Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDie klassische Periode der niederländischen Literatur
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sische nenne, und gewiss noch mehr befremden, wenn ich berichte, dass jenes Volk, dem sie angehört, sie selbst als eine solche bezeichnetGa naar eindnoot2. Man wird von Selbstüberhebung, von EigendünkelGa naar eindnoot3 sprechen. Aber man vergisst, dass man sonst den Hollandern die grösste Besonnenheit nachrühmt. FreilichGa naar eindnoot4 ist jedes Volk leicht geneigt, seine jeweiligen Dichter für die besten zu halten, wenn auch nicht gleich für die besten der gesamtenGa naar eindnoot5 zeitgenössischen Literaturen. Dies aber tut Pol de Mont. Er schreibt: ‘Eine Plejade von Dichtern wie Willem Kloos, Frederik van Eeden Albert Verwey, Helene Lapidoth-Schwart, Herman Gorter hat in dem letzten Vierteljahrhundert kein europäisches Land aufzuweisenGa naar eindnoot6. Pol de Mont hat sich selbst unter den Dichtern zu nennen vergessen; mit ihm und Jacques Perk ist die Siebenzahl der Plejade voll. Ein Wort von einem so sprachenkundigen Mann, wie es Pol de Mont ist, verdient gewiss BeachtungGa naar eindnoot7. Und in der That findet der Ausländer, der sich mit der holländisch-vlamischen Literatur von 1880 an bekannt macht, ausserordentlich viel zu bewundern, ja er begreift kaum, wie dieses SchrifttumGa naar eindnoot8 | |
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im NachbarlandeGa naar eindnoot9 so unbeachtet bleiben konnte. Die holländische Dichtkunst erreichte eine Höhe, die niemand vorausgeahntGa naar eindnoot10 hätte, der sie bis in die siebziger Jahre des verflossenen JahrhundertsGa naar eindnoot11 verfolgte. Und nennt man, was den Stempel der Vollendung trägt, klassisch, so ist die BezeichnungGa naar eindnoot12 der genannten sleben Dichter als Klassiker nicht unberechtigt. Wie nun konnte die Literatur sich so mit einem Male entfaltenGa naar eindnoot13? Seit Jahrhunderten lag sie ganz darnieder. Man erinnert sich, welchen grossen Einfluss sie im siebzehnten Jahrhundert auf unsere Dichter hatte - man denke nur an Martin Opitz und an die Uebersetzertätigkeit unseres trefflichenGa naar eindnoot14 Gryphius -, seit jener Zeit des AufschwungsGa naar eindnoot15 aber hat Holland keinen Dichter von einiger Bedeutung hervorgebracht. Ja, die Holländer sind in den Ruf gekommen, das unpoetischste aller germanischen Völker zu sein. Und doch hat ein Rembrandt, ein Rubens, ein Ruysdael der Welt bezeugtGa naar eindnoot16, welche Fülle von Poesie in ihnen lebt. Man darf auch nicht vergessen, dass unsere moderne Musik, die bis auf den Kirchengosang alle Gebiete eroberte, den niederländischen Meistern unendlich viel verdankt. Nicht umsonst standen diese selbst in Italien in höchstem Ansehen. Meister Willaert von Venedig und andere sind die Vorläufer Palestrinas und seiner Schule. Der Fluch der holländischen Poesie war, dass sie die schon in ihrer ersten Blütezeit stark unter Französischem Einflusse stand, sich diesem in der Folgezeit noch mehr hingab. Der Alexandriner in seiner langweiligenGa naar eindnoot17 germanisierten Form wurde das Hauptversmass. Hierzu kam, dass die Aufklärung der Poesie mit ihrer auf andern Gebieten so segensreichen Nüchternheit alles Ueberirdische raubte, sie zur Prosa in Reimen machte. Aber wir verlangen eben mehr von Versen, als dass sie nur durch gleiche EndlauteGa naar eindnoot18 verbunden sind. Wir wollen gerührt, ergriffenGa naar eindnoot19 sein, wir wollen jenen SchauderGa naar eindnoot20 empfinden, den Goethe ‘der Menschheit bestes Teil’ nennt. Die romantik such- | |
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te diesen Schauder zu erwecken aber sie bediente sich zu plumper Mittel, sie erweckte eher GruselnGa naar eindnoot21 - ein Gefühl, über das der Ernüchterte zu spotten pflegt. In Holland vermochte die von Deutschland eingeführte Romantik nicht den herrschenden Pseudoklassizismus zu verdrängen, sie schloss mit ihm einen Kompromis, und statt nun die ‘Krankheiten der Gelehrten’ in Alexandrinern zu besingen, besang man Ritter Walewein und Jungtrau Isabelle in dem gleichen Versmass. Potgieter dichtete seine Alexandrinerterzinen, Bilderdyk und Tollens ihre langatmigen und langweiligen Reimereien. Es war eine Zeit ohne Kunstgeschmack, eine schwächliche Zeit. In Deutschland sangen Freiligrath und Herwegh, in Holland schrieb de Genestet ‘Sankt Nikolausabend’ und seine theologischen Epigramme, die ob ihrer Freisinnigkeit vielen AufruhrGa naar eindnoot22 erregten, jedoch gegen den Radikalismus, der zur selben Zeit in der deutschen Theologie einriss, wie sanfte Andeutungen klingen. Aber eine neue Zeit bereitete sich vor. Der deutsch-französische Krieg musste die Gemüter mächtig erregen, er musste auch in den Holländern das Gefühl der ethnischenGa naar eindnoot23 Zusamengehörigkeit mit den Deutschen erwecken. Und nun ist der Bann des französischen Einflusses gänzlich gebrochen. Die drei Dichterpersönlichkeiten, die man als Vorläufer der ‘klassischen’ Periode bezeichnen kann, wenden sich dem Studium der deutschen Dichter zu und finden so zu ihrer Volksseele zurück. Der germanische Charakter der niederländischen Dichtung bleibt fortan gewahrt.
