Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDie französische Kriegslyrik des Jahres 1870-71 in ihrem Verhältnis zur gleichzeitigen deutschen.(Fortsetzung.)Bei A. Kress[n]er in der Geschichte der franz. Nationallitteratur (Berlin 1889, S. 258) finden wir folgendes Urteil über ihn und sein Werk: ‘Als der’ Appel aux Allemands ‘(Actes et Paroles III, 51), mit welchem der 7ojöhrige Menschenfreund die siegreich vordringenden Deutschen zur Umkehr bewegen wollte, fruchtlos verhallte, da schrieb er das erbitterte Pamphlet, welches ihm in Deutschland nur Hohn einbrachte. Seitdem gilt Viktor Hugo daselbst für einen halbverrückten Phantasten, und seine Parteinahme für die Kommune (1871) giebt dieser Auffassung einen Schein von Recht.’ Von französischen Urteilen erwähmea wir zunächst das von Charles Gidel (Hist. de la Litt. Franç. IIe Partie, Paris 1895, S. 100: ‘L'inspiration ne lui manque pas, mais ce qui lui manque, c'est le fini de l'art. V. Hugo, en suivant l'impulsion de sa colère légitime, n'a pas toujours eu le succès de la régler. “Und Vapereaus” Dictionnaire Universel des Contemporains’ (La Hachette 1880, S. 963) nennt ‘L'année terrible’ ‘éloquent résumé des récents désastres de la France’. - Ueber Banvilles ‘Idylles Prussiennes’ urtheilt W. König (‘Rede zur Sedanfeier’ 1876, S. 233): ‘Banville nennt seine Idyllen Gelegenheitsgedichte und nicht mit Unrecht. Der steigende Erfolg, mit dem sie veröffentlicht wurden, ist der beste Grad- | |
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messer dafür, wie er in Wirklichkeit die innere Seelenstimmung der Pariser wiedergegeben hat. Ja der Schauspieler Saint Germain hat sie sogar aus mehreren Theatern in Charaktermasken mit entsprechender Mimik vorgetragen.’ Nach Ed. Engels Urteil (a.a. O., S. 529) hat Banville in seinen Idyllen ‘vaterländische Poesie zu leisten geglaubt, hat aber in Wahrheit den hellen Wahnwitz und den abgeschmacktesten poesielosen Chauvinismus in mässige Verse gebracht. Zu irgend einem grossen Aufschwung der Dichterseele sind eben diese Götzendiener der äusseren Form (“les Parnassiens”) unfähig.’ Von seinem Stil sagt Gidel (a.a. O., S. 289): ‘il résonne comme une corde aiguë frappée sans relâche;’ seine Idyllen aber nennt er ebenda (S. 293) ‘mélange de patriotisme, de colère, d'ironie et d'attendrissement’. Die ‘Poëmes de la Guerre’ von Emile Bergerat haben die Litterarhistoriker unberücksichtigt gelassen. Einige erwähnen nur, dass der Ton seiner Lieder fanatisch und gehässig sei (Schlüter ‘Die franz. Kriegs- und Revanchedichtung.’ Heilbronn 1878, S. 39), und dass das Unglück seines Vaterlandes ihm tief zu Herzen gegangen (Vapereau a.a. O., S. 188). Paul Déroulèdes ‘Chants du soldat’, welche bis zum Jahre 1889 nicht weniger als 131 Auflagen erlebt hatten, haben bei Freund und Feind eine durchaus verschiedene Beurteilung erfahren. Ad. Kressner (a.a. O., S. 362) nennt ihn ‘den bekanntesten Vertreter der sehr reichen Kriegsdichtung. Ueber seinen äusseren Lebensgang erfahren wir, dass er nach beendeten Rechtsstudien sich der Schriftstellerlaufbahn widmete. Im Juli 1870 trat er als Kriegsfreiwilliger ein und wurde bei Sedan verwundet. Seitdem