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Die Entwickelung, die Blüthe und der Verfall der holländischen Seemacht
(Fortsetzung)
Zur Errichtung einer nationalen Monarchie aber, die das erste Ergebniss des Krieges sein zu müssen schien, kam es nicht. Wilhelm, der grosse Schweiger aus dem immer so volksthümlich bleibenden Geschlechte der Oranier, ward ermordet. Und nun riss das Patriziat der Städte, allen voran die selbstherrlichen Handelsherren und Stadtregenten von Amsterdam, die Leitung der jungen Nation an sich. In keinem Lande besass ja das Bürgerthum ein so unzweifelhaftes Uebergewicht über die anderen sozialen Mächte wie in den Niederlanden. Dieses Bürgerthum in seinem Partikularismus, in seiner Eifersucht auf Wahrung erworbener Rechte, hatte auch dafür gesorgt, dass die Bundesgewalt der Union aufs Allerdürftigste ausgestattet worden war. Mit Ausnahme des Münz- und Zollwesens blieb Alles der Selbstverwaltung der einzelnen Städte vorbehalten. Nicht ganz mit Unrecht ist gesagt worden, dass der Niederländer vor 1795 eigentlich kein Vaterland, sondern nur eine Vaterstadt gekannt habe. Die Rücksicht auf Provinz und Stadt ging dem Wohle des Bundes voran.
Und dieser selbe Eigennutz widerstrebte aufs Lebhafteste der Aufnahme der flandrischen und brabantischen Provinzen in die Union. Dann blieb ja Antwerpen der erste Weltmarkt! Und ungerührt schaute er zu, als 1585 diese Stadt von den Spaniern verwüstet ward. Der Zweck ward erreicht; fortan war Amsterdam der erste Handelsplatz Europas, und die Stadt sorgte durch
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die Schlies ung der Schelde dafür, dass Antwerpen für Jahrhunderte ungefährlich blieb.
Durch den unerhörten Kampf mit Spanien trat die Union der Niederlande in den Mittelpunkt der europäischen Politik. Aber der Verlauf dieses Kampfes ist ein wunderbares Schauspiel. Der Kaperkrieg der Wassergeusen ward während der ganzen Kriegszeit rüstig weitergeführt und brachte der Union in manchen Jahren ganz bedeutende Einkünfte. Schnell lernte die Republik, wie der Krieg den Krieg ernähren müsse. Spanien allein trug die Kosten des gewaltigen Ringens. Grossartig entfaltete sich die Spannkraft des kleinen Gegners. Unerschöpfliche Lebenskräfte strömten der nationalen Sache zu. Unglücklich zu Wasser wie zu Lande, musste Spanien dulden, wie sein Gegner im Aussenhandel des Weltreichs eine hervorragende Rolle spielte. Als es dies unwürdige Verhältniss abschüttelte, den holländischen Schiffen 1584 Lissabon, 1599 die spanischen Häfen schloss, da trieb es die holländischen Getreideflotten ins Mittelmeer, forderte einen bald ganz kolossalen Schmuggelhandel heraus, der namentlich in den Händen der kühnen Seeländer lag, und stellte die Holländer vor die Alternative, entweder die Kolonialwaaren durch eine andere Zwischenhand zu beziehen oder selbst ihre Ursprungsländer aufzusuchen.
Und wagemuthig und schnell entschlossen thaten sie das letztere. An die Stelle der friedlichen Erwerbung der Kolonialwaaren setzten sie ihre Eroberung mit den Waffen des Kriegs. Der holländische Seekrieg gewinnt universalen Zug. Im Kanal, auf dem Atlantischen Ozean, in den Gewässern der beiden Indien, überall maszen sich die beiden Feinde. Wiederholt hat die spanische Diplomatie versucht, den Niederländern den Hauptnerv ihres Handels, den Verkehr mit der Ostsee abzuschneiden. Immer vergeblich. 1596 landete Houtmann nach 15 monatlicher Fahrt auf Java. Jahr für Jahr zogen nun die wagehalfigen Entdecker
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und Eroberer aus den heimischen Häfen, um einen vom Feinde nicht bedrohten Weg nach den Ländern der Gewürze zu finden; ein unzähmbares Geschlecht an Thatendrang und Abenteuerlust, würdig der Grabschrift des Seehelden van der Hulst in der Amsterdamer Kirche. Südwestwärts erprobten sie den Weg um Amerika herum, in nordöstlicher Richtung suchten sie die Durchfahrt nach Asien zu finden, ‘dwers door 't ijs’. Staunenswerthe seemännische Leistungen entwickelten sie.
