Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDeutschlands Willkomm an Paul Krüger Präsidenten von TransvaalWilkommen Ohm Paul, im deutschen Land,
Unsre Herzen rufen: Herein!
Unser Blut, Ohm Paul, ist mit Deinem verwandt,
Ist stolz drauf, es zu sein.
Und wäre das Blut nicht unser Blut,
Das Dir in den Adern fliesst,
Ohm Paul, wir zögen dennoch den Hut
Und sagten Dir ‘Sei gegrüsst!’
Wer so kämpft, wie Du für das Menschheitsrecht,
Der ist allen Menschen verwandt;
Wer so spricht, wie Du: ‘Lieber todt als Knecht!’
Den versteht man in jedem Land.
Darum ehren wir Dich, im Bürgerkleid,
Wie man mächtige Könige ehrt;
Dein graues Haupt und Dein Herz voll Leid
Sind uns heilig, theuer und werth.
Und Dein Gott, Ohm Paul, ist auch unser Gott,
Wie Du glaubst, so glauben wir auch:
Den Triumph des Menschen zerbricht der Spott,
Sein Leiden zerbläst ein Hauch.
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Und wie Deutschland einst um die Freiheit stritt,
Ohm Paul, wir denken daran,
Drum, wenn Du betest, wir beten mit:
‘H[e]rr Gott, erhöre den Mann!’
Da erscheint im Heiligen gastfreien Köln der Gesandte von Tschirsky, ein kaiserlicher Vertrauensmann, und überbringt den Präsidenten Krüger die Nachricht, dass der deutsche Kaiser zu seinem Bedauern nach seinen bereits getroffenen Dispositionen jetzt nicht in der Lage sei ihn zu empfangen. Wir beschränken uns darauf unsern Lesern vorerst den Eindruck wiederzugeben den diese Absage in Deutschland hervorgebracht hat. Die Rheinisch-Westphälische Zeitung schreibt: Was Graf Bülow im Reichstag aufzuklären hat. Am Montag wünscht der Reichskanzler eine Erklärung über den Nichtempfang Paul Krügers abzugeben. Er ist ein geschickter Redner und wird es verstehen, mit Gründen oder Scheingründen im Reichstag wenigstens sich aus der Angelegenheit heraus zu ziehen. Wir denken uns, dass ungefähr die Grundtendenz seiner Rede sein wird: ‘Wir haben die Interessen des Reiches wahrzunehmen und sonst keine.’ Wir haben die Rede schon mehr gehört. Wir halten es aber für notwendig, dass der Reichskanzler sich mit dieser allgemeinen Versicherung nicht begnügt, sondern sie spezialisiert und eine Reihe von Einzelheiten aufklärt. Wir finden in der Presse, welche vom auswärtigen Amte gespeist wird, immer denselben Faden wieder: ‘Man konnte drei Schritte thun, erstens durch Thaten helfen, zweitens durch Höflichkeit bezaubern und doch nichts thun, und drittens schroff absagen.’ Natürlich wird versichert, dass die letzte Form die einzig richtige und ‘urteutsche’ sei. Schön, wir nehmen das Schema an. | |
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Hier wird nur erstens zum Kapitel ‘Thaten’ behauptet und immer aufs neue in das Volk hineingeworfen, dass 1896 nach dem Jameson-Telegramm Frankreich sich England zur Verfügung gestellt und Russland erklärt habe, es habe keine Interessen in Südafrika. Diese Behauptung, die, auf Zeitungspapier gedruckt, noch nicht mal dieses Papier wert ist, verwirrt seit zehn Monaten das deutsche Volk. Graf Bülow wird sie deshalb aktenmässig zu beweisen haben. Zugleich aber muss er noch dabei eine Reihe von Umständen befriedigend aufklären, welche den unbefangenen Beurteiler glauben machen müssen, dass die Erzählung von dieser Haltung Russlands und Frankreichs eine ebenso dreiste wie plumpe Legende ist. Graf Bülow muss also aufklären: wie es kam, dass das französische Ministerium sinnlos wurde, indem es den zu Lande wehrlosen