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Pol de Mont, heute wohl in Deutschland der bekannteste niederländische Dichter, ist unter den Vorläufern an erster StelleGa naar eindnoot24 zu nennen. Frühe schon trat er enthusiastisch für die geistige Verbrüderung Niederlands mit Deutschland ein. Er ist selbst Vlame von Geburt und empfand im halbwallonischen, | |
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halbniederländischen Belgien das Nationalbewusstsein stärker als die eigentlichen Holländer. Es sei hier gleichGa naar eindnoot25 bemerkt, dass der Unterschied zwischen Vlamen und Niederländern der seit jeherGa naar eindnoot26 nur ein geringer war, seit den letzten Sprachkongressen fast gänzlich geschwunden ist. Die Niederdeutschen Belgiens wie Hollands arbeiten an der gleichen Kultur, der Sprachschatz beider Teile ist bis auf wenige Ausdrücke ein und derselbe, jedenfalls nicht mehr von einander unterschieden, als jener der norddeutschen und der süddeutschen Schriftsprache. Pol de Mont studierte anfangs die Rechte, wandte sich aber bald der Philologie zu und hat nun auch als Sprachforscher einen Namen. Allein was er auf dem Gebiete der Politik oder der Wissenschaft für sein Volk getan hat, muss doch hinter dem zurücktreten, was er als Dichter tat. Wissenschaftliche ErrungenschaftenGa naar eindnoot28 werden überholtGa naar eindnoot29, politische Erfolge durch eine neue Zeit wieder zunichte gemacht, aber was der Künstler schafft, hat, sofern es einen Ewigkeitsgehalt in sich trägt, steteGa naar eindnoot30 Bedeutung, wie dies Theophile Gautier in seinemberühmten Gedichte L'Art so trefflich ausdrückte: Les dieux eux-mêmes meurent
Mais les vers souverains
Demeurent
Plus forts que les airains.
Pol de Mont hat vor allem wieder verstanden, deutsch zu empfindenGa naar eindnoot31. Von den Eranzosen, namentlich den parnassischen Dichtern, lernte er die feine Form, von den Deutschen aber, Goethe, Uhland, Rückert, Lenau, in seine Seele forschen. Es ist nicht zu verwundern, dass manche seiner Gedichte ganz deutsch anmutenGa naar eindnoot32, ohne jene besondere Nuance des Niederländischen. Aber man darf ihm das nicht zum VorwurfGa naar eindnoot33 machen, auch vom künstlerischen Standpunkte nicht. Die Reaktion war nötig und | |
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ein Kompromis schon in der ersten Zeit der neuen Periode wäre der aufblühenden Literatur nur schädlich gewesen. Pol de Mont begann mit kleinen Prosaidyllen, die wenig über das Mittelmass hinausragenGa naar eindnoot34 und ihrer ganzen Art nach in die frühere Literaturperiode gehörenGa naar eindnoot35, auch in seinen ersten Gedichtsammlungen, - er ist ja vorzüglich Lyriker - waltet noch das Nachempfundene vor. Es war nicht so leicht, den Bann zu brechen, und selbst die sonst so impulsive, feurige Natur Pol de Monts musste allmählichGa naar eindnoot36 erst sich von der VergangenheitGa naar eindnoot37 befreien. Seine Theorie stand bereits fest, als er noch mit der Sprache um den neuen Ausdruck rangGa naar eindnoot38. So sind es nicht Pol de Monts Werke in der ersten Zeit, sondern viel mehr sein Bestreben überhaupt, die eine neue Literatur vorbereiteten. Erst in den beiden Sammlungen ‘Claribella’ (1893) und ‘Iris’ (1894) zeigte er seine volle Meisterschaft. Beide Bücher gehören zu dem Wertvollsten, was die moderne holländische Literatur hervorbrachte. ‘Claribella’ ist eine Art Roman in Liedern und Sonetten, manchmal gewaltig in ihrer rhetorischen FülleGa naar eindnoot39, manchmal schlicht wie das echte Volkslied. Ich übersetze eines der Lieder: Wo find' ich den Weg nun wieder,
Den einst Dein Füsschen lief,
Als Du mir entgegeneiltest? -
Der Winter hat ihn begraben,
Der Winter hat ihn begraben
Tief unter dem Schnee, ganz tief.