Im Jahre 1601 genehmigten die Hochmögenden die Stiftung der ostindischen Kompagnie, 1621 folgte die Einrichtung der westindischen. Der Zweck war, Spanien und Portugal von den Quellen ihres Reichtums, dem Verkehr mit ihren Kolonien abzuschneiden, die Sicherheit der eigenen Kauffahrer zu erhöhen, Nachfrage und Handelsgewinn zu sichern. Die Gesellschaften waren souverän in Amerika, Westafrika und an den Gestaden des Indischen Ozeans. Die ganze Verwaltung war allerdings ein schwerfälliger Mechanismus, der für den Anfang sich wohl in lebhaftem Schwunge befand, angetrieben durch den allgemeinen Aufschwung des niederländischen Handelslebens, die koloniale Begeisterung, das Glück der Waffen. Die Gesellschaften unterhielten eigene Heere und Flotten, und der hartnäckigste und begeisterste Verfechter der westindischen Kompagnie Usselincx glaubte seinen Landsleuten die Bedeutung kolonialer Unternehmungen durch nichts deutlicher machen zu können als durch den Hinweis, dass gerade sie dem Staate eine grosse und schlagfertige Seemacht für Krieg und Handel schüfen. Und klar setzte er ihnen ferner auseinander, dass die Seemacht eines Landes sich nicht richten dürfe nach der Macht des Landes überhaupt, sondern, dass sie sich dem Seehandel des Landes anzupassen habe. Nicht besser konnte die innige Beziehung zwischen der Grösse der Handelsflotte und der Kriegsflotte als etwas zwingend Nothwendiges
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ausgesprochen werden. Und solange die Niederlande diese Einsicht getheilt haben, solange sie sich nicht von übel angebrachter Sparsamkeit und eitler Friedensseligkeit haben leiten lassen, so lange haben sie die erste Rolle auf den Weltmeeren als Seemacht und Handelsvolk zu spielen vermocht.
Auch wegen der grossen und langen Seefahrt war die Erwerbung ferner Kolonien von höchstem praktischem Werthe. Je länger die Reise, um so stärker musste die Bemannung sein, daher im Kolonialverkehr eine gleiche Tonnenzahl bedeutend mehr Seeleute, zumal Matrosen heranzubilden im Stande war, wie im Verkehr mit den europäischen Nachbarn. Denn das eigentlich Bildende für den Seemann ist doch immer der möglichst lange Dienst auf dem Meere selber gewesen. Aber die langen Seereisen erforderten auch eine ansehnlichere Grösse der Schiffe, und grosse Schiffe eigneten sich wieder besonders gut, wenn nöthig, zur Verwendung als Kriegschiffe. Auf grosse Schichten des Volks, sowohl in den Niederlanden wie in England, wirkte der Kolonialhandel grade in diesen Richtungen aufs Höchste fördernd.
Rasch dehnte sich das ostindische Kolonialreich der Niederländer aus. List und Gewalt, tiefste Demüthigung und herrische Grausamkeit waren die Hebel der Fortschritte. 1619 ward Batavia die Residenz des Generalgouverneurs. Selbst zum starren Japan wurden Handelsbeziehungen angeknüpft, auf Formosa entstand eine holländische Kolonie für den Handel mit China, der durch die Eroberung der Strasse von Malakka noch eine weitere Sicherung erfuhr. 1657 ward das überreiche Ceylon den Portugiesen entrissen. Nach Südosten bildeten Neu-Seeland und Vandiemensland die äussersten holländischen Posten. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ward das Kapland als Stützpunkt auf der indischen Handelstrasse von den Holländern besetzt.
