Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Ga naar voetnoot(*) Die vlamische Bewegung und die Umgegstaltung der Genter UniversitätVon den drei in Belgien gesprochenen Sprachen haben deren zwei ungefähr ein gleich grosses Gebiet. Es sind die niederländische und die französische. Dennoch ist die erstere die Muttersprache der grösseren Hälfte der Bevölkerung. Die französische Sprache ist die wissenschaftliche Sprache der wallonischen Provinzen, in denen es eine Menge Dialekte giebt, die von Ort zu Ort verschieden sind. So ist es auch mit dem Niederländischen: das Brügger, Genter, Antwerpner Vlamisch sind nur Dialekte wie auch das Rotterdamer, Amsterdamer. Was den sozialen Zustand der beiden Teile des Landes anbetrifft, so unterscheidet sich der vlamische Teil von dem wallonischen dadurch, dass die sozialen VerhältnisseGa naar eindnoot1 in seiner Gesellschaft vollkommen anormal und unnatürlich sind. Der Adel und die reiche Bürgerschaft rühmen sich Französich sprechen zu können, und sind voll Verachtung für die Sprache des Volkes, die des Bauern, der das Feld beackert, die Sprache des Arbeiters, der in den Fabriken arbeitet, die Sprache der kleinen Bür- | |
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ger und der Beamten. Auch diejenigen, welche sich einen feinen Anstrich geben wollen, äffenGa naar eindnoot2 die anderen nach. Und auf diese Weise ist man zu dem gerade jammervollen Zustande gelangtGa naar eindnoot3, dass es hier sogenannte ‘Gebildete’ giebt die, wenn sie von einem Arbeiter oder Bauern in der Volkssprache angeredet werden, gezwungen sind, mit einem ‘Comprends pas’ zu antworten. So ist, in einigen Worten, der eigentliche Zustand der Gesellschaft in Vlamland. Wenn wir nun den vlamischen Teil des Landes von einem anderen Standpunkte aus betrachtenGa naar eindnoot4, so bemerken wir, dass er geistig weit zurück steht hinterGa naar eindnoot5 dem anderen, dem wallonischen. Seine Bewohner sind voll Fanatismus und voller Vorurteile, und ihre geistige BildungGa naar eindnoot6 ist ungefähr gleich Null. Niemand ignoriert dieses beklagenswerte Faktum. Die Ursache von diesem wahren Unglücke ist der Abgrund, welcher die leitenden Klassen von dem eigentlichen Volke entfernt, die Verachtung, welche die höheren Klassen für die Volkssprache hegenGa naar eindnoot7, welche sie nicht lernen und auch nicht sprechen wollen; sie verachten das Volk selbst, denn sie können mit ihm in keinerlei Verkehr treten, und wollen es auch nicht. Ich selbst habe Politiker gekannt, welche sich damit begnügen mussten, dass sie mit Mühe ungefähr hundert vlamische Worte ablasen. In politischen ‘Meetingen’ habe ich öfterGa naar eindnoot8 komischen und doch traurigen Szenen beigewohnt: Da konnte man einen Redner fünf Minuten lang ein GemischGa naar eindnoot9 sprechen hören, welches wederGa naar eindnoot10 Viamisch, noch Deutsch, noch Französisch war, in GegenwartGa naar eindnoot11 einer Volksmenge, welche gekommen war, mehrere Stunden weit aus seinem Munde Worte der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu hören, diesen Dialekt, den sie sprechen, durchwirken sie noch mit französischen Worten und erwecken ein allgemeines Gelächter bei den Zuhörern. Was wollen nun eigentlich die Flaminganten, um dieser wah- | |
