Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDer höhere Unterricht als Bestandtheil der nationale Erziehung im deutschen Volksgebiet(Schluss.)Man behauptet, dass Arzt und Apotheker der lateinischen Geheimsprache bedürfen, obschon die Griechen und Römer nur mittelmässige Heiler (ìatzoì) gewesen sind. Blos weil die Vorgänger der gegenwärtigen Heilkunst im Ausgange des Mittelalters diese Gelehrtensprache benutzt haben, soll zur Heil- und Arzneikunde deren Gebrauch erforderlich sein. Es sind nicht einmal Fachaurücke, sondern einfache Bezeichnungen, die in der reicheren deutschen Sprache ihren vollen Gegenwert finden. Lediglich die deutsche Fremdenliebe hat Latein als medizinische Geheimsprache fortbestehen lassen, deren sich auch die Jünger der schwarzen Kunst bedienten. Ein ordentliches Fachdeutsch wäre der Bildung des Aerztestandes würdiger, als die alte Alchemistensprache. Natürlich herrscht der gleiche Unfug auf dem Gebiet der Naturwissenschaften; sogar der ungebildete niedere Forstmann muss sich mit unverständlichen lateinischen Namen für seine geliebten Waldkinder herumplagen, wofür unsere Sprache viel deutlichere Bezeichnungen hat. Dadurch wird auch die Naturkunde unserer Gebildeten erschwert. Die lateinischen Ausdrücke | |
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lesen sie in den wissenschaftlichen Büchern, die deutschen Namen hören sie im Volk und kennen schliesslich die Bäume und Blumen selbst überhaupt nicht. Erst die gymnasiale Kenntnis des Lateinischen schützt die Fortdauer der gelehrten unnützen Fachausdrücke unter dem trügerischen Mantel der wahren Wissenschaft, die nur zu bequem ist, die überlieferten Bezeichnungen zu verdeutschen oder vielmehr die deutschen Bezeichnungen anzuwenden. Das Uebel liegt aber in der humanistischen Verbildung, die diesen Unfug erst ermöglicht. Auch die Ausrede mit der internationalen Wissenschaft dürfte nicht verfangen. Latein und Griechisch sind eben keine internationalen Vermittlungssprachen mehr, noch ist es ersichtlich, warum die Muttersprache der Romanen für die Kulturwelt massgebend sein soll. Für das deutsche Volkstum wirkt Latein lediglich als der fortdauernde Fluch unserer Ausländerei seit dem Verfall der alten Königsmacht und damit des Reiches selbst. Daher empfinden wir es nicht als Schmach, dass unser kriegerisches Volk sich der französischen Heeressprache b[e]dient, obwohl Deutschland einst Europa als gleiches Vorbild wie das Frankreich Ludwigs XIV., gegolten hat. Der Humanismus und seine antinationale griechisch-römische Bildung haben unser Sprachempfinden gänzlich abgestumpft, wie empfänglich wir leider auch schon früher für jede fremde Nachäfferei waren. Nicht in den alten Sprachen liegt die Kultur, die auch wir schätzen, wenn freilich das Germanentum unter deren Einfluss schweren Schaden an seiner Eigenart gelitten hat, sondern in dem Gehalte ihrer Litteratur und Geschichte. Ostrom hat auf unsere eigene Geschichte mehr eingewirkt, als das kaiserliche Westrom, wogegen die altrömische und klassische Zeit unser Volkstum in keiner Weise berühren. Die Geschichtsunkenntnis der humanistischen Lehrerschaft will uns glauben machen, dass | |
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Griechenland und die italische Stadtrepublik ein geschichtliches Muster für unsere eigene Entwickelung darstellen. Griechenlands politische Unfähigkeit zur Staatenbildung und dessen, auf die Höhe des Steuerfusses zugeschnittene kapitalistische Verfassung sowie die nüchterne Erobererpolitik Roms mit einer hochmütigen Geburts- und Geldaristokratie sind keine nachahmungswerten Vorbilder für die politische Bildung der lernbegierigen Jugend. Dass die neueste hellenische Demokratie und der eigennützige römische Geldadel Schülern deutscher Monarchien als politische