiesischen Gouverneurs nicht einmal die Glückwünsche von Seiten der Bürger, die sich in der Delagoabai befanden, entgegen nehmen, nur von der Strasse aus durften | |
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sie ihre Glückwünsche ihrem Präsidenten zurufen, was denn auch jeder Bürger, der sich dort befand, that. Der erste Lichtstrahl, der in diese Nacht der TrübsalGa naar eindnoot19 fiel, war das Anerbieten der holländischen Königin, auf einem Kriegsschiffe den Bräsidanten nach Europa zu holen - eine That, die von dem gesamten Burenvolke hoch anerkannt wird. Jetzt war doch wenigstens die Unsicherheit gehoben, ob die Reise überhaupt glücken werde. Da das Schiff aber weit von der Delagoabai entfernt war, konnte die Einschiffung erst am 21. Oktober erfolgen, und dann musste die “Gelderland”, wo der Präsident äusserst freundlich und liebenswürdig von dem Kommandanten und den Offizieren empfangen wurde, erst noch Kohlen einnehmen. Die Reise von der Delagoabai nach Dar-es-Salam, wo die “Gelderland” am Morgen des fünften Tages ankam, verlief sehr gut. Der Präsident hatte zwar Anfangs zum ersten Male in seinem Leben etwas Seekrankheit, aber bald steckte er sein Pfeifchen wieder an, em deutlicher Beweis, dass die Seekrankheit vorüber war. In Dar-es-Salam kamen einige deutsche Beamte an Bord der “Gelderland” und luden den Präsidenten zu einem Diner ein, das sie zu seiner Ehre geben wollten. Er aber ersuchte sie, um der traurigen Umstände seines Landes willen, von dieser Ehrung AbstandGa naar eindnoot20 zu nehmen.’ Und doch trotz solcher Stellen müssen wir einer kritischen Stimme beipflichten wenn sie sagt: ‘Aber wenn man so von vornherein mit starker seelischer Bewegung an das Buch herantritt, so spürt man um so deutlicher, dass es wederGa naar eindnoot21 ein politisches noch ein literarisches EreignisGa naar eindnoot22. Es ist selbstverständlich anziehend zu lesen, und es wird für die ungezählten Freunde Paul Krüger's und seiner unglücklichen Sache immerhin ein werthvoller Besitz sein, aber es wird wohl auch dem leidenschaftlichstenGa naar eindnoot23 Krüger-Enthusiasten nicht der Gedanke kommen, die Erinnerungen des Mannes, den man vor seinem entscheidenden grossen MisserfolgGa naar eindnoot24 wohl den Bismarck Südafrikas genannt hat, mit den “Gedanken und Erinnerungen” auch nur in einem Atem zu nennen. Dazu fehlen dem Memoirenwerk vor allem die grossen leitenden Gesichtspunkte, die dem Leser einen bisher versagtenGa naar eindnoot25 Einblick in die treibenden Kräfte der südafrikanischen Entwickelung gewährenGa naar eindnoot26 würden, und dieser Mangel wird auch nicht etwa durch einen son- | |
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derlichen Reichthum an stofflich Neuem ausgeglichenGa naar eindnoot27.’ Wunderbar scharf geht Krügers Charakter aus seinem Buche hervor; das ist dessen Wert. Aber sein Bild steigt nicht in dem Auge Europas. Krügers Mut, sein Vertrauen, seine Vaterlandsliebe, seine Aufrichtigkeit sind herrlich, aber wir stehen vor der unerbittlichen Frage: ‘war Krüger seiner Zeit, seinem Gegnern, seinen AufgabenGa naar eindnoot28 gewachsen.’ Das muss verneint werden. Er war das Urbild eines kraftbewussten, aber zu eigenwilligen, in sich abgeschlossenen Germanen. Colunt discreti, sagt Tacitus et dispersi, ubi fons ubi nemus placuit, ein jeder für sich ein kleiner König. An dem Mangel an Staatssinn, an dem Unwille dem Ganzen einen Theil der eigenen Selbstbestimmung zu opfern sind viele Germanenstämme zugrunde gegangen, an diesen FehlernGa naar eindnoot29 gingen die Buren zu Grunde, an ihnen wären beinahe alle Deutsche verkommenGa naar eindnoot30, an ihnen drohenGa naar eindnoot31 Holländer und Vlamen zu scheiternGa naar eindnoot32. Die Buren versäumten nicht nur zu Bismarcks Zeit den AnschlussGa naar eindnoot33 an Deutschland, ja sie widersetzten sich der geschehenen Erwerbung der Lucia-Bucht durch die Deutschen. Deutschland gab die Bucht auf und so fiel sie in die Hände - Englands. Damit war den Buren das letzte Rettungsfenster zugenagelt. In der Unterschätzung Europas wurde das Heerwesen entsetzlich vernachlässigt - über alles das un tenGa naar eindnoot34 mehr aus den Büchern de Wets, Schiels, Viljoens. Nach dem Jameson-Einfall schaffte man wenigstens Gewehre und Patronen an. Die GeschützeGa naar eindnoot35 vernachlässigteGa naar eindnoot36 man. Krüger selbst hat neben seinen vielen Tugenden hier Mitschuld aus einem andern Fehler - seinem calvinischen Gottvertrauen das in Fatalismus übergeht. Die Frommigkeit Krügers hat gelegentlich einen StichGa naar eindnoot37 ins Unduldsame. Charakteristisch für Krüger ist, wie er, der den Gegenkandidaten Robinson unterstützt hatte, den neugewählten Präsidenten anredet: ‘Hochedler Herr! Ich habe mein Aeusserstes gethan, um ihrer Wahl | |
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entgegenzuarbeiten, Hauptsächlich uni Ihrer, meines ErachtensGa naar eindnoot38 verkehrten religiösen Auffässung willen. Aber nachdem Sie nun durch die Mehrheit gewähltGa naar eindnoot39 worden sind, unterwerfe ich mich als guter Republikaner diesem Votum des Volkes, in dem Vertrauen, dass Sie gläubiger sind, als ich dachte, in welchem Fall ich Ihnen von Herzen Glück wünschen werde.’ Trotz diesem guten Willen sah sich Krüger, wie er sagt, genöthigt, in der Opposition gegen Burgers, dessen Pläne nach seiner Ansicht der Zeit allzusehr voraus eilten und dessen liberale Tendenzen auf religiösem Gebiet und in Schulfragen ihm äusserst unsympatisch waren, zu verharrenGa naar eindnoot40. Unter dem noch unbekannten Material, welches die Lebenserinnerungen Krügers enthalten, sind bezeichnendGa naar eindnoot41 drei seiner Rundschreiben während des Krieges an die Kommandanten und Offiziere. Sie zeigen sehr stark die Schwäche der Persönlichkeit Krügers und zugleich des gesamten Burenvolkes. Man wird gewiss den Mut, die Tapferkeit und die Vaterlandsliebe der Buren bewundern, aber neben ihrem zu weit getriebenen Individualismus, haben wir bei den Buren das Fehlen einer modernen europäischen, militärischen und politischen Einsicht zu beklagen. An ihre Stelle tritt eben dieses überstarke Gottvertrauen. Der klassische Typ hierfür ist Krüger. Steijn stand in dieser Beziehung höher. Man muss von einem Präsidenten während eines Kampfes auf Leben und Tod kurze, klare politische Befehle verlangen; statt dessen ergeht er sich in nachfolgenden Depeschen in einem krausen Stile voll biblischer Gleichnisse. | |
