Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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verständlich und voll von Schnörkeln, die um Schelmengesichter und Fratzen gebogen sind; und doch gehören diese bizarren Büchlein, die unvermerkt harmlose Spielereien im Symbole des Lebens wandeln - der Weltliteratur an, als treue Offenbarungen des deutschen Geistes, der ja von je seine besten Gedanken mystisch und phantastisch umkleidete, und der, je ernster ihm das Rätsel des Daseins erschien, sich nur desto lieber und länger am Rande seines dunkeln Gewässers aufhielt. Sie reden in einfach gebauten Sätzen gelegentlich auch mit derben Worten, als wären sie Kindern erzählt, die ab und zu eine urkräftige Wendung aus ihrem eigenen Sprachgebrauch vernehmen wollen, um an die Richtigkeit der Erzählung zu glauben. Wenn der Dichter sonst die Albernheiten des Alltags verlachte, behandelt er jetzt fast traurig, priesterlich und eher klagend als scherzend den tollen Widerspruch alles Seins. Die alte Frage nach dem ‘Warum’ der Dinge leitet mit allgemeinen Betracl tungen, den ‘Schmetterling’ ein und breitet schon über den Anfang eine leidenschaftslose, ergebene Stimmung. Das Buch ist, sagt der Erzähler, aus dem Nachlass eines Sonderlings zusammengetragen: von seinen Verwandten weg, zog der Peter ausseiner Heimat Geckelbeck einst in die Welt, einem schönen Falter nach der ihn vom Pfad verlockte, bis er den Weg nicht zurückfand. So schlägt die Thür hinter der Jugend und dem Glück eines Jeden zu; die schlichte Fabel wirft einen weiten Schein und der ‘Schmetterling’ wird Eins mit den unsichern ‘gleissenden’ Hoffnungen, wie sie uns alle weiter und weiter treiben. Denn immer wenn die Besinnung dem Peter kommen und ihn die Sehnsucht nach ‘dem stillen Gehöft, dem Vater, dem hübschen Kathrinchen und dem biedern Gottlieb’ ergreifen will, so fliegt auch der Falter auf und lockt zu neuen Fremden und Fernen. Das Testament eines Lebens ist hier ausgebreitet in einer seltsamen Schrift, deren klare Grundzüge von hieroglyphischen Zierrathen und unnötigen Haken entstellt sind; ja, in den Fingern der Hand, die über das Papier glitt, zitterte viel Leid und manche herbe Erfahrung noch schmerzhaft nach. Ein hübsches Hexchen mit weissen Zähnen und mit Goldmünzen im Haar huscht über Peters Weg. Die Circe kommt öfter und öfter, den Gesellen enger umkreisend, bis sie ihn gepackt und in einen Hund verwandelt hat. Sie entlässt ihn später nach der Entzauberung mit einem Hexenschuss. Reichtum und Liebe, die bis zur Verblendung die Menschen unterjochen, sind für den Gesellen nun vorbei. Auch die Wanderlust ist vergangen; und des zum Zeichen wird ihm noch von einem Arzt der eine Fuss, der am Höllenbrand erkrankt sein soll, abgesägt. Peter ist alt und grau über seinen Erfahrungen geworden: Er, der am Frühlingsmorgen gesund auf seinen zwei Beinen auszog, kommt eines Spätherbstes am Abend gebrochen und auf Krücken mühselig wieder heim. | |
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Statt des Frackes mit den beiden wehenden Schniepeln trägt er an reinem Leibe zusammengebettelte Lumpen. Er will das Glück nicht stören, das sich während seiner Abwesenheit die Verwandten zu Hause aufbauten, und das er vom Fenster aus belauscht: ‘Im Sorgenstuhl sass der Gottl[i]eb und hatte zwischen seinen Knieën einen Knaben von drei, vier Jahren, dem er eine Peitsche zurecht machte. Neben dem Kachelofen stand eine Wiege. Neben der Wiege sass die Kathrin und nährte einen runden Säugling. Der Vater fehlte.’ Er nennt sich mit Galgenhumor Fritz Frö[h]lich und lebt unerkannt bei den Seinen, für die er als Schneider arbeitet, im Frieden dahin. Das Märchen klingt dumpf aus; der farbige Schleier, den einst die Jugend in ihren Träumen über das graue Gerüst dieser Welt warf, ist gelüftet; alle Ansprüche sind dem Peter mit Gründlichkeit ausgetrieben, dass einem die müdeste, wùnschlose Ergebung fast in der Seele weh thut. ‘Und so leb' ich denn allhier als ein stilles, geduldetes Hausthier. Schmetterlinge beachte ich nicht mehr. - Oben im alten Giebelstübchen habe ich mir eine gemüthliche Werkstatt eingerichtet. Wie der Meyer Helmbrecht des Gartenäre wandert, ist Peter als Krüppel in sein Dorf zurückgekehrt; er kann die Dämonen vorbeiflattern sehen, ohne ihnen folgen zu wollen. ‘Neulich in der Walpurgisnacht, als ich sass und schrieb an dieser Geschichte, spähte Lucinde durchs Fenster herein. Sie lachte wie närrisch; war noch gerade so hübsch, wie ehedem. Gelassen sah ich sie an, flötete, nahm eine Prise und machte haptschih!! ‘Uns aber beschleicht dabei jene leise Trauer, die man allemal fühlt wenn ein Mensch, der verwegen, von wo er einst von dannen ging, elendiglich, wer will sagen, ob mit oder ohne Schuld - heimgekehrt ist.’ Per ‘Schmetterling’ hat gewiss auch eine Bedeutung für seinen Verfasser nur mögen solche, die sich für berufen halten, überall Dichtung und Wahrheit zu entwirren, tact- und geschmackvoll mehr auf die Führung des Buches im Ganzen als auf die Einzelheiten Acht geben. Dem Werke ist sichtbar der Stempel des Alters und der Reife aufgedrückt. Die Lehre, das ‘docet’ eines Lebens, ist hier in eine Fabula umgekleidet worden. Es mag der Zeichner in Busch, sein, der viele Menschen und Gegenstände an immer wechselnden Orten sehen musste, und der deshalb von seinem Mitarbeiter, dem Dichter, gerade solche Helden verlangte, die eigentlich fortwährend unterwegs sind. Max und Moritz rumoren in Haus und Hof herum, Knopp macht eine wahre Liebes-Odyssee durch; Bählamm geht von der Stadt über Land, die fromme Helene spürt ebenfalls den Drang in 's Freie, Fipps, der Afte, treibt sich in verschiedene Häusern herum, der heilige Antonius legt ziemlich umsonst eine Orientreise zurück, und die Bienen schwärmen natürlichaus ihrem Imker fort. Alle diesen Abenteuer sind motivisch der Jagd nach dem | |
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‘Schmetterling’ verwandt. Aber das Buch ist doch mehr als eine Simpliciade. Jene Rührung, die man über den Don Quichotte empfindet, der den eigenen lächerlichen Aufputz und die Schäbigkeit seiner Mähre übersieht, stellt sich unverweigerlich ebenfalls bei diesem Peter ein. In bäurisch grellem Sonntagsstaat zieht er aus, und sein Rüstzeug für die Fahrt ist ein armseliges Netz, das so recht auf die unzulänglichen Mittel deutet, mit denen wir Menschen für unsere Ziele von der Natur ausgestattet sind. Auch Peter hat, wie alle andern Helden von W. Busch, auf seiner Fahrt, das, was er wollte, verfehlt und den Schmetterling nicht gefangen. Menschliche Absichten sind wieder einmal durchkreuzt. Denn das ist ja das Leitmotiv auch in den komischen Schriften unseres Künstlers: wie oft gehen gute Leute bei ihm zu Bett, um der Ruhe zu pflegen; aber sie bleiben nie lange zwischen warmen Decken liegen; das Bett, das die Hauptstation für die Nacht sein sollte, wird zur Zwischenstation; Maikäfer kommen, ein Feuer bricht aus, oder es wird gar die schützende Hülle von dem Schläfer wie bei Onkel Nolte fortgezogen. Die Bilder, mit denen Busch sonst seine lustigen Sachen schmückte, sind im ‘Schmetterling’ zu 20 melancholischen Vignetten für die nicht ganz 