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Vorgeschichte, Bedeutung und Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich
Dieser Aufsatz ist einer bedeutenden demnächst zum Abschluss kommenden dreibändigen Darstellung des neuen Deutschen Rechtes von Dr. Kuhlenbeck, die unter dem Titel ‘Von den Pandekten zum Bürgerlichen Gesetzbuch bei Karl Heymann Berlin herausgegeben wird, entnommen.
Den geschichtlichen Hintergrund des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich bildet die Reception des römischen Rechts in Deutschland, eine höchst merkwürdige geschichtliche Thatsache, deren Characterbild, Verdienst und Nachteil so lange noch von der Parteien Hass und Gunst verwirrt in der Geschichtsauffassung schwanken wird, als nicht die letzten Nachwehen davon überwunden und verwunden sein werden. Ob das Bürgerliche Gesetzbuch uns ihrer Ueberwindung und Verwindung erheblich nähergebracht, das ist die wichtigste Frage, die einem geschichtlichen Rückblick, der sich übrigens auf die allgemeinsten Umrisse beschränken darf, Interesse verleiht.
Unsere dem Leser wohl schon genügend bekannt gewordene hohe Werthschätzung des römischen Rechts, wenigstens des Pandektenrechts vom formell- wissenschaftlichen Standpunkte aus darf die richtige Würdigung seiner Reception vom geschichtlichen und nationalen Standpunkte aus nicht beeinflussen. Wir tragen nicht das mindeste Bedenken der classisschen Würdigung die v. Ihering dem römischen Rechte in seinem ‘Geist des römischen Rechts’ (vgl. besonders I § 1) gezollt hat, unseren Beifall zu spenden, aber wir thun dies mit einem wichtigen Vorbehalt. Nämlich v. Ihering vergisst, indem er als Theoretiker und Romanist das römische Recht in seiner Reinheit darstellt und allgemein menschlich würdigt, das für uns wichtigere Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation und
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übersieht den neben dem Geiste des römischen Rechts um sein Dasein kämpfenden Geist des deutschen Rechts, wie dieser, wenn auch erst mit jugendlicher Naivetät vor der Reception nach eigener Selbstentfaltung strebte; er übergeht mit doctrinärer Einseitigkeit die unvermeidliche Frage, ob denn das deutsche Recht nicht auch ohne die inhaltliche Aufnahme des gegesammten fremden Rechtsstoffs zu einer mindestens gleichen oder gar höheren wissenschaftlichen Formvollendung und bewussten Klarheit hätte gelangen können, wie das römische, wenn jene Juristen, die seine Reception verschuldet haben, anstatt in höchst unwissenschaftlicher, weil ungeschichtlicher Auffassung des Rechts überhaupt, nicht das corpus juris so zu sagen mit Haut und Haaren verschlungen hätten, obwohl es doch nur der byzantinisch mumisirte Leichnam des von v. Ihering mit Recht bewunderten, nur in den Römern selbst lebendig gewesenen römischen Rechts war.
Gegenüber v. Ihering behält in unseren Augen insoweit Beseler Recht, der in seiner academischen Antrittsrede über die Stellung des römischen Rechts zu dem nationalen Rechte der germanischen Völker, S. 10 folgendes gesagt hat: ‘Ich glaube, man kann es beklagen, dass der Bildungsprozess des germanischen Rechts durch die Reception der römischen Quellen unterbrochen worden ist, ohne deswegen für einen blinden Verehrer des Mittelalters zu gelten. Die maasslose Fülle und der Reichtum an Phantasie und Gemüth, welche sich in jenen Zeiten kund gaben, bedurften offenbar, um das höchste zu erreichen, einer weisen Mässigung und besonnenen Führung. Diese fanden sich in dem Geist der Alten, wie er uns aus ihren erhaltenen Schriften und Monumenten entgegenweht, und so kam es, dass erst durch die glückliche Paarung der germanischen Welt mit der antiken, welche sich seit dem 14 ten Jahrhundert in Italien, seit der Reformation in Deutschland vorbereitet hat, -
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die moderne Zeit eine so eigentümliche, grossartige und vielversprechende Bildung erringen konnte. Was in dem weiten Reich, das der menschliche Geist mit seinen Bestrebungen umfasst, sich heilsam und befruchtend gezeigt hat, - in der Poesie, Philosophie, Theologie u.s.w. - sollte es nicht auch in der Jurisprudenz seine Geltung haben? Die ursprüngliche Einfalt des Rechts war schon von den germanischen Völkern gewichen, das Landrecht grossentheils vom Lehnrecht verdrängt; in den Städten bedurfte der erweiterte Verkehr einer freieren Bewegung; die Form war unvollständig, und des heran wachsenden und erweiterten Stoffes nicht mehr mächtig. Es näherte sich mit raschen Schritten die Periode, der keine Nation entgeht, welche aber für die Zukunft der Völker von unberechenbarem Einfluss zu sein pflegt. Man war aus dem Zustande unbefangener Jugend herausgetreten; Gefühl und Tact, bis dahin die Leiter der Staatsverhältnisse, hatten sich abgestumpft; man fing an zu reflectiren, und strebte nach der bewussten Anwendung von Grundsätzen. Was konnte da wichtiger sein, als dass aus dem Alterthum das Abbild eines Rechtszustandes überliefert war, den die am meisten praktische Nation zu einer nie geahnten Feinheit ausgebildet hatte; wo Form und Stoff sich lebendig durchdrangen, Bildung und Erfahrung gleichmässig thätig gewesen waren.
