Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Zur Frage des deutsch-niederländischen HandelsbündnissesGa naar voetnoot*Unter den zahlreichen, theils lächerlichen, theils ärgerlichen Nachblüten, welche der absterbende Liberalismus gezeitigt hat, der heute nur mehr von jenen Interessengruppen, deren Zukunft durch seine endgiltige Ueberwindung ernstlich bedroht ist, mit ebensoviel Leidenschaft als Unklugheit vertreten wird, ist die Friedensbewegung deshalb wohl die lächerlichste, weil der thatsächliche Gang der Ereignisse tagtäglich zeigt, dass noch immer keine Nation die Absicht hegt, ihrer Expansionskraft Schranken zu setzen und den heutigen Stand der Dinge für Zeit und Ewigkeit anzuerkennen. Immerhin steht ja, wenn man der liberalen Presse unserer Grossstädte glauben darf, die Haager Friedensconferenz, die es so unübertrefflich verstanden hat, die ganze Welt in der angenehmsten Weise zu erheitern, als ein Markstein da, der zwei Zeitalter der Menschheitsentwicklung von einander scheidet. Aber die Sache hat auch ihre ernste Seite. In einer Zeit, in der jede politische Bestrebung neben anderen wohllöblichen Absichten auch den Zweck verfolgt, die Kräfte des Staates und der Nation zu wecken, zu sammeln und zu Machtfactoren zu gestalten, in der man sich immer mehr bewusst wird, dass jede Massregel socialer Wohlfahrtspflege und wirthschaftspolitischer Fürsorge nur eines der Mittel im Kampfe um die Zukunft der Nation ist, lassen wir uns von heimatslosen, weil entwurzelten Leuten und schreibseligen Blaustrümpfen vorreden, wir giengen einer Zeit des ewigen Friedens entgegen, einer goldenen Zeit für die glückliche Menschheit. Indes verkündet drüben in Amerika ein vorlauter Senator im Selbstbewusstsein des Neulandsmenschen, der bereits begonnene Handelskampf mit Europa könne nur mit der wirtschaftlichen und commerciellen Suprematie Amerikas über die ganze Welt endigen. Und zur selben Zeit erklärt Lord Rosebery, der Führer der englischen Liberalen, es lohne sich nicht, mit Kanonen Krieg zu führen, es werde das zwanzigste Jahrhundert eine Zeit des Kampfes der Industrien sein und als Hauptstreiter kämen England, Deutschland und Amerika in Betracht. Deutlich genug spricht der liberale Lord. Der Krieg der Kanonen verlohnt sich nicht, das haben die Engländer eben in Südafrika verspürt, die mit dem | |
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zehnten Theil der Milliarden, die sie der Spaziergang nach Pretoria gekostet hat, - Südafrika volkswirtschaftlich erobert hätten. Aber wehe der Nation, die zu bekämpfen lohnend erscheint, die ihre Macht nicht gesammelt hat oder von vornherein zu schwach ist, denn der Krieg der Industrien, den der Engländer verkündet, schliesst den Krieg der Kanonen nicht aus, - wenn er rentabel ist. Er ist nur in den Hintergrund gedrängt durch neue wirksamere Formen, in denen sich das Machtbedürfnis der Völker auslebt, durch die Angliederung neuer Gebiete, wie sie Russland durch seine Eisenbahnen in Asien anstrebt, oder durch handelspolitische Beherrschung, wie sie die Vereinigten Staaten über den ganzen Welttheil Amerika als ihr ureigenstes Recht verlangen. Die Wirtschaftspolitik als eine Form nationaler Machtentfaltung, die uns, die wir ja in der vielberufen historischen Anschauungsweise aufgewachsen sind, als etwas neues verkündet wird, ist wohl so alt als die Nationen selbst. Im Mercantilismus hat sie einen Höhepunkt erreicht, und die Ruhepunkte des Freihandels und der Handelsverträge sind nichts weiter gewesen als eine Anerkennung gleicher Macht unter den Nationen, oder der siegreichen Uebermacht einer einzelnen. An dieser Seite Nationaler Machtentfaltung wird von den Weltmächten im rastlosen Eifer gearbeitet; die ganze Kraft ihrer politischen und militärischen Macht wird zu Gunsten der einheimischen Producenten in die Wagschale geworfen und damit eine Concurrenz geschaffen, der die Volkswirtschaften der ökonomischen Kleinstaaten, unter denen sich auch manche Grossmacht befindet, die heute noch im europäischen Concert eine tonangebende Rolle zu spielen bemüht ist, nicht folgen können. Schon deshalb nicht, weil ihnen die möglichkeit einer grossartigen Concentration der productiven Kräfte, welche einzig dieser Concurrenz standhalten könnte, versagt