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Der höhere Unterricht als Bestandteil der nationalen Erziehung im deutschen Volksgebiet.
Der Deutsche Kaiser hat vor 10 Jahren eine Aenderung des bisherigen höheren Schulwesens in seiner Eigenschaft als König von Preussen versucht, da er selbst unter dem unnützen Ballast des sogen. klassischen Unterrichts gelitten hat. Diese landesherrliche Anregung fiel zunächst auf fruchtbaren Boden, um schliesslich durch die unverständige Befragung der Alt-Philologen, die nichts besseres als griechisch und lateinisch kannten, das höchst klägliche Ergebnis einer geringfügigen Minderung des alt-sprachlichen Unterrichts unter noch geringerer Verstärkung der deutschen und Geschichtsstunden zu haben. Gegenwärtig versammelte der preussische Unterrichtsminister wiederum sogen. Sachverständige zur erneuten Prüfung des höheren Unterrichtswesens. Die Zusammensetzung liess schon das Ziel erkennen. Der grösste Romanist, wie der grösste Orientalist unserer Hochschulen, die doch beide nur ein höchst einseitiges Fach des Gelehrtentums vertreten, führten ihrer wissenschaftlichen Stellung entsprechend das grosse Wort, wozu sich noch die gelehrte Technik gesellte. Bezeichnend war die Ablehnung der kaiserlichen Neigung, die Hohenzollern-Geschichte zur Verherrlichung der eigenen Hausmacht in den Vordergrund zu stellen, was durchaus berechtigt war, da erst Friedrich der Grosse eine deutsche und europäische Rolle gespielt hat, wogegen der grosse Kurfürst sich nur mühsam die Ebenbürtigkeit des Hauses Brandenburg gegenüber den wesentlich mächtigeren
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und einflussreicheren Wettinern und Wittelsbachern erstritten hat. Als Schluss der nationalen Schulbewegung ergab sich lediglich die Gleichberechtigung des klassischen und Realunterrichts, die beide mit wirklich volklicher Bildung herzlich wenig zu thun haben. Der Lehrgang des deutschen Gymnasiums ist allen europäischen und amerikanischen höheren Schulen gemeinsam, wie andererseits das Realgymnasium längst seine Vorgänger in den übrigen Ländern gehabt hat. Die nationale Richtung der Schulbildung ist somit aufgegeben und lediglich der modernen Technik, die mit der Allgemeinerziehung doch sicherlich nichts zu thun hat, beinahe ungebührlich Rechnung getragen. Weder das fast anti-nationale Lager der klassischen Philologen, noch die Freunde einer übertriebenen Förderung der Mathematik und Naturwissenschaften können den Anspruch auf Träger einer nationalen Bildung erheben.
Das Gymnasium ist die Fortsetzung der alten Klosterschule mit humanistischer Vertiefung aus der Zeit der Kirchentrennung. Die Ueberschätzung des Humanismus, der in der geistlosen Erklärung zweier alten und abgestorbenen Sprachen verknöchert ist, hat die Erhaltung dieser überlebten Anstalt bis auf den heutigen Tag herbeigeführt. Bekanntlich ist das Germanentum in Europa sowohl der Träger der Gesittung in den sogen. romanischen Ländern, wie auch in den der Stammesart treu gebliebenen Gebieten geworden. Es ist eine Geschichtsfälschung, wenn man im Geiste des Humanismus behauptet, dass die griechisch-römische Kultur die siegreichen Germanenstämme befruchtet habe. Mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches im Abendlande ist zugleich die eigentümliche Kultur der Mittelmeerländer vernichtet worden. Selbst die anderen Germanenstämme, die ihr besseres Blut den verfaulten Mischvölkern ihrer Eroberung auf römischem Grund und Boden gaben und hierbei infolge ihrer Minderzahl ihre eigene Sprache im Verkehr mit der verfeinerten Kultur der unterworfenen Provinzen verloren,
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haben keineswegs die römische Kultur in sich aufgenommen und fortgesetzt. Die Longobarden Norditaliens, das noch heute den festen Grundstock des ganzen Königreiches bildet, haben die alte germanische Freiheit auf die eroberten römischen Städte übertragen, die selbst einem Kaiser Barbarossa mit Erfolg trotzen konnten. Die Gemeindeverfassung und die Sonderbündelei Italiens sind germanische Errungenschaften. Die Spanier des Mittelalters, die Europa beherrschten und eine neue Welt eroberten, waren die kraftvollen Nachkommen der eingefallenen Goten, Vandalen und Alanen, welch letztere selbst nur ein germanisches Mischvolk waren. Frankreichs Kultur beruht auf dem rein germanischen Norden, der in den Albigenserkriegen den gallischen Süden mit Feuer und Schwert bezwungen und dem heutigen Frankreich nicht nur dem Namen nach ein germanisches Gepräge trotz vieler keltischen Züge aufgedrückt hat. Trotzdem hat die römische oder romanisierte Urbevölkerung in den sogen. lateinischen Ländern durch den sprachlichen Sieg die germanischen Eroberer mit einem römischen Firniss bedeckt, der in diesem Länderkreis die klassische Bildung einigermassen rechtfertigt. Als England dem normannischen Einfall unterlag und die bereits romanisierten nordischen Germanen die schöne angelsächsische Sprache mit französischen Floskeln verunstalteten, so sank auch dieses germanische Reich auf die Stufe der romanischen Mischvölker herab, die naturgemäss an die römischhellenische Bildung anknüpfen müssen. Ganz anders liegt der Fall im deutschen Volksgebiet, von der Maas bis Esthland, von Triest bis zur Schlei und Königsaue. Diese westgermanischen Stämme stiessen auf keine romanisierte Bevölkerung, sie waren oder wurden die alleinigen Landesbewohner, wenn man vom slavisch-lettisch-finnischen Nordosten absieht.
