| |
| |
| |
| |
Die französische Kriegslyrik des Jahres 1870-71 in ihrem Verhältnis zur gleichzeitigen deutschen.
Fortsetzung.
Zu Anklagen und Verdächtigungen sind die Dichter nur zu sehr geneigt. Der Hauch poetischen Geistes weht uns freilich in Erzeugnissen dieser Art nicht entgegen, weil sie fast ausnahmslos nur vom blindem Hass eingegeben sind.
An farbenreichen ergreifenden Schilderungen der verschiedensten Kämpfe, der grossen Entscheidungsschlachten wie der heldenmütigen Verteidigung von Städten und Festungen, der Ueberfälle durch Franctireurs, nicht minder der hervorragenden Waffenthaten einzelner Mannschaften, Truppenkörper und Heerführer ist in der Französischen Kriegslyrik kein Mangel. Episoden, welche die Demütigung der Unterlegenen, sowie die Leiden des Krieges besonders hervortreten lassen und entweder die Hoffnung aut bessere Zeiten und baldige Rache erwecken oder den verhaltenen Groll gegen die Sieger zum tödlichen, unversöhnlichen Hass entfachen können, haben die Dichter mit Vorliebe gewählt.
Das Toben des Kampfes bei Sedan und die darauftolgende Verwirrung schildert uns Paul Jane in seiner Dichtung: ‘L'Année Sanglante’ (London, Trübner et Co., 1872, S. 23), dem Gegenstück von Viktor Hugos ‘l'Année Terrible’ in einem ergreifenden Bilde. ‘In den Strassen von Sedan fliesst das Blut in Strömen; wie Hagel fallen die Kartätschen nieder und bringen Tod und Verderben. In grösster Zuchtlosigkeit drängt alles nach den Thoren. Ausserhalb herrscht dieselbe Ratlosigkeit wie in der Festung. Ganze Scharen von führerlosen Pferden, welche wild schnaubend bald hierhin, bald dorthin in gestrecktem Galopp sprengen, vermehren die allgemeine Verwirrung. Weder das Kommando der Führer, noch der Ton des Signalhorns kann sich Geltung verschaffen, alles übertönt der die Erde erschütternde Kanonendonner. Da zeigt sich inmitten des dichten Rauchs, der die Wälle der Festung einhüllt, eine weisse Fahne. Die Begeisterung und Siegesfreude der Deutschen kennt keine Grenzen. Siegeslieder erschallen; und der Ruf: ‘Der Kaiser gefangen!’ pflanzt sich von Mund zu Mund mit Windeseile fort. Das Los der stolzen Armee war ein anderes, als man in Paris beim Beginn des Krieges geträumt hatte, gefangen, ‘wie eine Herde Sklaven’, führte man sie nach dem Rhein.
| |
| |
Welch' ein anderes Bild im Lager der Deutschen! Die Feldmusik spielt lustige Weisen. Fröhlicher Gesang und Zuruf begrüsst den König in allen Lagerplätzen seiner Truppen, zu denen er hinsprengt, um so begeisterter, als der Gedanke an baldige Heimkehr die Siegesfreude der Krieger in lauten Jubel verwandelte.
Wir sehen, ein deutsch-freundlicher Geist tritt uns in dieser ganzen Schilderung entgegen. Von der Erklärung der Kommune erwartet der Dichter nichts als Missbrauch der Freiheit und wüste Zügellosigkeit. Seinen Befürchtungen folgte bald ihre blutige Erfüllung. Die sterbende Kommune findet unter den Trümmern der Stadt ihr furchtbares Grab, Paris wird zu einem ‘zweiten Herkulanum’ (a.a. O., S. 60):
‘La frénésie alors excitant sa fureur,
Elle fait son bûcher dans une nuit d'horreur.
Les maisons, les palais, les temples sont en flammes;
Des porteuses de feu, Salamandres et femmes,
Rampent par l'incendie, et clandestinement
Courent de seuil en seuil verser l'embrasement.
Il mugit, il s'avance, et la flamme, où tout croule,
Disperse devant elle et chasse au loin la foule.
Sous des verges d'enfer on dirait dans les flots,
Tout un peuple éperdu roulant vers le chaos.
Le fusil fait son oeuvre ainsi que le pétrole,
Et l'ôtage captif tombe au fond de sa geôle.
