Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdWilhelm Busch als Lyriker und Symbolist.
| |
[pagina 50]
| |
Schnurren zu lesen verstand, hatte längst auch in den kurzweiligen Werken von Busch den schwermütigen Zug bemerkt und über den Lippen des Dichters, die von rasch fröhlichen Versen sprudelten, ein paar dunkle und lang same Augen wachen sehen. Aber gewöhnt, Wort und Bild bei ihm stets nebeneinander zu haben, wollte man von einer einseitig ausgeübten Kunst, einer blossen Lyrik oder Erzählung, augenscheinlich nichts Rechtes wissen. Es lässt sich ja auch schwer entscheiden, welcher Künstler bei Wilhelm Busch, der Reimer oder der Zeichner, grösser ist, weil beide sich in den komischen Werken gegenseitig so prächtig ergänzt haben. Und in dieser Verbindung bleibt Busch einzig und unnachahmlich; man kann je für seine Verse und für seine Bilder am Ende wohl nach Vorstufen suchen, aber beides zusammen hat ihm, von dem Genfer Töpfer vielleicht abgesehen, auf komischem Gebiete keiner vorgemacht; der Frankfurter Dr. Hoffmann kommt mit seinem Struwelpeter kaum in Betracht. Als Zeichner hat Busch nicht zu seinem Schaden einst in Belgien die Meister der niederländischen und flämischen Schulen studiert. Die Bilder von Franz Hals, der ein Gesicht keck aus lauter Winkeln und Kanten aufschichtet, halfen sein Auge für das Charakteristische bilden; und viele Menschen auf einem Haufen zusammen zu bringen, wie Busch es in den Prügelszenen liebt, das hatte er im Grossen auf den mit Fleisch förmlich beladenen Bildern des Rubens gesehen. Und schliesslich ist das auch der Stil, den Teniers bei seinen Tänzen und Schlachten auf der holländischen Tenne verwendet. Dem Niederdeutschen Busch kam diese sachliche, jedem Pathos abgeneigte Art mehr entgegen als die formenschwelgende Kunst anderer Völker. Menschen in klassischer Vollendung und Stärke darzustellen, wie sie sich als griechische Götter auf alten Statuen oder als Heilige in den Gemälden des Cinqecento geberden - das erschien ihm eher als Prahlerei und Unwahrheit, weil sein Auge eben von der Natur mehr für die Zeichen menschlicher Nichtvollendung und Schwäche eingestellt war. Auch Hogarth gehört zu seinen Lehrern; und als Dichter hat Busch die Schule des frohen Arnold Kortum im 18. Jahrhundert besucht, dessen Jobsiade er so prachtvoll erläuterte. Die dichterische und zeichnerische Begabung findet sich sonst manchmal bei ein und demselben Manne vereint. Man mag an Michel Angelo erinnern; an Maler, die zugleich Dichter sind, wie Kopisch, Reinick und Fitger, ohne dass doch die beiden Künste bei diesen Leuten in reger Wechselbeziehung ständen; bei Keller, Scheffel und Grosse wird die eine schliesslich von der andern verdrängt: sie fingen als Maler an, um als Poeten zu enden. Heyse hingegen hat erst jüngst die hübschen Charakterköpfe aus seiner Zeichenmappe bekannt gegeben. Bei W. Busch aber steigern Zeichnung und Dichtung gerade durch ihr Zusammengehen auch ihre Wirkung, wenn z. B. zu der pathetischen Beschreibung im Texte plötzlich eine ganz nüchterne Darstellung im Bilde tritt. Der Lehrer von Max und Moritz, Herr Organist Lämpel, verlässt die Kirche: | |
[pagina 51]
| |
Und mit dem Buch und Notenheften
Nach besorgten Amtsgeschäften
Lenkt er freudig seine Schritte
Nach der heimatlichen Hütte.
Die gespreizten Wendungen ‘lenkt er seine Schritte’ statt ‘gehen’ und ‘nach der heimatlichen Hütte’ statt ‘nach Hause’, hat man oft genug in Romanen oder Gedichten gelesen, wo es sich darum handelte, einen Menschen auf vornehme Art seiner Behausung zuzuführen. Man weiss freilich diese einzelnen gehobenen Stellen nicht mehr, aber ihre grosse Zahl hat unserm Gedächtnis eine bestimmte Ahnung von ihrer Existenz gelassen. Vielleicht klingt ein Vers aus Schiller's Glocke an: Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimat-Hütte.
