Germania. Jaargang 5
(1902-1903)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Schwarz-rot-gold
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Ahne der humanen, elegischen Milde ist die Zerknirschtheit des Niedergetretenen. Rot ist in der belebten Natur in erster Linie Signalfarbe; was schon von weitem erkannt werden soll, ist rot, denn rot ist, nebst weiss, diejenige Farbe, die in den grössten Entfernungen gesehen wird. Vielleicht erregt rot darum so sehr die Aufmerksamkeit, weil es überhaupt aufregend wirkt, oder weil die Empfindungen, die das Erkennen des roten Gegenstandes erweckt, meist aufregender Art sind: Schrecken, Mordlust, Liebe, Freude des Gefundenhabens. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaft lässt es sich kaum entscheiden, ob das Blut der SäugerGa naar eindnoot6 und Vögel darum rot ist, damit sein Anblick die Tiere aufrege, oder ob umgekehrt die Nerven darum so empfindlich für die rote Farbe sind, weil das Blut rot ist, oder endlich ob da kein Zusammenhang besteht. Jedenfalls ist es auffallend, das nicht nur die Farbe, sondern auch der Geruch des Blutes aufregend wirkt, nicht nur auf das Raubtier, sondern auch auf das Beutetier. Die aufregende, erschütternde Wirkung der Blutfarbe ist geradezu von kulturgeschichtlicher Bedeutung. Wohl das älteste Recht der Menschheit, das wir kennen, die Vertreibung (Verbannung) des Mörders aus der Gemeinde begründet die Genesis mit Blut: die Mutter Erde hat durch dich Blut getrunken, sie hat kein Brot für dich! Bünde wurden und werden mit Blut geschlossen; das Blutrot der Abendsonne führt zur Sage von der Ermordung des Sonnenhelden u.s.f. Die ältesten Ideen der Menschheit (Idee und AufregungGa naar eindnoot7 associieren sich immer mit einander) stützen sich kaum so voll auf das Blut, wenn das Blut beispielweise grün oder gelb, und nicht rot wäre. Rot ist heute das Symbol aller stürmischen, hinreissenden Bewegung, aber auch heute noch mehr des Verderbens, des Kampfes (Krieg, Empörung, Feuer, Mord u.s.w.), als des Sieges, der Freude, der Herrlichkeit. | |
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Die Zaubermacht der Goldfarbe auf den Menschen ist ganz und gar rätselhaft. Das gelbe glänzende Gold scheint in edlerer, höherer Form das Feuer. Während manche Völker, wie die Magyaren und ihre asiatischen Verwandten, gegen das Feuer eine uns befremdende Gleichgültigkeit zeigen, sind die germanischen Völker geradezu feuersüchtig. Der Ruf ‘Feuer’ versetzt ein ganzes Städtchen in tolle Aufregung; nicht löschenGa naar eindnoot8, nicht retten, nur sehen will die Menge. Alle möglichen anregendenGa naar eindnoot9 EreignisseGa naar eindnoot10, ernste und heitereGa naar eindnoot11, müssen den Vorwand zu Riesenfeuern geben, und das höchste Entzücken der Jugend ist es, im düstern Wald ein nutzloses Riesenfeuer anzurichten. Der Glanz und die Unruhe des Feuers scheinen zu wirken. Das Gold hat vor dem Feuer dem Vorzug, dass man es immer an sich tragen kann, dass es nicht vergeht und nicht genährt zu werden braucht. Der Goldschmied triebt das Gold, um durch eine flimmernde Flut glänzender Punkte die Wirkung zu steigern. Auch das Feuer lösen wir ja bei festlichen Gelegenheiten in eine flimmernde Flut von Kerzenflammen auf. Das Gold, als ästhetisches Aequivalent des Feuers aufgefasst, lässt doch manche Frage offen. Es scheint, dass die Stimmung von Geiz und Neid sich ebenso mit Gelbsehen associert, wie Mordlust mit Rotschen. Psychologisch ist Gold für Geiz und Neid dasselbe, was Blut für Kampfgier ist, doch sind beide Associationen rätselhaft. In den alten Sagen (Ilias, Nibelungenlied, Edda) wird Gold noch in erster Linie mit Geiz, Neid und Habsucht associert; der ästhetische Wert des Goldes scheint sich ebenso schwer und langsam zur königlichen Pracht verklärtGa naar eindnoot12 zu haben, wie der ästhetische Wert des Rot zu schwelgender Freude. Merkwürdig ist der Schwarzsinn der Germanen; der Schwarzsinn mag die düstern Hallen geschaften, die düstern Hallen mögen den Schwarzsinn grossgezogen habenGa naar eindnoot13. | |
