Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdZur Geschichte Belgiens.
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die Fortschritte der französischen Sprache in den ‘dietschen’ Teilen jenes Territoriums aufmerksam verfolgtGa naar voetnoot1). Thatsächlich vollzog sich schon sehr früh eine wahrhafte ‘Franzisierung’, welche allerdings nicht die niederen Schichten des Volkes erreichte, aber nichtsdestoweniger zur Folge hatte, dass das Französische für die oberen Klassen der Gesellschaft zu einer zweiten Nationalsprache wurde. Unzweifelhaft bot Flandern hinsichtlich der Anwendung der Mundarten schon im dreizehnten Jahrhundert genau das gleiche Schauspiel dar, wie man es noch heutigen Tages daselbst bcobachten kannGa naar voetnoot2). Dieses Heimischwerden einer romanischen Sprache bei einem im Grunde germanischen Volke ist eine ungewöhnlich interessante Erscheinung. Das Französische ist bekanntlich in Flandern nicht, wie in England, auf gewaltsamem Wege und vermittelst einer Eroberung oder, wie das Deutsche in Böhmen bezw. in den slavischen und littauischen Gegenden an den Gestaden der Ostsee, infolge der Einwanderung von Ausländern zur Einführung gelangt. Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus betrachtet, ist die vlämische Rasse im dreizehnten Jahrhundert ebenso frei von ausländischem Einflusse geblieben, wie im zehnten Jahrhundert. Auf ganz natürlichem Wege, mühelos und vermöge der unwiderstehlichen Gewalt der Thatsachen ist das Französische in das durch seine geographische Lage, seine politische Unterordnung, seine Diözesanbezirke und die Interessen seines Handelsverkehrs von Frankreich abhängige Land eingedrungen. Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, für die vorhergehende Epoche die Wirkung dieser verschiedenen Faktoren zu zeigen. Indessen ist es klar, dass ihr Einfluss dauernd im gleichen Verhältnis mit der Entwicklung der französischen Kultur und der französischen Macht zunehmen musste. Schon im zwölften Jahrhundert werden die reichen Stadtgemeinden in Südflandern, ganz besonders Arras, zu einem der lebhaftesten Brennpunkte für die romanische Litteratur und Kultur, die von dort aus kräftige Strahlen nach dem Norden der Grafschaft hin entsendet. Das Uebergreifen des französischen Einflusses geschah um so schneller, als derselbe bei seiner Ausbreitung kein Hindernis zu überwinden hatte. War doch England, mit welchem Flandern im zwölften und im dreizehnten Jahrhun- | |
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dert so rege Beziehungen unterhielt, in jener Zeit thatsächlich ein Staat mit französischer Sprache; und was Deutschland betrifft, so wissen wir bereits, dass die alte Oberherrschaft, welche es einstmals über die Niederlande ausgeübt hatte, nur noch in der Erinnerung fortbestand. Mit andern Worten: das Französische ist Flandern nicht aufgenöthigt worden. In gleichem Schritte mit der französischen Kultur und in deren Gefolge vorwärtsschreitend, ist es daselbst eingedrungen. Es ward für alle diejenigen, welche im Lande an dem gesellschaftlichen Leben teilnahmen, zu einem oft angewandten und häufig sogar unentbehrlichen Hilfsmittel. Hatten die Cluniacenser im elften Jahrhundert die Kenntnis der französischen Mundart in den meisten belgischen Klöstern deutscher Zunge eingeführt, so verschafften die ebenfalls aus Frankreich hergekommenen Cistercienser ihrem Heimatsidiom in den zahlreichen Abteien, die sie in den Niederlanden gründeten, das volle Bürgerrecht. Viele Klöster empfingen ihre Aebte und ihre Vorsteher aus Frankreich. Im Jahre 1207 führen die Mönche von Andres darüber Klage, dass ihr von Charroux aus entsandter Prior ihre Sprache nicht verstehe und sich ihnen gegenüber nicht verständlich machen könneGa naar voetnoot(1). Indessen