Kurz und gut, Busch bedient sich hier des gewähltesten Ausdruckes, der nun wundervoll gegen den Biereifer absticht, wie in figura der überaus fragwürdige Herr Lämpel mit den zerknitterten grossen Handschuhen und dem Schlüssel an der Seite, wirklich an uns vorbeistreicht. Aehnlich geht neben dem Zahnweh des Balduin Bählmann, dessen Gesicht mit einem riesigen Tuch umwunden auf der Bildfläche erscheint, die schöne Erklärung her: Die Backe schwillt - die Thräne quillt -
Ein Tuch umrahmt das Jammerbild.
Mit dem Worte ‘die Thräne quillt’ pflegen die Dichter bislang nur ihre allerheiligsten Empfindungen zu verkünden. Goethe's Faust ruft beim Klang der Osterglocken und beim Gesang der Engel aus: ‘Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder.’
Da ist das Pathos natürlich am Platze, bei der tiefen und dauernden Erschütterung in Faustens Seele, ebenso in Heine's Walfahrt nach Kevlar, ‘die Thrän' aus dem Heizen quillt.’ - Dagegen bei Busch, für den prosaischen Schmerz um einen gewöhnlichen hohlen Zahn, wirkt die poetische Beschreibung unvergleichlich komisch: Die Backe schwillt - Die Thräne quillt.
Ein Tuch umrahmt das Jammerbild.
Merkwürdig ist auch die verblüffende Knappheit, in der Busch Welt- und Lebensweisheiten zusammenzufassen versteht; was ein grosser Dichter wie Goethe einst in den 8 wundervollen Zeilen seiner orphischen Urworte auseinanderfaltete, das hängt Busch mit einem einzigen Verspaar dem heiligen Antonius um. Man vergleiche einmal selber: Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen.
Die Sonne stand zum Grusse der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen,
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
| |
[pagina 52]
| |
Schwächen, die Selbstüberschätzung, die Eitelkeit und kleinliche Boshaftigkeit des Philisters, immer von neuem an. Aber dieser Simson wird niemals ärgerlich, sondern rächt sich an allem Bösen blos durch sein Lachen. Er lässt sich am Ende auch die Kämpfe nicht entgehen, in die im Leben das Ideal und die Wirklichkeit so leicht geraten; als ‘Junggeselle’ sagt er ein Sprüchlein gegen die Ehe her. Seine sprachlichen und bildlichen Wendungen Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
Und daneben nun die geläufige rasch verständliche Formel für den jungen ‘Toni’ von Padua: So gilt doch dies Gesetz auf Erden:
Wer mal so ist, muss auch so werden.
Wenn andere Dichter mit ihren Versen die Einbildungskraft anregen, so thut Busch gerade so, als gälte es nur, den Verstand zu ergötzen und durch Klarheit zu befriedigen. Er baut mit seinem Reimhandwerkszeug die vollkommensten logischen Gebäude auf. Ohne je etwas grundlos in's Blaue hinein zu behaupten, breitet er lieber umständlich das gesamte Thatsachenmaterial aus, auf das sich dann seine geist- und anspruchsvollen Folgerungen stützen Durch diese Mittel macht sich seine Poesie lehrhaft; und sie, die frei spielen sollte, nimmt sich in solcher Zwangsjacke drollig entstellt aus. Man kann die Verse von W. Busch eigentlich nur mit erhobenem Zeigefinger vortragen. Und wie sparsam geht dieser Dichter mit seiner eigenen werten Person um! Wenn Schiller im Don Carlos verkündet: ‘Den Künstler wird man nicht gewahr, bescheiden verhüllt er sich in ewige Gesetze’, so sucht Busch dieses Incognito allen Ernstes auch zu wahren. Er tritt fast nie als ‘Ich’ in seinen Werken auf, sondern redet stets in der dritten Zahl, als wäre er selber keine Person mehr, sondern nur noch das Schallrohr einer unbestimmten Masse: ‘Man sieht, dass es Spektakel giebt,
Wenn man sich durch einander liebt.
Dadurch rückt er die aufgestellten Behauptungen in eine gewisse Ferne, als wäre einer zu wenig, um all' diesen blühenden Unsinn auszudenken. Seine Verse klingen immer milde: Statt etwas Unangenehmes klipp und klar festzustellen, schleicht Busch um die Thatsache mit allerlei versöhnlichen Worten herum, und gibt im Text bloseinen kleinen Teil von dem, was er im Bilde vorführt. So wird in ‘Plisch und Plum’ die Beinkleidung der beiden Knaben von den Hunden über Nacht völlig zernagt, sodass nur noch kümmerliche Rester vorhanden sind. Der Dichter meint dazu: Kühle weckt die Thätigkeit
Thätigkeit verkürzt die Zeit.