D'heure en heure s'accroît l'immensité des maux;
La colère de Dieu semble ouvrir les sept sceaux
D'où les fléaux du monde accourent tous ensemble,
Sur la ville effarée où tout s'effondre ou tremble’.
Aber weder der Kampf des Pariser Volkes gegen das Heer der Versailler Regierung, noch auch ein Durchbruchsversuch waren von Erfolg, weil ‘auf der Höhe der die Stadt beherrschenden Befestigungen, das Gewehr im Arm, der Deutsche Wache hielt’ und dem ‘Vordringen der schlammigen Flut’ sein gebieterisches Halt entgegenrief.
In wirkungsvoller Weise hat die französische Kriegsdichtung die friedliche Stille der herbstlichen Natur in Gegensatz gebracht zu dem wilden Toben und Tosen der Schlacht. Dieses Kunstgriffs bedient sich mit Glück Albert Delpit in seinem Gedicht: ‘La Honte’ (L'invasion, 1870, S. 17) bei Schilderung des Kampfes bei Sedan.
Lebendige Schilderungen von Szenen, wie sie Schlachtfelder nach dem Kampfe in Menge bieten, kleiden die Dichter jener Zeit gern in die Form eines Traumes ein. So wirkt tiefergreifend das Gedicht von Manuel: ‘Vision’ (Pendant la Guerre, Paris, Levy, 1891, S. 63 ff.), in welchem der Verfasser im Traum aus einem einfachen französischen Landhause
| |
| |
eines entlegenen Thales und aus einer ärmlichen Hütte eines deutschen Gebirgsdorfs die Schmerzensrufe zweier Mütter vernimmt:
‘Mon fils, mon fils!
Mein Kind, mein Kind!’
Nicht lange nachher breitet sich vor dem Schläfer ein weites Schlachtfeld aus. Der Donner der Kanonen ist verhallt; nur das Stöhnen der Verwundeten und das Krächzen der auffliegenden Raben unterbricht die unheimliche Stille der Nacht. Vor dem letzten Todesröcheln umschweben einen sterbenden Franzosen und einen mit dem Tode ringenden Deutschen noch einmal die Bilder der Heimat, und während der Brust des einen sich der Ausruf: ‘Maman, maman!’ entringt, lispeln die Lippen des anderen: ‘Mutter, Mutter!’
Ebenso ergreifend schildert Delpit in ‘Après le combat’ (L'invasion, 1870, XVII, S. 93 ff.) einen Gang über das Schlachtfeld am Abend nach dem Kampfe von ‘Frech-Willer’.
Die Beobachtung der Brieftauben gab den Dichtern namentlich während der Belagerung von Paris zu Schilderungen der jeweilig herrschenden Stimmung und ihrer gegenwärtigen grundverschiedenen Bestimmung die beste Gelegenheit.
Das Gedicht von Manuel: ‘Les Pigeons de la République’ (Pendant la Guerre, Lévy, 1891, S. 57 ff.) wurde am 6. November 1870 in einer der dramatischen Matinées zum Besten der Verwundeten im Saal der Comédie Française von der Schauspielerin Frl. Favart, mit dem Gefieder einer Turteltaube angethan, vorgetragen. Besonders beim Vortrag der Strophe:
‘On vient! votre aile palpitante
Bat plus joyeuse au colombier
Béni soit ce frêle papier
Espoir d'une héroïque attente!’
welche der hauptstädtischen Bevölkerung wieder neue Trugbilder vorzauberte, brach ein Sturm allgemeinster Begeisterung los, und die ganze Versammlung sprach diese Worte leise mit, die ja der unmittelbarste Ausdruck ihrer heissesten Wünsche und Hoffnungen waren (Manuel a.a. O., Préface, S. 11).
Ausser Manuel und de Banville (Idylles Prussiennes, Lemerre, 1871, S. 56 ff.) hat noch Victor Hugo der Brieftaube ein Lied gewidmet: ‘Le Pigeon’ (L'année Terrible, Hugues 1872, S. 98 ff.). An Reinheit und Tiefe der Empfindung sucht die folgende Stelle gewiss ihres gleichen:
‘Il songe à sa femelle, à sa douce couvée,
Au nid, à sa maison, pas encore retrouvée,
Au roucoulement tendre, au mois de mai charmant;
Il vole; et cependant, au fond du firmament,
Il traîne à son insu toute notre ombre humaine;
| |
| |
Et tandis que l'instinct vers son toit le ramène
Et que sa petite âme est toute à ses amours,
Sous sa plume humble et frêle il a les noirs tambours,
Les clairons, la mitraille éclatant par volées,
La France et l'Allemagne éperduement mêlées,
La bataille, l'assaut, les vaincus, les vainqueurs,
Et le chuchotement mystérieux des coeurs,
Et le vaste avenir qui, fatal, enveloppe
Dans le sort de Paris le destin de l'Europe’.
