Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die Sprache des BurenvolkesDie JahrhundertwendeGa naar eindnoot1 sieht einen der Kriege, wie sie die Weltgeschichte mit Staunen und Bewunderung verzeichnetGa naar eindnoot2. Ein kleines Volk, bisher scheinbar der Kultur ganz entfremdetGa naar eindnoot3, nimmt den Kampf auf gegen das mächtigste, kultivirteste Reich der Erde und trägt in diesem Kampfe eine Reihe glänzender Siege davon. Der Burenkrieg in Südafrika erweckt in uns die alten Schulerinnerungen an die Perserkriege, an die Schlachten der Schweizer gegen Karl den Kühnen von Burgund. Die Worthführer der Buren selbst erinnern an die langen, blutigen und schliesslich doch nur theilweise erfolgreichenGa naar eindnoot4 Kämpfe ihrer Vorfahren in den Niederlanden gegen die spanische Weltmacht. Wie wird diesmal der Ausgang sein? Wird die kleine Heldenschaar sich behauptenGa naar eindnoot5 können gegenüber den immer wieder erneuten TruppenaufgebotenGa naar eindnoot6 der GegnerGa naar eindnoot7, wird die Tapferkeit, Schlauheit, Freiheitsliebe der ‘berittenen Kuhhirten’, ihre ‘Bravoureuse Treffsicherheit’ und leichte Beweglichkeit auf die Dauer den mit allen Mitteln der heutigen Technik ausgestatteten, aus unerschö, flichen Quellen ergänzten Heeren der Engländer Widerstand leisten können? Oder wird das Geld sich auch hier als allmächtig erweisen? Wie auch das Ende und Ergebniss dieses Krieges ausfallen möge, das Eine bleibt dem Barenvolke schon jetzt für alle Zeiten sicher: die Bewunderung und das Mitgefühl wohl aller Nationen der Welt, soweit nicht das freilich weit reichende Interesse für den Sieg ihrer Gegner die natürliche Empfindung Om de vertaling minder hinderlijk te maken onder het lezen hebben wij deze genummerd en achteraan de bijdrage geplaatst. | |
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verstummen heisst. Auch auf die Buren dürfen wir die Worte anwenden, mit denen Goethe in ‘Hermann und Dorothea’ noch einmal die Deutschen zu gemensamer Abwehr der französischen Revolütionsheere zu begeistern versuchte:. Es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen,
Die für Gott und Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder
Stritten, und gegen den Feind zusammenstehend erlagen.
Doch ich beabsichtige nicht noch weiter einzugehen auf die allgemein menschliche Theilnahme, welche auch wir dem Burenkrieg entgegenbringen werden. Ich erbitte mir die Aufmerksamkeit meiner Leser für eine wenn auch nicht eben gründliche ErörterungGa naar eindnoot8, ob uns die Buren auch als Nation näher angehen, ob wir sie wenigstens zu den Nächstverwandten des deutschen Volkes rechnen sollen? Diese Frage wird entschieden durch Geschichte und Sprachforschung. Aus der ersteren werde ich zunächst einige Notizen allgemeiner Art entnehmen. Die Buren in Südafrika stammen grösstentheils von Ein wanderern aus den Niederlanden. Hier an den Mündungen des Rheins finden wir von Anfang unserer Geschichte an Germanen; ja dieser Name, der keltisch ist und eigentlich ‘Nachbarn’ bedeutet, ist hier aufgekommen, wo sich Deutsche mit Kelten im Flachland berührten, während sie sonst durch Waldgebirge oder den reissenden Unterlauf des Rheins getrennt waren. Ebenso begegnethierzuerst, nach dem die VölkerwanderungGa naar eindnoot9 die Germanen weit nach Westen und Süden geführe, hatte, dann im Reiche Karl's des Grossen alle deutschen Stämme mit den Romanen vereinigt worden waren, der Name Deutsch im Gegensatz zu Wälsch, das ursprünglich alle Kelten, dann alle romanisirten Völker von den Walisern in England, den Wallonen in Belgien, bis zu den Walachen an der onteren Donau bezeichnete. Dietsch in den südlichen Niederlanden, Duutsch in den | |
