Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDas ‘humane’ England
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brauch und die Nichtachtung der Flagge vom roten Kreuz, die schlechte, oft grausameGa naar eindnoot3 Behandlung der Gefangenen, die Brutalitäten und Schandthaten gegen Frauen und Kinder, und schliesslich das Aufhetzen und Bewaffnen der wilden Eingeborenen gegen die eigene weisse Rasse - das alles spricht dafür, dass England und Englands Politik sich gewissenlos über alles bestehende Recht hinwegsetzt und Verträge und Konventionen niemals anerkennt, wenn es seinen eigenen Vorteil sucht. Aber - und das darf durchaus nicht unterschätzt werden - dieser Krieg, der nicht nur ein Unglück, sondern eine Infamie ist, und der diktiert war von Finanz- und Minenspekulationen, dieser Krieg ‘hat die ganze moralische und politische Korruption sowie die militärische und politische Schwäche Grossbritanniens enthüllt.’ (Mommsen). Die Fäulnis erregendeGa naar eindnoot4 Krankheit, an der England schon seit einem Jahrhundert gelitten hat, lässt sich durch kein Mittel mehr verdecken; mit erschreckender Deutlichkeit tritt sie zu Tage: England ist bis ins Mark zerfressen; es ist bis in seine SpitzenGa naar eindnoot5 hinauf in seiner ganzen VerwaltungGa naar eindnoot6 korrumpiert. Das Volk ist in die Hände einer Spekulantenbande gegeben, deren Thun und Treiben schon längst entlarvtGa naar eindnoot7 und deren Spiessgesellen schon längst an den PrangerGa naar eindnoot8 gestellt worden wären, wenn ihre Verbindungen und Mitschuldigen nicht bis in die höchsten Kreise hinaufreichten. ‘Unser Volk - so sagt der britische Geschichtsschreiber F. Harrison - ist irregeführtGa naar eindnoot9 durch ein ausgearbeitetes System von Heuchelei und Lügnerei. Die Erzählungen von einer Burenverschwörung, die den Zweck habe, uns aus Afrika zu vertreiben, waren erfunden und wurden bezahlt mit Geld.... Die AnstifterGa naar eindnoot10 des Krieges kauften die Presse Afrikas und Englands und machten einen VertreterGa naar eindnoot11 der Krone, den Herrn Milner, zu ihrer Kreatur.’ | |
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Heute steht Englands Sache in Süd-Afrika recht faul. Mag sich die Jingo-Presse drehen und winden, wie sie wolle, mag Chamberlain mit noch so bronzestirnigerGa naar eindnoot12 Frechheit seine lügnerischen Reden halten - man hat angefangen einzusehen, dass Englands Partie in Süd-Afrika zu Ende ist. Trotz aller Machinationen des Ex-Jingojournalisten Milner und des Gold- und Diamanten-Spekulanten Rhodes, trotz aller Lügenpolitik des ‘kriegerischen Joseph mit dem goldenen Halsband von Millionairen und Minenbesitzern’ ist es so gekommen. Und es musste so kommen, nicht trotz, sondern wegen der unausgesetztenGa naar eindnoot13 Thätigkeit jener schamlosen Kapitalistenklique, die den Raubkrieg in Süd-Afrika insceniert hat; nicht trotz, sondern wegen der Interessen eines Spekulantentums, dass seine Habgier hinter hohlen, imperialistischen Phrasen zu verbergen sucht; nicht trotz, sondern wegen der ungeheuerlichen Greuelthaten und schändlichen Gemeinheiten, die in diesem Kriege von England begangen sind; wegen des unerhörten, Völkerrechtsbruches, dessen sich Grossbritannien in masslosem, ekelhaftemGa naar eindnoot14 Selbstdünkel schuldig macht. Das von Heuchelei durchfressene humane Grossbritannien ist mit seiner Kriegsführung auf die Barbarei des dreissigjährigen Krieges zurückgekommen. Tiefer konnte England in der Achtung aller Nationen