Als die Einschliessung von Paris, des ‘Gehirns der Welt’, zur vollendeten Thatsache geworden, da stehen die Dichter erst recht unter dem unmittelbaren Eindruck der Tagesbegebenheiten und suchen ebensowohl die Schrecken und Leiden der Belagerung in den düstersten Farben auszumalen, als den bei den Ausfällen bewiesenen Heldenmut der Verteidiger ins hellste Licht zu setzen.
So entnehmen wir aus Viktor Hugos ‘Lettre à une femme’ (a.a. O., 87 ff.) vom 10. Januar 1871 eine lebendige Schilderung der damals in Paris herrschenden Zustände. Die Hoffnung auf eine baldige Vertreibung der Preussen hatte die Pariser noch nicht verlassen. Mit stoischer Ergebung ertrug man die Entbehrungen der Tafel und andere Unannehmlichkeiten:
‘Nous mangeons du cheval, du rat, de l'ours, de l'âne.
Paris est si bien pris, cerné, muré, noué,
Gardé que notre ventre est l'arche de Noé;
Dans nos flancs toute bête, honnête ou mal famée,
Pénètre, et chien et chat, le mammon, le pygmée,
Tout entre, et la souris rencontre l'éléphant.
Plus d'arbres; on les coupe, on les scie, on les fend;
Paris sur chenets met les Champs-Elysées;
On a l'onglée aux doigts et le givre aux croisées.
Plus de feu pour sécher le linge des lavoirs,
Et l'on ne change plus de chemise.....’
In ‘La Sortie’ entwirft uns derselbo Dichter (a.a. O., S. 101 ff. ein Bild des letzten Ausfalls von 19. Januar 1871.
Beim ersten Morgengrauen ziehen Bürger durch die Strassen um zum Kampfe auszurücken; ihre Kinder führen sie an der Hand. Die Frauen schreiten an ihrer Seite, das Gewehr auf der Schulter. Auf den bleichen Stirnen der Ausziehenden kann man Vertrauen, Mut und Hunger lesen. Während die Truppen hinter der Mauer sich sammeln, steigt plötzlich eine Rauchwolke auf, und der erste Kanonenschuss verkündet den Beginn des Kampfes. Die Thore werden geöffnet. Vor den Streitern breitet sich ebenes Feld aus und ein Gehölz, in welchem der Feind ihnen, auflauert. Noch ein letztes Lebewohl wird gewechselt, und die Frauen überreichen ‘mit heiterer Stirn’, wenn auch mit ‘gebrochenem Herzen’ ihrenn Männern das Gewehr, nachdem sie es vorher geküsst haben.
| |
| |
Zum Schluss dieses Abschnittes möge der leidenschaftliche Schmerzensschrei des heissblütigen Viktor Hugo über die Kapitulation von Paris (‘La Capitulation’, a.a. O., S. 112 ff.) der einfachen und doch um so ergreifenderen Schilderung der Heimkehr der Truppen gegenübergestellt werden, wie wir sie bei de Banville in ‘Vingt-neuf-janvier’ (Idylles Prussiennes, S, 155 ff.) finden. Viktor Hugo beginnt sein Gedicht vom 27. Januar mit den Worten:
‘Ainsi les nations les plus grandes chavirent!
C'est à l'avortement que les travaux servirent,
O peuple! et tu dis: Quoi! pour cela nous restions
Debout toute la nuit sur les hauts bastions!’
und kommt zu der schmerzlichen Einsicht, dass alle Qualen und Mühen ohne Erfolg geblieben sind.
An Wärme und echtem Vaterlandsgefühl wird das genannte von dem Banvilleschen Liede auf den Waffenstillstand fast übertroffen:
‘Mit zur Erde gesenktem Blick kehren die unerschrockenen Verteidiger zur Stadt zurück. Wie Herden kehren sie heim, die Flintenkolben nach oben gerichtet, die Fahnen mit Flor umhüllt. Daneben schreiten die Offiziere, mit tiefer Trauer im Herzen, welche den Tod auf dem Schlachtfelde ihrem traurigen Geschick mit Freuden vorgezogen hätten. Den Zug beschliessen die tapferen Marinesoldaten in dumpfer Verzweiflung’.