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nördlichen nannten sich die Einwohner, soweit sie nicht zu den Walen, den französisch Sprechenden gehörten. Noch heute nennt der Engländer den Holländer Dutch d.h. Deutsch. Und der Hottentott im Kapland nennt die Buren Dusmans, ihr Volk Dussolk d.h Deutschvolk. Und doch war politisch schon im Reiche der späteren Karolinger der westliche ZipfelGa naar eindnoot10 des deutschs prechenden Gebiets, ein Theil Flanderns, zwischen Deutschland und Frankreich streitig. Der Einfluss Frankreichs steigerte sich in der Ritterzeit. Nord-Frankreich war die Heimath des eigentümlichen Ritterwesens. Der Adel Flanderns, ja der nahegelegenen Theile Niederlands sprach französisch und pflegte französische Poesie. Die Dichtung in niederländischer Sprache ging von den BürgerkreisenGa naar eindnoot11 aus, welche sich allerdings frühzeitig in Folge der günstigen VerhältnisseGa naar eindnoot12 für Handel und GewerbeGa naar eindnoot13, in volkreichen, mächtigen Städten zusammenfanden. Jahrhunderte hindurch dauerten die Kämpfe gegen die Franzosen und zugleich zwischen den einzelnen Ständen und SchichtenGa naar eindnoot14 des Volkes, bis endlich die französischen Herzöge von Burgund alle übrigen Herrschaften verdrängten und beerbten. Der EnkelGa naar eindnoot15 Maria's von Burgund, Karl V, vereinigte mit den Niederlanden auch die spanische Königs- und die deutsche Kaiserkrone. Damals war Antwerpen der grösste Handelsplatz der Welt, die Deutschen nannten die Stadt Antorf. Unter Karl's Sohn, Philipp II., blieben die Niederlande bei Spanien, von dem das deutsche Erbe der Habsburger abgetrennt wurde. Aber nun erfasste die Reformationsbewegung auch die Niederlande und führte nach den schwersten Kämpfen, nach einem 80jährigen Krieg eine Theilung der Niederlande herbei, von denen das nördliche Gebiet, nach der Hauptprovinz auch Holland genannt, selbstständig wurde. Eine Zeit lang, als die Bluthgerichte Alba's zwar das Land furchtbar verödetGa naar eindnoot16, aber nur den | |
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Abscheu selbst der katholischen Niederländer im Süden gewekt hatten, waren Nord und Süd einig gewesen. Damals richtete Marnix von Sint-Aldegonde, die rechte Hand Wilhelm's von Oranien, an den deutschen Reichstag eine ergreifende Rede um die Hilfe Deutschlands gegen Spanien zu gewinnen. ‘Deine Sache ist es, um die gekämpft wird’, so rief er Deutschland zu. Warum dieser Hilferuf vergeblich war, ist hier nicht auszuführenGa naar eindnoot17. Genug: Marnix behielt Recht. Deutschland hatte fünfzig Jahre lang dem furchtbaren RingenGa naar eindnoot18 der Niederlande unthätig zugesehen. Dann ergoss sich die spanische Gegenreformation auch über die deutschen Lande und entfachie einen verderblichen, fast vernichtenden Kampf. Der dreissig-jährige Krieg hinterliess ein verwüstetes, zerrissenes Deutschland. Erst zweihundert Jahre später haben wir wieder ein einiges Deutsches Reich erhalten und auch dies