| |
| |
| |
Eine Zweite Canossafahrt
Preussens ruhmreiche gegenwärtige Stellung in Deutschland beruht auf der Thätigkeit von Fürsten Staatsmännern und Generalen, deren Namen jeder deutsche Patriot mit Verehrung nennt. Der grosse Kurfürst, Friedrich Wilhelm I, sein Sohn Friedrich der Grosse und der erste Deutsche Kaiser Wilhelm führten Preussen mit festem Wollen und starker Hand zu seiner grossen Machtstellung. Die Feldmarschälle Graf Sparr, Derfflinger, der alte Dessauer, die verdienten Generaie der siebenjährigen Krieges ferner der Marschall Vorwärts, und sein Gehülfe Gneisenau sowie schliesslich im Jahr 1870/71 Moltke, die Kronprinzen von Preussen u. Sachsen, sowie Prinz Friedrich Karl arbeiteten an dem stolzen Bau, dessen genialster Baumeister Fürst Bismarck vor kaum einigen Jahren die feurigen Augen geschlossen hat. Gewaltig und stark, die erste Macht der Welt, kam Preussen und mit ihm die Kaiserkrone im deutschen Reich an den Enkel von Wilhelm I.
Voll Hoffnung und Stolz blickte Jedermann auf den jungen begabten Fürsten, der so reiches Erbe zu umpfangen berechtigt war, und weit über die Grenzen des Reiches hiuaus herrschte Freude und Zuversicht. Nun aber ist sowohl im Reiche als besonders auch ausserhalb desselben Freude und Zuversicht vollständig verschwunden. Heute hört man leider überall: ‘Die erste Macht der Welt liegt im Schlepptau Grossbritaniens, ist erniedrigt und herabgedrückt in die Stellung einer abhängigen Grossmacht. England hat ihr den Weltmachtsdünkel ausgetrieben und
| |
| |
gewagt dem Haupte der grossen deutschen Nation die englische Feldmarschallslivree umzuhängen.’
Englischer Feldmarschall! Der berühmsteste britische Feldmarschall Wellington wurde bei Waterloo durch den Preussischen Feldmarschall Fürsten Blücher, den alten Marschall Vorwärts, aus der Klemme befreit; grossmütig erwies er dem Engländer den Dienst, den dieser ihm bei Ligny verweigert hatte.
Der berüchtigste britische Feldmarschall ist Lord Roberts, der ruhmlose unbarmherzige Oberbefehlshaber in Südafrika, der Schlächter wehrloser Frauen und Kinder, der Mordbrenner! Derselbe Rock, den dieser trägt, ist nun dem deutschen Kaiser als Ehrenkleid verliehen worden. Den Stab, der in Südafrika als Brandfackel diente, trägt nunmehr auch der deutsche Kaiser.
Um das Mass voll zu machen wurde dem zweiten Melac der hohe Orden vom Schwarzen Adler, die höchste Auszeichnung, die von Preussischen Herrschern verliehen werden kann, angeheftet. Dieser Orden, den die verdienstvollen Preussen und Deutsche als höchste Anerkennung erstrebten u. erhielten u. A. Bismarck, Stein, Moltke u. Blücher, dessen Stern auf der Brust der preussische Könige glänzt, der manchem um Deutschland verdienten fremden Staatsmann verliehen wurde, schmückt nun die Brust desjenigen, der ein niederdeutsches heldenmütiges Volk zertreten und gegen alles Völkerrecht aurotten will. Ganz Deutschland empfindet die ihn angethane Unbill! Der edelste Teil der Nation trauert über das Canossa in England und ist voll Besorgnis, wie das enden wird. Herrscher und Volk scheinen sich leider nicht mehr zu verstehen und das grade in einer Zeit, welche Einigkeit zur Notwendigkeit macht. Unfriede verzehrt!
Um die Stimmung, die in Deutschland herrscht, zu zeigen folgen mehrere deutsche Pressstimmen.