Wo sind nun die glänzenden Perlen,
Die einst der Massliebsee
Ueber den Fuss Dir sprühte?
Der Winter hat sie begraben,
Der Winter hat sie begraben
Tief unter dem weissen Schnee.
Wo ist nun die lustige Lerche,
Die so oft uns entgegenrief,
Als wir die Weiden durchschritten?
Die Lerche liegt begraben,
Die Lerche liegt begraben
Tief unter dem Schnee, ganz tief.
Und wo such' ich das stille Plätzchen,
Wo ich all mein bleischwer' Weh
Kann bergen unter der Erde? -
Ach, läg' es mit mir begraben,
Ach, läg' es mit mir begraben
Tief unter dem weissen Schnee!
‘Claribella’ ist von Fernand Khnopff, dem bekannten bel- | |
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gischen Symbolisten, meisterhaft illustriert - oder vielmehr der Zeichner ward durch Pol de Monts Gedichte zu einigen feinen Studien angeregtGa naar eindnoot40, die hier viel weniger befremden, als manche seiner Studien, die in Deutschland bekannt geworden, ja sie fügen sich ganz in die allgemeine Stimmung der Gedichte, obwohl jene durchaus nicht symbolistisch sind in dem Sinne, wie er in Deutschland durch einige von Präraphaeliten und belgischen Symbolisten höchst unglücklich beeinflusste Poeten in VerrufGa naar eindnoot41 kam. Zudem ist Pol de Mont im Grunde ein naiver Dichter, der die Einfachheit jedem Künsteln vorziehtGa naar eindnoot42 So wirkt er auch dann noch natürlich, wenn seine Vergleiche fremdartig scheinen. Hier ein Beispiel: Ich dürste, sieh, ich dürste, Lieb, nach Dir.
Wie eine glüh'nde Kohle brennt im Mund
Die Zunge, heiss am Gaumen klebt sie mir.
Von roten Flammen ist mein Busen wund.
Ich hungre, sieh, ich hungre.... Meine Pein,
Hier sitzt sie, hier, und frisst sich ruhelos
Ins Eingeweide scharfgezahnt mir ein,
Wie ein gefressig Tier, - zu langsam bloss.
Ich dürste, sieh... Ich bin der Fisch, der stirbt,
Liess Ihn die Ebbe auf dem trocknen Sand,
Das Juligras, das ohne Tau verdirbt,
So langsam doch vergeht im Sonnenbrand.
Ich hungre, sieh... bin, winterlang vereist,
Das nackte Feld, das soviel Ernten trug.
Nahrung ersehnt es, - doch der Landmann reisst
Das harte Erdreich auf mit blankem Pflug.
O Lieb, mein Kind, o meine teure Frau,
Ich hungre, dürste, sehne mich so sehr
Nach Deiner süssen Küsse Honigtau,
Nach deiner Liebe übermenschlich hehr,
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Dem dunklen Blick, mit dem Du mich versengst
Nach allem, was Dir Leid, Dir Freude ist,
Dürste nach allem, was Du tust und denkst,
Hungre, mein Lieb, nach allem, was Du bist.
Pol de Mont ist nicht nur Lyriker allein, wenn auch dies vor allem; ‘Iris’ enthältGa naar eindnoot43 einige wunderschöne Balladen im alten Ton und dann die ‘Legende des Jeschun-ben-Joseph’, die Fritz Uhde gewidmetGa naar eindnoot44 ist. Es sind ganz entzückendeGa naar eindnoot45 kleine Bilder, oft von jener rührenden Einfalt wie die Zeichnungen in alten MessbüchernGa naar eindnoot46 oder Heiligenlegenden, oft von scharfer Deutlichkeit, so dass man sie mit den Holzschnitten der ältesten Lutherbibeln vergleichen kann. Auch als Prosaerzähler liebt es Pol de Mont, die alte Zeit wieder aufleben zu lassen. Seine Sammlung dieser Erzählungen wird dem Titel ‘Chroniken und Legenden’ haben. Die bisher einzelnGa naar eindnoot47 veröffentlichtenGa naar eindnoot48 Stücke sind teils innig weich, teils machtvoll in ihrem tiefen Kolorit.
(Fortsetzung folgt.) |
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