Sehr willkommen sind dazu
| |
[pagina 53]
| |
Hier die Hose, da der Schuh;
Welche, eh' der Tag beginnt,
Auch bereits verändert sind.
Von einem Zerreisen ist also gar keine Rede, nur von einer ‘Veränderung’, aber das Bild sagt mehr als die Worte und zeigt, welche weitgehende Zersetzung unter diesen ‘Veränderungen’ zu verstehen ist. Aber der Wunsch, selbständig als Dichter einmal ohne Zeichnungen vor das Volk zu treten, mag an der ‘Kritik des Herzens’ und der beiden Erzählungen mit schuld sein, die sich so auffallend von allen übrigen Werken von Busch unterscheiden, dass sie gesondert betrachtet werden müssen. Allerlei heimliche Bekenntnisse sind in die ‘Kritik des Herzens’ gelegt. Der Dichter, der bisher meist immer von andern Leuten erzählte, tritt hier persönlich auf, um sich selber zum Besten zu geben; statt seiner traulich altbackenen humoristischen Reime, die allgemach in allen Ecken und Enden unseres täglichen Lebens nisten und dort immer wieder mit Behagen auf. gestöbert werden - trägt er eine vollere Melodie vor. ‘Kritik des Herzens’ war freilich für diese Sammlung ein wunderlicher Titel; vielleicht hat ihn der Weise und der Philosoph in Wilhelm Busch zu verantworten, der den dicken Bänden des alten Kant über die ‘Urteilskraft’ und über die reine und praktische ‘Vernunft’, die noch fehlende Abhandlung über das ‘Herz’ anhängen wollte. Busch hat auf diesem Psalter den Ertrag seiner Freuden und Leiden zusammengedrängt. Der gereifte Mann pflegt scin Leben in zwei Gebiete abzustecken, in das Einst und Jetzt, in blühende Jahre der Hoffnung und in Tage der Ernten, die meistens dürftiger und herbstlicher fallen, als es die Jugend gedacht hatte. Auch an diesen Liedern haftet der Reif, der sich im Oktober auf die Trauben und Früchte setzt: ‘Es wohnen die hohen Gedanken
In einem hohen Haus.
Ich klopfte, doch immer hiess es:
Die Herrschaft fuhr eben aus.
Nun klopf ich ganz bescheiden
Bei kleineren Leuten an.
Ein Stückel Brot, ein Groschen
Ernähren auch ihren Mann.’
Busch hat fleissig das Sieb gebraucht, das sonst gewöhnlich erst die Zeit für die Dichter schwingen muss. Seine ‘Kritik’ füllt nur ein dünnes Bänd chen, aber fast jedes Gedicht, mag es spruchartig, balladenhaft oder rein lyrisch sein, hat Pointe und Stimmung. Es ist freilich nicht alles gleich bedeutend, und wer keine Zeit und Lust hat, um den tiefen Sinn zu fassen, mag manches für ein kindisches Spiel halten. Einzelnes erinnert an die komischen Epen, an die fromme Helene oder die Trilogie der Familie | |
[pagina 54]
| |
Knopp; dorthin passt der flotte ‘Hymnus auf Onkel Kapar's rote Nase’, oder die lehrhafte Anleitung zur Herstellung eines guten Bratens, den Busch kostbar anrichtet. Der Dichter kritisiert und schlägt keinen, der sich ehrlich benimmt; jedoch wo das lendensschwache Alter, das jeder Versuchung durch die Natur selber längst enthoben ist, das Schaffen und Weben der Jugend beschreit, wo sich das Laster tugendhaft verkleidet und wo sich die Menschen gegenseitig beschwindeln - da setzt er rücksichtslos Messer und Sonden an, um ohne Gnade die Krankheiten des Herzens festzustellen: ‘Da lob ich mir die Höflichkeit,
Das zierliche Betrügen,
Du weisst Bescheid, ich weiss Bescheid,
Und allen macht's Vergnügen.’
Er kann es nun einmal nicht leiden, wenn sich unter dem Schein des Guten eine Niederträchtigkeit verbirgt, und greift unsere unliebenswürdigen sind oft von einer erstaunlichen Einfachheit. Die lange Schulung durch die humoristischen Schriften, wo Busch allemal die nächstliegenden Worte aufgriff, kam der Lyrik zu gute. Seine Verse schämen sich des Hausrocks und schlurrenden Pantoffels nicht; sie borgen lieber beim Volk als bei den Klassikern und reden weniger bühnenmässig als schlicht weg, aber ihre ungezwungene lässige Haltung prägt sich um so treuer dem Gedächtniss ein: ‘Nun lauf ich manchen Donnerstag
Hienieden schon herummer,
Wie ich mich drehn und wenden mag,
's ist immer der alte Kummer.