des Erdenballs, nicht durch seine Niederlagen, sondern durch eben diese Fortführung des verbrecherischenGa naar eindnoot15 Krieges, wohl kaum sinken. Und doch weiss Joseph Chamberlain dieses systematische Hinschlachten und Hinsterbenlassen zu entschuldigen. Was er indessen die Stirn hat zu sagen, richtet sich selbst. Sein und seiner Spiesgesellen Treiben erfüllt die ganze Welt mit Abscheu. Die Feder sträubt sich, der fürchterlichen Unverfrorenheit, der nackten Roheit dieses Menschen zu folgen, der typisch ist für das heutige England. Noch niemals ist in einem Kampfe zivilisierter Völker eine so | |
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scheusslicheGa naar eindnoot16 kriegsführüng dagewesen, wie die der englischen Truppen gegen einen ausserordentlich humanen Feind. Schon von Beginn des Krieges an war die britische Führung darauf bedacht, die eigenen Soldaten zu Grausamkeiten anzustacheln. Ich selbst habe das aus dem Munde von gefangenen Engländern. Geradezu lächerliche Lügen sind diesen Opfern britischer Habsucht aufgetischtGa naar eindnoot17 worden. Die Buren wären Halbwilde - so hatte man den Soldaten schon daheim erzählt - könnten kaum schiessen und kämen in regellosen Haufen von 50-100 Mann heran. Aber sie wären äusserst grausam und massakrierten alles, was ihnen in die Hände fiel. Daher war denn auch jedem Soldaten eingeschärft worden, die Buren einfach abzuschiessen wie wilde Tiere. Die Folge war, dass die britischen Soldaten sich über alle bestehende Kriegsgebräuche hinwegsetzten. Dem ‘wilden’ Buren gegenüber brauchte man so etwas nicht zu beobachtenGa naar eindnoot18. Für die eine Thatsache z. B., dass von den Engländern die weisse Flagge gemissbraucht worden ist, sind zahllose Beispiele vorhanden. Unter dem Schutz der weissen Flagge brachten sie bei Dundee ein Maxim-Geschütz in Stellung, und während die Buren mit Feuern aufhörten, schössen die Engländer auf die AhnungslosenGa naar eindnoot19 und vertrauensseligen. Als bei Spionkop die britischen Füselieren die Hände zum Zeichen der Uebergabe erhoben, stellten die anstürmenden Buren das schiessen ein und näherten sich, um die Gefangenen zu holen. Plötzlich wurden sie von allen Seiten beschossen; viele fanden auf diese verräterische Weise ihren Tod. Ein ander Mal, bei Colenso, zeigte ein ganzes Bataillon die weisse Flagge. ‘Unsere Leute - so berichtet ein Burenkämpfer - standen | |
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auf und näherten sich dem Feinde. Da krächte plötzlich eine Salve in die Burenreihen hinein und tötete viele.’ Und ähnlich geschah es mit dem Roten Kreuz. ‘Damned convention and red cross!’ das riefen englische Offiziere und Soldaten, als sie auf Dr. v.d. Merwe einsprengten und ihn mit seiner ganzen Ambulanz gefangen nahmen. Ein gleiches Los teilte später Dr. Mangold und noch mehrere. Das von allen Völkern als unverletzlich gehaltene Rote Kreuz wurde vom humanen England verachtet und sein Ansehen in den KotGa naar eindnoot20 getreten. Unter dem Schutz der Flagge des roten Kreuzes wurden z. B. bei Ladysmith von den Briten die Anhöhen befestigt, und hinter derselben Flagge postierte englische Artillerie ihre 12 cm Kanonen bei Magersfontein. Dagegen sind alle Beschuldigungen, dass die Buren keine RücksichtGa naar eindnoot21 auf die weisse Flagge oder die des roten Kreuzes nahmen, erlogen. Das haben selbst die 4000 britischen Offiziere und Soldaten zugegeben, die als Gefangene sich in Pretoria befanden. Solche VerleumdungGa naar