100 kleine Seiten lange Erzählung eingeschrampft; spärlich andeutend, unergiebig und auf dunkel gehaltenem Hintergrund. Die Druckzeilen die überall vorwiegen, haben die Zeichnungen förmlich auf die Ecke gedrängt. Man kann sich auch nicht mehr recht satt an ihnen sehen; denn der unruhige, kritzelige Zug der Feder lässt keine Behaglichkelt aufkommen. Und doch beweist die Erzählung zur Genüge, wie eng eigentlich der karikirende Zeichner mit dem Dichter verwachsen ist. Denn gewisse Situationen, wenn z.B. Peter den Schmetterling fangen will und sich dabei schmerzhaft auf die Fusspitze schlägrt, wirken ohne das entsprechende Bild eigentlich unvollständig. Oder Wendungen klingen albern, wenn sie blos erzählt sind: ‘der alte Schlumann brach einen Zweig ab und klopfte mich aus, wie ein Sofakissen, wo die Motten drinnen sitzen.’ Wie matt für das Ohr, wenn dem Auge eine drollige Skizze im alten Stile des Wilhelm Busch fehlt, der mit wenigen genialen Strichen in einer Zeichnung Mensch und Kissen wirklich auch in eins hätte verschmolzen Der Leser muss sich bei solchen drastischen Momenten nun selber helfen und seiner eigenen an Plisch und Plum und am heiligen Antonius ausgebildeten Phantasie vertrauen. Manches ist für das Büchlein freilich aus alten Jahrgängen befohlen, wie Busch überhaupt sich gerne wiederholt und gelegentlich wohl einmal von der Erfindung verlassen wird. Der Streit zweier Enten um eine Speckschwarte und der Einspruch der aufgeregten Hähne erinnert an die heitersten Zeiten der Münchener Bilderbogen. Und wenn Peter, auf der Flucht vor einem | |
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Köter, einen phantastischen Vierfüssler markirt; ‘Ich aber nahm die Frakschösse unter den Arm, steckte mein Schmetterlingsnetz nach hinten zwischen den Beinen durch, wedelte damit und ging so in gebückter Stellung weiter, eine Erscheinung, die dem Köter neu und unheimlich vorkam, dass er mit eingeklemmtem Schweife sofort wieder umkehrte’ so denkt man unwillkürlich an das Bild von Schmülchen Schiefelbeiner, der sich durch ein ganz ähnliches listiges Manöver auf Armen und Beinen vor den beiden bissigen Hunden, vor Plisch und Plum zurückzicht. ‘Soll ihm das nochmal passiren?
Nein Vernùnft soll triumphiren.
Schnupp, er hat den Hut im Munde,
Staunend sehen es die Hunde
Wie er so als Quadruped
Rückwärts nach der Thüre geht.’
Auch hier wird, wie sonst in der frommen Helene und im Fipps, die menschliche Nase gelegentlich zu einer ‘schmerzensreichen Spirale’ gewunden, und Bählamms unglückliche, ländliche Liebesabenteuer erleben bei Peter eine Nueauflage. Und wie an dem sinnenden Alter die Mährchen der Kindheit wieder vorüberziehen, so erzählt der Verfasser im Schmetterling von einem goldmachenden Esel, freilich in energischem Ton, und anders, als man ihm davon in seiner Knabenzeit vorgetragen hatte. Ausgezeichnet sind aber die Personen beobachtet, denen Peter auf der Fahrt begegnet; Bürger in plattem Negligé vom Schlag der Freunde Knoop's, oder Bauern, die, in eintöniger Beschäftigung erstarrt, machinenmässig dieselben Bewegungen unheimlich oft wiederholen. Die Poesie ist gleichmässig über das ganze Buch ausgebreitet, so dass sie sich kaum an einzelnen Stellen noch besonders angesetzt hat. Der singende Treil der Insectenwelt ist von dem thierfreundlichen Dichter überaus zierlich eingeführt; und verstohlen klingen einmal sommernachttraumhafte Freuden an, wie am Schlüsse der unvergleichlichen Idylle von den ‘Bienen’. Buschens sprachbildende Kraft zeigt sich wieder in zahlreichen neuen Ausrufen und in den feinen Verlautlichungen, die das leise Geräusch eines auffliegenden Vogels so gut wie ein herzhaftes Geniese darzustellen wissen. Wenn der ‘Schmetterling’ persönliche Bekenntnisse enthielt, so ist ‘Eduards Traum’, der drel Jahre früher schon 1891 erschien, eine gesellschaftliche Satire. Kein noch so kleines Bild schmückt den Text, aber der Inhalt der Erzählung ist weiter gefasst als im Schmetterling; dort schwingt Busch seine Gerte über sich selber, hier dagegen über der ganzen Welt. | |