nur nach Aufgabe der österreichischen Lande. Holland aber blühte auf. Es war in der Mitte des 17. Jahrhunderts das reichste, thätigste Land: wie Handel und Gewerbe, so war auch die Wissenschaft, ja von den Künsten wenigstens Poesie und Malerei hier glänzend vertretenGa naar eindnoot19. England stand damals, sogar auf der See,weit zurück. Die holländischen Admirale fuhren die Themse hinauf mit dem Besen am Mast, zum zeichen, dass sie die See von den feindlichen Flotten gefegt hatten. Wie man damals und noch im vorigen Jahrhundert in Deutschland zu Holland, dem Lande des Reichthums und der Freiheit emporsahGa naar eindnoot20, davon gibt die hübsche Erzählung Hebel's, ‘Kannitverstan’, ein Beispiel. Ein deutscher Handwerksbursche stieht in Amsterdam ein prächtiges Haus, nach dessen Besitzer er fragt und darauf die Antwort erhält: ‘Kannitverstan’ = ‘kann nicht verstehen’, was er aber für den Namen hält. Dieselbe Antwort bekommt er im Hafen, wo ein mächti- | |
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ges Schiff ausgeladen wird; und eben diese auch bei einem LeichenzugGa naar eindnoot21 als er nach dem Namen des Todien fragt; woraus er dann schliesst, das auch der Reiche sterben muss und mit diesem wehmüthigen Troste sich bescheidetGa naar eindnoot22. Aber auch die Holländer fühlten ihre damalige Ueberlegenheit den Deutschen gegenüber; sie nannten diese, die als Dienstleute viel zu ihnen kamen, de Moffen, was etwa durch Mauler, von maulen, undeutlich bezw. mürrisch reden, wiedergegeben werden könnte. (?) Doch dauerte auch diese Macht des kleinen Handelsvolkes nicht lange. Im Innern bekäpften sich zwei Parteien, die Republikaner, die besonders die gebildetenGa naar eindnoot23, freisinnigen und reichen Kaufleute umfassten, und andererseits die kriegstüchtigen populären Oranischen Statthalter. Wilhelm III. wurde durch die englische Revolution an Stelle der Stuarts, auf den englischen Thron berufen. Mit ihm ging die Führung der protestantischen Mächte auf England über. Holland aber genoss seinen Reichthum, den ErtragGa naar eindnoot24 seiner Kolonien in Frieden, der zuletzt zur ErschlaffungGa naar eindnoot25 führte. Die französische Revolution eroberte Holland im Sturm: die eingefrorene holländische Flotte wurde durch eine Schwadron Husaren eingenommen. Der alte Reichtum schmolz unter den Ansprüchen Napoleon's wie Schnee, die Kolonien fielen zum Theil England zu. Nach dem Sturze Napoleon's erhielt Holland die Kolonien meist zurück, ja es wurden ihm nun auch die katholischen Niederlande zugetheilt. Die belgische Revolution von 1830 riss diesen Zuwachs freilig wieder weg und erst allmälig machte sich der niederdeutsch sprechende Theil Belgien, Flandern und Brabant, wieder frei von dem französischen Zuschnitte des neuen Staates und suchte wenigstens in der Sprache wieder den Zusammenhang mit dem Norden zu gewinnen. Diese Wandlungen haben nun auch grössentheils sich dort | |