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ren Plage abzuhelfen? Die Ursache des Bestehens des Flamingantismus ist, dass sie die natürliche Lösung gesucht und gefunden haben bei dem unnatürlichen Verhältnisse zwischen der leitenden Klasse und dem Volke. Zwei LösungenGa naar eindnoot12 sind vorhanden. Entweder lernt das Volk die Sprache der leitenden Klassen, oder es müssen sich die letzteren bemühen, die Sprache des Volkes zu erlernen. Die erstere Lösung ist die der ‘Fransquillons’, die zweite die der ‘Flaminganten’. Die Flaminganten hoffen für ihr Flandern eine bessere Zukunft und denken an die ruhmreiche VergangenheitGa naar eindnoot13, wo der Vlame von der ganzen Welt hoch in Ehren gehalten wurde, und wo das Centrum der niederländischen Litteratur nicht Holland war, sondern Gent, Brügge, Antwerpen, welche überhaupt der SitzGa naar eindnoot14 der europäischen Künste und Wissenschaften waren. Die Flaminganten wollen eine höhere Bildung für das Volk von Leie und Schelde. Sie wünschen unter anderen auch, dass jeder Vlame seine wissenschaftliche, litterarische Sprache kenne, welche eine wirklich schöne Sprache ist und mit der Sprache aller anderen europäischen Litteraturen wetteifern kann. Was ihre AusdehnungGa naar eindnoot15 anbelangt, so steht sie natürlich so hoch nicht wie Englisch, Deutsch oder Französisch. Aber ich möchte doch die Aufmerksamkeit darauf lenkenGa naar eindnoot16, dass die niederländische Sprache in allen Weltteilen verbreitet ist. Unlängst - es ist dies keine unbedeutende ThatsacheGa naar eindnoot17 - ertönten die niederländischen Laute sogar in der ‘Comédie Française’ von Paris, wo ein auserlesenes Publikum M. Bouwmeester bewundert hat, die Hauptkraft des Amsterdamer Theaters. Die Flaminganten wollen also, dass der Vlame endlich aus seinem Schlafe erwachen möge, welche er schon so lange schläft, durch die Schuld der ‘Fransquillons’, welche glauben, alles geistige, wissenschaftliche Licht käme von Frankreich und von Frankreich allein, obwohl es doch eine allbekannte Sache ist, dass auf wissenschaftlichem Gebiet | |
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der Franzosen Reich ein Ende hat und dass augenblicklich die deutsche Wissenschaft das ganze Geistesleben beherrscht. Gleichheit der beiden Landessprachen ist folglich die erste Forderung des Flaminganten-Programms, und diese enthält alle übrigen. Wie ich oben sagte, haben die Flaminganten die naturgemässe Lösung des Konfliktes zwischen Volkssprache und eingedrungener Sprache gefunden. Sie behaupten nähmlich, dass für das Volk die Muttersprache nicht nur das beste, sondern das einzige Kulturinstrument ist, welches es besitzt. Mit deren Lösung behaupten sie für den Vlamländer das Recht, sein ganzes soziales, religiöses und politisches Leben in der Muttersprache sich entwickelen su sehen, und für die leitenden Klassen der Bevölkerung die Pflicht, ihre Rolle in dem so eingerichteten öffentlichen Leben zu erfüllen. Schliesslich ist die Spitze eines solchen Programms der öffentliche Unterricht, welcher bis zur Universität die Sprache des Volkes als Unterrichtssprache hat. Also kommen die Flaminganten auf ganz natürlichem Wege dazu, eine vlamische Universität zu verlangen. Die vlamische Frage, welche man theoretisch so leicht lösen kann, ist aber in der Praxis sehr schwerer und bedenklicher Art. Denn ihre Lösung stösst an Gewohnheiten und an tief eingewurzelte Antipathien, vor allem, weil der Mensch gewöhnlich mit seinem Herzen und nicht mit seinem Gehirne denkt. Daher kommt es auch, dass man zum Kampf gegen die Flaminganten eine Logik und ‘argumenta sui generis’ gebraucht, welche man in anderen Fällen keineswegs anwenden würde. Wenn in einem Gespräch, welches in französischer, englischer oder in irgend einer anderen Sprache geführt wird, die sich unterhaltenden Personen einander nicht verstehen, so nimmt jederman an, dass die Schuld an der einen oder der anderen der Personen liege oder an allen. Wenn aber die Unterhaltung in vlamischer Spra | |