Engländern anbot, ihnen nachbarlich seine Soldaten zu leihen, auf dass es von Deutschland in Grund und Boden geschlagen und alle Kriegskosten zu bezahlen hätte wärend die britische Regierung auf ihrer Insel sitzend vergnüglich die deutschen Kolonieen einsteckte, vielleicht auch noch obendrein beim Friedensschluss einen Theil der französischen, weshalb trotz dieser angeblichen bedrohlichen Haltung Frankreichs Staatssekretär Freiherr von Marschall den Buren noch zwei Jahre bis zu seinem Sturz die Hand über den Kopf halten konnte, weshalb Staatssekretär von Bülow bei Abschluss des sogenannten Delagoavertrages die Erzählung von den beiden misgünstigen Nachbarn nicht gleich dem deutschen Volke hinterbrachte und weshalb er die drohende Haltung Englands nicht den Burenrepubliken vertraulich mitteilte, sondern sich ganz still hielt bis zum Jahre 1900, weshalb die halbamtliche Presse den Befehl erhielt, dem | |
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deutschen Volke vorzureden, der Delagoavertrag gebe in keiner Weise die Burenrepubliken preis, England habe nicht die geringsten Absichten, die beiden Burenrepupliken anzugreifen, weshalb drei Monate später, als dieses Versteckspiel nicht mehr angängig, die halbamtliche Presse dem deutschen Volke ruhmredig erzählte, der Vertrag sei eine Musterleistung, welche zwar den Blutsverwandten und geborenen Bundesgenossen preisgebe, aber für Deutschland ganz riesenhafte Kompensationen vorsehe, weshalb der Zar zu Anfang des Burenkrieges nach Potsdam kam, ob etwa, um wieder Wilhelm II. zu erklären, dass ‘Russland in Südafrika nicht interessiert’ sei, oder ob vielmehr, um Deutschland ein Bündnis zur Erhaltung der Burenstaaten anzubieten und weshalb der Zar von Wilhelm II. augenscheinlich abgewiesen, nach den Behauptungen russischer Blätter seit dieser Zeit gegen den deutschen Kaiser sehr verstimmt ist, weshalb schliesslich erst heute, nach Jahren, wo das deutsche Volk anfängt, erregt und leidenschaftlich zu werden, die neueste Ausgabe der modernen Geschichte verbreitet wird, wonach Graf Bülow die Burenstaaten wohl hat schützen wollen, aber nicht hat schützen können, ob er wirklich ‘Thaten’ versucht hat oder ob er nur das Werkzeug dunkler Unterströmungen gewesen ist. Die zweite Möglichkeit soll die eines höflichen Empfanges des Präsidenten Krüger sein, wie man in Frankreich ihn gegeben hat, verbunden mit einer diplomatischen Ablehnung, vermutlich mit dem Hinweis auf Deutschland. Diesem Auftreten soll die deutsche schroffe Ablehnung als ‘ehrlich’, ‘biederdeutsch’ und ‘soldatisch’ unendlich weit vorzuziehen sein. Wir müssen gestehen, dass gerade diese Auslassungen der offiziösen Presse, verbunden mit der Bekanntgabe, dass der Reichskanzler im Reichstag eine ‘Erklärung’ abzugeben wünsche, | |
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in uns die Angst gesteigert hat, als könnte wirklich diese Absage eine endgiltige sein. Wir halten es bis zum heutigen Tage noch für undenkbar. Krüger war der Freund Wi[l]helms I. und Bismarcks; er ist unser Blutsgenosse und unser geborener Bundesgenosse, wenn England einmal die Hand auf unsere afrikanischen Kolonieen legt. Wenn ein Verwandter oder engerer Freund zu uns kommt und unsere Hülfe erbittet, so werden wir ihn herzlich aufnehmen und ihm vielleicht sagen: ‘Ich möchte Dir helfen, aber ich kann es nicht, hier sind me[i]ne Gründe.’ Aber niemals wird ein rechtlich und vornehm denkender Mann vor einem solchen hülfsbedürftigen Verwandten und alten Freunde, und vor allem, wenn er ein Greis ist, roh die Thüre zuschlagen und ihn draussen vor der Thüre in Wind und Wetter stehen lassen. Sollte, was wir bis jetzt nicht glauben können, die Absage, die offenbar Graf Bülow dem Präsidenten verschaft hat, eine endgiltige sein, so würde ein Entrüstungssturm durch das ganze deutsche Volk gehen, wie ihn Graf Bülow wohl noch nicht erlebt hat. Die ganze nicht vom auswärtigen Amte gespeiste Presse ist sich einig darüber, dass die Haltung Frankreichs ebenso würdig war wie die unserige, wenn forgesetzt, eine unwürdige wäre. Konservative Blätter haben bereits erklärt, dass in ihren Kreisen man den Kaiser und die Reichsregierung nicht m[e]hr verstehe, dass sie mit Zuschriften überschüttet würden, in denen man auf das leidenschaftlichste die Haltung der deutschen Regierung angriffe. Wir können mitteilen, dass in Rheinland und Westfalen in mächtigstem Masstabe diese Bewegung besteht und täglich wächst. Wenn bezahlte und verlogene Blätter behaupten, der Kölner Empfang des Präsidenten Krüger sei ein künstlich gemachter und von Karneval[s]laune durchzogener, so empfindet das ganze westdeutsche Volk dies als eine schamlose Unwahrheit. Jeder Deutsche fühlt sich gedemütigt, wenn er | |
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heute uns mit Frankreich vergleicht, mit dem Frankreich, das wir vor 30 Jahren gedemütigt haben. Wollte Graf Bülow den Nichtempfang des Präsidenten Krüger als endgiltigen bezeichnen, so müsste er zugleich erklären, weshalb die ehemals so grosse Macht des Deutschen Reiches so tief gesunken ist, dass uns bereits von London vorgeschrieben wird wer, in Berlin empfangen werden darf und weshalb das Deutsche Reich so vereinsamt dasteht, dass es sich selbst diesen Schimpf noch gefallen lassen muss. Das Gefühl unseres jähen politischen Niedergangs in den letzten 10 Jahren ist in den letzten Wochen so angeschwollen, dass hiraus eine vollkommene Verschiebung der Parteien in nächster Zeit sich ergeben kann. Ehemalige konservative Monarchisten und gemässigte Liberale gehen scharenweise zu den extremen Parteien über. Man erklärt uns von allen Seiten, dass in den nächsten Jahren vor allem der Absolutismus bekämpft werden müsse, und dass Eugen Richter hier der geborene Führer sei, wenn er nur in nationalen Fragen, vor allem der Landesverteidigung Bürgschaften geben könne. Die schwächliche Etatsrede des Abg. Bassermann und die noch verschwommenere des Konservativen v. Levetzow werden allgemein verurteilt. Graf Bülow möge sich daher vorsehen. Der Deutsche ist ein unendlich geduldiger Mann, aber einmal durch zahllose Nadelstiche und Beleidigungen seines Ehrgefühls in Leidenschaft versetzt, wird er auch dem Grafen Bülow noch zu schaffen machen. Das geringste, was der Deutsche verlangt, ist die Achtung seines Hausrechts und seiner Ehre. Wir wollen daher noch bis zum Montag hoffen, dass uns diese äusserste Schmach nicht angethan wird, und wir wollen glauben, dass Graf Bülow in der Lage sein wird, wenigstens bezüglich der förmlichen Behandlung des Präsidenten Krüger eine vornehme und das deutsche Volk nicht verletzende Antwort zu geben. | |