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In unbekannter Zeit begannen die Germanen höhere Hallen zu bauen; und wie heute der AufenthaltGa naar eindnoot14 in Kammern, Ställen, Dachböden und Kellern ausserhalb des Gesichtsfeldes der Gesellschaft liegt, so lag einst nur der Aufenthalt in der Halle im Gesichtsfeld der Gesellschaft der Männer. Eine Halle ist ein einzelliges Haus von grossen Abmessungen. Die Halle will einfach ein Raum sein, und da der Raum unbegrenzt ist, so sollte auch die Halle den Eindruck des unendlich Grossen machen und keine Abmessung vorwaltenGa naar eindnoot15 lassen. Die Zimmerleute standen da vor einer schweren Aufgabe, besonders die erstrebteGa naar eindnoot16 Höhe war schwer zu gewinnen. Wenigstens zwei germanische Hallenbauten sieht man heute noch in Ungarn, wo alte deutsche Bauweisen, die in Deutschland selbst schon im Mittelalter durch weit höhere Formen verdrängt wurden, bis heute sich erhalten haben: die eine Form, die der gotischen Hallenkirche entsprichtGa naar eindnoot17, lebt als zipserGa naar eindnoot18 Gasthof; die zweite Form lebt als Scheune in Petersberg bei Kronstadt in Siebenbürgen; eine dritte Form schlummert wahrscheinlich in den Hausbergen des Törzburger Passes. Die Halle ist fensterlos und hat heute nicht einmal ein Rauchloch; der Rauch zieht nur durch zufällige SchädenGa naar eindnoot19 im Dache ab. Was man in den Hallen mit eigenen Augen sieht ist sehr verschieden von dem, wie man sich die germanischen Hallen zu denken pflegt. Der Rauch hatte die Innenseite des Daches geschwärzt, und die Balken waren durch die Zeit und das unvermeidliche Fett dunkel geworden, und dadurch wurde alles Licht verschluckt. Der Sonnenschein, der durch ein Rauchloch fiel, gab zwar einen eindrucksvollen, blendendenGa naar eindnoot20 Sonnenbalken, erhellte aber wenig, und liess die Umgebung noch dunkler erscheinen. Das Feuer auf dem Herde, das nur schlief, wenn auch die Menschen schliefen, durchleuchtete den Raum so wenig, wie nachts ein Feuer im Walde oder Wachslichter einen geschwärz- | |
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ten gotischen MünsterGa naar eindnoot21. Die SparrenGa naar eindnoot22 des Dachstuhls wachten denselben gewaltigen Eindruck, wie die gewaltigen Rippen eines gotischen Gewölbes, weil man nicht sah, wie nackt sie in Wirklichkeit waren. Die Halle schien riesengross, namentlich von unermesslicher Höhe, und die RauchschleierGa naar eindnoot23 belebten die Phantasie geradeso wie heute noch in den katholischen Kirchen. Vor allem aber brachte das Flackern des Feuers ein gewaltiges Leben und RegenGa naar eindnoot24 in den schwarzen weiten Raum, wie es die Gotik in feinerer Weise durch die bunten Lichtstrahlen der Fenster erstrebt. Wenn man sich erinnert, wie gewaltig ein gewöhnliches Kellergewölbe erscheint, wenn man es mit der Kerze in der Hand betritt, dann wird man den überwaltigenden Eindruck der Hallen verständlicher finden. Es ist lehrreich, dass man von innenGa naar eindnoot25 die Grösse der in Wirklichkeit etwa nur scheunengrossen aber dunkeln germanischen Hallen in demselben überraschenden Grade überschätzt, als man die Grösse der thatsächlich sehr grossen, aber hellen italienischen Kirchen unterschätzt. So hatten die Germanen im ihnen vertraulichen Schwarz ein Mittel gefunden mit bescheidenen technischen Mitteln ihren Drang nach dem Gewaltigen, AhnungsvollenGa naar eindnoot26 zu befriedigen. Wenn man altgermanische Lieder liest, hat man immer den Eindruck von Nacht und Grauen und düsterer VerschwommenheitGa naar eindnoot27, wenigstens im Hintergrunde, selbst wenn von Sonnelicht und SonnenflurGa naar eindnoot28 die Rede ist; umgekehrt machen die italienischen Gesänge immer den Eindruck klarster, schärfster Zeichnung, selbst wenn sie Düsteres schildern wollen, und Sonnenlicht umflutet unseren Gesichtskreis. Ton und Farbe der Lieder richten sich eben nach dem Orte, wo sie vorgetragen werden: die germanischen Lieder wurden in den gewaltig düstern nächtigen Halle vorgetragen, die italienischen Gesänge im leuchtenden Garten, auf lichtdurchfluteten Veranden und in grossfensterigen strahlenden Sälen. | |
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Fast scheint es, als hätte es eine Zeit gegeben, wo der Geist des Germanen oder seiner Vorfahren erst frei wurde, wenn die Sonne untertauchteGa naar eindnoot29 denn den Tag verzehrte der Kampf ums Leben. Dafür spricht schon eine ausserordentliche vorliebe für das goldene, leuchtende Feuer, denn das Feuer zeigt seine Pracht und Majestät doch nur in der Nacht, und der Tag schlägt es tot; ein Volk des Feuers ist ein Volk der Nacht. Auch die Hauptfeste sind Nachtfeste: die Feste der längsten und kürzesten Nacht, die Fastnacht; die Zeit wurde nach Nächten gemessen, und auch heute noch sind der nächtliche Fackelzug und die nächtliche Beleuchtung die höchste Ehrung. Die in den Hünengräbern schlafen, endeten ihr Nacht-, Brandund Blutleben, wenn nachts der Riesenbrand ihren Leib verzehrte, reich umflossen von Blut. Die Entwickelung der Völker zeigt wunderbare Wandlungen. Die germanischen Völker mit dem tiefen Nachtsinn, deren brutaler Farbensinn im goldenen Feuer und roten Blut aufging, eroberten eine neue Welt, und ihre Urenkel die romanischen Völker, kleideten sich in die Farben des Regenbogens und überflütetenGa naar eindnoot30 alle Wände mit der Farbenpracht eines Tizian und Rubens. |
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