eindnoot22 war nur eine jener schurkischen Mittel, um nicht nur das Volk von England sondern die ganze zivilisierte Welt ad absurdum zu führen. Das vorerwähnteGa naar eindnoot23 Verfahren der Aufstachelung der Soldaten, das in sich den indirekten Anstoss zum NiedermachenGa naar eindnoot24 der Gefangenen und Verwundeten schon bei Anfang des Kampfes trug, erscheint gleichsam als Vorspiel zu den späteren direkten Befehlen, die der blutige Küchenmeister seiner ‘zivilisierten’ Armee ohne Scham und Skrupel gegeben hat. Solche wohlwollende Ermahnungen waren natürlich geeignet, damals schon Grausamkeiten zu erzeugenGa naar eindnoot25, wie sie nur eine britische Soldateska tausendfach zu verüben im Stande war, nicht zu ihrem Ruhm, wohl aber zu ihrer Schande. In dem unglücklichen Treffen bei Elandslaagte war es, wo | |
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diese teuflische Roheit der gesitteten frommen Engländer zum ersten Male krass zu Tage trat. Sechshundert Buren unterlagen hier eine Uebermacht von dreilausend Engländern mit 12 Kanonen, und das Kabel beglückte in überschwenglichenGa naar eindnoot26 Worten die Welt mit der Siegesnachricht der ‘hochzivilisierten britischen Armee’. O ja, hätte die Welt zu jener Zeit gewusst, was für Greuelscenen sich auf dem Schlachtfelde abspielten, man hätte wohl einigen Zweifel in die gleissnerischenGa naar eindnoot27 Worte der tonangebenden Herren in London setzen dürfen: ‘Wir führen den Krieg im Namen der Humanität und Zivilisation.’ ‘Nach dem Schlachtensturm begann der britische Lanzenreiter seine Rolle in dem Blutdrama zu spielen. Mit Herrschermiene, die Lanze in der Hand, ritt er über das Feld des Todes und untersuchte Tote, Verwundete und Sterbende. Dort lag ein weishaariger Bure, schwer verwundet, und flehte um einen Trunk Wasser. ‘Hier hast Du es!’ erwidert ihm einer der Reiter und stösst dem Hilflosen die Lanze tief in die Seite, dass ein dicker Blutstrom hervorquillt. Noch ein Lanzenstich erfolgt - und lachend reitet die britische Bestie von dannen. Indessen der alte Bure lebt noch. Ein anderer Lancer kommt vorbei. Der schon Sterbende bittet um den Todesstoss, damit seine Qual ein Ende nehme. Es geschieht und - alles ist vorüber.’ Durch einen Schuss verwundet und durch Blutverlust ohnmächtig liegt dort auch ein junger Deutsch-Oesterreicher. Da jagt ein englischer Lancer vorbei, macht Halt und giebt ihm einen Stich mit der Lanze in den Arm. Matt schlägt der Verwundete die Augen auf und blickt seinen Peiniger an. ‘Dein Geld!’ ruft letzterer. - Der Verwundete schüttelt den Kopf. ‘Du hast ein Uhr?’ Ein schwaches Nicken ist die bejahende Antwort. | |
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Der Lancer steigt ab, untersucht die Taschen des halb Toten, nimmt Uhr und Kette, streift noch einen Siegelring von dessen Finger und steigt wieder zu Pferde. ‘Da, nimm das!’ Mit diesen Worten versetzt er dem am Boden liegenden noch einen Lanzesstoss und reitet weiter. Drei andere kommen. ‘Sieh den Kerl! ruft der Eine. ‘O, der ist noch nicht tot; gieb ihm eins!’, und alle Drei, einer nach dem andern bohren ihre Lanzenspitzen in den Körper des Wehrlosen. Am nächsten Morgen fand man ihn, kaum noch atmend, bedeckt mit 17 Stichwunden. In ähnlicher Weise erging es einem Buren aus der Umgegend von Pretoria, der einen Schuss durch die Lunge bekommen hatte. Währen er, ohne sich zu rühren, lang ausgestreckt auf dem Rücken lag, brachten ihm vorüberreitende Lancers nicht weniger als 11 Lanzenstiche