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Hierauf erfolgten die ungenügenden als unlogisch vielfach verurteilten Erklärungen des Reichskanzlers im Reichstage, die über den Nichtempfang Krügers gar keine Aufklärung bringen. Aus den Reichstagsverhandlungen ist zu bemerken, dass die Ausführungen Bebels auch auf der rechten Seite des Hauses sehr lebhaften Beifall fanden. Derselbe sagte u. A. als der Kanzler über unsere Politik in der Transvaalfrage und in betreff der Beziehungen zu England sich geäussert: ‘Wir sprachen uns seinerzeit auf das entschiedenste gegen den provokatorischen Ton des Telegramms nach dem Jameson-Einfall aus und haben heute die Genugthuung, dass die Reichsregierung nach vier Jahren die Bahn eingeschlagen hat, die wir damals für notwendig hielten. Wir haben allen Grund, mit England freundlich zu stehen, ohne uns dadurch in unserer Aktionsfreiheit zu beschränken, aber wir halten die Kriegführung Englands in Transvaal für barbarisch. Wenn das Burenvolk heute am Boden liegt und Präsident Krüger die christlichen Regierungen Europas um Vermittlung anruft, so ist das menschlich und begreiflich, und von seinem Standpunkte aus richtig. Ich verurteile die Abweisung des alten Krüger aufs schärfste, weil sich dadurch die deutsche Politik den Anschein der Treulosigkeit gegeben hat. Das Burenvolk glaubte auf Grund jener Depesche in dem Kaiser einen Mann zu besitzen, der mit seinem Einfluss fü[r] sie eintreten könnte. Das menschliche Mitgefühl und jene einst gegebene Erklärung geboten, dass Paul Krüger unter allen Umständen in Berlin empfangen würde. (Zustimmung.) Wenn Loubet Krüger empfing, dann konnte ihn auch der deutsche Kaiser empfangen; er hatte die Zeit dazu und musste die Zeit dazu haben. Wir dürfen uns nicht wundern über das Urteil, das ein Amsterdamer Blatt abgab: | |
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‘Die Deutschen fürchten nur Gott und ihre Grossmutter!’ Abgeord- Hasse führt aus: Die Darstellungen von dem Vorgange der Adressüberreichung des Alldeutschen Verbandes an Krüger in der ‘Köln. Ztg.’ seien irrige gewesen und sollten wohl absichtlich irreführen. Uebrigens ist es merkwürdig, dass der Reichskanzler dieses wetterwendische Blatt, das jetzt auch der Debeers-Kompagnie seine Spalten öffnet, noch immer für offiziöse Artikel zu benutzen scheint. Wir hätten die Adresse am liebsten in Berlin überreicht, unsere Schuld ist es nicht, dass wir ins Ausland gehen mussten. Die wenigen Worte, die ich an den Präsidenten zu richten hatte, begannen damit, dass ich sagte, nicht im Namen des amtlichen Deutschlands (grosse Heiterkeit), sondern im Namen des Alldeutschen Verbandes, getragen von denSympathien des deutschen Volkes (Sehr richtig!). Letzteres wird mir von der Presse und dem grössten Teile der Vorredner bestätigt. Was Bebel über die Vorgänge in Köln gesagt hat, unterschreibe ich ganz. Redner bespricht die letzte Rede des Reichskanzlers und fragt, ob die Neutralität immer innegehalten worden sei, habe doch ein Schiff der Wörmann-Linie englische Soldaten befördert. Wir wollen nicht zu einem Kriege gegen England hetzen, wir wollen nur, dass Krüger hier ebenso empfangen würde, wie in Holland. In England glaubt man immer noch, uns mehr bieten zu können, als anderen. Es scheinen eigentümliche Verbindungen zwischen der Wilhelmstrasse und der ‘Times’ zu bestehen, die schon vorher wusste, dass Krüger hier nicht empfangen werden würde. Die ‘Frankf. Zeitung’ meint, dass das deutsch-englische Abkommen gegenstandslos geworden sei durch den Vertrag zwischen England und Portugal und dass wir die Buren umsonst im Stich gelassen haben. Wir sind hier wieder, wie schon früher, von England übers Ohr gehauen worden. Ebenso war | |