Die Enttäuschungen und die schweren Leiden, welche die Kämpfe im eigenen Lande den Franzosen brachten, entfachten die Erbitterung zu Ausbrüchen blinder Wut und Leidenschaft, wie sie in den mannigfaltigsten Kehrreimen der Lieder jener Zeit zum Ausdruck gelangen, so in dem Gedichte: ‘Exterminons’ von de la Monneray. (Chants de Guerre de la France, Paris, Lachaud, 1872, S. 143):
‘Exterminons ceux qui dévorent
Les trésors de la France en deuil,
Et que le sol qu'ils déshonorent
De ces bandits soit le cercueil’.
Der Ruf: ‘Verrat!’ erscholl sofort nach der Schlacht bei Wörth in den Reihen der Franzosen und ist das Leitmotiv zu einer Unzahl von Liedern geworden. Die offene Erklärung dazu gab Le Paris-Journal vom 12. August 1870:
‘Que voulez-vous? Pour le soldat français, n'être pas vainqueur, c'est être trahi’
In dem Dialog: ‘Les deux Mères’ (Bergerat, Poëmes de la Guerre, Paris, Lemerre, 1871, S. 52) offenbart die Französin einer deutschen Frau gegenüber ihren unversöhnlichen Hass gegen alles deutsche Wesen in den Worten: ‘In Frankreich ist die Rache eine Blutrache (vendetta), einen Mord überträgt man da wie ein Erbstück’.
| |
| |
Auch Déroulède erklärt in dem Gedichte: ‘Au docteur Dolbeau’ (S. 83) die Rache für ein Recht und eine Pflicht der Besiegten. Daher lautet sein ceterum censeo:
‘O mon pays! souviens-toi. Souviens-toi de ta souffrance: Ils sont là dans notre France!’ (a.a. O., S. 76).
Ausserdem findet Paul Déroulède in seinem ‘Fragment’ (Chants du soldat, 1890, S. 29 ff.) die Ursache der französischen Niederlagen schlechter Führung, Mangel an Disziplin und in der erdrückenden Uebermacht der Feinde.
Ausdrücke wie: ‘un contre quatre’ (S. 6), ‘cinq contre un, cent contre vingt’ (S. 76) oder ‘vingt contre un, un contre vingt’ u.a. (Delpit, L'invasion, 1870, S. 19 und 24) sind fast stehend nach den Kampfesschilderungen. Die eiserne Disziplin und den unbedingten Gehorsam, welche die Grundpfeiler der deutschen Heereseinrichtung sind, stellen die französischen Dichter fast ausnahmslos als unwürdige Sklaverei hin und suchen den deutschen Soldaten, der, ohne mit der Wimper zu zucken, ‘körperliche Züchtigungen und das Anlegen der Handfesseln’ willig über sich ergehen lasse, auf alle mögliche Art und Weise lächerlich zu machen (‘En pleine invasion’, Chants de guerre, S. 47). Vielleicht hat man auch anzunehmen, dass die Dichter deshalb so gern ihre Pfeile des Spottes gegen die militärische Disziplin der Deutschen richteten, weil sie auf diese Weise manche bei ihren so schnell zusammengerafften jungen Heeren hervortretenden Mängel entschuldigen wollten.
In demselben Liede lässt der Dichter Emile Vendanges von seinem Schmerze über die feindliche Invasion sich zu Ausdrücken hinreissen, wie wir sie selbst in den derbsten deutschen Spottliedern vergeblich suchen:
‘La rose à perdu son odeur
Et Vénus quitte ma chambrette,
D'où s'exhale la puanteur
D'une Berlinoise poudrette.’ (a.a. O., S. 47.)
Nach derartigen Wutausbrüchen wird uns der vom Dichter zum Schluss geäusserte Wunsch kaum überraschen, dass er gern 100 Franken darum gäbe, wenn er einen der verhassten deutschen Bauernlümmel an seinem knisternden Herdfeuer schmoren und dabei mit Nadeln blutig stechen könnte (S. 48).
(Fortsetzung folgt.)
Prof. Dr. FRITSCHE, (Zwickau.
|
|