Bald klopft vor Schmerz und bald vor Lust
Das rote Ding in meiner Brust.’
Die Durchschnittsebene dieser Lieder liegt etwas niedrig, ihr Persona bewegt sich nicht immer gerade auf den Höhen der Menschheit: da sind Tanten, die ihre junge Nichte ärgern möchten, Mamsell Schmöle ist um das Seelenheil ihres Dienstmädchens besorgt, da ist der alte Förster Püsterich, der Schnepfen wohl noch fangen, doch gar nicht mehr beissen kann - aber Busch versteht es, diesen simpeln Personen in ihrer Anschaulichkeit zugleich etwas Typisches mit zu geben. Man würde bei Busch manchmal an Heine erinnert, wenn sein Weltschmerz nicht ehrlicher und tiefer wäre; Busch springt weder keck kopfüber in die dunkle Flut, noch schüttelt er nachher die Wassertropfen rücksichtslos wieder ab. Er versteht auch nicht recht zu liebäugeln, was man dem andern Dichter nachsehen muss; und überdies ist er wurzelechter und braucht zum Leben und Schaffen nicht drei Länder: den Orient, Deutschland und Frankreich. In der Form und Verskunst hat er freilich von Heine gelernt und etwas Loreleigeplätscher geht lässig über die Geschichte einer verunglückten Liebe hin: | |
[pagina 55]
| |
‘Die Liebe war nicht geringe;
Sie wurden ordentlich blass.
Sie sagten sich tausend Dinge
Und wussten immer noch was.
Sie mussten sich lange quälen.
Doch schliesslich kam's dazu,
Dass sie sich konnten vermählen,
Jetzt haben die Seelen Ruh.
Bei eines Strumpfes Bereitung
Sitzt sie im Morgenhabit;
Er liest in der Kölnischen Zeitung
Und teilt ihr das Nötige mit.’
Busch wird einmal einen Abschnitt in der Geschichte des Humors bezeichnen, jener Seelenstimmung, die den gleichen Anteil am Lustigen und am Erhabenen nimmt. Er kann durch seine Komik die Fesseln des Alltags, in denen sich nach und nach auch die Besten fangen, lösen und uns in Bild und Wort über die ganze liebe Lächerlichkeit des Daseins sicher hinwegheben. Es ist aber interessant, was unser Humorist selbst über dieses sein eigenstes Gebiet meint: ‘Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Kralle scharf, die Augen gluh,
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt, weil das so ist.
Und weil mich doch der Kater frisst,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor:
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.’
Geradeso wie der Vogel von seinem Peiniger, ist die armseliche menschliche Kreatur von Krankheiten, Leiden und Schmerzen umgeben und mitten im Leben vom bitteren Tod umfangen: Manchem vergeht dabei Stimmung und Stimme, noch ein freundliches Wort zu sagen, das unserm Dichter von selber oder nun erst recht aus der Kehle kommt. Auch hier ist der schwere, ernste Unterton nicht zu verkennėn. Die Fröhlichkeit von Busch entstammt keiner unbefangenen Lust am Dasein, sondern im Gegenteil dem Wunsch, sich über das Gefühl der Unlust hinwegzutäuschen. Nur ein ganz oberflächliches Urteil kann diesen Humor gallig und ungesund schelten. Liegt nicht gerade in solcher Erhebung über das Trübe, das uns umgibt, wiedér ein sittliches und kräftiges Element? Dieser Dichter bringt es fertig, die bittere Erkenntnis von der auch andere erzählen: ‘Wer erfreute sich des Lebens, der in seine | |
[pagina 56]
| |
Tiefen blickt!’ ‘gerade zum Anlass neuer Lebensbetätigung und neuer Fröhlichkeit zu machen. Stark und mannhaft lässt er sich vom Schicksal, so mächtig es auch ist, nicht widerstandslos zerschlagen: er geht ihm mit einem Lied entgegen und hat den Feind, dem er körperlich wohl unterliegt, geistig doch überwunden. Wenn Busch von der Liebe singt, so sucht er sie im Hause und am Familientische auf; er braucht selten einen nach Dichterbrauch mit Laub und Blumen geschmückten Hintergrund. Nur einmal schleicht er in den Garten, denkt an die Zukunft und sagt eine der ergreifendsten Weisen vor sich hin, die ihm nur je gelang: Wenn ich dereinst ganz alt und schwach,
Und 's ist mal ein milder Sommertag,
So hink ich wohl aus den kleinen Haus
Bis unter den Lindenbaum hinaus.