erfüllte ihn unversöhnlicher Hass gegen alle Deutschen. Der stets wachsende Erfolg dieser Kriegslieder stieg dem Dichter derart zu Kopf, dass er von nun ab zu einer politischen Sendung sich berufen glaubte. Ueber die ‘poesilosen Reimereien’ des Hauptes der deutsch-feindlichen Patriotenliga denkt Ed. Engel (a.a. O., S. 531) sehr gering, wenngleich die französische Regierung ihnen durch die Verteilung in Heer und Schule eine ungeheure Verbreitung verschafft hat. Verächtlich erwähnt er, dass Déroulède ‘ganze Bände voll gereimter Phrasen, voll Blutdurst und Revanche wahnwitz gegen die verhassten Preussen zusammengeschmiert habe.’ Anderer Ansicht sind die Franzosen. Im ‘Précis de la Lit’. Franç, par Alfred Bougeault (Paris 1896, S. 347) heisst es: ‘Déroulède hat in seinen Chants du soldat eine glückliche Ader gefunden, welche allerdings im Patriotismus reiner ist, als im Stil.’ | |
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Charles Gidel (a.a. O., S. 363) schlägt die Bedeutung seiner Lieder noch höher an: ‘Soutenus par les circonstances, ses chants ont volé de bouche en bouche; il en restera quelques-uns que la honte de la défaite et le désir de l'effacer rendent plus vifs et plus chers aux coeurs des Français.’ Was ferner den Dichter Auguste Lacaussade betrifft, so hat er nach Vapereau (a.a. O., S. 1052) wiederholt Preise von der Académie française erhalten und ist auch zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden. Ein Mann von solcher Lebensstellung konnte und durfte seinen Verwünschungen und Drohungen in seinem ‘Cri de guerre’ das Wort hinzufügen: ‘Notre vieux sol gaulois avait besoin d'engrais’ (‘Unser alter gallischer Boden bedurfte des Düngers’). Charles Gidel (a.a. O., S. 244) kann ihm seine Anerkennung doch nicht versagen: Ses poèmes nationaux méritent d'être loués parmi tous ceux que le patriotisme a fait naître dans cette ‘Année terrible’. Eine Anzahl von Sammlungen von Schmähgedichten wie: ‘La Horde allemande’ von Desgranges haben selbst die Franzosen in ihren Litteraturgeschichten unerwähnt gelassen; nur Joseph Marie Soulary, den Leiter der Préfecture du Rhône, dessen ‘Diables bleus 1870’ und ‘Pendant l'invasion’ die niedrigsten Schmähungen gegen die deutschen Sieger enthalten, hat die Kritik sehr günstm beurteilt. Der Litterarhistoriker Charles Gidel sucht die Erklärung für Soularys leidenschaftliche Erregung in der Eigenart seiner Person. Er schreibt a.a. O., S. 247: ‘C'est une âme blessée qui vibre au souffle de l'indignation sous l'étreinte de la douleur.’ Von den Dichtern, die einen gemässigteren Ton anschlugen, von einem Coppée, Delpit, Paul Jane und André Theuriet ist in den Litteraturgeschichten nur ganz vorübergehend die Rede. Eingehendere Berücksichtigung findet Victor de Laprade, welchen Ed. Engel (a.a. O., S. 517) eine ‘vornehme Dichternatur’ nennt. Dem Franzosen Gidel (a.a. O., S. 116) erscheint er als ‘Nouveau Tyrtée’. ‘Il exhorte les Bretons contre le Teuton vainqueur, qui rêve d'effacer la France de l'histoire; C'est à vous; paysans, d'achever l'oeuvre sainte;
Debout, les vieux Gaulois!
Lutèce vous attend, l'Europe vous regarde,
O Guerriers de l'Arvor!’