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es mit dem Vertrag betr. die Delagoabay und dem Xangtsevertrag. In Deutschland werden die letzen Ereignisse als eine Konnivenz gegen England betrachtet. Der Reichskanzler meinte, die Reise hätte Krüger nichts genützt; ich bin derselben Meinung. Es fràgt sich aber, ob wir uns selbst nicht genützt hätten, wenn wir den alten Herrn im Unglück die Hand gedrückt hätten, nicht nur Leuten, wie Cecil Rhodes, dessen Hand, wenn auch vergoldet, doch beschmutzt bleibt. Es handelt sich um die Zukunft Südafrikas, es wäre für uns günstiger, wenn die Buren in Freiheit blieben. Ereignisse, wie der Nichtempfang Krügers, gehen nicht spurlos am Ausland vorüber. Ich gebe zu, dass der Reichskanzler die Empfindung des Volkes kennt, aber bestreite, dass er sie würdigt. In Köln wurde Krüger mit einer Begeisterung empfangen, wie kein Kaiser und König vorher. Von den Deutschen heisst es in Südafrika: ‘only the Germans’, demgegenüber gebrauche man doch das Wort: ‘civis germanus sum’, Gedenke, dass du ein Deutscher bist! Noch hat das Wort vom: ‘furor teutonicus’ seine Bedeutung! Nach Bülows Reden lesen wir in deutschen Blättern: Hamburger Nachrichten das einstige Bismarckblatt: Wir gestehen offen, dass uns die gestrigen Ausführungen des Grafen Bülow wenig befriedigt haben. Sie geben in keiner Weise Aufklärung über die wahren Gründe, die zur Abweisung Krügers geführt haben. Die Berufung darauf, dass der Empfang Herrn Krügers nichts genützt haben würde, ist insofern gegenstandslos, als die Frage des Nutzens gar nicht zur Discussion stand. Die Versicherung gänzlicher Unhabhängigkeit von England ist ein Wort, die Abweisung Krügers eine That; zwischen beiden liegt ein Widerspruch, der dringend der Aufklä- | |
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rung bedarf. Wahrscheinlich war Graf v. Bülow nicht in der Lage, die wahren Gründe der Abweisung anzugeben. Aber dann hätten wir es für richtig gehalten, dem Reichstage eine entsprechende Andeutung zu machen und um ferneres Vertrauen zu bitten, auch wenn er, Bülow, schweigen müsse. So aber ist er auf die Sache selbst eingegangen und hat Aufklärungen gegeben, aber in einer Weise, welche vorhandene Zweifel eher verstärkt als abschwächt. Die Frage, weshalb zu befürchten war, dass uns ein unpolitischer Empfang Krügers, wie er in Frankreich erfolgt ist, der Gefahr ‘internationaler Trübungen durch Demonstration’ ausgesetzt hätte, Frankreich aber nicht, wird nicht verstummen. Die Tägliche Rundschau: Der gesunde Volksinstinkt empfand den schreienden Gegensatz zwischen der Thatsache, dass das Oberhaupt des neutralen Deutschen Reichs zwar nach Ausbruch dieses schamlos vom Zaun gebrochenen Raubkrieges nach England reiste und dem durchreisenden englischen Thronerben durch halb Deutschland entgegeneilte, aber das greise Oberhaupt der Buren von seiner Thüre wies. Dass das deutsche Volk auf das natürliche Gegenstück jener Kaiserreisen hoffte, beweist doch gerade, dass es die Neutralität ernst genommen wissen wollte. Die deutsche Volksstimmung aber hat an die Reichsregierung gar nicht das Ansinnen gestellt, den politischen Wünschen Krügers zu willfahren; sie wünschte den Empfang aus ganz andern Gründen. Das Berliner Tageblatt. Dennoch wird Graf Bülow einem grossen Teile des deutschen Volkes nicht die logische Schlüssigkeit seiner Behauptung klar gemacht haben, warum man, da eine Intervention Deutschlands ausgeschlossen war, nun auch dem Präsidenten Krüger nicht den erbetenen Empfang gewähren konnte. Es | |