bei, fast wie zu Spiel und Kurzweil, und liessen ihn liegen. Noch in derselben Nacht wurde er von Krankenträgern aufgefunden und in's Lazaret geschafft. Er befindet sich heute noch am Leben und kann den Beweis liefern, dass ihm seine Wunden nicht von ‘wilden’ Buren, sondern von zivilisierten Engländern beigebracht worden sind. Später im Verlauf des Krieges wurde das alles noch viel schlimmer. Denn in der Blutarbeit verroht jeder Mensch, auch ohne jene menschenfreundlichen Ermahnungen und AufreizungenGa naar eindnoot28. Wie z. B. war es bei Spionkop? Ein Augenzeuge, Webster Davis erzählt davon einen typischen Fall: ‘Die Schlacht war vorüber. Ein junger Bure, kaum 17 Jahre alt, kam an einem verwundeten Engländer vorbei. Letzterer bat um etwas Trinkwasser. Als der weichherzige Burensohn neben | |
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seinem Feinde niederkniete und ihm aus der eignen Feldflasche zu trinken gab, stiess der Brite plötzlich seinem Wohlthäter ein Bajonet in die Seite. Ich selbst habe noch mit dem Sterbenden gesprochen und habe weinend neben ihm gekniet, als er verschiedGa naar eindnoot29.’ Das also ist die Armee, die England aussandte, um Kultur und Bildung dem ‘dummen, rohen’ Buren nach Süd-Afrika zu bringen! Indessen tadleGa naar eindnoot30 ich den gemeinen Soldaten nicht so sehr. Er ist irregeführt durch Vorspiegelung falscher Thatsachen. Er vertritt den niedrigsten Typus von Individuen in Europa, wie es ja bei jedem Söldnerheere der Fall sein muss, so dass ihm der volle Begriff eines VerbrechensGa naar eindnoot31 oder einer Brutalität kaum zugemutet werden kann. Die Schuld liegt vielmehr bei den leitenden Personen, den Offizieren, bei den Generälen und Höchstkommandierenden und vor allem bei jener Spekulantenklique, die es verstanden hat, durch Lug und Trug die gesammte öffentliche Meinung zu verwirren. Dass der ‘humane’ Brite schon in den ersten Monaten des Blutvergiessens kaltherzig die Toten beraubt, Verwundete und Gefangene massakriert und ausgeplündert hat, ist heute eine feststehende Thatsache. Nicht einmal das weisse Haar des verwundeten alten Generals Kok schützten diesen vor den britischen Hyänen des Schlachtfelds. Unter höhnenden Schmähworten nahmen sie ihm seine Kleider und liessen den Greis völlig entblösst auf freiem Felde liegen. Bei Elandslaagte fanden unsere Leute mehrere Tote, darunter Deutsche, denen die Finger abgeschnitten waren; Siegelringe und andere Wertsachen fehlten natürlich. Nach dem blutigen Treffen bei Magersfontein wurde die Leiche des mir befreundeten Capitäns Flugaré gefunden - völlig | |
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nackend, sämtlicher Kleider beraubt. Sogar die goldene Brille war gestohlen. Zu jener Zeit konnten Nachrichten von solchen Schandthaten noch in die Oeffentlichkeit dringen und aus Privatberichten sickerteGa naar eindnoot32 langsam die Wahrheit durch britisches Lügengespinst hindurch. Wie aber heute! Infolge der eingerichteten Censur und des Kabelmonopols vermag es England, die Welt mit Nachrichten zu füttern, die nur dem eigenen WohlergehenGa naar eindnoot33 thunlichGa naar eindnoot34 sind, ad majorem Britanniae gloriam! Wir wissen nicht den hundersten Teil von dem, was heute in dem dunklen Erdteil passiert; nicht den hundertsten Teil von all den Schreckenscenen, die sich heute dort draussen auf dem einsamen, verödetenGa naar eindnoot35 Felde oder in den Gefangenenlagern abspielen. In den ersten Monaten des Krieges konnte die