Wie ist es nun möglich gewesen, dass trotzdem unser höheres Schulwesen völlig romanisiert ist, als wenn wir die Nachkommen des italischen Stadtvolkes an der Tiber wären.
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Die römische Kirche und das Christentum haben dieses schlimme Werk vollbracht, obschon die Religion der Liebe keine Unterschiede der Kultur der ihr zugethanen Völker kennt. Thatsächlich hat das Christentum im römischen Fanatismus die germanische Gesittung nach der Völkerwanderung durch eine blutige Bekehrung vernichtet. Mit dem alten Götterglauben und der Heldensage sank zugleich die höchste Blüte des germanischen Volksgeistes dahin, von der wir in den Nibelungen und der Gudrun nur noch schwache und leider auch verchristlichte Ueberbleibsel unserer ursprünglichen Dichtkunst haben. Die Kirche hat sich freilich redlich bemüht, durch ihre trefflichen Klosterschulen wenigstens äusserlich die zerstörte Bildung wieder zu verbreiten, die aber keine Volksbildung mehr war, sondern eine landfremde, gelehrte, in der entarteten Gestalt des ausgehenden römischen Kaisertums, die Wiedererweckung der römisch-hellenischen Kultur in Italien durch flüchtige Griechen aus dem von den Türken bedrohten und schliesslich eroberten Konstantinopel hatte die Stärkung dieser undeutschen Lateinschulen zur unvermeidlichen Folge, zumal als die kirchliche Erziehung hinter der weltlichen Bildung zurücktrat. Die humanistische Fessel wurde unter der weltlichen Herrschaft der italienischen Renaissance noch schlimmer als die geistlichen aber wohlgemeinten Bande der Klosterschulen, deren mittelmässige Gelehrsamkeit dem einheimischen Volksgeist noch mancherlei Spielraum zur Bethätigung liess. Die Umarbeitung der alten Heldengesänge im Nibelungen- und Gudrunlied und der Minnesang wären unter dem tötlichen Gebote der humanistischen Schule beim Ausgang des Mittelalters nicht möglich gewesen. 4 Jahrhunderte lastet der Bann des humanistischen Gymnasiums auf unserm Volke. Das Wiedererwachen einer selbständigen Literatur am
Ende des 18. Jahrhunderts hat keinen nationalen Aufschwung herbeigeführt, da die dichterischen Träger dieser grossen Zeit hellenisch verbildet waren, obschon ein Schiller nicht einmal griechisch gelernt hatte, wie
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sonst der dümmste Gymnasiast. Erst die Erkenntnis, dass das finstere Mittelalter national viel höher als der entlehnte und seelenlose Humanismus steht, hat durch die deutsch-gesinnte Romantik unserer klassischen Epoche erfreulicherweise erheblichen Abbruch gethan, sodass wir in dem Dichter des ersten Teiles, des Faust und der Balladen den grösseren Göthe erkennen, mit dem der kosmopolitische Olympier der späteren Zeit nicht verglichen werden kann. Ueberall dämmert seitdem die Einsicht auf, dass die formelle Uebung toter Sprachen nicht das Beste einer wahrhaft volklichen Bildung sein kann. Im Gymnasialunterricht ist rein geistig das Griechisch allein wertvoll, wogegen das viel eindringlicher gelehrte Lateinisch uns blos einen kläglichen Abklatsch der hellenischen Bildung der letzten Tage der Republik und der Anfänge des Kaiserreichs bieten.