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wiedergespiegelt, wohin uns unser GegenstandGa naar eindnoot26 führt: in Südafrika. Das Kap der guten Hoffnung haben bekanntlich noch im 15. Jahrhundert die Portugiesen entdeckt und umschifft. Eine Besiedelung aber fand erst 1652 statt durch den Holländer von Riebeck, der im Dienste der Holländisch-ostindischen Gesellschaft stand. Langsam vermehrte sich die Zahl der Bewohner, die mit den Eingeborenen manchen Kampf zu bestehen hatten. Eine besondere Verstärkung erhielt die Kolonie durch französische Hugenotten, die seit der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 ihr Vaterland verliessen, um besonders in Holland, dem damaligen HorteGa naar eindnoot27 aller religiösen und politischen Freiheit, Aufnahme zu finden. Viele trieb es weiter, selbst über See. In St. Helena siedelten sich Manche von ihnen an, und hieran knüpfen sich die ersten Romane von Schiff brüchigen, die allein der wilden Natur gegenüber sich behaupten müssen; eine Vorstellung, die schon im Simplicissimus unseres Grimmelshausen ausgesponnen worden ist, ehe Daniel Defoe mit seinem Robinson Crusoe ihr die klassische Form gab. Bald aber zogen die Hugenotten nach dem Kapland, wo noch heute viele Namen auf sie zurückgeführt werden können, darunter solche, die in den Kämpfen unserer Tage oft genannt worden sind: Joubert, Cronje, Dutoit, Viljoen u.s.w. Aber wie schon die Aussprache dieser Namen im Kapholländischen zeigt, wo man z. B. Joubert nicht mit französischem Sch, sondern mit holländischem J ausspricht, sind diese französischen Familien, obschon ihnen Anfangs selbst französische Prediger zugestanden worden waren, doch nach 1-2 Generationen schon ganz der holländischen Sprache zugefallen. Ebenso ging es den Deutschen, die sich in ziemlicher Zahl den Holländern anschlossen, die namentlich auch im Dienste der ostindischen Compagnie als Soldaten und Beamte nach Südafrika kamen. Aus einer norddeutschen Familie, die in der | |
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Mark gesessen hatte, ist ja bekanntlich auch der Präsident Krüger hervorgegangen. Dass Plattdeutsche steht dem Holländischen sehr nahe: konnte sich doch Fürst Bismarck, als er Krüger unserem Kaiser Wilhelm I. vorstellte, ganz gut mit dem Südafrikaner unterhalten, indem er sein märkisch-pommersches Platt sprach. Aber auch die eingewanderten Süddeutschen schlossen sich dem Holländischen an: kamen doch sie geradeGa naar eindnoot28 aus den kleineren Staaten, die nicht daran denken konnten, ihre Angehörigen in der Feine zu schützen. Ja, ein guter Theil war geradezuGa naar eindnoot29 an die Holländer verkauft worden, so die württembergischen Soldaten, die der aus Schiller's Lebensgeschichte so bekannte Herzog Karl als Truppen der ostindischen Compagnie überliess und für die der Dichter Schubart das Lied dichtete: ‘Auf, auf, ihr Brüder und seid stark,
Der Abschiedstag ist da.
Schwer liegt er auf der Seele, schwer,
Weit geht es über Land und Meer
Ins heisse Afrika.’
Nur wenige Wörter erinnern heute in der Sprache der Kapholländer an die deutsche und französische Beimischung. Für die Erhaltung und Reinhaltung des Holländischen sorgten die reformirten Prediger. Noch jetzt ist Bibel und Kathe chismus die einzige, aber auch die fleissig gebrauchte Lektüre des überhaupt wortkargenGa naar eindnoot30 Buren. Ihre Zähigkeit, ihr Unabhängigkeitssinn hielt auch ihre Sprache fest, als die Herrschaft über die Kapkolonie in fremde, in englische Hände überging. Dies geschah zuerst 1795, als die Franzosen Holland erobert hatten und dies daher von den Engländern als Feindesland angesehen wurde. Als nach dem Pariser Frieden Holland die Kolonien z. Th.Ga naar eindnoot31 zurückerhielt, blieben die Engländer in Kap- | |