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hätte ihm nichts genützt und uns geschadet, sagte Graf Bülow. Indessen hat der Empfang des Präsidenten Krüger in Frankreich den Franzosen geschadet? Im Gegenteil, ein Blick in die Presse der Welt zeigt deutlich, dass Frankreich durch den mutvollen Empfang des greisen Buren hei den bei allen Nationen nicht nur an Sympathien, sondern auch an Prestige gewonnen, Deutschland dagegen durch sein entgegengesetztes Verhalten an beiden Inponderabilien Einbusse erlitten hat. Dass unsere preussische Polizei bei Ausführung des höchsten Willens natürlich dem Präsidenten Krüger und demjenigen Theil des deutschen Volkes gegenüber, der ihm seine Verehrung bekunden wollte, einen Uebereifer gezeigt hat, der nur noch von ihrem Ungeschick übertroffen wurde, war ja selbstverständlich. Und es ist erfreulich, dass Graf Bülow die Gelegenheit nicht hat vorübergehen lassen, der Polizei seine Missbilligung auszusprechen.’ Die Rheinisch-Westfälische Zeitung schreibt unter dem Titel ‘Vasallen’: Graf Bülow hat gestern im Reichstage nichts aufgeklärt, worüber er dem deutschen Volke Rechenschaft schuldig ist, und doch hat ihm der Reichstag mit dem üblichen ‘lebhaften Beifall’ quittiert. Es steht ja zu erwarten, das es an einigen mannhaften Erwiderungen bei der heutigen Fortsetzung der Beratung nicht fehlen wird. Aber nach all den Allgemeinheiten, die Bülow vorgebracht hat und die die offiziöse Presse bereits vor ihm in noch viel mannigfaltigeren Tonarten variiert hatte, ist auf keine tiefer gehende politische Aufklärung über unsere Haltung in Südafrika und unser Hinausstossen des Präsidenten Krüger mehr zu rechnen, als auf die Wiederholung der Weisheit, vor der wir uns einfach beugen sollen: Wir hatten nur deutsche Interessen zu wahren, das haben wir gethan. Das heisst aus dem Diplomatendeutsch übertragen: Du dummes Volk hast in deiner Sen- | |
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timentalität keine Ahnung von deinen Interessen. Also rede nicht mit! Ein Empfang Krügers in Berlin - das geht aus Graf Bülows Rede hervor, - ist nicht nur für jetzt weil die Frage zu überraschend kam, oder weil bestimmte Dispositionen schon getroffen waren, aufgeschoben worden, nein, die Absage war endgiltig. Wir stehen zwar ‘vollständig unabhängig von England’ dar, wie Graf Bülow selbstverständlich betonte. So unabhängig, dass wir, wenn wir gewollt hätten, den Führer eines Schwachen am Boden liegenden Bruderstammes gastlich hätten aufnehmen können, wie das ihm nach Verwandtschaft und nach Interessen viel ferner stehende Frankreich. Wir hätten unseren Sympathien für ihn auch durch eine von Herzen kommende Volksdemonstration so taktvol gegen England, wie sie nur in Paris und in Köln durch die Mehrheit des deutschen Volkes erfolgten, lauten Ausdruck geben können - wenn wir nur gewollt hätten. Wäre das nicht Unabhängigkeit? - Es wäre - wenn der berufene Leiter des deutschen Volkes nicht gerade das Gegenteil gesagt hätte! Volksdemonstrationen für Krüger, die nicht bloss ‘verpufftes Feuerwerk’ sein sollten, ‘würden unsere nationalen Beziehungen zum Nachteil des ganzen Landes verschoben haben’. Graf Bülow hat sogar das Gespenst des Krieges an die Wand gemalt, den er durch die schroffe Zurückweisung Krügers weise verhindert hätte. Also so weit sind wir gekommen? Hat nicht Frankreich einem Benjamin Franklin voll lauter Begeisterung empfangen, als die jugendliche amerikanische Union vor der Gewaltpolitik Englands im Staube lag? Hat nicht Amerika einen Kossuth begeistert aufgenommen, der Oesterreich, das ihn ausgestossen, den Kampf aufs Messer geschworen hatte? Und hat nicht England selbst einen Thiers offiziell seine Sympathien entgegengebracht, als er, mit weiniger Takt und Zurückhaltung als Krüger, | |