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Wir beschliessen die Reihe dieser Dichter mit Eugène Manuel, dessen ‘Pendant la guerre’ eine akademische Belohnung erhielt. Nach Vapereaus Angabe (a.a. O., S. 1226) hatten diese Gelegenheitsgedichte aus der Zeit und für die Zeit inmitten der allgemeinen Trauer grossen Erfolg, sodass sie bei grossen Festen viel vorgetragen wurden. Charles Gidel (a.a. O., S. 349) st des Lobes voll über ihn. Ihm erscheint er als ‘un sage, d'une âme tranquille et douce, d'un esprit aimable et posé’. Und a.a. O., S. 350 geht er in seiner Anerkennung noch etwas weiter: ‘Les scènes du siège de Paris, nos souffrances, nos privations, nos douleurs ont trouvé chez lui un fidéle historien et un chantre ému.’ - Im Kampfe gegen. Napoleon I., in jenen Jahren tiefer Erniedrigung und opferfreudiger Erhebung Deutschlands erwies sich das deutsche Lied als eine gewaltige Waffe und hat zur Belebung heiliger Vaterlandsliebe nicht zum wenigsten beigetragen. Allerdings haben damals die Schöpfungen der Kunstdichtung die patriotische Volkslyrik weit in den Schatten gestellt. Die Losungen, welche ein Arndt ausgegeben: ‘Der Gott der Eisen wachsen liess, der wollte keine Knechte’ - Das ganze Deutschland soll es sein ‘fanden in Tausenden von deutschen Herzen begeisterten Widerhall. Wohl hat er nach seiner eigenen Erklärung das deutsche Volk zur Erkämpfung seiner Freiheit nicht’ im Pfeifenton, sondern mit Hörner- und Trompetenschall und mit der Sturmglocke’ wachgerufen, aber nichts anderes als Soldatenehre, Manneszucht, Gottesfurcht, Eintracht, Demut, Hingebung will er ihm einflössen. Ebenfalls auf höherer Warte, als viele französische des letzten grossen Krieges, halten sich neben den Schenkendorfschen die Körnerschen Lieder, welche doch einer jugendlich stürmischen Begeisterung entquol'en und fast ausnahmslos von Gedanken der Rache beherrscht werden. Nicht weniger gemässigt ist der Ton, welchen die Dichtungen eines Rückert, Uhland, Ludwig von Bayern, Eichendorf, Fouqué, Follen, Stägemann und Friedrich Förster anschlagen. Nirgends tritt aber die Zeitstimmung so frisch und unmittelbar hervor, als in den Liedern des Volkes. Sicherlich hatte das preussische Volk während der jahrelangen schmachvollen Fremdherrschaft weit schwerer gelitten, als die Franzosen zur Zeit des letzten Krieges, Obwohl allerdings in dem niedergeworfenen Preussen Erbitterurg und ungezügeltes Freiheitsgefühl hell emporloderte, hat doch der tiefernste, religiöse Sinn, welcher die gewaltige Bewegung jener Tage durchdrang, manche hässliche Regung schon im Keime erstickt, welche in Frankreich der tief verletzte, hoch entwickelte Nationalsto'z üppig emporschiessen liess. | |
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Es ist bezeichnend, dass unter den preussischen Wehrmännern damals ausser dem ‘Allgemeinen Ausruf’ ein ziemlich schwermütiges, ein ‘Schwerenotslied’ wie es der alte Blücher nannte ‘Soldatenlied vor der Schlacht’, das beliebteste Lied war, welches wahrscheinlich von Landwehrleuten während des Feldzugs von 1813, selbst gedichtet wurde: ‘Holde Nacht, dein dunkler Schleier decket
Mein Gesicht vielleicht zum letztenmal.
Morgen lieg' ich schon dahingestrecket,
Ausgelöscht aus der Lebend'gen Zahl!’
Selbst nach der Niederlage von Jena und dem Frieden von Tilsit erhebt die volkstümliche Litteratur keinerlei Anklage gegen den König und die preussischen Heerführer. Von Verrat ist in der Dichtung nirgends die Rede. Fürst und Volk, Minister wie Stein und Scharnhorst, Dichter wie Arndt u.a. erhofften zur Zeit des grössten Unglücks und der tiefsten Erniedrigung des Vaterlandes seine Wiedergeburt einzig und allein von der Herbeiführung einer staatlichen, religiösen und nationalen Erneuerung. Im Gegensatz zur Tendenz des französischen Kriegslyrik handlen die au dem glühenden Amboss der Zeit geschmiedeten