stösst man sehr selten auf Klagen solcher Art. In den meisten grossen kirchlichen Niederlassungen lebten vielmehr die Mönche ‘dietscher’ und wallonischer Zunge nebeneinander und gewöhnten sich daran, gegenseitig ihre Mundarten zu verstehen. Einige von ihnen haben uns hier und da in makkaronischen Schriften Proben ihrer Kenntnisse hinterlassenGa naar voetnoot(2). Ferner wissen wir, dass zu St-Trond, unter der Verwaltung des Abtes Wilhelm II., mehrere Mönche ‘facundi in latino, gallico et theodisco’ warenGa naar voetnoot(3); wenn es auch bisweilen vorkam, dass ein Abt, welcher ‘modice litteratus’ war, das Lateinische nicht verstand, so hatte man doch die Möglichkeit, sich ihm verständlich zu machen, indem man ihn in französischer Sprache anredeteGa naar voetnoot(4). Wie verbreitet aber auch immer das Französische in den Klöstern sein mochte, so war dies doch unstreitig in noch weit höherem Masse beim Adel der Fall. | |
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Der auf deutschem Boden geborene Dietrich von Elsass hat möglicher Weise Französisch nicht verstanden, als er Karl dem Guten auf dem Throne folgte. Sein Sohn Philipp hingegen, der doch während fast seiner ganzen Regierung ein Todfeind des Königs von Frankreich war, erschien in Bezug auf Erziehung, Sitten und Sprache vollkommen als ein französischer Fürst. Unter ihm bildete der gräfliche Hof einen Sammelplatz für romanische Dichter und Gelehrte; schon die Erwähnung dieser Thatsache genügt, um darzuthun, eines wie grossen Irrtums man sich schuldig machen würde, wofern man etwa die Ausbreitung der französischen Sprache in Flandern erst mit der Regierung des Hauses Dampierre beginnen lassen wollte. Im übrigen ist es durchaus richtig, dass die Nationalität der Fürsten, welche auf Philipp von Elsass folgten, in hohem Masse zur Beschleunigung einer Bewegung beitrug, die schon vor ihrer Zeit begonnen hatte. Balduin VIII. und Balduin IX. waren wallonischen Ursprungs. Johanna und Margarete wurden schon als Kinder in Paris erzogen, und es ist keineswegs sicher, ob sie überhaupt jemals Vlämisch gelernt haben, von welchem sie kaum mehr als eine dürftige Kenntnis besassen, und welches sie zweifellos als einen des Hofes unwürdigen bäuerischen Dialekt ansahen. Das Nämliche galt, und zwar mit grösserem Rechte, von Guido von Dampierre und dessen ganzem Geschlecht. Im dreizehnten Jahrhundert ist Französisch die einzige Sprache, welche die Grafen anwenden und die man in ihrer Umgebung redet. In französischer Sprache sind ihre Rechnungen und ihr privater Briefwechsel abgefasst; in französischer Sprache ferner lassen sie die an ihre ‘baillis’ gerichteten Verfügungen und die von ihrer Kanzlei ausgehenden Erlasse aufsetzen. Kurz, das Französische ist seit dieser Zeit die offizielle Sprache für die Zentralverwaltung. Der Adel ist kaum weniger franzisiert als die Fürsten. Seitdem er seinen ländlichen Charakter verloren und sich dem Waffenhandwerk sowie dem ritterlichen Leben ergeben hat, entlehnt er aus Frankreich seine Sitten, seine Tracht und seine Sprache. Seine Mitglieder unterscheiden sich von der übrigen Bevölkerung ebenso sehr durch ihre gewohnheitsmässigen Beschäftigungen wie durch ihren Kastengeist und durch das von ihnen gesprochene Idiom. Es gilt unbestritten als ein Zeichen von ‘Courtoisie’, Französisch zu verstehen, und, um die Kenntnis desselben zu erwerben, scheut man vor keinem Opfer zurück. Die jungen Edelleute werden zu solchem Zwecke nach Tournai, nach Laon oder in die Grafschaft Artois geschicktGa naar voetnoot1); andere haben ausländische Lehrer. | |