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um Hülfe bittend, nach England kam, während noch zwischen Deutschland und Frankreich die Kriegsflammen loderten? Einen Krieg riskiren wir nach Bülows Meinung mit England, wenn wir auch nur einer edlen Regung nachgeben und platonisch einem ungerecht zu Boden geworfenen Volke unser Mitgefühl ausdrücken. Es war ja klar, dass die Melodie der Offiziösen auch von Graf Bülow wieder angestimmt wurde, dass die ‘Gefühlspolitik des deutschen Volkes hier nichts anderes wolle, als uns in ein dauerend gespanntes Verhältnis zu England zu bringen. Nichts anderes aber hat diese Gefühlspolitik gewollt, nirgends ist uns eine Silbe zu Ohren gekommen, die darüber hinausginge, als dass wir handelten wie Frankreich - wir, die unse[r]e nationale Ehre und unsere real politischen Interessen dazu verpflichten, einem Mann nicht schnöde die Thür zu weisen, weil er besiegt ist, dem wir vor vier Jahren offen und auffällig vor der Welt unserer wärmsten Sympathien versichert haben. Kein Reden von Schiedsgericht, von Vermittelung oder gar Intervention, ein blosser höflicher Empfang Krügers am Kaiserhofe, wenn auch unter klarster Betonung dessen, dass wir nichts thun können, das allein schon erscheint einem Grafen Bülow als etwa gleichbedeutend mit dem Wunsche in ein dauernd gespanntes Verhältnis zu England zu treten. Also: Vasallen Englands zu sein, das uns vorschreibt, wen wir in unseren Grenzen empfangen dürfen und wen nicht, widrigenfalls wir in unheilbaren Konflikt mit ihm geraten, das ist die schöne Unabhängigkeit des schönen deutschen Reiches. Dass man selbst jenseits des Kanals noch nicht einmal weiss, wie gehorsam Deutschland dem englischen Pfiff Ordre pariert, das beweisen englische Pressäusserungen. Fine so glatte und schroffe Abweisung Krügers hat drüben die kühnsten Erwartungen übertroffen und man erklärt sie daher mit der Verläumdung, sie sei von England durch frühere Arrangements mit | |
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Cecil Rhodes oder sogar durch Testamentsrücksichten erkauft. Vasallen! Das aber ist das bitter schmerzliche Gefühl, das das deutsche Volk blitzartig durchzuckt bei dieser Ausstossung des greisen Burenführers, die das stammverwandte niederländische Volk von neuem gewaltsam in die Arme Frankreichs treibt. Soweit sind wir in die blinde Gefolgschaft einer Macht geraten, die eben dabei ist, einen deutschen Stamm, der unser natürliche Bundesgenosse war und bleiben wird, zu erwürgen. Und doch dünkt sich diese Politik nicht blind, sondern sehender als das ganze deutsche Volk! Was ist, fragt dieses, der Gewinn, den wir davon trugen, als wir England durch die kühle Zurückhaltung gegenüber Transvaal - dadurch dass wir diplomatisch nicht den kleinsten Finger rührten England plein pouvoir gaben, um sich die uns bedrohende Omnipotenz in Südafrika zu erringen? Der Schlüssel dazu liegt ohne Zweifel in dem noch tief verhüllten