Lieder, so ‘Lieder des Vaterlandes und der Geselligkeit’ (Berlin, Nikolai, 1814), ‘Lieder beim Ausmarsch der Freiwilligen aus Berlin’ (Febr. 1813), ‘Kriegslieder für die Königl. Preuss. Truppen’ (Beim Ausmarsch d. 23. März 1813), ‘Kriegsgesänge aus den Jahren 1806-1813’ von Stägemann und ‘Vaterländische Gesänge’ von Kosegarten (Frühling 1813) von der Treue gegen das angestammte Fürstenhaus (Lieder der Geselligkeit, S. 6-13)Ga naar voetnoot1) und ermahnen zum einmütigen Zusammenstehen aller Stämme, zur höchsten Opferfreudigkeit, Pflichterfüllung und Ausdauer. Bei alledem unterlassen sie es nicht, Milde, Schonung und Edelmut gegen den Feind anzuempfehlen (hauptsächlich Kosegartens ‘Vaterländische Gesänge’). Was nun das Verhältnis zwischen der deutschen und französischen Kriegslyrik des Jahres 1870 betrifft, so zeigen beide in Rücksicht auf die geschichtlichen Verhältnisse, aus denen s[i]e hervorgegangen, wie in Rücksicht | |
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auf den Geist, der durch die dichterischen Aeusserungen und Bethätigungen der Eigenart beider Völker hindurchweht, zwar einige Uebereinstimmungen, in der Hauptsache aber doch eine grosse Verschiedenheit. Die Opferfreudigkeit beider Völker war fast ohne Beispiel und ist bei dem einen wie beim anderen ein Ausfluss hingehendster Vaterlandsliebe. Auch den Franzosen muss man hohe Anerkennung zollen, wenn man sich ihre verzweifelten Anstrengungen zur Befreiung des ‘heiligen vaterländischen Bodens’ in die Erinnerung zurückruft oder sich die heldenmütige Standhaftigkeit der Pariser zur Zeit der mehrmonatlichen Belagerung vor Augen führt. Der Hass auf beiden Seiten war wenigstens im Anfange des Krieges von gleicher Stärke. In Deutschland war es mehr Entrüstung über den frevelhaften Angriff Napoleons, der, wie Heinrich von Sybel sagt, ‘die Festigkeit seines Thrones durch volkstümliche Mittel zu stärken suchen musste’. Diese Stimmung kam zum lebendigsten Ausdruck in dem Gedicht von Oskar v. Redwitz: ‘An Napoléon’ (‘[T]rutznachtigall’, Jena 1870, S. 36). Aber auch gegen das französische Volk, welches durch den Jubel, mit dem es die Kriegserklärung aufnahm, sich zum Mitschuldigen am Kriege gemacht hatte, richtete sich die gerechte Erbitterung der Deutsche. Bei den Franzosen steigerte sich der Hass zur höchsten Glut und Leidenschaft, als der Krieg im eignen Lande ihnen die grössten Leiden auferlegte und die bitteren Enttäuschungen und schweren Niederlagen ihren Nationalstolz aufs tiefste verletzten. | |
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Vergessen waren bei beiden Völkern, wenn auch nur auf einige Zeit, die Streitigkeiten der Parteien; in Frankreich machte sich die Parteileidenschaft seit dem Sturze Napoleons auch in dichterischer Form in um so leidenschaftlicheren Ergüssen und Ausbrüchen geltend. Wie grundverschieden dagegen ist der Geist, den die Lieder beider Völker atmen! Den deutschen Liedern verleihen zwei Grundzüge ihr besonderes Gepräge, eine sittlich ernste und fromme Gesinnung und eine aufrichtige hingebende [l]iebe zu den angestammten [f]ürsten. Das deutsche Volk, welches den Krieg als einen heiligen Krieg betrachtete, in welchem es sich um die höchsten Güter, um Vaterland, Freih it, Recht und nationale Selbständigkeit handelte, wendete vor der Eröffnung der Feindseligkeiten demutvoll seine Blicke auf zum obersten Lenker der Schlachten. In wohlverstandener Würdigung dieser tief religiösen Empfindung ordneten die Fürsten Deutschlands in ihren Ländern einen allgemeinen Bettag an. Diese Anordnung preist Heinrich Viehof mit den Worten: ‘O des hehren heil'gen Tages! Eh'
Des Krieges Wetter toben,
Richtet demutvoll die Blicke heut'
Ein ganzes Volk nach oben.’
Aehnlich singt Otto Roquette: ‘Wohlauf, ihr deutschen Streiter,
Mitt Gott zu Felde geht,
Ihr habt zum Kampfbegleiter
Des ganzen Volks Gebet.’