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land, das als Station für den damals alleinigen Seeweg nach Ostindien ihnen besonders werthvoll erschien. Eine Zahlung von mehreren Millionen an den König der Niederlande gab diesem Besitz auch eine gewisse rechtliche Stütze. Selbstverständlich wurde das Englische die Sprache der Beamten, auch der Richter, obschon das Recht selbst seinen holländischen GrundzugGa naar eindnoot32 behielt. Die Holländer sassen als Buren auf dem Land, noch jetzt bilden sie selbst in Kapland weitaus die Mehrheit der Einwohner. Aber England mit seinem Reichthum, seiner BetriebsamkeitGa naar eindnoot33, seiner werthvollen Literatur machte seine Sprache zum Verkehrsmittel der höheren Stände, ähnlich wie das französische in Belgien und früher auch im Elsass als Zeichen der feineren Bildung besonders die Frauen an sich zog. Diese sprachliche VerhältnisseGa naar eindnoot34 werden zu der Unzufriedenheit beigetragen haben, mit welcher die Buren die englische Herrschaft ertrugen. Es ist bekannt, wie sie, um dieser zu entgehen, zu einem grossen Theil lieber die Heimat verliessen, um in der Wüste, unter wilden Negerstämmen, sich selbst zu regieren. Aber die Engländer machten den Anspruch, auch diese NeusiedelungenGa naar eindnoot35 zu beherrschen. So geschah es in Natal, dessen Lage am Meere allerdings die Gefahr einer Verbindung der Buren mit fremden Mächten besonders nahe legte. Aber auch den Oranje-Freistaat und später Tranvaal gaben die Engländer nur unter BedingungenGa naar eindnoot36 frei. Und die Sache wurde um so schlimmer, als der Boden der Freistaaten sich reich an Edelsteinen und Gold zeigte. Der Diamantbezirk von Kimberley wurde dem Oranje-Freistaat unter dem VorwandGa naar eindnoot37 einer früheren Besitzergreifung wieder abgenommen. Und wie der gegenwärtige Krieg wesentlich durch den Wunsch gewisser Kapitalisten sich der Goldminen Transvaals zu bemächtigen veranlasst ist, das ist ja allbekannt. Die alte Sage vom Fluche, der | |
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auf dem gleissendenGa naar eindnoot38 Golde ruht, hat sich wundersam erneut. Freilich ist das Aufblühen Transvaals im Jahre 1880 nicht ohne Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Erwachen des holländischen Sprach- und Nationalgefühls unter der Burenbevölkerung des Kaplandes und Natals. Auch die gebildetenGa naar eindnoot39 Kreise empfanden hier die Beschämung, dass der Gebrauch der Alten Familiensprache für die Mehrzahl der Landesangehörigen mit Nachtheilen und besonders auch dem englischen Hochmuth gegenüber mit HerabsetzungGa naar eindnoot40 verbunden war. Man bildete den Afrikanerbond, der die grössere Unabhängigkeit der Kolonie gegenüber England zu fördern suchte; man gründete einen Taalbond, einen Sprachenverband, der niederländische Sprache und Literatur zu erhalten und zu verbreiten unternahm. Da stand nun aber eine grosse Schwierigkeit im Wege. Die Familiensprache der Buren ist nicht die holländische Literatursprache; sie unterscheidet sich von dieser, nur in einem noch höheren Grade, etwa wie das Elsässische vom Hochdeutschen. Mann begann die Volkssprache zu studiren, man gebrauchte sie zunächst zu kleinen Aufsätzen und Gedichten; man dachte daran eine Bibelübersetzung in dieser Burensprache zu veranstaltenGa naar eindnoot41. Ob dieser literarische