Hätte man es versucht, sich der Kunst der römischen Juristen zu bemächtigen, das Heilsame im römischen Recht zu ergründen, das Verderbliche seiner späteren Verbildung zu erkennen; wäre die Kraft jener grossen Zeiten, in solcher Weise gestärkt durch Lehre und Vorbild, auf das nationale Recht gewandt worden; - wer zweifelt noch, dass seine glückliche Regeneration gelungen sein möchte? Aber es wurde ein anderer Weg betreten. Den meisten germanischen Völkern, welche, in einer
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gefährlichen Krisis ihrer eigentümlichen Entwicklung schwebend, der Hülfe bedurften, wurde das fremde Recht nicht als Vorbild, sondern als unmittelbare Rechtsquelle aufgedrungen, und Europa leidet noch jetzt an den Folgen dieser unnatürlichen Paarung.’
In der That war es kein Werk der Renaissance, einer Wiedergeburt der Wissenschaft, sondern der letzte und nachhaltigste Vorstoss der Scholastik, diese Reception des römischen Rechts in seiner byzantinischen Mumification! Wie die Scholastiker ein schlechtes und todtes Latein für ihren geistigen Verkehr ‘recipirten’, weil sie unfähig waren zur eigenen Ausbildung lebendiger Volkssprachen, so ‘recipirten’ die nicht minder unwissenschaftlichen doctoris juris utriusque, das corpus juris des selber impotenten Byzantinerthums für den Rechtsverkehr. Freilich hatten sie es so bequemer, als z. B. später die Grössen unserer nationalen Literatur, die Klopstock, Schiller und Göthe, die zwar auch bei den antiken Classikern in die Schule gingen, aber nur um ihnen als selbständige Geister zu entwachsen und ohne den Boden aufzugeben, in dem sie wurzelten, die mit der fremden Cultur und Sprache gerungen haben, um die eigene Cultur und Sprache zu kräftigen und zu bilden, nicht um sie jener zu unterwerfen. So wenig es wegen der von der lateinischen und griechischen Sprache in gewaltigem Zeitvorsprung erlangten früheren Ausbildung entschuldbar gewesen wäre, zu Gunsten einer dieser todten Sprachen auf unsere eigene lebendige Sprache zu verzichten, so wenig also bleibt es entschuldbar, dass das römische Recht oder vielmehr sein byzantinischer Cadaver Jahrhunderte lang die papierne Norm der deutschen Rechtsprechung gebildet hat, vielmehr bleibt dies eine nationale Schmach für alle Zeiten, und hoffentlich wird die Zeit nicht mehr fern sein, dass jede deutsche Rechtsgeschichte diese lange Epoche als eine durch künstliche
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Impfung erzeugte Seuche des deutschen Rechtslebens kennzeichnen wird.