Ebenso allgemeinen Lobpreis der deutschen Dichter fand ein pietätvoller Akt König Wilhelms, der am Todestage seiner heissgeliebten Mutter, der unvergesslichen Königin Luise am 19. Juli 1870 im Mausoleum im Schlossgarten von Charlottenburg an den Sarkorhagen der Eltern betend verweilte und am nämlichen Tage die Wiederaufrichtung des alten Ordenszeichens von 1813, des ei ernen Kreuzes, verfügte Zu den ergreifendsten dieser Gedichte gehört das von Hesekiel (‘Kriegspoesie’, Mannheim, Schneider 1873 I., S. 80). Die französische Kriegserklärung hatte aber für Deutschland von Anfang an einen unschätzbaren Erfolg, sie führte die längst schon ersehnte sofortige Einigung der deutschen Stämme in Nord und Süd herbei. Zum Preis der ‘treuen deutschen Waffenbrüderschaft’ erschallt deshalb | |
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manches begeisterte Lied, so von Rud. Löwenstein (‘Der Deutschen Heldenkämpf von 1870’, S. 440), Otto Roquette (‘Kriegspoesie’, 1873, Bd. I.S. 505) u.a. Manche Erinnerung aus Geschichte und Sage und aus der Zeit unheilvoller Zwietracht lebt da wieder auf. Ernst gemahnen die Dichter an die Zeit des Tilsiter Friedens und an das mutvolle Auftreten der schwergeprüften Königin Luise. Von den tief empfundenen Liedern dieser Art führen wir nur eine Stelle aus dem am 19. Juli 1870, an ihrem 60. Todestage, im Berliner Fremdenblatt abgedruckten Gedicht von Robert Weisse an (‘Luise’, Kriegs- und Volkslieder von E. Wachsmann, Berlin, 1870, S. 284 ff.): ‘Hehres Traumbild, schwebst du nieder
Aus der Nacht der Geisterwelt?
Deine Klagen klangen wieder,
Und der Würfel elsern fällt.
Zürnend wallten deine Locken,
Und es stürzt die Scheidewand,
Und beim Schall der Sturmesglocken
Hebt sich mahnend deine Hand!
Unser Schutzgeist soll: “Luise”
Die Parole: “Wilhelm” sein!’
Lieder wie Blankarts ‘Unsere Vorkämpfer’ (Kriegpoesie I, S. 607), ‘Herrmanns Wiederkunft’ (Kriegspoesie I, S. 608), ‘Geisterstimmen’ (S. 613), ‘Feldmarschall Vorwärts lebt (S. 620), Scharnhorst’ (S. 626), ‘Am Grabe Waldecks’ (S. 631), Karl Geroks ‘Die Geister der Helden’ (‘Der deutsch franz. Krieg in Liedern’, Enslin, Berlin 1871, S. 58), Geskys ‘An Theodor Körners Grabe’ (‘Trutznachtigall’, Jena 1870, S. 56), Massmanns ‘E.M. Arndt und L. Jahn’ (‘Trutznachtigall’, S. 57), ‘Friedrichs Geist’ (Kriegspoesie, Mannheim 1873, II, S. 277), ‘Blüchers Geist und das deutsche Heer’ (‘Hist. Volkslieder des Jahres 1870/1871’ von Ditfurth, Berlin, 1871, S. 28), Gottschalls ‘Lied von Waterloo’ (‘Friedens- und Kriegsgedichte’, Leipzig, S. 179), die Lützower (‘Sonnette eines Feldsoldaten’, Friedr. Gessler Stuttgart, Bonz, 1876, S. 31) und viele andere sind frische Immortellenkränze, welche die Kriegsdichtung des Jahres 1870 auf den Gräbern der Helden und Sänger der Vorzeit niedergelegt hat. Eine günstige Beeinflussung der Kampfeslust erwartet die deutsche Kriegsdichtung von der häufigen Erinnerung an die Zeit der politischen Zerrissenheit und tiefsten Erniedrigung Deutschlands, die französischen Lieder | |
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dagegen greifen mit Vorliebe auf Herrscher wie Ludwig XIV, und Napoléon I. und auf die Siege zurück, welche sie unter ihnen über die Deutschen davongetragen. Zu Ehren des ‘greisen Heldenkönigs’ (Max Remy), des ‘greisen Siegeshelden’ (Hoffmann von Fallersleben), der ‘feurig wie ein Jüngling selber den Stahl schwingt’, (A. Evers und Hesekiel) rauschte eine Flut von Liedern durch das deutsche Land und gab den heissen Segenswünschen Ausdruck, mit welchen sein Volk ihn auf den Kriegsschauplatz begleitete. Man preist nicht weniger seine Charakterstärke und Ausdauer, wie sein pietätvolles Herz, sein Gottvertrauen und seine grosse Demut. Dem König wie dem Kronprinzen widmet Oskar von Redwitz im ‘Lied vom neuen deutschen Reiche’ Worte höchster Verehrung (Enslin, ‘Der deutsch franz. Krieg in Liedern’, Berlin 1871, S. 155 ff): ‘Und so beseelt das ganze Volk in Waffen
Nur eine Pflicht allzeit und allerwegen,
Weil an sich selbst auf seinem Fürstenstuhle
Der König übt der Pflichten strengste Schule,
Welch' schlicht Geheimnis, doch wie gross sein Segen!’