Welt noch erfahren, dass bei Dundee 12 gefangene Buren von den ehrenwerten Briten an einen Wagen gebunden und in das Feuer der eigenen Landsleute getrieben wurden. Heute ist es kaum mehr möglich, dass Nachrichten von solchen Heldenthaten in die Oeffentlichkeit gelangen. Heute ist man gezwungen, zwischen den ZeilenGa naar eindnoot36 der englischen Siegesdepeschen zu lesen. Und da ist es unter anderem doch recht auffallend, dass meistens die gemeldete Zahl der Toten auf Seite der Buren die Zahl der Verwundeten übersteigt; ja, einmal war überhaupt nur von Toten die Rede. Wo bleiben die Verwundeten? Jedermann weiss, dass bei den Verlusten durchschnittlich 3 Verwundete auf 1 Gefallenen kommen, und jetzt, seit Beginn des Ausrottungssystems unter den edlen Lords Roberts und Kitchener, ist das VerhältnisGa naar eindnoot37 beinahe umgekehrt. Wie kommt das? Nun, die Antwort ist nicht schwierig. Die vorgefundenen Verwundeten und vielleicht auch die gemachten Gefangenen sind | |
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einfach getötet, massakriert. Die ehrliche Kriegsführung ist eben in einen schauerlichen Vertilgungskrieg übergegangen. ‘Es giebt nur einen Weg, den Widerstand der Buren zu brechen und das ist: Verringerung ihrer Zahl durch fortgesetztes Aufreiben; mit anderen Worten: wir müssen sie vertilgen (we must kill them out)’. So lautet der Grundsatz, nach welchem das humane England handelt und den Männer wie Winston Churchill sich nicht scheuen offen zu proclamieren. Da ist es kein wunder, wenn Lord Roberts Treu und Wortbruch begeht und wenn sein Nachfolger, der ‘Bluthund von Omdurman’ in einem Armeebefehl seinen Willen kundthut. Die erste That Lord Kitcheners nach Uebernahme des Kommandos war nähmlich jene bekannte und berüchtigte Anrede an seine ‘Zuchthäusler- und Verbrecherhorden in Khaki’, die nachmals von der Jingopresse als ‘wonderful speech’ gepriesen wurde. ‘Ihr habt für so und so viele Tage Rationen empfangen - so lautete die Ansprache Kitcheners - und alle Buren, die Ihr gefangen nehmt, müssen von diesen euren Rationen ernährt werden und dan habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben, wenn Ihr zu kurz komt. Das ist alles was ich Euch zu sagen habe!’ Und die Tommys glotztenGa naar eindnoot39 ihren Höchstkommandierenden verständnissinnig an, nickten und grinsten sich gegenseitig zu und gingen hin und thaten, wie ihnen befohlen war. Gefangene wurden seit jener Zeit wenig oder gar nicht gemacht und die wenigen, welche in den pritischen Lügenberichten figurieren, kann man kaum als Gefangene betrachten. Das sind meistens gebrechliche Greise, schwache, hilflose Frauen und kleine Kinder, ungefährliche Krüppel, Lahme und Blinde, kurz verhungerte, schwache Personen, die mit echt britischer Roheit von den Farmen verjagt oder auf den Landstrassen zusammengetrieben worden sind | |
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Das Wort ‘Kriegsgefangener’ scheint überhaupt für das englische Militär sehr, sehr dehnbarGa naar eindnoot40 zu sein, Hierfür nur ein Beispiel. Nach den authentischen Angaben eines Deutschen aus Kapstadt vom Herbst 1900 setzten sich die dort befindlichen Gefangenen zusammen aus: 50 Prozent auf dem Schlachtfeld gefangenen Personen, 10 Prozent Menschen über 60 und unter 12 Jahren, also schwachen Greisen und Kindern. 