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Nicht ebenso glücklich war die Lage der westindischen Kompagnie. Sie sollte die eigentliche Waffe gegen Spanien sein, in organisirtem Seeraub mit starken Geschwadern den Verkehr zwischen Spanien und Amerika unmöglich machen. Darüber hinaus aber schritt sie vor Allem zur Eroberung Brasiliens. Bis 1636 waren grosse Theile des köstlichen Landes den Portugiesen abgerungen. Von der Hauptstadt Recife aus entfaltete Johann Moritz von Oranien als Generalstatthalter der Kompagnie eine weise, weitschauende Regententhätigkeit. Doch der Glanz währte nicht lange. Die heimischen Siedler, die, wehrhafter wie Besatzungen und Kanonen, die Eroberungen behaupten sollten, blieben aus, die Handelsherren von Amsterdam aber schrieen über die ungeheuren Summen, die die Kolonie koste, verlangten, dass sie etwas Ordentliches einbringen oder aufgegeben werden solle. Als Portugal sich 1640 von Spanien wieder losriss, da wirkte dieser Befreigunskrieg auch jenseits des Ozeans gewaltig stärkend auf den Widerstand der Portugiesen und Mischlinge gegen Holland. Und nun ertheilte die Kompagnie dem Prinzen den Abschied, verminderte die kostpieligen militärischen Kräfte der Kolonie ganz bedeutend. Die Folgen zeigten sich sofort; 1654 war ganz Brasilien von den Portugiezen wiedergewonnen, auch die westafrikanischen Eroberungen der Holländer gingen zum Theil wieder verloren. Wieder ward der Seeraub das Hauptgeschäft der Kompagnie, dazu ein enormer Schmuggel zwischen den spanischen Häfen Amerikas und den holländischen Stapelplätzen in Westindien.
Der Holländer wollte seine Kolonien nur für den Handel ausbeuten und ganz monopolistisch verfuhr er darin. Habsucht und Unsittlichkeit traten im holländischen Kolonialsystem grell zu Tage. In geradezu schimpflicher Weise ward in den Aufwendungen für Heerwesen und Rechtspflege in den Kolonien gespart. Die Organisation eines grossen Reichs durch eine schöpferische
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Politik, ward von den Holländern in ihrem Indien nie versucht. Die Tätigkeit des Oraniers in Brasilien stiess alsbald auf den Widerspruch der Kaufleute, weil sie nicht sofort auf ihre Kosten kamen, und musste aufgegeben werden. Und die einzige wahrhafte Siedelungskolonie der Holländer, Neu-Niederland mit der Hauptstadt Neu-Amsterdam, dem heutigen New-York, erlag der kolonisatorischen Ueberlegenheit der angelsächsischen Rasse. Nicht anders erging es der benachbarten schwedischen Kolonie. Lange bevor Hollands Stern vor dem englischen erblich, war Nordamerika von den Angelsachsen friedlich erobert worden.
Der Eroberung der neuen Welten durch den holländischen Handel ging ein gewaltiger Aufschwung des holländischen Handels in Europa parallel. Zunächst in der Ostsee. Alle Zeugnisse der Zeitgenossen stimmen darin überein, dass auf die Beherrschung des Ostsee-Verkehrs sich aller übrige Wohlstand gründe. Den Verkehr durch den Sund unter allen Umständen in Gang zu erhalten, blieb daher ein Hauptziel der friedlichen wie kriegerischen Politik der Union. Noch 1531 waren 310 holländische Schiffe nach der Ostsee gefahren, 1587 im April liefen gegen 800 dahin aus, für 1634 giebt ein offizielles Aktenstück die Zahl der Niederländischen Ostseefahrer auf 6000 mit einem Raumgehalt von 720,000 Last an. Das waren vom Gesammtbestande der niederländischen Handelsmarinen 1/6, vom Gesammtraumgehalt aber über 1/3! Und zur selben Zeit ward der ganze Kolonialhandel betrieben von 300 Schiffen mit 75 000 Last. Im Jahre 1666 waren 3/4 des Kapitals der Amsterdamer Börse im Ostsee-Handel angelegt. Nächst diesem spielte die Heringsfischerei in der Noordsee die Hauptrolle. Ihr standen 1634 zur Verfügung 2500 Schiffe mit 75 000 Last. Und darüber hinaus lockte der Walfischfang nach den Gewässern des Nordens, unschätzbar als die hohe Schule für das Schiffsvolk.