Der konservative ‘Reichsbote’ protestiert gegen die
| |
| |
Ordensverleihung, und wendet sich in erster Linie gegen die Rede des Kaisers, in der er sagte, ‘er danke dem König für die Verleihung des Feldmarschallranges in der britischen Armee: diese Ehre ermögliche ihm, dieselbe Uniform zu tragen, wie der Herzog Wellington und Lord Roberts, und dieses Kompliment werde von seiner Armee hoch gewürdigt werden. Er schreibt:
Noch allem, was man in Deutschland über die Stimmung in unserer Armee hört, dürfte der Kaiser sich in dieser Beziehung sehr im Irrtum befinden. In Deutschland ist man der Ansicht, dass der König von Preussen und deutsche Kaiser als Vertreter der preussisch-deutschen Armee eine Ehre besitzt, die ihn auch ohne englischen Feldmarschallsrang nicht bloss neben, sondern weit über einen Wellington, den einst der preussische Blücher bei Waterloo rettete und erst recht über einer Roberts hinaushebt. Se. Maj. der Kaiser wird es uns Deutschen, die wir auf die Geschichte unserer Armee stolz sind, nicht verdenken können, wenn wir von diesen seinen Worten um so weniger erfreut sind, als die Berichte über die Leistungen des Lord Roberts in Südafrika mit solcher hohen Ehrung dieses Mannes in Widerspruch stehen. Ein Feldherr, der sich so über die Kriegslage täuscht, wie es Lord Roberts gethan, als er Transvaal verliess, hat damit sehr wenig Feldherrnblick bewiesen.
Auch die hochkonservative ‘Kreuzzeitung’ selbst sieht sich veranlasst, anlässlich der Robertschen Auszeichnung eine zwar loyale und unterthänige, aber deutliche Warnung dem Throne zuzurufen.
Die Frage, wann Volksstimmungen berchtigt sind, kehrt in Briefen wieder, die uns in neuerer Zeit aus den Kreisen unserer Leser zugegangen sind, und zwar aus Kreisen, an deren überzeugter Königstreue in keiner Weise gezweifelt werden darf. Gerade die schweren Sorgen, die in den Zuschriften zum Ausdruck kommen, verbieten uns, über sie mit Schweigen hinwegzugeheu. Diese Sorgen besiehen sich namentlich auf die weitgehenden Aufmerksamkeiten, die unser Kaiserlicher Herr einzelnen Personen und Einrichtungen erwiesen hat. Die Befürchtung, dass ein Misverstehen zwischen Volk und Fürst sich einstellt, rückt leider in greifbare Nähe, wenn ein tiefgehender Gegensatz zwischen den Empfindungen der Volksseele und den Hand- | |
| |
lungen des Monarchen in die Erscheinung tritt. Wir sagen das mit allem Freimute, aber aus dem Gefühle heraus, dass es sich um die Erhaltung des gegenseitigen Vertrauens zwischen Fürst und Volk handelt, des Vertrauens, das allein die Bürgschaft für die dauernde Erhaltung der vollen Königlichen Gewalt in Preussen liefert. Unsere Freunde im Lande, die uns von ihren Besorgnissen Kenntnis gegeben haben, bitten wir aber gerade bei der jetzigen Sachlage um so dringender, soweit ihr Einfluss reicht, für die Pflege der Liebe und Treue zum Kaiser und Könige Sorge zu tragen. Sollten sie bei diesem oder jenem Anzeichen erblicken, dass diese Treue, dass der Glaube an die Notwendigkeit einer glanzvollen Monarchie wankend zu werden anfängt, so legen wir ihnen aus Herz, die Erinnerung an die ruhmreiche Geschichte des preussischen und deutschen Volkes neu zu beleben und zu betonen, dass eine vorübergehende Meinungsverschiedenheit über das, was dem Vaterlande frommt, das
feste Band zwischen König und Volk nicht lockern darf.