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Die Ehen, welche zwischen den Adelsgeschlechtern Flanderns einerseits und denen Hennegaus, der Champagne und der Picardie anderseits unaufhörlich geschlossen werden, tragen gleichfalls zur Verbreitung des Gebrauchs des wallonischen Dialekts in Flandern beiGa naar voetnoot1). Ganz sicher waren es französische Lieder, mit denen ein beträchtlicher Teil der flandrischen Ritter schon in ihrer Kindheit in den Schlaf gesungen wurde, so dass vielen von ihnen das Französische nicht blos zur Zeremonien- und Gesellschaftssprache wurde, sondern auch am häuslichen Herde den Platz der Nationalsprache eingenommen hatGa naar voetnoot2). Gleich dem gräflichen Hause reden und schreiben die flandrischen Edelleute Französisch, als ob es ihre Muttersprache wäre. Man braucht nur ein Urkundenbuch zu durchblättern, um festzustellen, dass im dreizehnten Jahrhundert die meisten Urkunden, welche von den Feudalherren ausgingen, in französischer Sprache abgefasst worden sind. Das einzige aus jener Zeit erhalten gebliebene Grundbuch eines flandrischen Adelsgeschlechts - das Rentenbuch (‘viel rentier’) der Herren von Oudenaarde - ist ebenfalls französisch geschrieben, und das Vorhandensein französischer, auf die Deckblätter des Manuskripts gekritzelter Gedichte zeigt, in wie hohem Masse diejenigen, welche es damals in die Hand bekamen, romanisiert worden warenGa naar voetnoot3). Das Französische blieb keineswegs ein Monopol des Adels, sondern fasste auch bei einem beträchtlichen Teile der Bürgerschaft feste Wurzel. Ebenso wie die reichen Patrizier den Aufwand und die feinen Manieren der Ritter nachzuahmen suchten, nach dem Beispiel derselben in den Städten die Sitten der Turniere und Tafelrunden zur Einführung brachten, sich, gleich ihnen, mit Sammetgewändern und Goldketten schmückten und hoch zu Ross in den Bürgerheeren kämpften, - ebenso ahmten sie auch ihre Sprache nach. Zweifellos übten jedoch die Bedürfnisse der Geschäftsthätigkeit eine noch viel kräftigere Wirkung aus. Die regen Beziehungen, in denen die flandrischen Kaufleute mit den Jahrmärkten der Champagne standen, nötigten sie zur Erlernung der | |
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französischen SpracheGa naar voetnoot1). Dieselbe wurde für sie ebenso unentbehrlich, wie es heutzutage das Englische für die mit den überseeischen Ländern Handel treibenden grossen Exporthäuser des europäischen Festlandes ist. Nicht nur der geschäftliche Verkehr vollzog sich zu Provins, zu Lagny, zu Troyes und zu Bar-sur-Aube in französischer Sprache, sondern dies war auch das Idiom, in welchem von den Marktschreibern die Wechsel, die Schuldscheine und die Kreditbriefe aller Art abgefasst wurden, deren sich der damalige Geschäftsverkehr bedienteGa naar voetnoot2). Sogar in Flandern gebrauchten die lombardischen und die florentiner Bankiers ausschliesslich diese Sprache, so dass die Unkenntnis des Französischen es den Tuchund Wollhändlern unmöglich gemacht hätte, den Erfordernissen, die ihr Geschäft mit sich brachte, nachzukommenGa naar voetnoot3). Es unterliegt keinem Zweifel, dass alle am Grosshandel Beteiligten, d.h. die Mitglieder der Gilden und der Hansen, sich schon sehr früh eine für sie so wichtige Sprache angeeignet haben. Solange für den flandrischen Handelsverkehr die Jahrmärkte der Champagne das Hauptabsatzgebiet auf dem Kontinent bildeten, ging die Romanisierung in den Städten mit überraschender Schnelligkeit vorwärts. St.-Omer, dessen Bevölkerung rein germanischer Abstammung war, wurde im dreizehnten Jahrhundert eine französisch redende StadtGa naar voetnoot4). Un- | |