Die wichtigsten Momente aus dem Leben des Königs während der Kriegszeit sind mit einem Kranze der köstlichsten Blüten der deutschen Volkspoesie geziert. Wie tief zu Herzen gehend klingt die schlichte Schilderung der Ehrung, welche dem König nach seiner Rückkehr aus Bad Ems am Abend des 15. Juli 1870 von der begeisterten Menge bereitet wurde, die das Palais unaufhörlich umwogte! (Ditfurth, a.a. O., II., S. 7, ‘Des Königs Rückkehr’). Hier nur die Schlusstrophe: ‘Und vor dem Königshause
Stumm liegt die dunkle Nacht, -
Ein Fenster ist erleuchtet,
Der treue König wacht.’
Für seine treue Pflichterfüllung auch auf den Schlachtfeldern Frankreichs ertönt aus dem Volks- und Soldatenliedern frisch und lebendig das begeisterte Lob des Königs. Mit freudigem Stolze ruft: ‘Ein lustiges Marschierlied’ (Ditfurth, a.a. O., S. 19) den Franzosen zu: ‘Wollt ihr einen König schauen?
Seht euch unsern Wilhelm an!
Auf den kann man schon bauen,
Jeder Zoll ein König und ein Mann!’
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Neben König Wilhelm und dem preussischen Kronprinzen hat das Volkslied keinem Fürsten schönere Kränze gewunden, als dem Kronprinzen Albert von Sachsen (vergl.: Hesekiel, ‘Das Kronprinzenlied’ vom 30. August 1870, Wildenbruchs Heldengedicht ‘Sedan’ das Lied ‘Vom König Albert’ von ô Byrn und das Lied ‘Prinz Alberts Sachsenherz’ vom Oberst von Meerheimb). Gebührendes Lob zollt die Dichtung noch dem Grossherzog von Baden, dem Grossherzog von Mecklemburg, dem König von Bayern und dem Prinzen Friedrich Karl. Von den Ministern und Heerführern preist die Dichtung hauptsächlich das Dreigestirn, auf dem Deutschlands Hoffnung ruhte: Bismarck, Moltke, Roon. Von dem unbedingten Vertrauen, welches nicht nur der Soldat der obersten Leitung und seinen Vorgesetzten überhaupt, sondern auch das Volk der Staatskunst Bismarcks entgagenbrachte, geben nicht nur zahlreiche einzelne Lieder, sondern sog[a]r ganze Gedichtsammlungen Zeugnis. Erwähnt sei nur die Inschrift, welche die Akademie der Künste beim Einzug der Truppen in Berlin, am 16. Juni 1871, dem Fürsten Bismarck widmete: ‘Eisengeschmiedet erwuchs, mit Blut gekittet, die Einheit,
Trotzend den Stürmen der Zeit! Meister, Du löstest dein Wort!’