Der ‘Hamburgische Korrespondent’ will an die Ordensverleihung an Lord Roberts nicht glauben. Das offiziöze Blatt schreibt:
‘Die Meldung, dass der Oberkommandirende des englischen Heeres, Earl Roberts, vom Kaiser den Schwarzen Adlerorden erhalten habe, ist bisher nicht bestästigt, und wir halten sie einstweilen für falsch, schon weil der Annahme fremder Orden durch englische Offiziere stark beschränkende Bestimmungen entgegenstehen. Sollte sie sich dennoch als richtig erweisen, so würden wir die Verleihung bedauern, und zwar doppelt, weil sie voraussichtlich auf zahlreiche deutsche Gemüter verletzend und provozierend wirken und als ein eklatanter Bruch der moralischen Neutralität bezeichnet werden würde.’
Aehnlich schreiben die Hamburger Nachrichten:
‘Es ist ein Glück, dass wir die Nachricht der Londoner Pressassoziation, Kaiser Wilhelm habe dem englischen Feldmarschall Roberts den Schwarzen Adlerorden verliehen, einsweilen für eine Erfindung halten dürfen; denn sie würde, wenn sie wahr wäre. beim deutschen Volke Empfindungen hervorrufen, deren auch nur annähernd naturgetreue Wiedergabe jedem öffentlichen Blatte unmöglich wäre, Wir haben nichts gegen Lord Roberts und gönnen ihm auch die kaiserliche Gnade, wenn er sie hat; aber die Verleihung des Schwarzen Adlerordens an ihn nach seiner Rücklehr aus
| |
| |
Südafrika könnte nichts anderes denn eine Anerkennung und Belohnung der Verdienste aufgefasst werden, die sich der General in einem Kampfe erworben hat, der genau genommen, nichts anderes ist, als ein Fortsetzung des Jame-sonschen Einfalles in grösserem Massstabe des nämlichen Einfalles also, den der Kaiser seinerzeit im seinem Telegramm an den Präsidenten Krüger vor aller Welt als einen rechtswidrigen Friedensbruch gebrandmarkt hat. Auch würde die Verleihung des höchsten preussischen Ordens an Lord Roberts als Anerkennung der Leistungen des Lords auf dem südafrikanischen Kriegsschaup!atz als ein Heraustreten aus der bisher von Deutschland in dem Kampfe zwischen England nnd Transvaal beobachteten Neutralität betrachtet werden können.
Die Deutsche Zeitung schreibt:
Es gährt gewaltig im Lande. Um die Redaktionen der staatsfreundlich und national gesinnten Blätter alle brandet es von der Erregung draussen im Lande. Alle konservativen Kräfte im weiteren Sinne des Wortes sind in Aufruhr. Quieta movere bleibt der Wahlspruch des neuen Kurses und diejenigen, die nach so viel schmerzlichen Erfahrungen auf ein grösseres Gleichmass, auf Stetigkeit, auf Ruhe und Mass in unserer Politik und ihren Begleiterscheinungen gehofft haben, sehen sich mit bitteren Gefühlen enttäuscht. Man darf bereits fürchten, dass Regierung und Nation, dass Kaiser und Volk, anstatt sich allmählich zusammenzufinden, immer mehr auseinander treiben.