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Scheinbar zerfahren und sprunghaft - wie die Phantasie im Schlafe zu schwärmen liebt - schreitet die Dichtung vorwärts, die aber, in ihrer innern Architectonik sicher gebaut, sinnreich vom Kleineren zum Grösseren führt. Folgen wir dem Erzähler Eduards, der eines Abends um halb zwölf sein Licht ausgeblasen und bald nach dem Einschlafen sein liebes Ich verlassen hat, um als ein ‘denkender Punkt’ durch die Welt zu schwirren auf seiner bunten Fahrt. Zuerst geräth der Träumer in seltsame, mathematisch geformte Bezirke, die seiner neuen Gestalt als Punkt wohl am meisten zusagen: in das Gebiet der Zahlen, Linien und Figuren, die vom Dichter in menschliche Verhältnisse übertragen sind. Die trockene Mathematik schwillt von Leben, wenn sich die arithmetische Stadt vor uns aufthut: ‘Es fanden sich dort hübsche Landgärtchen und Obstbäume voll goldener Prozentchen und auf und nieder an papierenen Leitern stiegen die Dividenden und einige fielen herunter, und dann rieben sie die Verlustseite und inkten traurig nach Hause. Kummer und Elend gab's auch sonst noch genug. An allen Straassenecken hockten die gebrochenen Zahlen: arme geschwollene Nenner, die ihre kleinen sc mächtigen Zählerchen auf dem Buckel trugen und mich flehentlic ansahen. ‘Mag sich der Dichter lächelnd in dieser wunderbaren Welt umsehen, er lässt doch die Klagen der Einwohner nicht unbeachtet, die über eine gewisse vordringliche liche Null schalten, die schon manchem redlichen Kerl im Wege gestanden; und wenn einer befördert wurde, der's nicht verdiente, dann steckte gewiss die alte intriguante Null dahinter.’ Er kommt weiter in die seltsamsten Gegenden, in das Reich der ‘aparten Körpertheile’, wo die Köpfe, die Füsse und die Hände, jede als eine Gruppe für sich leben. Der Traum wird endlich deutlicher gestaltet und nach und nach unter die Menschen selber, verpflanzt. Auf dem Lande bei den Bauern und in der Stadt auf dem Theater, in der Wissenschaft, Politik und in der Litteratur fängt der Satiriker die Versuche auf, die immer wieder die Menschen anstellen, um ihre schwarze Selbstsucht und natürliche Gemeinheit in rosenrothe Güte und gott efälliges We en umzuwandeln. Aber das Bewusstsein, dass sich am Leben, so wie es ist, nun einmal nicht viel mehr ändern lässt, hemmt in ihm jede eifernde, kanzelhefte Re ung; und statt prustend gegen den Strom zu arbeiten, lehnt er am Ufer und stellt mit Seelenruhe die falsche Richtung fest in der die schmutzigen Wasser fliessen. Eduard kommt im Traume auch in eine grosse Stadt; nach seinen Berichten über Kunst und Leben mag vielleicht Berlin von 1890 gemeint sein. ‘Vorwenigen Tagen warder grösste Mann seines Volkes vom Bock gestiegen und hatte die Zügel der Welt aus den Händen gelegt. Nun, hätte man meinen sollen, gäb's | |