ist. Die unausbleibliche Folge dieses Wirtschaftskampfes ist, dass der Gedanke eines wirtscharftlichen Zusammenschlusses in den betroffenen Staaten immer mächtiger wird und bereits so erstarkt ist, dass schon mehrfach von Frankreich her der Ruf über den Rhein ertönen konnte, man möge sich gegen Amerika handelspolitisch einigen. Eine Defensivallianz zwischen Frankreich und Deutschland könnte allerdings einige Aussichten auf Verwirklichung haben. Aber ein dauerndes Bündnis zwischen beiden Staaten würde ein gemeinsames Ziel der Wirtschaftspolitik voraussetzen und als solches kann für Deutschland wohl der Schutz seiner nationalen Selbständigkeit und seiner eigentümlichen Cultur, sowie der verwandten nationalen Culturen Skandinaviens, nie aber der Schutz Europas gegen den Amerikanismus in Betracht kommen. Ein dauerndes Bündnis zwischen den alternden Romanen und den aufstrebenden Ger- | |
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manen würde in der Erreichung dieses Zieles eher ein Hindernis als eine wertvolle Waffe sein. Dagegen sind die Zolleinigungs-Bestrebungen, die in den mitteleuropäischen Staaten und neuerdings auch in Skandinavien immer grösseren Beifall finden, von hoher nationalpolitischer Bedeutung. Dass der Wuns[c]h nach einer Ein[i]gung in allen bezeichneten Staaten lebhafter empfunden wird, als im Deutschen Reiche selb[s]t, ist für die Zukunft dieser Bestrebungen von grossem Werte. Denn je mehr man dort das Bewusstsein haben wird, durch den Anschluss mehr zu gewinnen, als man selbst bietet, desto leichter werden sich die einzelnen Staaten dazu bereit finden, deren Empfindlichkeit, mit der sie ihre Selbständigkeit und nicht mit Unrecht zu wahren bemüht sind, eine der vielen Schwierigkeiten ist, welche den Zolleinigungs-Bestrebungen entgegenstehen. Schwierigkeiten, die sich theils aus dem natürlichen Interessengegensatz einzelner Wirtschaftszweige, theils aus den bestehenden, handelspolitischen Beziehungen zu dritten Staaten ergeben, stellen sich einem Zoll- und Handelsbündnis zwischen der Niederlande und dem Deutschen Reich in verhältnismässig geringstem Ausmasse entgegen, da die Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung beider Staaten so grundverschieden sind, dass nur wenige Gewerbe durch eine gänzliche Aufhebung der Zölle berührt würden. Auf der Verwertung colonialer Producte und dem regen Zwischenhandel beruht der Reichthum der Niederlande, wobei für beide Erwerbszweige das deutsche Hinterland von der grössten Bedeutung ist. Beide Grundlagen niederländischer Volkswirtschaft sind durch die Entwicklung der neuesten Zeit bedroht. Das Ende des panischen Colonialreiches, dem die Theilung des portugiesischen Besitzes in Afrika bald folgen kann, hat die Niederländer bedenklich gemacht, und wohl hauptsächlich der Gedanke, dass das kleine Land zum Schutze des herrlichen, indischen Archipels nicht mächtig genug sei, lässt den Niederländern heute den Gedanken eines Handelsbündnisses mit dem Deutschen Reich mit allen seinen Consequenzen politischer Art annehmbar erscheinen. Denn im Süden des niederländischen Colonialbesitzes entwickeln sich die australischen Colonien, eifrig bemüht, wirtschaftlich ebenso selbständig zu werden, wie sie es politisch bereits sind. Wenn sie auch noch zu schwach sind, um als Colonialmacht aufzutreten, so erscheint ihnen doch heute schon die Inselwelt der Südsee und Südostasien als ihre natürliche Interessensphäre. War den Australiern schon die Festsetzung Deutschlands auf Samoa ein Strich durch die Rechnung und die Erbitterung gegen das Mutterland, das dies nicht zu hindern vermochte, eine heftige, so betrachten sie den niederländischen Colonialbesitz vollends als ihr künftiges Eigenthum. Der grösste Fehler, den Grossbritannien je gemacht habe, erklärte Lord Lamington, der Gouverneur von | |