Gebrauch sich durchführen lässt, möchte ich dahingestellt sein lassenGa naar eindnoot42. Aber für den mündlichen Gebrauch ist nun einmal die Burensprache vorhanden; sie wird über eine halbe Million englischer Quadratmeilen hin verstanden und gesprochen, und zwar fast völlig übereinstimmend, mit ganz kleinen mundartlichenGa naar eindnoot43 Abweichungen. Ueber die Regeln dieser Sprache und über ihre Geschichte gibt eine Strassburger Dissertation von W.J. Viljoen, der jetzt Professor an einer wenn auch nicht vollständigen Universität in Kapland ist, gute Auskunft (Beiträge zur Geschichte der kapholländischen Sprache, Strassburg 1896). Das Kapholländische ist in hohem Grade eine analytische | |
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Sprache, d.h. sie ersetzt die Wortbeugung wesentlich durch Umschreibung. Geradeso wie im Elsässischen und den meisten deutschen Mundarten gibt es keine eigentliche Deklination und Konjugation mehr: wie bei uns im Elsass anstatt ‘Der Hut des Vaters’ gesagt wird: ‘Im Vater siner Huet’ und nicht gesagt wird: ‘Als ich aus dem Hause ging, schlug es Zwölf’, sondern: ‘Als ich aus dem Haus gegangen bin, hat es Zwölf geschlagen’, so auch im Kapholländischen. Aber dies geht nun freilich noch viel weiter mit dem Wegwerfen aller Endungen und dem Zusammenwerfen der Formen, so dass z. B. nicht mehr ‘wir’, holl. ‘wij’, gesagt wird, sondern ons auch hierfür gilt, was daneben auch ‘unser’ bedeutet. Man hat den Einfluss des Englischen, das ja auch die Sprachformen sehr vereinfacht hat, geltend gemacht, ja sogar den Einfluss der orientalischen Sprachen, der freilich im Kapland, wo mehr und mannigfaltigere Sprachen gesprochen werden, als fast überall sonst auf der Erde, sehr gross sein mag. Dass die hottentottischen AmmenGa naar eindnoot44 und Kindermädchen den Kindern kein gutes Holländisch beibringen konnten, leuchtet ja einGa naar eindnoot45. Aber wie Viljoen gezeigt hat, hat das Kapholländische schon im vorigen Jahrhundert, also vor dem Einfluss des Englischen, diese Abschleifung besessen; es geht überhaupt in Lautform und Wortwahl wesentlich zurück auf die Verkehrssprache in Amsterdam. In Holland, wo die politische Freiheit auch den Gebrauch des Dialekts begünstigte, wie heutzutage in der Schweiz, hat sich die tägliche Umgangssprache weit von der Sprache der Literatur von der Sprache der Kanzel und des Katheders entfernt. In dieser drückt man z. B. Sind Sie müde? aus durch: zijt gij moede? (gesprochen: Seid jei mude?) Aber in der Familiensprache sagt man: ben je moe (auch in lothringischen Dialekten sagt man: ihr bin). Den Uebergang von dazu join moeje, zeigt auch das Kapholländische. Die englischen Soldaten werden | |
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Rooineks genannt, d.h. Rotnacken, Rothhälse, wegen des rothen Streifen an den Krägen. Ein Beispiel wird am Besten die Art des Kapholländischen verdeutlichen. Einer ihrer Volksdichter singt:
'n Jder nasi het syn land,
Eine jede Nation hat ihr Land,
Ons woon op afrikaanse strand
Wir wohnen auf afrikanischem Strand.
Ver ons is daar gen beter grond
Für uns ist da (gibt es) kein (en) besseren Boden
Op al di wy'e wereld rond
Auf der weiten Wereld rund.
Trots es ons om die naam te dra
Trotz ist uns (wir sind stolz) den Namen zu tragen
Van Kinders van Suidafrika
Von Kindern von Südafrika.