Idealgestaltungen gepriesen werden, ist entweder ein Zeichen grober politischer Unkenntnis oder bewusste Geschichtsfälschung, um das klassische Altertum mit den käuflichen Griechlein und der rohen römischen Soldateska dem höheren Unterricht zu retten. Die heutigen Hellenen sind trotz aller Blutmischung geistig und moralisch die echten Nachkommen der Athener, die als die Juden des Orients mit Recht gelten. Der Gott der griechischen Kaufleute und Diebe war derselbe Hermes. Nur unsere humanistische Verbildungführt uns zur lächerlichen Überschätzung des Altertums, dessen kultureller Wert für die Gegenwart nicht bestritten werden soll. Warum verschweigt man seine Sünden und die bösen Folgen für unser eigenes Volkstum, wenn man fremde Anschauungen geistlos auf den germanischen Lebensboden pfropft? Der Volksgeist verrät sein Inneres in der Götter- und Heldensage. Vergleichen wir den lustigen und liederlichen hellenischen Götterhimmel mit seinen vielen semitischen Zutaten und dessen römische Nachahmung mit dem Tiefsinn unserer urgermanischen Weltanschauung, obschon uns der reine Inhalt der westgermanischen, d.h. deutschen Götterlehre dank der christlichen Verfolgung verloren gegangen ist! Was bedeutet die Tragik und die Gemütstiefe des durch die christliche Form entstellten Niebelungenliedes gegenüber der Verherrlichung des | |
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Achilleus in der Ilias oder gar Gudrun gegenüber der Seeräubersage des Odysseus. Goethes schwere Schuld in der Verkennung des Wertes unserer Heldenlieder, deren tiefe Tragik ihm wohl verborgen geblieben ist, können seine alexandrinischen Verehrer nicht sühnen. Seine hellenischen Schöpfungen sind daher als künstliche Dichtungen nicht ins Volk gedrungen, wie die Werke seines angeborenen deutschen Geistes, was auch bereits Schillers Beurteilung zu empfinden hat. Goethe ist nicht zum universellen Geist in seiner hellenischen Nachempfindung, sondern zum Nachbeter volksfremder Dichtung geworden, die ihm mit Recht auf diesem Gebiete das Herz seines Volkes geraubt hat. Wir müssen von der höheren nationalen Weite seine Vorliebe als Verirrung bezeichnen, die schliesslich die schöpferische Kraft seines Genies gelähmt hat. Freilich war auch er ein beschränktes Kind seiner Zeit, die die politische Ohnmacht des eigenen Volkstums noch nicht als höchtse Schmach empfand. Wir sind geistig geläuterter, als unsere Vorfahren, denen der Begriff des Volkstums als grösstes irdisches Gut noch nicht aufgegangen war. Das sonst so geistig reich gestaltete Altertum kannte den tiefen Sinn der Volksart nur instinktiv und mehr in der Verneinung. Die Hellenen hassten die Barbaren und Rom fühlte sich als Herrenvolk, ohne dass sie beide ein abgeschlossenes Volkstum sich schaffen konnten. Die griechische Kultur ist kleinasiatischen Ursprungs, was unsere Humanisten völlig übersehen. Leider hat der Mangel eines wahrhaft nationalen Unterrichts auch schwerwiegende politische Folgen gezeitigt. Es ist kein Zufall, dass die Blüte der Niederlande in geistiger und wirtschaftlicher Beziehung vor den Sieg des Humanismus fällt, die spätere niederländische Kunst ist nicht von ihm abhängig und als solche international, wenn auch voller nationaler Züge, wie jede echte Kunst. Nur der Heldenkampf der nördlichen Nie- | |