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zweifelhaft hat der Umstand, dass diese Ortschaft unter der Regierung Philipp Augusts dem Gebiet von Artois einverleibt wurde, zu einem solchen Ergebnis beigetragen; allein er genügt nicht, um es zu erklären. Ypern beispielsweise, welches ununterbrochen zur Grafschaft Flandern gehört hat, bietet seit der Thronbesteigung der Gräfin Johanna ein ähnliches Schauspiel. In französischer Sprache sind von jenem Zeitpunkte an bis weit ins vierzehnte Jahrhundert hinein alle schriftlichen Dokumente seines Archivs abgefasst; in einer französischen Uebersetzung ferner ist uns der Text seines städtischen Freibriefs erhaltenGa naar voetnoot1). Die Archive von Gent und von Brügge sind an Texten aus dem dreizehnten Jahrhundert allzu arm, um eine ebenso genaue Feststellung des Sachverhalts zu gestatten. Gleichwohl ersieht man aus deutlichen Anzeichen, dass trotz der bedeutenden räumlichen Entfernung, welche jene Städte von der Sprachgrenze schied, auch dort der Gebrauch des Französischen bei den reichen ‘poorters’ gang und gäbe war. Gross ist die Zahl der mit französischen Inschriften versehenen bürgerlichen SiegelGa naar voetnoot2), und wenn auch bis zu den ersten Jahren des vierzehnten Jahrhunderts die im Namen der Patrizier abgefassten Urkunden in romanischem Dialekt selten sind, so fehlt es doch nicht an Beispielen davon. So liess der berühmte WenemaerGa naar voetnoot3) 1323 in dieser Mundart durch die Schöffen von Gent die Stiftungsurkunde des Hospitals aufsetzen, welches bis auf unsere Tage den Namen seines Stifters bewahrt hat. Bereits durch die Sitten und durch die Handelsbedürfnisse tief in Flandern eingewurzelt, fand das Französische ausserdem in dem Verwaltungssystem ein mächtiges Hülfswerkzeug für seine Weiterverbreitung. Die kräftige und schnelle Entwicklung der Städte sowie des fürstlichen Beamtentums kam ihm hier zustatten, Sowohl die Schöffen als auch die ‘baillis’ nahmen in ihren Er- | |
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lassen und ihren Rechnungen von der bisherigen Anwendung des Lateinischen Abstand und gebrauchten statt dessen die Vulgärsprache, die dem neuen praktischen Sinne, von welchen sie erfüllt waren, weit mehr entsprach. Die Bewegung entstand naturgemäss in den romanischen Teilen der Grafschaft. Es ist eine für den sozialen und politischen Zustand in Flandern bezeichnende Thatsache, dass die erste französisch geschriebene Urkunde, die wir kennen, aus Douai (1204) stammt. Während der ganzen ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts gewann das Französische, auf Kosten des Lateinischen, in den Gerichts- und Verwaltungsurkunden unaufhörlich an Terrain. Bis etwa 1250 war es sowohl in den wallonischen wie in den ‘dietschen’ Landesteilen die einzige bei allen öffentlichen Behörden gebräuchliche Vulgärsprache. Unzweifelhaft stellt sich das offizielle Französisch in Flandern als ein ziemlich merkwürdiges Idiom dar, dem es häufig an Geschmeidigkeit und an Korrektheit fehlt und das dermassen mit niederländischen Worten überladen ist, dass die Germanisten bisweilen darin glückliche Funde zu machen imstande sind. Alles in allem ist es jedoch minder seltsam als der romanische Dialekt, den man zur nämlichen Zeit in England anwendete; ja, man muss sich darüber wundern, dass es unter der Feder der vlämischen ‘clercken’ nicht noch mehr seine Form verändert hat. Denn viele von denen, die es schrieben, hatten es unzweifelhaft erst in der Schule durch fleissiges und mühsames Studium erlernt. Wenn man auch annehmen kann, dass die ‘baillis’, welche beinahe sämmtlich dem niederen Adel angehörten, es seit ihrer Kindheit verstanden, so war dies doch bei den aus den Reihen des gewöhnlichen Volkes hervorgegangenen Schreibern der Schöffenstühle und der niederen Gerichtsbarkeiten ganz gewiss nicht der Fall. Die Beamten des Grafen gebrauchten kaum eine andere Sprache als das Französische; alle diejenigen, welche in irgendwelcher Berührung mit der Regierung standen, mussten sich also bemühen, es zu verstehen und es schriftlich zu beherrschen. Uebrigens hat man wohl zu beachten, dass dieses Ergebnis erzielt wurde, ohne dass man zu einem äusseren Druck oder zur Gewalt seine Zuflucht zu nehmen brauchteGa naar voetnoot1). Seit der Mitte des dreizehnten Jahr- | |