Ebenso hat man Goethe's ‘Erlkönig’ in diese Sprache übersetzen können, und diese Umdichtung klingt uns weder unverständlich noch etwa abstossend oder lächerlich. Wir werden diese Sprache auch als einen, wenn auch ferner abstehenden Dialekt des Niederdeutschen bezeichnen. Gewiss ist daneben Vieles, was das Verständniss sehr erschwert. Manches auch, was allerdings fast kindlich erscheint z. B. dass das Verneinungswort immer am Schluss wiederholt wird, dass es z. B. heisst: Ik het ich habe somtijds manchmal daarom jammer darum Kummer dat ik mijn vrinde dass ich meine Freunden nie op die manier kan pleizier geef nie nicht auf diese Manier Vergnügen machen kann. Dazu die vielen Abkürzungen, so: ge für holl. geven, lê für leggen, hê für hebben haben, sê für zeggen sagen, fra für vragen, glo für geloven glauben, bo für boven oben, oe für oogen Augen u.s.w. Ferner die nordholländischen Ausdrücke, z. B. anstatt holl. | |
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keuken Küche, sagt der Kapholländer kombuis, ein Wort, das als kambus auch im Elsässischen, wenn auch in der abweichenden Bedeutung ‘Familie’ bekannt ist; anstatt steen ‘Stein’ klip, anstatt bed Bett kooi Koje, anstatt zenden senden stuur d.h. steuern u.s.w. Endlich hat auch das Niederländische überhaupt viele Wörter, die im Hochdeutschen gar nicht oder in anderer Bedeutung bekannt sind. Von all diesem Sprachgut muss man absehen, wenn man das Kapholländische mit dem Deutschen vergleichen will. Aber immerhin steht auch dieser Zweig des Niederdeutschen uns unvergleichlich näher als das Englische, und nicht nur die Sprache, sondern auch die ganze Lebensanschauung ist bei den Buren wie bei allen Niederländern eine germanische, wie sie selbst betonenGa naar eindnoot46. Ja, gerade den gegenwärtigen Krieg lässt mit Staunen uns wahrnehmen, wie zäh die Grundzüge der germanischen Natur sich hier erhalten und sich zum Theil wieder belebt haben. Mancher Bericht über die Burenkämpfe muthet uns an wie ein Kapitel aus Tacitus. Bei den Buren nehmen die Frauen am Kampfe Theil, sie bringen den Männern Munition, Speise und Trank zu. Die Buren fechten wie die alten Germanen, in Familien gegliedert: das Kind mit dem Vater und zuweilen auch dem Grossvater. Die Führer müssen vorn kämpfen, ihr Beispiel gilt mehr als ihr Befehl. Ja, selbst die eigenthümliche Kampfweihe, das Zurückweichen bis zu günstiger Kampfstellung wird ausdrücklich von Tacitus als germanische Kriegslist bezeichnet. Freilich die alten Germanen stürmten auf ihre Gegner los, oft mit unwiderstehlicher WuchtGa naar eindnoot47. Aber doch mussten sie oft genug vor der überlegenen Bewaffnung und FechtgeschichtlichkeitGa naar eindnoot48 der römischen Legionen dahin sinken, wie die Buren den kalten Stahl der englischen Bajonnette fürch- | |
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ten. Und die Unfähigkeit der Buren, eine befestigte Stellung zu nehmen, zeigten auch die alten Germanen vor den römischen Kastellen. Auch die sittlichen Grundsätze der Buren sind altgermanisch. Die Römer erkannten an, dass die Germanen nicht grausamGa naar eindnoot49 gegen BesiegteGa naar eindnoot50 waren, wenn sie nicht vorher selbst Schlimmes erfahren hatten. Gerade das menschenfreundliche VerhaltenGa naar eindnoot51 der Buren gegen Verwundete und Gefangene ist des höchsten Lobes würdig. Wie ganz anders ging es doch in den südamerikanischen Freiheitskriegen zu, wo oft alle Gefangenen abgeschlachtet worden sind. Selbst in den letzten Kämpfen in Brasilien wurden gelegentlich alle auf dem Schlachtfelde zurückgelassenen Feinde verstümmeltGa naar eindnoot52, so dass sie in der Wildniss verschmachten mussten. Und