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derlande gegen den römischen Geist der spanischen Herrschaft hat auch einen geistigen Aufschwung hervorgerufen, der jedoch mehr staatswissenschaftlicher Natur war. Wie kurz ist die Handelsvorherrschaft Hollands gewesen? Sie hat trotzdem die Blüte des südlichen Handels unter spanisch-österreichischer Herrschaft geknickt. Der Humanismus hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme zerstört, während sich die übrigen Völker national befestigten. Auch Italien hat trotz der politischen Zerrissenheit ein nationales Ganzes gebildet. Das Veltlin und die germanischen Siedlungen Venetiens sind sogar erst unter dem österreichischen Aar verwelscht. Wie kann auch ein humanistisch gebildeter Mann in der fortschreitenden Romanisierung seines germanischen Stammes ein Unglück sehen, wenn er mit dem Irrwahn der römischen Ueberlegenheitaufgepäppelt wird. Auch die kirchliche Macht hat trotz der germanischen Kirchenspaltung aus der humanistischen Verbildung ihre Hauptkraft gesogen, da die katholische Kirche lediglich die geistliche Fortsetzung des römischen Weltreichs darstellt. Ueberall bildeten sich Nationalkirchen mit einer gewissen Selbständigkeit. Nur Deutschland blieb römischer als der Papst. Die Verwelschung der hochund niederdeutschen Aussenlande in den Alpen und an der Maas ist ein Werk unserer Gebildeten, die das unwissende Volk nachgezogen haben. Das bischen Muttersprache erscheint im Vergleich zu den altsprachlichen Errungenschaften so unbedeutend, dass man es ruhig auch noch über Bord werfen kann. Unser Geschichtsunterricht gründet sich auf Hellas und Rom, obschon nur das kaiserliche Rom zum Verständnis unserer Geschichte erforderlich ist. Warum bleiben wir bei den alten Griechen stehen und übergehen die Assyrer und Babylonier, denen die klassischen Völker ihre Kultur entlehnten? Das von den Germanen unterworfene Rom hat geistig die Sieger trotz | |
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deren heutigen viel höheren Gesittung wieder zu den verächtlichen Barbaren gemacht, die darnach lechzten, römische Bürger zu werden. Mögen die romanisierten germanischen Eroberer in Südeuropa und Frankreich, wie auch in England ihr geliebtes Latein als Muttersprache trotz der starken germanischen Einmischung ehren. Wir Deutschen haben keinen Anlass eine glücklich überwundene Gelehrtensprache als Lebensborn unserer geistigen Entwickelung zu betrachten, deren Gebrauch die heimischen Mundarten bei der christlichen Bekehrung und dem Eindringen der heidnischen Antike unsäglich geschädigt hat. Ihre Bildungsbestandteile können wir uns auch in der Uebersetzung aneignen. Die Sprachlehre gewährt unser eigenes Altertum in viel besserer Weise, zumal wir dann endlich unsere eigene Muttersprache von ihren Anfängen an kennen und schätzen lernen. Der griechisch-lateinische Ballast gestattet nicht eine gleich liebevolle Beschäftigung mit der heimischen Rede, obschon unser Schrifttum im Epos, Lyrik und selbst Schauspiel dem Altertum nicht nachsteht. Helden- und Minnelied schlagen das antike Gegenstück selbst vom rein literarischen Standpunkt, obschon nur der nationale Gesichtspunkt massegebend sein dürfte. Unsere Literatur soll die deutschen Volksgenossen einen. Die politische Trennug hindert nicht die volkliche Gemeinschaft. Niederländer bis zur Somme, Balten bis zum Peipussee, Siebenbürger an der rumänischen Grenze, Schweizer südlich des Monte Rosa an den Tisafällen, Amerikaner in Nord und Süd, alle umschlingt das Band des deutschen Schrifttums von Wolfilas gotischer Bibel bis zu Henrik Kachirenin, Reuter und Hebbel. Die undeutsche Bildung der führenden Kreise nähert aber unser Volk den gleichen Ständen aller gesitteten Länder mehr, als den eigenen Volksgenossen, die sich des humanistischen Firnisses nicht erfreuen. Dort thut freilich der | |