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hunderts, wo die vlämische Prosa einen hinreichenden Entwicklungsgrad erlangt hatte, um zur Abfassung der Erlasse dienen zu können, machten die Behörden, welche mit dem Publikum in direkter Beziehung standen, sich auch das Vlämische zu eigen, ohne dass der Graf etwas gethan hätte, um sie daran zu hindern. Dennoch blieb bis zur Regierung Ludwigs von Male das Französische, diejenige Sprache, welche die Zentralverwaltung so gut wie ausschliesslich anwandte. Die Beamten des Fürsten bedienten sich ihrer nach wie vor, so dass sogar für die Städte und für die Schöffenstühle, die Französisch nicht mehr geläufig zu gebrauchen wussten, seine Kenntnis trotzdem unentbehrlich blieb. Um sich von den sprachlichen Zuständen in Flandern bis gegen Ende der Regierung Guidos von Dampierre eine genaue und lebendige Vorstellung zu machen, braucht man nur eine Urkundensammlung oder ein Register aus der damaligen Zeit aufs Geradewohl zu durchblättern. Man stösst daselbst in buntem Durcheinander auf Texte in lateinischer, in französischer und in vlämischer Mundart, und gleichwie die Kenntnis dieser drei Sprachen heutzutage für jeden Historiker Flanderns unumgänglich notwendig ist, ebenso war sie es in Flandern vor sechshundert Jahren sogar für alle öffentlichen Beamten und alle öffentlichen SchreiberGa naar voetnoot1). Ungeachtet seiner ausserordentlichen Verbreitung beim Adel, beim höheren Bürgerstande, bei den Beamten und bisweilen sogar bei den reichen Bewohnern des platten LandesGa naar voetnoot2) drang in Flandern das Französische nicht bis in die unteren Schichten der Bevölkerung. Wenn es auch schon im dreizehnten Jahrhundert in die Verwaltungssprache eine Menge von Bastardwörtern hineingebracht hatte, die den Texten der ‘coutumes’ das Aussehen eines mit germanischen Endungen versehenen französischen Textes geben, so hat es doch nicht, im Gegensatz zu dem, was in England geschehen ist, den Wortschatz der Vulgär- und der Litteratursprache verunreinigt. Trotz alledem ist das Vlämische ein im wesentlichen germanischer Dialekt geblieben; das Französische hat sich ihm nebengestellt, es aber nicht zu durchdringen vermochtGa naar voetnoot3). | |
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Dieses Nebeneinanderbestehen von zwei Dialekten in ein und demselben Lande, und zwar von Dialekten, deren jeder von einem anderen Theile der Bevölkerung gesprochen wurde, hat seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts Schwierigkeiten entstehen lassen. Im Jahre 1175 bestätigt der Papst Alexander III. das uralte Gewohnheitsrecht der Genter, in kirchlichen Angelegenheiten nur vor ihrem Dechanten plaidieren zu brauchen, und entbindet sie ‘propter inimicorum pericula et alienae linguae homines’ von dem Erscheinen vor dem Offizial von TournaiGa naar voetnoot1). Später, am Schlusse des dreizehnten Jahrhunderts, machen dię Bewohner Flanderns, um von Bonifazius VIII. die Errichtung eines besonderen Bistums für ihr Land zu erlangen, neben anderen Gründen auch den geltend, ‘quod maxima pars comitatus habet in usu ydioma theutonicum, quapropter non valent ydonee salutaribus monitis per suos episcopos informari, qui sui ydiomatis sunt ignari’Ga naar voetnoot2). Gleichwie in Flandern, verbreitete sich das Französische auch in Brabant, jedoch hier in geringerem Masse. Gleich den flandrischen Grafen mussten auch die brabanter Herzöge in ihrer Umgebung wallonisch und vlämisch redende Leute anstellen; denn, wie jene Grafen, herrschten