Da setz ich mich denn im Sonnenschein
Einsam und still auf die Bank von Stein,
Denk an vergangene Zeiten zurücke
Und schreibe mit meiner alten Krücke
Und mit der alten zitternden Hand
“Bertha” so vor mir in den Sand.’
Bei diesem Gedichte ruft er zum ersten und letzten Mal in dem Buche eine Zeichnung zu Hülfe. En unterbricht sich und malt zwischen die Zeilen eine Menge Sandkörner hin, in denen breit und unbeholfen die wacklig geschriebenen Buchstaben ‘Bertha’ liegen. Das ist eine eigenartige Liebespoesie, die einer stürmischen und zudringenden Leidenschaft weniger als einem treuen, tiefen Gemüthe entstammt. Dieser Dichter singt weder von froh Besitz, noch von hoffnungsseliger Zukunft, sondern sieht auf sein Glück allemal wie auf etwas Vergangenes zurück. So ist auch in seinen Versen ein früh gestorbenes Mädchen wieder auferstanden, um sich dem stillen grossen Zug jungtoter Liebchen einzureihen, die, namenslos und unbekannt, wie gute Genien durch de Litteraturen schreiten; weisse Schleier wehen um diese anmutigen-kindlichen Gestalten: ‘O Du, die mir die Liebste war
Du schläfst nun schon so manches Jahr...
So manches Jahr, das ich allein,
Du gutes Herz, gedenk ich Dein.
Gedenk ich dein, von Nacht umhüllt
So tritt zu mir dein treues Bild.
Dein treues Bild, was ich auch thu,
Es winkt mir ab, es winkt mir zu.
Und scheint mein Wortdir gar zu kühn
| |
[pagina 57]
| |
Nicht gut mein Thun,
Du hast mir einst so oft verziehen,
Verzeih' auch nun.
Diese Mädchen haben zwar das Leben nicht kennen gelernt, aber sie gaben und weckten die erste Neigung in dem Herzen ihrer Dichter und weihten die Saiten für die noch schüchtern klingenden Versuche ein; - dann starben sie. Doch die gläubige Phantasie derer, die sie so bald zurücklassen mussten, wacht über ihrem Gedächtniss und hütet das zarte, in seinen blonden Reizen unvergessliche Bild. Zu dieser Liebe flüchtet auch unser Dichter in den letzten und besten Versen seiner Herzenskritik, um dort den ernsten satirischen Beruf zu vergessen und in Erinnerungen zu verweilen an ein kurzes Leben, das ihm nahe stand: ‘Nun, da die Frühlingsblumen wieder blühn,
In milder Luft die weissen Wolken ziehn,
Denk ich in Wehmuth deiner Lieb und Güte,
Du süsses Mädchen, das so früh verblühte...’
‘Es war die letzte Nacht und nah das Ende;
Wir küssten dir die zarten weissen Hände;
Du sprachst, lebt wohl, in deiner stillen Weise
Und, “o, die schönen Blumen!” riefst du leise...
Wo bist du nun, du süsses Kind, geblieben?’
Bist du ein Bild im Denken Deiner Lieben?
Hast Du die weissen Schwingen ausgebreitet,
Und zogst hinauf, von Engels Hand geleitet,
Zu jener Gottesstadt im Paradiese.
Wo auf der heilig stillen Blüthenwiese
Fernher in feierlichen Zug die Formen,
Anbetend zu dem Bild des Lammes kommen?
Wo Du auch bleibst im Herzen bleibst Du mein.
Was Gutes in mir lebt, Dein sei's allein.
Es soll Niemand fragen, wer sie eigentlich waren, die geheimnisvollen Thyrza der Byron'schen Elegien, die ‘Tote’ in Conrad Ferd. Meyers schönsten Liedern oder die verhüllten Gestalten, die durch diese Gedichte ihre Spur ziehen. Denn es gibt wohl im Leben eines jeden Menschen stille Plätze: da steht, von Blumen umblüht, ein blasser Stein; aber der Name auf der Tafel ist nicht mehr leserlich, als wäre er leise von Thrämen verwischt. Auch dies Lied trägf keinen Namen. (Schluss folgt.) |
|