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Christen zu verfolgen, und die aus dem Glauben fallen, werden draussen bleiben und nicht in den herrlichen Kirchenstaat eingehen, so also auch ausgeschlossen werden aus dem Himmelreich, wenn die Kirche nach der Offenbarung geschlossen wird. Aber die im Glauben beharrenGa naar eindnoot43 und im Namen des Herren streiten, werden die Krone erlangen und in den herrlichen tausendjährigen Kirchenstaat und damit auch in die ewige Herrlichkeit eingehen. Brüder, Brüder, ich bitte Euch, fallt nicht aus dem Glauben, sondern bleibt im Glauben und streitet im Namen des Herrn. Fragt Euer eigenes Herz: wenn Ihr so Feige seid und flüchtet, zo geschieht das, weil Ihr nicht mehr glaubt, dass ein Gott im Himmel ist, und dann werdet Ihr völlige Gottesleugner....... Ist es nicht noch derselbe Gott, der Israel zur Zeit Pharaos unter Wunder und Zeichen aus dem Lande geführt hat? Ist es nicht noch derselbe Gott, der sie durch das Rote Meer führte und sie durch eine Wolkensäule verhüllte, die dunkel war für die Feinde, aber hell für seine Kinder? u.s.w..... Nach Psalm 83 sagen die Feinde von altersher: ‘Dieses Volk darf im Reiche Christi nicht bestehen’, und Salisbury und Chamberlain haben dasselbe in ihrer Erklärung gesagt, wie Ihr selbst gelesen habt: wir sollen nicht bestehen. Aber der Herr sagt: ‘Dieses Volk wird bestehen’. Christus ist unser Obergeneral, der uns durch sein Wort leite...... Seht Psalm 92. Lest dieses allen Offizieren und Bürgern vor, denn was wir leiden in der Gegenwart, ist nichts im Vergleiche gegen die ewige Herrlichkeit. Lasst uns unserem Seligmacher gehorsam sein u.s.w. | |
II. Telegramm des Staatspräsidenten an den Generalkommandanten aus Machadodorp vom 7. Juli 1900.Offiziere und Bürger, setzt Euer ganzes Vertrauen auf den Herrn. Er ist unser oberster General, der jedermanns Herz bewegt, wozu er will und er sagt: ‘Diese Gefahr ist die meine und der endliche Sieg ist auch in seiner Hand. Achtet nun auf unseren Streit vom Beginn an bis heute, ob der Herr nicht noch allzeit mit Wundern auf unserer Seite steht, wie Er unseres Schwert gesegnet hat, dass in der Regel so wenig Leute auf unserer Seite und so viele auf der des Feindes fallen, dass trotz der grossen Menge von Truppen und Kanonen, die uns gegenüberstehen und der Tausende von Schüssen, die auf uns abgefeuert werden, doch des Feindes Schwert nicht gesegnet ist. Wankt nicht im Glauben und lasst Euch auch nicht dadurch schrecken, dass einige von uns abfallen. Der Apostel Paulus hat das schon im 1. Timotheus Vers 4 vorausgesagt...... Wenn andere so weit gehen, ihre Wallen niederzulegen und den Eid ablegen und nicht zurückkehren, so ist das nach der | |
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Schrift Abfall von Gott, allerdings werden solche Leute ebenso wie das ‘Tier’ auch noch sagen, dass sie an den Herrn glauben. Aber der Herr sagt: ‘Zeige mir deinen Glauben aus deinen Werken’. Und wenn sie dann die Werke des Tieres ausführen, um ihre Mitbrüder zu verraten, dann ist das ein toter Glaube, den sie sich aneignen (siehe Oftenbahrung 14, Vers 9-10) - Leute die das ‘Tier’ und sein Bild anbeten (Vers 10), und die darum auch den Wein des Zornes Gottes trinken werden u.s.w. Brüder, die Ihr vielleicht schon so weit gegangen seid, kehrt zurück und erniedrigt Euch vor dem Herrn. Er wird Euch vergeben, und streitet dann mutig in seinem Namen! Lies dieses Telegramm den Officieren und Bürgern bei jeder Gelegenheit vor. | |