so ist es uns nicht recht verständlich, wie die Engländer glauben, erst die wahre Civilisation zu bringen. Recht und GesetzGa naar eindnoot53 wurden auch in den Burenstaaten geübt, und der Sicherheitszustand war so, wie er in einem Lande mit Goldminen nur sein konnte. Selbst für die höheren AnforderungenGa naar eindnoot54 der Kultur hälte man, nach der meinung vön Kennern, in Prätoria ohne den Krieg wohl auch das Nöthige gethan. Nein, der Krieg ist ein Sprachenkampf, ein nationaler Krieg. England sieht Südafrika als sein Gebiet an, auch die Länder, die der Muth und der Fleiss Anderer erst der Wildniss entrissenGa naar eindnoot55 hat. So soll Süd- und ganz Ostafrika, soweit es eben nicht schon in festen Händen ist, England ebenso gehören, wie ganz Australien, wie Südasien, wie Kanada. Amerika überlässt man im Uebrigen den Nordamerikanern; sie haben wenigstens die Sprache mit England gemeinsam. Und diese Gemeinsamkeit macht sich auch in Nordamerika geltend und lässt dort von den ‘Träumen der Afrikander’ verächtlich reden. Jakob Grimm hat das Englische als die künftige Weltsprache | |
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bezeichnet; aus deutschen und französischen Bestandtheilen zusammengesetzt, nimmt es an den wichtigsten Kultursprachen Theil. Seine Einfachkeit und Kürze eignet sich zur Verkehrssprache in vorzüglicherGa naar eindnoot56 Weise. Selbst bei den nichteuropäischen Völkern ist das Englische verbreitet; in den französischen Kolonien, wenigstens auf Neukaledonien, wird es gesprochen, ebenso auf Samoa. Freilich ist das Englische dieser wilden Völker sehr verdorben, es ist das sogenannte ‘Pitchin English’ wie es von den Chinesen her benannt wird, Manche Vortheile würde die Einführung einer Weltsprache, wenigstens auf dem Gebiete des Handels und Verkehrs ja haben. Aber doch auch Nachtheile, und wenigstens wir Deutsche haben keinen AnlassGa naar eindnoot57, diesen Prozess der Alleinherrschaft des Englischen zu beschleunigenGa naar eindnoot58. Wir kämen dann eben nur als Nation zweiter oder dritter Klasse neben dem Herrenvolk der Engländer in BetrachtGa naar eindnoot59. Vom Verkehr könnte und würde diese Alleinherrschaft weiter gehen. Unsere Sprache, so schwerfällig und schwierig sie sein mag, ist doch der Ausdruck des deutschen Geistes. Zwar manche unserer Dichter würde in der Weltkultur nie vergessen werden. Goethe wird immer seine Bedeutung für die höhere Gedankenwelt aller Völker behalten. Aber Schiller? Ihn würdigt überhaupt keine fremde Nation: er erscheint den Ausländern als übertrieben, als sentimental. Und hier verstehn uns wieder die Holländer besser als die Engländer. Als ich vor 30 Jahren nach Holland kam, sagte mir der alte Professor te Winkel, der sich um die niederländische Wortforschung manches Verdienst erworben hat, wenn er sich einmal wirklich erbauenGa naar eindnoot60 wollte, dann griffe er zu Schiller. Holland lebt mit der deutschen Literatur in einem ganz anderen Verhältniss als jede andere Nation. Deutsche und Holländer sollten sich gegenseitigGa naar eindnoot61 achten, helfen, stützen. Uud Südafrika hätte uns dazu die schönste Gelegenheit geboten. | |
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Für die Beurtheilung des gegenwärtigen Krieges dürfen wir uns auf unsere LindsleuteGa naar eindnoot62 in Südafrika verlassen. Sie haben ohne Zögern die Partei der Buren ergriffen und für sie schwere Opfer gebracht. Nicht die Deutschen allein, auch die Skandinavier, die Franzosen. Alle anderen Nationen haben sich gegen die Engländer gewendet und sie werden wohl wissen warum. (Strassburg.) Ernst Martin. |
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