auch sie über eine teils wallonische, teils germanische Bevölkerung. Allein Dank der immer grösseren Einwirkung vonseiten Frankreichs sowie dem durch seine Kultur ausgeübten Prestige wurde an ihrem Hofe das Gleichgewicht zwischen den beiden Idiomen bald aufgehoben. Der Schutz, den die Gemahlin Heinrichs I. Alix von Löwen (1121-35), in England der französischen Litteratur angedeihen liess, gestattet die Annahme dass sie schon vorher in ihrem Vaterlande diese Litteratur schätzen gelernt hatteGa naar voetnoot3). Im dreizehnten Jahrhundert ist das Französische unstreitig zur Lieblingssprache des herzoglichen Hauses geworden. Allerdings hat es bei dieser alten nationalen Dynastie nicht einen ebenso vollständigen | |
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Sieg davongetragen, wie bei den fremden Dynastieen, welche seit Dietrich von Elsass am andern Ufer der Schelde herrschten. Die Herzöge haben es bei ihrer Korrespondenz und bei ihren privaten Angelegenheiten angewandt, sich dieser Sprache aber bei dem Verkehr mit ihren Unterthanen nicht bedient. In den ‘dietschen’ Teilen von Brabant sind die Beamten von der Sitte, die Erlasse in lateinischer Sprache aufzusetzen, nur abgewichen, um fortan das vlämische Idiom zu gebrauchen. Uebrigens ist in Brabant die Vulgärsprache später als in Flandern zur Einführung gelangt. ein neuer Beweis für die minder schnelle Entwicklung des LandesGa naar voetnoot1). Die älteste französische Urkunde des Herzogthums datiert vom Jahre 1253, die älteste vlämische vom Jahre 1275Ga naar voetnoot2). Wenn aber auch die Verwaltung der Nationalsprache treu blieb, so gewann doch beim hohen Adel das Französische weite Verbreitung und zwar gleichzeitig mit den ‘höfischen Sitten’, von denen es damals ebenso unzertrennlich war, wie heutzutage das Englische von allen Dingen des Sports. Bekanntlich galten in den rein germanischen Ländern die Brabanter als die vollendeten Vertreter ritterlicher Vollkommenheit, und in den Lobschriften, die man ihnen widmete, sind sie häufig mit den Franzosen in eine Linie gestellt wordenGa naar voetnoot3). Wolfram von Eschenbach spricht von denen, die das welsche Idiom reden, ‘mögen sie nun Franzosen oder Brabanter sein’, und der brabantische Dichter Adenet le Roi sagt, dass zu seiner Zeit in den Niederlanden ‘jeder grosse Herr, Graf und Markgraf, französische Leute um sich hatte, um seine Töchter und seine Söhne Französisch erlernen zu lassenGa naar voetnoot4). Diese Aussage wird durch den holländischen Chronisten Melis Stoke erhärtet, welcher berichtet, dass Grąf Florens V. in der Schule ‘walsch en de diesch’ lernteGa naar voetnoot5). Uebrigens scheint in Brabant der Gebrauch der französischen Sprache ausserhalb des hohen Adels kein allgemeiner geworden zu sein, und sogar bei denen, die darauf stolz waren, dass sie Französisch verstehen und sprechen konnten, hat es die Nationalsprache keineswegs völlig in den Hintergrund zu drängen vermocht. | |
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Die Franzisierung ist also anscheinend in Brabant besonders eine Sache der Mode, des Geschmacks und des guten Tones gewesen. Die Herzöge selber, mochten sie auch die vlämische Mundart im Kreise ihrer Familie kaum noch gebrauchen, hielten dennoch daran fest, sie zu erlernen. Es war unumgänglich notwendig, dass das Fürstenhaus gleich dem Lande, in welchem es herrschte, beide Sprachen verstand. Van Heelu hat sein Gedicht über die Schlacht von Woringen der Gemahlin des ältesten Sohnes Johannes I., Margarete von England, mit folgenden Worten gewidmet: Want si dietsche tale niet en can
Daer bi willic haer en gichte
Sinden van dietschen gedichte,
Daer si dietsch in leeren mogheGa naar voetnoot1)
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