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che geführt wird, so behauptet man, die Schuld liege an der vlamischen Sprache. Wenn die Flaminganten für das Vlamische einen grösseren Anteil im Unterricht oder in der VerwaltungGa naar eindnoot18 verlangen, so beschuldigt man sie eines nationalen VerbrechensGa naar eindnoot19, obgleichGa naar eindnoot20 sie mit ihrer Forderung Beweise ihrer Rechtmässigkeit und ihres nationalen Nutzens verbinden. Man behauptet, sie wollen das Französische verbannen. Die Flaminganten stützen sich aber nur auf die Autorität der ganzen pädagogischen Wissenschaft und auf die Erfahrung aller Länder. Sie behauptenGa naar eindnoot21 und beweisen, dass der Unterricht in einer zweiten Sprache nicht in den Bereich der Volksschule gehört, dass die Zeit, welche diesem Unterricht gewidmetGa naar eindnoot22 wird, verloren, und dass diese Handlungsweise ein EingriffGa naar eindnoot23 in die natürliche Entwicklung eines Volkes ist. Daneben wird die Notwendigkeit des Französischen für das Volk sehr übertrieben. Sein Nutzen ist jedenfalls sehr zweifelhafter Art. Im allgemeinen berufen nur diejenigen sich auf die ‘Notwendigkeit’ des Französischen, denen Zeit und Mittel nicht gefehlt haben, um alles, was sie begehrten, zu erlernen, die aber, was Sprachen anbetrifft, weiter nichts wissen, als ein mehr oder weniger schlechtes Französisch und die es nun ganz naturgemäss finden, zu verlangen, dass das Volk, welches kaum Zeit hat, die Volksschule zu absolvierenGa naar eindnoot24, eine fremde Sprache erlerne, weil sie selbst mit Verachtung auf die Volkssprache niedersehen oder zu faulGa naar eindnoot25 sind, sie selbst zu erlernen. In den Zeitungen und Zeitschriften liest man öfters: es sei nicht mehr als recht, dass die Vlamländer Beamte, Richter, Offiziere wünschen, die des Niederländischen kundigGa naar eindnoot26 seien. Von woher aber sollen uns diese Beamte und Offiziere kommen, wenn die leitenden Klassen das Niederländische vollkommen aus der ErziehungGa naar eindnoot27 und dem Unterrichte ihrer Kinder verbannen? Nun behaupten ferner die Fransquillons, das Niederländische | |
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sei eine fremde Sprache, und man müsse das Französische als offizielle Sprache annehmen, weil es historische Rechte im Lande erworben habe! Das ist ein grober IrrtumGa naar eindnoot28. Die wallonischen Dialekte sind allerdings romanische Dialekte und haben wie diese als wissenschaftliche Sprache das Französische. Die vlamischen Dialekte aber sind niederfränkische und gehören zum selben Sprachgebiete wie die holländischen. Sie haben folglich wie die letzteren das Niederländische als gelehrte Sprache. Folglich ist das Niederländische nicht weniger und nicht mehr eine ‘fremde’ Sprache als das Französische auch. Auf niederländisch sind auch alle Bücher und Zeitschriften geschrieben, welche hier existieren. Der Genter Redner spricht niederländisch in Tongeren und Antwerpen, und die holländischen Prediger sprechen niederländisch in den hiesigen protestantischen Kirchen. Unser Niederländisch ist aber oft fehlerhaftGa naar eindnoot29 wegen unseres mangelhaften Unterrichts. Unser Stil ist verschieden von dem unserer Brüder aus dem Norden, denn die Verhältnisse, in denen wir verkehren, sind nicht diejenigen der Holländer. Aber es ist doch Niederländisch; und wenn wir an dem ganzen wissenschaftlichen Leben der nördlichen Provinzen teilnehmen könnten, würde der Unterschied sich zu nichts auflösen. Wenn wir also eine vlamische Universität verlangen, so verstehen wir darunter eine Universität, welche nicht das Genter oder Brügger Platt, sondern die wissenschaftliche gelehrte Sprache unseres Volkes, das Niederländische als Unterrichtssprache haben soll. Die Errichtung einer vlamischen Universität ist die unvermeidliche Folge der Ausführung des Flaminganten-Programmes. Die vlamischen Studenten befassten sich zuerst mit dieser Frage. Im Jahre 1890 setzte die Zeitschrift: ‘Het Belfort’ die Ursache ihrer Forderung ausführlich auseinander. Im Jahre | |