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biblische Unterricht seine Schuldigkeit, da die deutschen Kinder in den jüdischen Sagen und der Königsgeschichte besser Bescheid wissen, als in ihrer eigenen Landeskunde. Wider den Willen seines milden Stifters wirkt das Christentum selbst in der schlechten Gestalt des Volksunterrichts entdeutschend. Jüdische Vornamen der Bibel haben die schönen deutschen verdrängt, woran das Volk Israel höchst unschuldig ist, da es seinerseits die deutschen bevorzugt. Mit dem Gegenteil wäre beiden Völkern mehr gedient. Das volkliche Band der gemeinsamen Sprachdenkmäler wird überall vom römisch-christlichen Feind benagt, der tatsächlich unser Volkstum schon zerrissen hat. Das christliche und antike Rom sind trotzdem ihrem Wesen nach keineswegs unsere geschworenen Widersacher, da weder das Glaubensbekenntnis noch das überlieferte Altertum der hellenisch-römischen Welt unser Volkstum als solches bedrohen. Unsere nationale Schwäche hat vielmehr erst diese üblen Folgen verschuldet, deren Beseitigung unsere nationale Pflicht ist. Der Kampf um die Gleichberechtigung der toten Sprachen und der modernen Naturwissenschaft ist volklich gänzlich gleichgiltig. Wir erheben die selbsverständliche Forderung einer nationalen Bildung, wie sie jedes gesittete Volk beanspruchen muss. Der Gelehrte möge bei seiner Fachbeschäftigung die alten Sprachen treiben und der Techniker sich mit Mathematik in besonderem Masse abmühen, zumal die Zahlenwissenschaft kein Zeichen der wirklichen Bildung ist. Der Grosshändler lernt auch ohne die höhere Mathematik rechnen und ungeheuren Zwischengewinnst einheimsen. Die Börsenjobber sind kaum humanistisch gebildet und doch geschickte Rechenmeister. Geschichte und Deutsch sind nach der Schulbezeichnung die nationalen Fächer, die gar böse bisher vernachlässigt worden sind. Es ist hier nicht der Ort zu schulmeisterlichen | |
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Vorschlägen.Ga naar voetnoot*) Deutsche Geschichte sollte der Mittelpunkt sein, während die übrige Weltkunde, besonders der ältern Zeit, nur zum allgemeinen Verständnis und zur Uebersicht herangezogen werden dürfte. Natürlich sind die altgriechische und-römische Geschichte der Heimatsgeschichte gleichgestellt, während die für das Germanentum wichtige spätrömische Kaiserzeit im Unterricht so stiefmütterlich, wie die Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit behandelt wird, deren Einfluss auf unsere eigne Entwicklung eine genauere Erörterung erheischte. Die herzlich unbedeutenden Landeroberungen der Mittelstadt Rom in Italien und die griechischen Katzbalgereien untereinander sind nicht im geringsten wissenswert. Mommsen erklärt als grösster Kenner die römische Königsgeschichte kurzweg in das Gebiet der Sage, die wir gründlich als geschichtliche Wahrheit lernen müssen. Der deutsche Unterricht liegt freilich noch sehr im Argen. Während Homer und Virgil je 2 Stunden der Woche gewidmet sind, haben das Niebelungenund Gudrunlied keine Stätte mehr im Lehrplan. Das Mittelalter, das selbst die klassische Zeit unserer Literatur im Epos und Minnegesang nicht wieder erreicht hat, wird eilenden Laufes nur bruchstückweise in der Literaturgeschichte durch-genommen, was der gemütlose Horaz und der lüsterne Ovid sich natürlich nicht gefallen lassen. So sind nicht einmal Licht und Schatten für das deutsche und antike Schrifttum gleich verteilt, sondern ersteres bleibt hübsch im Hintergrund, um dem teilweise mittelmässigen Altertum die kostbare Zeit nicht zu rauben. Der preussische Angriff ist von den Lehrern als befangene Richter erfolgreich abgeschlagen worden, während inden beiden Niederlanden, der Schweitz, Oesterreich und dem | |
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Baltenlande überhaupt der Gedanke an die nationale Verwerflichkeit unseres höheren Unterrichts sich noch nicht einmal geregt hat. Im klassischen Geleise fährt der Schulkarren über die Leiche des deutschen Volksgeistes weiter, dessen Lebenskraft aber seit einem Jahrtausend dieser Räderung getrotzt hat. Wann wird der Rächer und Befreier aus dem toten humanistischen Wuste erstehen? Berlin. Kurd von Strantz. |
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