Mit wohlverdientem Lorbeer bedenkt die Dichtung kleinere oder grössere Truppenteile, wie Werders heldenmütiges Korps, ‘die Wacht im Thal der Vogesen’ und eine stattliche Zahl von einzelnen Helden, vom General bis zum Gemeinen herab. Ja viele Regimenter haben in den Reihen ihrer eignen Regimentskameraden einen Herold und Sänger ihrer Thaten gefunden. Wir greifen beliebig heraus: ‘Die sächsischen Schützen’ (Rich. Freitag, ‘Histor. Volkslieder’, Dresden, 1892, S. 127), ‘Die blauen Teufel’ (d.i. die bayrische Infantrie; Ditfurth, II., S. 145), ‘Das Eisenregiment’ (d.i. das 94.; ‘Kreigspoesie’, Mannheim, 1873, IV., S. 68), ‘Der 87 er Kriegslied’ und ‘Marschlied der 64er’ (Ditfurth, II., S. 26-27). Wohl keine zweite deutsche Sage bot ein so getreues Spiegelbild der innersten Geschichte unseres Volkes, ihres Hoffens und Wünschens, als die deutsche Kaisersage, welche geradezu eine Epoche in unserer Geschichte bezeignet. In trüber Zeit, besonders seit der Auflösung des Reiches 1806 hat sich an der treu bewahrten Hoffnung, dass der im Berg verzaubert schlummernde Kaiser zur rechten Zeit erscheinen und Deutschland zu einem mäch- | |
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tigen Reiche vereinen werde, der vaterländische Sinn immer von neuem wieder aufgerichtet. Schon im Hochsommer des Jahres 1870 fand das stumme Sehnen des deutschen Volkes in einer Reihe von Liedern eine lebenswarme, phantasievolle Ausschmückung. Jede wahrheitsgetreue Entwicklungsgeschichte des deutschen Einheitsgedankens wird dieser und auch der früheren Weckrufe gedenken müssen, welche das nationale Bewusstsein aufrüttelten und vor dem Entschlummern bewahrten. Unbekannt mit dem, was erst als Ergebnis gründlicher Untersuchung über die deutsche Kaisersage vom Georg Voigt (v. Sybels hist. Zeitschrift, Bd. 26 1871, S. 131 ff.) festgestellt wurde, haben die Dichter in ihren Liedern nur die Heldengestalt Barbaros as gepriesen, ohne das Gedächtnis Friedrichs II, wieder aufleben zu lassen, welcher doch ursprünglich der Held der Friedrichssage war. Der Sehnsucht nach der Wiederherstellung des deutschen Kaisertums und der Hoffnung auf eine nationale Wiedergeburt entsprangen nach den Freiheitskriegen Lieder wie Schenkendorfs ‘Der Stuhl Karls des Grossen’ oder: Die Deutschen an ihren Kaiser ‘oder’: Lied vom alten Helden ‘oder: Erneuter Schwur,’ Rückerts: ‘Der Stuhl zu Aachen “oder:” Barbarossa “und Simrocks:” Das Scepter Karls des Grossen’. Meist noch unmittelbar vor der endlichen Erfüllung der langen Sehnsucht im letzten grossen Kriege haben keine geringeren wie Moritz Blankarts, Ernst Curtius, Hoffmann von Fallersieben, G. Freytag, K. Gerok, Rud. Gottschall, Ludw. Giesebrecht, Massmann, Müller von der Werra, E. Scherenberg, E. Wachsmann, Viehof und viele andere den vollduftenden Strauss der Barbarossasage mit einer grossen Anzahl farbenprächtiger Blumen bereichert (vergl. E. Wachsmann ‘Kaiserlieder’, Berlin, Liebheit und Thiesen 1871, S. 1-64; vergleiche ferner: Dr. Jos. Scherer: ‘Die Kaiseridee des deutschen Volkes in Liedern seiner Dichter’, Arnsberg 1896 und Dr. I. Häussner ‘Die deutsche Kaisersage’, Bruchsal 1882). Unvergleichlich schön hat namentlich Em. Geibel in seinem Lied: ‘Vom deutschen Kaiser’ (Enslin a.a. O., S. 146) das geheimnisvolle Schaffen der Natur in dunkler Frühlingsnacht zu dem heissen Sehnen des deutschen Volkes in Beziehung gesetzt: ‘Durch tiefe Nacht ein Brausen zieht
Und beugt die knospenden Reiser,
Es klingt im Wind ein altes Lied,
Das Lied vom deutschen Kaiser.’
So hat die Hoffnung der Wiedervereinigung der getrennten deutschen Stämme, welche unser Volk zur Zeit der tiefsten Zerrissenheit Deutschlands | |
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nur als ein köstliches Kleinod des deutschen Sagenschatzes bewahren konnte, mit der Verherrlichung des am 18. Januar 1871 im Spiegelsaale zu Versailles neu errichteten Kaiserreichs ihre endliche Erfüllung gefunden. Zwickau Prof. Dr Fritsche. |
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