Betrachten wir nun im einzelnen die Elemente des gymnasialen Lehrganges, die dessen eigentliches Wesen ausmachen, so müssen wir mit Beschämung feststellen, dass der Hauptlehrgegenstand die lateinische Grammatik ist. Für jeden Kenner unserer Sprache bedeutet aber die unwillkürliche Uebertragung auf unsere Muttersprache ihren Tod. Der Stil des geistig bedeutungslosen Schwätzers Cicero wird den Gymnasiasten derartig eingebläut, dass ihr deutsches Sprachgefühl schweren Schaden erleidet; die formelle Kenntnis einer angeblich toten Sprache ist wertlos, da auch das Latein sich zur heutigen italienischen Volkssprache fortgebildet hat. Wir würden daher rein sprachlich betrachtet die altgermanischen Sprachen, wie gotisch, angelsächsisch, alt-, hoch- und niederdeutsch ebenso gut zur sprachlichen Bildung wie Latein heranziehen können. Soweit unsere alten Mundarten noch nicht genügend entwickelt sind, würde die spätere Stufe des Mittelhochdeutsch völlig genügen. Der literarische Wert des lateinischen Unterrichts mit Lesen von Cornelius Nepos, Caesar, Cicero, Ovid, Virgil und selbst von Horaz wird durch die eigene Literatur nicht nur aufgewogen, sondern völlig in den
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Schatten gestellt. So wertlose Lebensbeschreibungen wie die des Cornelius Nepos, und so langweilige Kriegsberichte, wie sie das zu ganz anderen Zwecken geschriebene Tagebuch des ersten römischen Kaisers enthält, sind überhaupt literarisch gleich den Abschreibereien des römischen Anwalts Cicero völlig unzulänglich. Ovid, Virgil und Horaz sind einfache Nachahmer und Uebersetzer, wie sie jede Literatur autzuweisen hat. Die Schriftsteller des lateinischen Unterrichts entbehren somit jeglichen literarischen und dichterischen Gehalts. Auch die griechischen Schriftsteller stehen nicht auf der unerreichbaren Höhe, wie die klassischen Philologen behaupten. Xenophon und der alte Herodot finden in jeder Literatur ihresgleichen. Plato ist philosophisch für den unreifen Gymnasiasten überhaupt unverdaulich und sprachlich langweilig. Die Schönheiten Homers kann der Sekundaner nicht fassen, dem also der Genuss der Odyssee verloren geht. Die griechischen Tragiker sind sprachlich viel zu schwer verständlich für die unvollständigen Kenntnisse des Primaners, als dass ihm die Erkenntnis ihrer Poesie aufgeht. Wenn der Gymnasiast sprachlich das Altgriechich endlich beherrscht, verlässt er die Schule und liest höchstens als Altphilologe wieder einen griechischen Schriftsteller. Dafür dass einer von tausend Gebildeten die griechische Sprache zum Lebenszweck und Erwerb nimmt, verlassen die übrigen mit unvollständiger Bildung in zwei für sie wertlosen Sprachen die Schule, um angeblich für das Leben gerüstet zu sein. Der Schüler der humanistischen Schule beherrscht keine lebende Sprache. Französisch kann er mühsam fertig lesen. Englisch ist blos den fleissigen Zöglingen vorbehalten, die es aus eigenem Eifer erlernen. Für den modernen Weltverkehr ist dieses Ergebnis ein Kennzeichen des unpraktischen
deutschen Denkers. Welche geistige Kraft wird in unserm Volk nutzlos verbraucht, die bei richtiger Verwendung unsere Weltstellung im Handel und Ausfuhrgewerbe mit Leichtigkeit die englische erreichen liess. Das werbende Kapital der
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Arbeit ist stets erfolgreicher, als der überkommene Reichtum.