Dabei handelt es sich fast noch weniger um den Inhalt, als um die Form des recipirten Stoffes. Hätte man nämlich, wie dies bereits mit einzelnen Rechtsbegriflen in den alten Rechtsbüchern nachweisbar ist, sich begnügt, gewisse dem sog. jus gentium angehörige Theile des Pandektenrechts ins Deutsche zu übersetzen und bei der Rechtspflege als brauchbare Vorentscheidungen in rechtsähnlichen Verhältnissen zu beachten, so wäre der Schaden nicht so gross geworden. Allein der vielfach gewiss bewusste Zweck jener Mächte, die dem deutschen Volke das lateinische Recht eingeimpft haben, jedenfalls ihr sie unbewusst treibender Beweggrund, war neben einzelnen bestimmten Rechtsverletzungen und Bereicherungsabsichten (z. B. Bauernlegen) zweifelsohne nichts anderes, als die allgemeine Knechtung der Massen unter der Herstellung der Büreaukratie, der Herrschaft des grünen Tisches, an der unser Volk nach dem unvergesslichen Ausspruche des Fürsten Bismarcks krankt und voraussichtlich noch lange kranken wird. Ein todtes, papiernes Recht, ein Gelehrtenrecht, musste das lebendige Volksrecht im Keime ersticken, der juristische Scholastiker den Volksrichter, den Schöffen verdrängen, und die grosse Masse der Nation, mit Einschluss sogar ihrer Gebildeten nicht nur politisch, sondern sogar privatrechtlich entmündi'gt werden.
‘Man muss es sich nur stets vor Augen halten’, schreibt ein ehemaliger Hannoverscher Staatsminister, der Osnabrückische Bürgermeister Dr. Stüve, ein Landsmann des Verfassers, ‘dass es ein unerträglicher Zustand ist, wenn das Volk seine täglichen Geschäfte und Rechtsgeschäfte in der Familie, wie im Handel und Wandel nicht ohne gelehrten Rath abmachen kann, wenn es gewöhnt ist, überall, im Hause, auf dem Acker, auf dem Markte und in der Gemeinde seine Sache nicht selbst
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wahrzunehmen, sondern durch andere, nenne man diese Beamte, Richter oder Advocaten, wahrnehmen zu lassen’ (Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westfalen 1851, Vorwort S. XIII).
Dass diese Bemerkung eine Wahrheit des gesunden Menschenverstandes ist, wird zwar vielen zünftigen Gesetzeshandwerkern welche dem ‘ewig Blinden’ die Fackel des Rechtes voraustragen zu müssen glauben und es für bedenklich erachten, sie ihm selbst zu leihen, die, wenn auch vergeblich, auch jetzt noch nicht aufhören, nach völliger Verdrängung des sog. Laienurtheils in Dingen des Rechts, nach Wiederaufhebung der Schwurgerichte und Schöffengerichte wenigstens zu seufzen und die ihre eigene Gelehrsamkeit um so höher schätzen, je weniger sie dem gesunden Menschenverstande der Laien einleuchtet, noch lange nicht in den Sinn wollen. - ‘Die Theilung der gesellschaftlichen Arbeit verlangt es, -’ wie es auf allen Gebieten Sachverständige geben muss, so auch in Rechtsangelegenheiten!’ - Gewiss, aber auch das alte naive deutsche Recht schloss die Möglichkeit und Nothwendigkeit ‘Wissender’ nicht aus, - nur, dass diese Wissenden sich nicht als eine privilegirte Kaste, nicht als Vormünder, nicht als priesterliche Kaste fühlten und dass sie bemüht waren und erwarteten, den Beifall oder wenigstens das Verständniss des ‘Umstandes’ zu erlangen.
Welche Satire liegt demgegenüber in dem vergeblichen Bemühen eines deutschen Rechtsanwalts, seinem Klienten, - und sei dieser auch sonst hochgebildeter Mann, - die Begründung eines in der Gelehrtensprache des Pandectenrechts abgefassten richterlichen ‘Erkenntnisses’ begreiflich zu machen, in welchem etwa von der actio legis Aquilioe utilis, dem interdictum uti fossidetis oder der actio Publiciana die Rede ist?
In der That wurde durch die Reception des römischen Rechts in Mitteleuropa für lange Zeit dem Volke ein ähnlicher Zustand
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besiegelt, wie er nachweisbar das thatkräftige römische Volk zu der ersten weltgeschichtlichen Codification, zu derjenigen der XII. Tafel geführt hat. Denn bis dahin war die Rechtspflege, wie uns Pomponius berichtet, das Geheimniss einer Priesterkaste. Auch heutzutage trägt der Juristenstand, insofern höchst unmodern, ein priesterliches Kleid und dieses priesterliche Kleid, der schwarze Talar, symbolisirt nicht ohne unbewusste Selbstironie den priesterlich-dogmatischen Character seiner Gelehrsamkeit.
(Fortsetsung folgt).
Jena
Dr. jur. Kuhlenbeck
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