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ein Gerassel und Kopfüber Kopfdarunter. Doch nicht! Jeder schimpfte und schacherte und scharwenzelte so weiter und spielte Seat und Klavier oder sein Loos bei Kohn und leerte seln Schüppchen genau so wie vorher.’ Zur unterhaltenden Abwechslung schiebt Eduard dann eine Reise in den Weltraum ein und klettert behend, wie ein Affe an seiner Stange, unter den Sternbildern herum. Busch schreitet nun freilich weder mit Milton's Engeln auf den Pfaden des Lichts noch schildert mit Schiller die Pracht der Sternenbühne; er lässt jede Uebertreibung bei Seite: ‘Als - Eduard die äusserste Kruste der Welt durchstossen und den leeren unermesslichen Raum erreicht hat, erscheint ihm die grosse Weltkugel mit ihren Gestirnen menschlich fassbarer und deutlicher blos als ein nicht unbedeutender Knödel, durchspickt mit Semmelbrocken.’ In sehrlustiger Weise begibt er sich wieder heim unter den Sterneu fühlt er etwas Rauhes; ‘Es war der Schwanz des kleinen Bären. Sofort orientirte ich mich, rutschte ein gutes Stück weiter an der Himmelaxe hinunter und sprang dann, sobald unser kleines Erdel in Sicht kam, nach seitwärts in der Richtung der gemässigten Zone hinab. Auf die Erde zurückgekehrt, sucht er einige in der Zwischenzeit verwirklichte Utopien auf, wo jedes Ding maschinenmässig hergestellt wird und wo sich die Menschen alles, Liebe, Lachen und Hass, abgewöhnt haben, um ganz unbehelligt einer neben dem andern zu leben. Das Büchlein schliesst mit einer symbolischen Szene. Der Dichter kommt in ein schönes Thal, wo eine breite Strasse in einen Tunnel mündet und das Haus ‘Zum lustigen Hinterfuss’ steht, vor dem eine Menge Volkes trinkt und tanzt. Ein jovialer Wirth schaltet dort mit seiner uralten Grossmutter und mit seinen 7 Töchtern, die scherzweise von den Gästen die 7 Todsünden genannt werden. ‘Es mochte so um Mitternacht sein, als ein eigenthümlicher Hotelomnibus am Hinterthor vorfuhr. Er war schwarz angestrichen und hatte silberne Beschläge. Er war nicht zum Sitzen eingerichtet, sondern zum Liegen. Er wurde nicht hinten aufgemacht, sondern oben. Er holte keine Gäste hier, sondern brachte nur welche weg. Einige derselben, die abgefallen waren, wurden von den Hausknechten herbeigetragen und hineingelegt. Der Kutscher mit schwarzem Hut und schwarzem Mantel sah recht vergnügt aus, obgleich er sehr blass und mager war, wie ein Hungerapostel. Er rief seinen gleichfalls magern Rappen ein hohlklingendes Hüh! zu und langsam bewegte sich das Fuhrwerk in den Tunnel hinein. Inzwischen nahm das Tanzvergnügen seinen ungestörten Fortgang.’ Das Thal aber ist von einem Gebirge eingeschlossen; stille und milde Pilger wandern auf mühevollen Pfaden über die Felsen und tragen, jeder auf dem Rüc- | |
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ken, ein schweres Päckchen; der Tränmer folgt ihnen, er kommt an die krystallene Mauer. Eine Stadt, ganz aus Edelstein gebaut und von wunderbarem Lichte, schöner als Sonnenschein durchglüht, erhebt sich vor ihm, er möchte in die Seligkeit einziehen, als man ihm bedeutet: ‘Armer Fremdling, Du hast kein Herz’; da fällt er erschöpft vordem Thoren der Stadt zu Boden. Damit läuft die Dichtung aus in eine Predigt über den Bibelspruch, von den Menschen, die ohne Liebe dem klingenden Erze und der tönenden Schelle, gleich sind. Denn nur, wer sich sein ‘Herz’ erhalten hat, auf dass es ja diesem Dichter, dem Kritiker des Herzens, besonders ankommen muss, kann in jene Stätte eingehen, die weder über den Wolken, noch nach dem Tode, sondern schon hier unten mitten ihm Leben errichtet werden soll. Das ist die Botschaft, die aus diesem wirren Traume in 's Leben hinüberklingt; schön wie nur je der Uebergang von den dunklen phantastischen Formen der Nacht zum frischen Tag, wenn das Frühlicht bei dem Klange der Morgenglocken durch die Scheiben bricht. Nur scheut sich Busch zum andernmale vor aller aufdringlichen Poesie; er weckt den Schläfer durch die Worte der Hausfrau, die mit dem Söhnlein auf dem Arm an das Lager ihres Mannes tritt: ‘Eduard, steh auf, der Kaffee ist fertig.’ So mag man sich nach, und nach mit diesen seltsamen Büchern vertraut machen, ohne allzu sehr nachzudeuten und jeden kleinsten Einfall auf seine Unterlagen zu prüfen. Denn im Einzelnen läuft Manches mit unter, was sich dem nachleuchtenden Verstande nicht erhellt, aber über solchen Schatten und Undeutlichkeiten soll man den grossen leuchtenden Sinn des Ganzen nicht übersehen. Aus den beiden Märchen, wo die Wirklichkeit sich barock mit Traum und Zauber verbunden hat, sieht uns schliesslich doch der alte Freund an; er ist zwar nicht so unbefangen und lustig, wie damals, als er den Maler Klecksel schuf und geht vorübergeneigt, wort- und zeichensche seinen Weg. Das Haupt ist ihm schwer geworden von den Jahren und von den Gedanken, und in der Sprache des Symbols lässt sich nicht leic[h]t hin plaudern. Mit seinen poetischen Bilderbüchern hatte Busch die grosse Masse so mühelos gewonnen, wie sie ihrerseits mühelos auf seine Spässe in Wort und Zeichnung konnte. Hier in der Prosa dagegen wendet er sich an einen engern Kreis, an seine Nächsten, die danl bar für die frohen Stunden, die er ihnen sonst bereitete, sich nun auch willig und ernst aus den Räthseln des ‘Schmetterlings’ und ‘Traumes’ ein tiefes Gleichniss unseres Lebens deuten lassen möchten. Nun ist es auffallend, wie wenig sich im Grunde die Poesie verändert, und wie ein moderner Dichter, ohne es zu wissen, noch mit deuselben Mitteln und Vorstellungen arbeiten kann, die viele Jahren vorher ein andere bereits gehandhabt hatte. Denn der Deutsche berürhrt sich gerade in dieser letzten | |
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Allegorie von ‘Eduards Traume’ mit einem Engländer, mit Philipp Langland, der im 14. Jahrhundert allerlei merkwürdige Gesichte unter dem Titel ‘Piers the Plowman’ schrieb: Auch er sah dabei auf einem Hügel einen Thurm, die Stätte Gottes und der Wahrheit, und gegenüber in einer tiefen Schlucht, eine Zwingburg, die Behausung des Teufels, stehen, während sich zwischen dem Himmel dort und der Hölle hier die Gefilde der Menschen dehnten. Das ist ja dieselbe Scenerie wie im ‘Traum’. Die Fahrten Eduards erinnern aber noch an ein anderes englisches Werk, an die Gulliver'schen Reisen des Swift im 18. Jahrhundert. Auch dort ist die Satire hinter einem grotesken Mährchen versteckt: Gulliver kommt zu den Liliputanern, wo alles, was wir im Leben bildlich zu sagen pflegen, wörtlich oder thätlich ausgeführt wird. Wer nämlich ein Ordensband haben will, muss wirklich ‘kriechen’ und wer um eine Audienz beim Könige nachsucht, muss wirklich vorher Staub ‘lecken’. Dann wird Gulliver zu den Riesen von Brobdignac verschlagen, bei denen sich die körperliche mit der gelstigen Grösse paart, und vor deren weiten Lebensformen unser menschlich erregtes Treiben doppelt klein und lächerlich scheint, und später kommt er in das Land der Projectenmacher, die gar Sonnenstrahlen aus Gurken züchten. Die seltsame Dichtung des Lyrikers und Symbolisten W. Busch lässt sich aber durch den Hinweis auf solche ihr entschieden verwandte Werke aus der englischen Literatur vielleicht noch stützen: und ‘Eduard’ scheint weniger fremdartig, wenn wir ihm plötzlich inmitten einer bekannten und sonst wohl beglaubigten Gesellschaft mit den ‘Piers’ und ‘Gulliver’ zusammen sehen. Berlin. Dr. Kraeger. |
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