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Zum Mittelmeer nahmen die holländischen Beziehungen einen mächtigen Aufschwung durch Antwerpens Fall und trotz des Krieges mit Spanien. 1591 gingen 400 holländische Schiffe mit Korn nach dem Mittelmeer, es war allerdings hier grosse Theuerung. Für 1634 werden als thätig im Mittelmeer-Handel, einschl. Spanien und Portugal, angegeben 1500 Schiffe mit 150 000 Last. Die Verdienste der Kaufleute und Rheder aus diesem Verkehr waren, ähnlich denen im indischen, enorm. Kolonialwaaren, Ostsee-Getreide, Nordsee-Heringe, holländische Manufakturwaaren fanden hier einen vorzüglichen Markt. Nur in Flotten zu 30 bis 40 Schiffen, jedes mindestens 100 Last gross und nach Vorschrift mit 16 bis 28 Geschützen armirt, durfte die Fahrt wegen der französichen marokkanischen Seeräuber gewagt werden. Dass der Schaden durch diese Seeräuber zwischen 1641 und 1650 jährlich für Holland fast 1 Million Gulden betrug, wirft doch auch ein Licht auf einen Handel, der solche Verluste ohne Störung tragen konnte.
Gerade diese Periode des 80 jährigen Ringens mit Spanien ist die Zeit der gewaltigsten Ausbreitung, der Höhepunkt der niederländischen Leistungen in Handel und Schifffahrt geworden. Nie wieder hat ein Volk ein so unzweifelhaftes Uebergewicht im Welthandel und in der Rhederei behauptet, wie die Niederlande gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts. Und Colbert übertreibt vielleicht gar nicht, wenn er 4/5 der ganzen europäischen Marine den Holländern zuschreibt. Alle nationalökonomischen Schriften dieser Periode sind denn auch voll des Lobes über die Segnungen von Handel und Schifffahrt und vergessen nicht, unter den Gründen für diese wunderbare Blüthe auch das Vorhandensein einer tüchtigen, schlagfertigen Kriegsflotte hervorzuheben. Allerdings, nicht im Entferntesten würde der Holländische Seehandel vermocht haben, sich zu solcher Ueberlegenheit emporzuschwingen, wenn nicht
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während dieser ganzen Periode mächtige Schlachtflotten und Kreuzer im Kanal vor den heimischen Küsten wie auf dem freien Ozean der Handelsflagge ruhmvoll die Bahn gebrochen hätten. Seine Weltstellung verdankte das niederländische Volk ganz ausschliesslich den kühnen Wagnissen eines unvergleichlichen Menschenmaterials, der festen Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer grossen Seerüstung, der schnellen und einmüthigen, ja begeisterten Schaffung einer solchen in Fällen der Gefahr. Dann drängte das seemännische Genie des Volkes zur That, und die Pieter Heyn, Tromp, van Galen, de Ruyter, Jan und Cornelis Evertson u. A. führten die Flagge der Generalstaaten zum Siege auf allen Meeren.
Dass der Krieg zur See in allererster Linie ein wüster Kaperkrieg war, brachte es mit sich, dass noch 1587 die zwei grössten Kriegschiffe der Union nicht über 100 Last gross waren mit 95 Mann Besatzung und 16 Geschützen von zumeist ganz leichtem Gewicht. Die armirten Kauffahrer waren häufig wesentlich grösser. Dagegen finden wir 1628 die Flotte in Stärke von 133 Schiffen, wovon weit über die Hälfte 100 bis 300 Last gross. Eine bedeutende Verstärkung erwuchs die heimischen Seemacht durch den mächtigen Schiffsbestand der beiden grossen überseeischen Kompagnien. Unter ihnen befanden sich solche von 400 bis 500 Last, die man in der regulären Flotte vergeblich sucht. In sehr wirkungsvoller Weise entlasteten sie dadurch, dass sie den Krieg aufs freie Meer hinausspielten, entweder die heimische Schlachflotte, oder sie stellten in schwierigen Momenten ihre Kreuzer den Schiffen des Staates an die Seite, wie z. B. in der grossen Seeschlacht gegen die spanische Armada vor den Downs 1639, die an Gefechtskraft der einzelnen Schiffe unzweifelhaft überlegen war und dennoch völlig zertrümmert wurde. Es war die moralische Ueberlegenheit der Niederländer, die
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diesen glänzendsten Sieg errang. Und erst diese furchtbare Schlacht verlieh der niederländischen Flotte jenes überlegene Selbstvertrauen, das vor keinem Feinde Halt macht, und der niederländischen Politik die schneidige Waffe, die sie mit demselben Vertrauen in den Erfolg fortan benutzte.
Nauticus.
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