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1896 ernannte der Niederländische Kongres in Antwerpen eine Kommission, welche die Nützlichkeit und die Möglichkeit einer vlamischen Universität untersuchen sollte. Diese Kommission bejahte die Frage in einem Bericht von Dr. J. Mac Leod, Professor der Genter Universität, Gent. Unterdessen trat auch schon die Studentengesellschaft 't Zal wel gaan in den Vordergrund und veranstaltete30 ein Referendum, dessen Resultat in ihren Jahrbüchern von 1897 und 1898 publiziert worden ist. Viele Herren wünschten eine zweisprachiche Universität, und ein Dr. Graevel eine Universität, deren Unterrichtssprache das Hochdeutsche sein sollte. In 1899 wurde der Universitätsrat zusammengerufen, um eine entscheidende Stellung in dem Konflikte zu nehmen. Das Resultat war kein Sieg für die Gegner der vlamischen Universität, obgleich sie darauf gehofft hatten. Die Zeit wird also nicht mehr entfernt sein, wo die frühere Minorität zur Majorität werden wird. Im November 1899 wurde noch ein Studentenkongres berufen und dann eine unermüdliche Propaganda auf dem Lande und in den kleinen Städten betrieben. Gegen die Errichtung einer vlamischen Universität werden ausserGa naar eindnoot31 den oben angegebenen EinwändenGa naar eindnoot32 noch folgende angeführt: 1. Wenn man das Französische für das Vlamische hingäbe, würde die Genter Universität aus der allgemeinen wissenschaftlichen Bewegung ausscheidenGa naar eindnoot33, die durch den Gebrauch einer weitverbreiteten Sprache bedingtGa naar eindnoot34 sei. Die französische Wissenschaft der GegenwartGa naar eindnoot35 aber ist ganz unbedeutend und unzureichendeGa naar eindnoot36. Die Studenten brauchen entweder holländische (niederländische) oder deutsche Werke oder minderwertige Uebersetzungen von den Originalen. 2. Unsere Gegner behaupten noch, man würde keine genügende Anzahl von Gelehrten finden, um alle vlamischen Lehrstühle zu besetzen. Diesen Einwurf aber kann nur derjenige machen, welcher nichts weiss von | |
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der vlamischen wissenschaftlichen Bewegung, die seit mehreren Jahren auf den Gebieten der Naturwissenschaft, der Medizin, der Rechtswissenschaft und der Geschichte erwacht ist. Die Flaminganten glauben also mit recht, dass sie die Frage grundsätzlichGa naar eindnoot37 gelöst haben, und dass es jetzt ihre Sache ist, ihre Aufmerksamkeit auf die praktische Ausführung zu lenken. Wie steht es damit? Neben den bestehenden Universitäten könnte man noch eine andere errichten in Antwerpen oder in Brügge. Dies ist aber eine Unmöglichkeit. Es giebt nähmlich in Belgien zwei Staats-Universitäten: Gent und Lüttich; eine freie Universität: Brüssel: eine bischöfliche katholische Universität: Löven; also vier im ganzen. Drei dieser Universitäten liegen auf germanischem Boden (Gent, Brüssel, Löven). Damit giebt es hier schon zu viel Universitäten, als dass man daran denken könnte, noch eine fünfte zu errichten. An eine Umgestaltung der freien oder der bischöflichen Universität ist aber nicht zu denken. Die beste Lösung ist also die UmgestaltungGa naar eindnoot38 der Genter Universität (der vier Fakultäten, ohne die technischen Schulen) in eine Vlamische Universität. Man würde die jetzt dozierenden Professoren beibehalten und ihnen erlauben, Französisch zu sprechen, falls ihre Kenntnisse des Niederländischen zu gering sind. Jedesmal aber, wenn einer dieser Professoren pensioniert wird oder stirbt, würde die Regierung an seiner Stelle einen vlamischsprechenden Kandidaten ernennen. (Gent) O. Hoffmann. |
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