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Queensland in einer wissenschaftlichen Gesellschaft Londons, sei es gewesen, als man im Wiener Frieden die holländischen Besitzungen in Asien, insbesondere in Java, an Holland zurückgab; der Zukunft müsse es vorbehalten bleiben, diesen Fehler gut zu machen, wobei es dann Pflicht der australischen Colonien sein werde, dem Mutterlande beizustehen. Einen zweiten unbequemen und begehrlichen Nachbarn finden die Niederländer in den Amerikanern, seit sich diese auf den Philippinen festgesetz haben. An der Beseitigung der zweiten Grundlage niederländischen Wohlstandes, des Zwischenhandels, arbeitet die ökonomische Entwicklung unserer Tage. Seit man erkannt hat, von welcher Bedeutung directe Verkehrsbeziehungen zwischen den einzelnen Volkswirtschaften sind, welche Summen dem Zwischenhändler zufallen, seither arbeitet auch der Staat durch Subventionen an Schiftahrts-Unternehmungen u. an der Ausschaltung fremdländischen Zwischenhandels. Den Niederlanden allerdings kommt ihre günstige Lage an der Mündung des Rheins zugute, der sie zu den natürlichen Vermittlern des Handels für ein reiches Hinterland, die Rheinlande und Westfalen vor allem, macht. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass diese Bedeutung der Niederlande durch die Verlegung der Deutschen Zollgrenze an das Meer noch mehr steigen würde, weil dann auch die Ausgestaltung der Rheinhäfen ein Interesse des Deutschen Reiches sein würde dessen wirtschaftliche Macht jetzt ausschliesslich der Hebung der Hansastädte zugute kommt. Nach der Ausgestaltung des deutschen Kanalnetzes wird es sicherlich nicht an Versuchen fehlen, einen Theil des Exportes aus dem rheinischen Industrielande über Hamburg zu leiten. Heute kann Hamburg dabei auf die Unterstützung der preussischen Regierung rechnen, welche aber in dem Augenblicke wegfallen würde, in dem die Niederlande mit dem Reiche eine handelspolitische Einheit bildet. Für dieses würde das Zoll- und Handelsbündnis eine wesentliche Erweiterung des inneren Marktes und eine regere Unterstützung des deutschen Industrie-Exportes durch die Niederlande bedeuten. So wird man nach einer nüchternen Betrachtung der Dinge die Wirkung eines solchen Handelsbündnisses günstig beurtheilen müssen. Wir haben nichts weiter gethan, als die Kräfte beider Staaten summiert, und die Rechnung war für beide Theile günstig. Ganz aus dem Auge wird man aber den Umstand nicht verlieren dürfen, dass eine Vereinigung wirtschaftlicher Kräfte zu einem einheitlichen, von einem Willen getragenen Ganzen, niemals bloss eine Summierung, sondern eine Potenzierung der Kräfte darstellt. Dafür bietet die Geschichte des deutschen Zollvereines einen unwiderleglichen Beweis. | |
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Heute sind die Niederlande Deutschland gegenüber in einer ähnlichen Lage, wie einst Hamburg und Bremen, solange sie ausserhalb des deutschen Zollvereines standen. Der ungeheure Aufschwung, den beide Städte seit dem Jahre 1882 und 1885 genommen, kann uns ein Bild dessen liefern, was aus Holland einst werden kann, wenn es zu dem wird, wozu es die Natur geschaffen hat, zum Ausfallsthor des deutschen Welthandels. Eine zweite, weit köstlichere Morgengabe können die Niederlande dem jungen Deutschen Reich bieten. Was Preussen einst für das werdende einige Reich gewesen ist, der Lehrmeister eiserner Pflichterfü lung und militärischer Zucht, können ähnlich die Niederlande dem werdenden Weltreiche werden, der Lehrmeister in den Sachen der Colonialpolitik. Es kann auch der nationale Deutsche nicht leugnen dass die Erfolge unserer Colonialpolitik nicht den Anstrengungen und Aufwendungen entsprechen, die sie erfordert. Die fehlenden Praktiker des Colonialwesens könnten uns die Niederlande einst schaffen, die in kluger Anpassung an die Gewohnheiten der Eingebornen Erfolge erreicht haben, welche auch die grössten Erfolge der Engländer in den Schatten stellen. Heute ist die Stimmung der Holländer dem Gedanken eines Anschlusses an Deutschland nicht günstig. Das Verhalten der deutschen Regierung den Burenstaaten gegenüber, das in der Form zwar verwerflich, inhaltlich durch die Lage des deutschen Reiches gerechtfertigt erscheint, hat die Sympathien zerstört, die vor zwei Jahren, als man in den Niederlanden die Frage des Zollund Handelsbündnisses discutierte, wach wurden. Aber es kann nicht gar lange dauern, so wird der nüchterne und rechnende Sinn des Holländers gewiss aus den Ereignissen der letzten Jahre Schlüsse ziehen, welche seinem gegenwärtig durch politische Gehühle getrübten Urtheil wieder den richtigen Weg weisen. Gerhard Loserth. |
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