Zirkulartelegramm des Staatspräsidenten an den Generalkommandanten, die Generalkommandantassistenten und die Kriegsoffiziere aus Machadodorp vom 24. Juli 1900Aus Ihrem Bericht und verschiedenen anderen Berichten sehe ich, dass der Geist des Unglaubens überall auftritt wie ein brüllender Löwe, um unsere Menschen wankelmütig zu machen. Brüder, Ihr begreift doch, wenn Ihr den Feind an Euch lasst vorbeigehen und fangt an zu zweifeln, ob Ihr ihn angreifen sollt oder nicht, treibt Ihr die anderen, die noch zurück sind, im ganzen Lande, wo sie das hören, auch zum Wankelmut und zum Unglauben; aber wenn Ihr Eure Pflicht thut und den Feind anpackt, wo er kommt, so macht Ihr den Unsrigen, die auf den Farmen in der Republik zurückgeblieben sind und das hören, Mut, um auch kämpfen zu helfen, mögen sie und wir auch nur wenige sein. Denn der Sieg ist nicht in der Hand der Uebermacht, sondern in der Hand des Herrn, und der Herr giebt ihn denen, die in seinem Namen streiten, wenn wir auch noch so wenige sind. Achtet auf das Wort des Herrn: ‘Wenn er das Volk verlässt, dann macht er sein Schwert stumpf und ungesegnet’ und seht (scil. dass er uns nicht verlassen) u.s.w. Hier sehen wir ganz die alte Schule der Buren, zu welcher auch Joubert gehörte. Alles was vernachlässigt ist, wird durch den Glauben ersetzt. In Krügers Augen ist der Krieg beinahe ein Religions-Kampf. Hier liegt eine Hauptwurzel des hereingebrochenen Unheils; die Steijn, Botha, de Wet kamen zu spät. Es wurde dies fatalische Gottvertrauen endgültigGa naar eindnoot44 geheilt. Die | |
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Buren haben ja die Probe auf ihren Gottesgedanken gemacht. Sie sind verlassen und politisch beinahe zu Grunde gegangen. Nach ihrer Theorie müsste also entweder ihr Volk vor Gott keine Gnade finden, oder dieser Gott müsste nicht existieren. Das ist auch für uns die Mahnung, daran festzuhalten, dass nur dem der Sieg verliehen wird, der ihn sich durch richtiges, zweckentsprechendesGa naar eindnoot45 Handeln verdient hat. Der Stil Krügers erinnert an die Dissidenten der englischen Revolution und an die Reden Cromwells. Aber selbst Cromwell konntë mit seinem Parlament nichts anfangen, welches seine Sitzungen mit Bibellesen began und alle politischen Fragen mit dem Aufschlagen irgend einer Bibelstelle lösen wollte. Cromwell musste schliesslich das Barebone-Parlament durch seine EisenseitenGa naar eindnoot46 auseinander jagen lassen und der Kurfürst von Sachsen, der während der Schlacht von Mühlberg in einer Kirche betete, statt zu kommandieren, erfuhr bitter, dass oft das Arbeiten wichtiger, als das Beten ist. Halten wir es mit dem Spruche Kaiser Wilhelms II.: ‘Wer auf Gott vertraut und dabei feste um sich haut, der hat nicht auf Sand gebaut.’ Holländer und Vlamen sollten daraus die Lehre ziehen dass nicht nur der Heerdienst d.h. das Waffenrecht zwei Jahrtausende das edelste, vornehmste Recht des freien Germanen war, sondern zugleich das einzige Recht auf Bestellen des eigenen Volkes verleiht. So vernemen Krügers ‘Erinnerungen’ die Frage, ob er seinen gewaltigen Aufgaben gewachsen war. Aber sein Bild lebt weiter als das eines wackeren, mutigen, Vaterlandsfreundes, eines Helden der fünfzig Jahre gegen ein Ungeheuer stritt, welches immer von neuem die PrankenGa naar eindnoot47 auf sein Vaterland legte. Dass er unterlag und fern nun der Heimat, ιεμενος ϰαι ϰαπνον αποδρωσϰοντα νοησαι ηϛ παιηϛ θανεειν ιμειϛεται. ‘sich sehnt, den Dampf nur aufsteigen zu sehen von der Hei- | |
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matGa naar eindnoot48 und dann zu sterben’, das liegt wie ein düster verschönender dramatischer Zauber über dem Lebensbuche Krügers. (Schluss folgt.) |
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