Es wäre ein thörichtes Beginnen, den Literatur- und Kulturwert des griechisch-römischen Altertums herabzusetzen. Aber der deutsche Knabe soll nicht zum einseitigen Fachgelehrten mit unzulänglicher Bildung, sondern zu einem volklich durchgebildeten Kenner der Literatur und Geschichte seines germanischen Stammes mit abgeschlossenem Wissen erzogen werden. Da erfahrungsmässig kaum die Hälfte der Gymnasiasten die Abgangsprüfung nach Besuch der 9 Klassen besteht, so ist die Halbbildung dieser grösseren Hälfte noch schlimmer. Sie hat blos unverstandene und unverdaute Elemente der lateinischen und griechischen Sprachlehre in sich aufgenommen, ohne deren Zusammenhang mit dem Schrifttum der alten Welt erkannt zu haben. Die höhere Schule soll freilich keine praktischen Zwecke verfolgen, sondern nur eine abgeschlossene allgemeine Bildung gewähren, auf deren Grundlage die Berufstätigkeit fortzubauen hat. Thatsächlich wird der gebildete Teil des deutschen Volkes zum Altphilologen gedrillt, der für das Volksleben gänzlich unnütz wäre, wenn nicht der Lehrerberuf auf der antinationalen und falschen klassischen Bildung beruhte. Lediglich zur Züchtung dieses Mittels zum widersinnigen Zweck ist unsere Lateinschule (Gymnasium oder Lyceum) geschaffen, obschon doch das Studium des Mittelmeeraltertums ein höchst begrenztes Arbeitsfeld darstellt. Das Altertum ist nicht auf die römischhellenische Welt beschränkt, die ihrerseits kein festumrissenes Ganzes bildet, sondern nur das Erzeugnis früherer Zeiten. Die griechische Kultur hat sich unter vorderasiatischen und egyptischen Einflüssen entwickelt, und ihrerseits auf die römische Weltherrschaft eingewirkt. Das Germanentum ist wohl vom späteren kaiserlichen Rom beeinflusst worden, aber nicht im geringsten von der klassischen Zeit, die unserer Gymnasialbildung zu
Grunde liegt. Mit welcher Verachtung spricht der Oberlehrer vom taciteischen Stil, der auch unser Sprachgebrauch ist, während die Weitschweifig- | |
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keit eines Cicero zum Himmel erhoben wird, die ja keine dunkeln Stellen, wie Tacitus, enthält.
Scherzhaft ist es nur, dass zum Richter über den Unwert dieser überwundenen fremdländischen Bildung eben nur die mit ihrem ganzen Lebensberuf beteiligten Lehrer berufen werden und als solche gelten wollen, obwohl das gebildete Volk selbst nur diese Frage unparteiisch beurteilen kann. Man wendet häufig ein, das gerade der regierende Teil des Volkstums, die höhere Beamtenschaft, die alten Sprachen kennen müsse. Verfasser hat die juristischen Staatsprüfungen mit dem Prädikat ‘Gut’ bestanden, ohne je das corpus juris Justitians gelesen zu haben, abgesehen in der mündlichen Referendarsprüfung selbst. Sein rechtsgelehrtes Wissen stammt aus deutschen Lehrbüchern. Da in allen deutschen Ländern das römische Recht, natürlich im Deutschen Reich am spätesten und erst jetzt, abgeschafft ist, liegt es im Interesse der germanischen Rechtsbildung, die römischen Quellen tunlichst der Vergessenheit zu überlassen. Die Aufnahme des römischen Rechts hat das Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes bis zur Gegenwart erschüttert, deren Folgen erst die Gegenwart überwunden hat. Die verhängnisvolle, nie erreichte Weltherrschaft des deutschen Kaisertums, der Absolutismus der Fürsten und der Ausschluss des Volkes von der Rechtsfindung beruhen auf dem Eindringen dieses oströmischen Gesetzes der Eunuchen und Dirnen auf dem Kaiserthrone. Das Recht des Stärkeren ist nirgends gehässiger und schärfer ausgebildet worden, als in der absterbenden Welt der entarteten Graecoromanen, deren verfeinerte Weltwirtschaft schon dem Untergange geweihet war. Trotzdem musste das siegreiche Germanentum sich mit diesen für es nicht passenden Rechtsformen zum Schaden seines Volkstums erfüllen lassen, die es erst jetzt wieder nach dem Verlust vieler eigenartiger Rechtseinrichtungen abstösst. Wie die
undeutsche Kirche und der Humanismus die Entwicklung des Volksgeistes gehindert haben, so brach das römische Recht
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die Blüte unserer Rechtsbildung. Der deutsche Rechtssinn ruht auf der Genossenschaft, dem Gemeinschaftsgefühl der Volksgenossen; das römische Recht predigt den Eigennutz des Einzelnen. In der Staatsverwaltung ist das Fremdwörterunwesen noch der Rest und die Folge der gymnasialen Verbildung, das freilich im vielsprachigen Oesterreich zur besondern Ausartung gediehen ist. Doch ist Holland in keiner besseren Lage, wie überhaupt die niederdeutsche Schriftsprache. Unsere Muttersprache hat noch schwere Narben von den Wunden, die ihr Lateinisch und deren französische Tochter als Redeweise der Gebildeten geschlagen haben. Belgien ist seitdem sogar verwälscht, da das deutsche Sprachgefühl gewaltsam von der Fremdherrschaft und der neuen herrschenden Dynastie unterdrückt wurde. Rechtspflege und Verwaltung können daher nur durch die Beseitigung des Küchenlateins ihrer Amtssprache gewinnen.
(Schluss folgt).
Berlin.
Kurd von Strantz.
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