Das Leipziger Tageblatt nennt das Kind beim rechten Namen, indem es die Engländerei der deutschen Regierung mit folgenden Ausführungen malt:
‘Wir für unseren Teil wollen uns in diesem Augenblicke jeder Deutung enthalten. Aber wir halten uns nicht für berechtigt die Feststellung zu unterdrücken, dass im deutschen Volke last ausnahmslos ein Zusammenhang zwischen dem jetzt Geschehenen und der 1896er Depesche an den Präsidenten Krüger gefunden wurde und dass deshalb der Name Canossa’ auf Millionen Lippen schwebte. Das Gefühl, dass das deutsche Reich in diesen Tagen nicht nur nicht wie eine erste Weltmacht, sondern nicht einmal wie ein unabhängiger europäischen Grossstaat der Welt erscheinen konnte, war ein allgemeines, und die Engländer haben nichts gethan, um unsere Bitternis zu mildern. Ihre Zeitungen haben gnädig versichert, nun- | |
| |
mehr ‘recht zufrieden’ mit dem gesetzlichen Repräsentanten des Deutschen Reiches zu sein, ja eines ihrer Blätter hat für diese Herablassung sogar die Form gewählt, der Aufenthalt Wilhelm II. auf britischem Boden verursache jetzt dort kein Unbehagen mehr.’
Die Neue Bayerische Landesztg schreibt:
Vor dreissig Jahren hat Paris kapituliert, ganz Bayern die Städte illuminiert. Jedermann aber sagt sich heute, dass damals kein Bayer an Jubilieren und Illuminieren gedacht hätte, wenn er im vorausgeahnt hätte, dass die Opfer, welche für die Wiederaufrichtung gebracht worden sind, schliesslich dazu führen würden, dass wir Deutsche zu englischen Hausknechten und zu Kameraden der Burenmörder degradiert würden. Im Auslande hätten wir auch ohne die fürchtbaren Opfer von 1870/71 und ohne die Erhöhung des Preussenkönigs zum deutschen Kaiser wettkriechen und kuhwedeln können.
Dass die deutschnationale Opposition gegen die Engländerei der deutschen Regierung auch in England empfunden worden ist, beweisen die ‘Daily News’, sie melden:
Rechts hat den deutschen Kaiser in seiner ganzen bisherigen Regierungs-zeit so unpopulär bei seinen eigenen Unterthanen gemacht wie dieser Besuch in England und noch ganz besonders seine Verleihung des Schwarzen Adler-Ordens an den britischen Oberbefehlshaber Lord Roberts.
Auch die Times lassen erkennen, wie tief der Eindruck ist, den die einmütige Haltung des deutschen Volkes und der nationalen Presse auf die englischen Beobachter gemacht hat. Während nämlich die Times früher die offiziöse Köln Ztg, weil sie die englischen Interessen vertrat, als legitimes Sprachrohr der öffentlichen Meinung in Deutschland betrachtete nnd citierte, sieht sie sich nunmehr veranlasst, ihrem Berliner Berichterstatter das Wort zu folgender Charakterisierung des rheinischen Blattes und, im Gegensatz dazu, der Auffassungen des deutschen Volkes zu geben:
‘Man darf vor der Thatsache gewiss nicht die Augen verschliessrn, dass
| |
| |
der lange Aufenthalt des Kaisers in England und einigen der komplimentierenden Handlungen, die er dort vorgenommen hat, mit den Gefühlen der ungeheuren Mehrheit des deutschen Volkes nicht im Einklang stehen. Die Köln. Ztg. mag sagen, was sie will. Niemand würde hier davon träumen, in einem Blatte von dieser Sorte einen Reflex der Ansichten des deutschen Volkes zu suchen. Das rheinische Organ ist ein nützlicher Barometer der offiziellen Auffassung, aber was die meisten anderen Beziehungen der auswärtigen Politik angeht, ist es wertlos. Insbesondere lauten das Telegramm des Kaisers an Lord Roberts und seine liebenswürdigen Aufmerksamkeiten für den Helden von Kandahar und Prätoria den vorherrschenden Empfindungen der deutschen Nation zuwider und dies gilt von dem äusserstem rechten Flügel der Konservativen im Reichstage wie im Lande bis zur äussersten radikalen Linken und selbst bis in die Reichen der Sozialdemokraten. Dies ist die lautere Wahrheit und es geziemt sich wohl, sie freimütig zu äussern.’
Red.
|
|