Geheimniss des englisch-deutsch-portugiesischen Abkommens. Hier bestand die Realpolitik Bülows darin, die Burenstaaten als Stütze für unseren afrikanischen Besitz preiszugeben, und, wenn einmal die portugiesischen Kolonien liquidiert würden, Teile derselbe zu erhalten. Und wie wird es hiermit in Wirklichkeit? Die neueste Enthüllung der englisch-portugiesischen Allianz zeigt das England Portugal seinen Besitzstand garantiert, d.h. wenn das ‘verbündete’ (was englische Bündnisse bedeuten, sagt die Geschichte) Portugal seine Kolonieen so weit von englischen Gesellschaften, Kaufleute, Unternehmungen aller Art hat aufsaugen lassen, dass es nur noch nominel zu Portugal gehört und England als letzte reife Frucht in Südafrika in den Schooss fällt. Dann wissen wir ja, weshalb wir die Burenstaaten preisgeben mussten. Das deutsche Volk kann verlangen, dass Graf Bülow wenn auch vertraulich in einer Kommission das Geheimnis lüftet, das er in der letzten Reichstagsitzung über die Gründe verbreitet hat, weshalb er die Buren von sich stossen musste. Wir | |
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fürchten, sie liegen auch hier wieder noch höher, als beim Grafen Bülow. Das aber ist es, was das deutsche Volk bei der Formverletzung, als welche sich der Nichtempfang Krügers darstellt, in Angst und Aufregung versetzt hat, dass dieser äusserliche Vorgang ein untrügliches Zeichen für die innerliche Abhängigkeit von englischen Wünschen und Interessen ist, in die die deutsche Politik mehr und mehr geraten ist. Gefühle einzelner Machthaber stehen den Gefühlen fast des ganzen deutschen Volkes gegenüber. Die Geschichte wird es zeigen, dass der Gefühlspolitik der erstgenannten die ‘Gefühlspolitik’ des deutschen Volkes wenn nicht im einzelnen, so doch im ganzen, an real-politischem Scharfblick weit überlegen gewesen ist.’
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Wir wollen uns heute darauf beschränken unsern Lesern vorstehende Stimmen aus dem deutschen Reiche zu bringen, die wohl zur Genüge zeigen welche heftige Erregung grosse Kreise Deutschlands ergriffen hat. Was das nicht englische Ausland über das amtliche Deutschland denkt und schreibt, behalten wir uns vor später wiederzugeben soweit das überhaupt nur möglich ist. Jedenfalls ist es den Deutschen im Auslande recht schwer gemacht worden freudig zu bekennen: Wir sind stolz auf unsere Regierung und fühlen uns eins mit ihr. Die schwächliche Haltung und Kurzsichtigkeit des deutschen auswärtigen Amts hat in völkischer Hinsicht unersetzlichen Schaden gebracht. Man kann es den Deutschen Stämmen ausserhalb des Reiches nicht verdenken wenn sie sich lieber auf fremden Schutz verlassen als auf den des versagenden deutschen Reiches. Bis jetzt hat die deutsche Regierung und ihre Organe ALLES gethan um dieselben abzustossen. Fremde wurden vorgezogen ob dieselben Engländer Franzosen oder Ungarn heis- | |
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sen, sie standen dem amtlichen Deutschland und seinen Speichelleckern weit näher als Stammesgenossen. Die Vergeltung wird nicht ausbleiben, die furchtbare Drachensaat wird eine entsetzliche Ernte aufschiessen lassen. Die Untreue, die an Krüger in so schmählicher Weise geübt worden, wird Untreue gebären. Der Fluch des Goldes und Untreue rottet Geschlechter und Völker aus. Gott behüte die Deutschen vor ähnlichem Schicksal. |
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