5 Prozent Krüppel, Taubstummen und Blinden. Den Rest, also 35 Prozent, bilden die von Haus und Hof Vertriebenen und die AusgewiesenenGa naar eindnoot41, die trotz aller vielverheissenden Proklamationen der Briten und trotz des geschworenen Neutralitätseides perfide ihrer Freiheit beraubt worden waren. Wurden doch sämtliche Personen, - Männer, Frauen und Kinder, - die Lord Roberts infolge seiner berüchtigten Ausweisungsbefehle auf englischen Truppentransportschiffen zusammenpferchenGa naar eindnoot42 und nach Europa befördern liess, als ‘Gefangene’ betrachtet. Wenn also englische Siegesberichte von Tausenden von kriegsgefangenen Buren sprechen, so ist das mit Vorsicht aufzunehmen. Wir wissen, wie es gemacht wird. Jenen britischen Schwindlern aber kommt es ja auf eine Handvoll mehr oder weniger Lüge gar nicht an. Indessen nicht allein jene verblümte allgemeine Ansprache des edlen Lord, nein, direkte Befehle dieses modernen Alba, führen dazu, alles niederzumachen. Die feige Ermordung des Burenkommandanten Lombard durch etwa 100 Engländer und Kaffern hat die Existenz solcher Blutbefehle zu Tage gefördertGa naar eindnoot43. Lombard mit dem Polizeikommandanten van Dam aus Johannesburg und dessen Adjutant, hatten eine Zusammenkunft mit | |
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den Swazihäuptlingen, um diese, die von den Engländern Gewehre empfangen hatten, von Feindseligkeiten abzuhalten. Die Swazis waren bereit, den Wunsch der Transvaalregierung zu erfüllen. Die Zusammenkunft war gerade beendet, als die drei Transvaler sich plötzlich von einer Ueberzahl von Engländern und Kaffern umringt und angegriffen sahen. Lombard erhielt gleichzeitig mehrere Schüsse in die Brust und sank zu Tode getroffen zu Boden. Der alte van Dam verteidigte sich mit seinem Mauserkarabiner so gut es eben ging, gegen die Andringenden. Ein Beilhieb ins Rückgrat machte ihn kampfunfähigGa naar eindnoot44; sein Adjutant wurde hinterrücks überwältigt. Beide kamen als Gefangene nach Durban. Kurz darauf empfing der englische Truppenführer, dessen Leute diese hinterlistige That im Verein mit den schwarzen Bundesgenossen vollführt hatten, die strikte Ordre, ‘dass in Zukunft alle gemachten Gefangenen auf Kosten der Soldaten, welche sie gemacht oder eingebracht haben, verpflegt werden sollen.’ Mit anderen Worten: ‘Massakriert alles, gebt keinen Pardon! Anderenfalls habt Ihr dafür zu büssen!’ Fürwahr, dieser Befehl ist ein neuer Schurkenstreich des englischen Generals. Als ErläuterungGa naar eindnoot45 hierzu diene der Brief eines australischen Freiwilligen: ‘Wir haben Instruktion nicht zu schiessen, sondern nur Kolben und Bajonet zu gebrauchen und - keine Gefangenen zu machen. Wir kümmern uns um das Schreien und FlehenGa naar eindnoot46 um Gnade jetzt nicht viel mehr als um das Krächzen einer Krähe. Dies gilt hier als allein richtig und als das einzige Mittel, um Eindruk auf die Burennatur zu machen.’ Was aber würden wohl die ehrenwerten, humanen Engländer thun, wenn sie in der heutigen Lage der Buren wären, keinen | |
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Ort, keinen Platz besitzen würden, um Gefangenen unterzubringen? Da wäre es einfach ‘Kriegsraison’, sich der Gefangenen auf irgend eine Art zu entledigenGa naar eindnoot47. Sicher ist, dass die Engländer unter solchen Verhältnissen die Kriegsgefangenen nicht wieder freilassen würden. ‘Die Notwendigkeit, so würde man mit Jammermiene im Heuchellande jenseits des Kanals sagen, hat uns zu diesem Schritt gezwungen.’ Was dem Briten völlig fehlt, das hat eben der Bure zu viel: angeborenes Humanitätsgefühl. Fast möchte man es dem Buren übelnehmen, dass er jetzt noch, nach allem ausgestandenen Leid, nach allen von den Englischen Söldnertruppen verübten Bestialitäten, unter dem gewaltigen Druck der Notwendigkeit, mild und human geblieben ist und nicht anders handelt. Würden die Burengeneräle heute vielleicht anordnen: ‘Wir können die Gefangenen nirgends unterbringen: wir können sie nicht verpflegen; es ist dringend notwendig, die englische Truppenzahl zu verringern; ausserdem tötet der Engländer den gefangenen Buren; folglich werden wir von jetzt ab das Gleiche thun: Niemand würde dies bei dem augenblicklichen Staat der Dinge den Buren verargenGa naar eindnoot48. Der Krieg aber wäre in einigen Wochen beendigt. Dann würden sich die britischen Krieger, die ohnedies schon total demoralisiert sind, sowie die mit Mühe und Not angeworbenen Freiwilligen wohl hüten, gegen die kämpfenden Burenabteilungen vorzugehen. Jetzt schon desertieren englische Soldaten haufenweis. Die Mannschaften weigern sich zu fechten, jetzt noch mehr als früher, wie z. B. bei Colenso am Tugela. Die Offiziere sind voller Miss-mut. Meutereien wiederholen sich und nehmen immer grössere Dimensionen an; die Disciplin ist gelockertGa naar eindnoot49; Zucht und Ordnung sind zum Teufel. Zieht man dan noch das Menschenmaterial in BetrachtGa naar eindnoot50 aus dem sich diese glorious army’ jetzt zusammensetzt, so kann man folgerichtig schliessen: ein rücksichtsloses Vorgehen | |
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der Buren gegen die englischen Soldaten würde in kurzer Zeit die Auflösung der britischen Armee in Süd-Afrika zur Folge haben. Es wäre das auch nur eine billige Vergeltung für die vom Feinde begangenen Grausamkeiten. Dass es heute mit jener ruhmreichen Armee recht faul steht, ja, dass England nicht mehr genügend Truppen besitzt, um diesen Raubkrieg zu Ende zu führen, zeigen alle britische Proklamationen der letzten Monate. Kitchener selbst giebt in seinem Bericht ein erbaulichesGa naar eindnoot51 Bild von dem Zustande des so ersehntenGa naar eindnoot52 und hinausgesandten NachschubesGa naar eindnoot53. Unter anderem führt er aus, man habe ihm Leute gesandt, die weder schiessen noch reiten könnten und erst völlig ausgebildetGa naar eindnoot54 werden mussten. Hunderte von Rekruten seien ihm geschickt worden, die mit allen möglichen körperlichen Leiden und Gebrechen behaftet seienGa naar eindnoot55, vom Herzleiden bis zur partielle Lähmung; sogar Taube, Stumme und Halbblinde befinden sich unter diesen Streitern. Und nun erst die ‘famous’ Yeomanry! jene halbwüchsigenGa naar eindnoot56 Bengel und Ladenschwengel Londons, die sich in Süd-Afrika mit Ruhm bekleckert haben, indem sie meistens das Hasenpanier ergriffen. Nach Kitcheners Bericht mussten von dieser Heldenschar bereits nach dreimonatlicher Dienstzeit 90 Prozent als Ganzinvaliden nach England zurückgeschickt werden. Wenn solche Leute, namentlich aber die Freiwilligen, die England gegen den enormen Sold von 9-12 Mark pro Tag anzuwerben genötigt ist, wissen, dass man ihnen, bei einer Gefangennahme nicht mehr blos Gewehr und Munition abnimmt, dass sie selbst nicht mehr - gestempelt oder ungestempelt - wieder frei gelassen werden, sondern das ihnen die Kugel oder der Strang bevorsteht: sie alle würden es wohl vorziehen, gegen diese Buren nicht mehr zu Felde zu ziehen und - Englands | |
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‘civilisatorische Thätigkeit’ dort draussen wäre lahm gelegt. |
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