Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die französische Kriegslyrik des Jahres 1870-71 in ihrem Verhältnis zur gleichzeitigen deutschen.
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In den ‘Chansons des Allemands contre la France’, traduites par Charlot (Paris, 1872, S. 14), findet ‘Des Kaisers Abschied, als er seinen Sohn nach England schicken wollte’ (Ditfurth II, S. 71) Erwähnung in einem Liede voll köstlichen Humors. Der Uebersetzer fügt der Uebertragung des deutschen Spottliedes nur noch die Bemerkung hinzu, dass Napoléon auch den Franzosen nur noch als ‘guignol impérial, charlatan costumé en empereur’ erscheine. Bezeichnungen wie ‘Spieler und Lügenkaiser’, welche deutsche Lieder mehrfach in Anwendung bringen, lassen den sonst leicht erregbaren Franzosen völlig kalt (a.a. O. 23). Die Bitterkeit und Härte, mit welcher man über den Entthronten urtheilt, ist ein unschöner Zug der Dichter der Kriegszeit. Unzweifelhaft hat das französische Volk den kranken, alternden Herrscher wider sein besseres Wissen und Wollen zum Kriege gedrängt und hätte ihn bei günstigem Verlauf sicherlich den Göttern gleichgestellt. In Preussen wäre es nach der Niederlage von Jena und dem unseligen Frieden von Tilsit wohl schlechterdings undenkbar gewesen, dass das Volk seinen König so treulos im Stich liess. Eine gleiche Behandlung erfuhr in der Dichtung Bazaine, dem man Verrat, Unerfahrenheit und mangelnde Voraussicht zum Vorwurfe machte. Vielen anderen Heerführern ergeht es nicht besser. So enthält das Gedicht von Desgranges in: ‘Pendant l'orage’. Poëmes nationaux et historiques (Paris. 1871, S. 34 ff.) bittere Anklagen gegen dieselben, welche es als ‘commandants de p aille’ und als ‘héros de carton’ bezeichnet und sie ihrer Vergnügungs- und Genussucht wegen für alles Unglück verantwortlich macht. Das Lied ist eigentlich dem tüchtigen Befehlshaber der im Osten von Paris gelegenen Forts gewidmet, dessen Sohn tapfer kämpfend vor dem Feind fiel. In einem anderen Gedichte vom 30. Oktober 1870 spendet derselbe Dichter den Parisern zur Zeit der Belagerung ihrer Entsagung wegen das grösste Lob. Hunger und Kälte könnten wohl die Bewohner anderer Städte zur Verzweiflung bringen, die Pariser dagegen würden Thränen vergiessen, wenn sie die Waffen niederlegen müssten. Seine Siegeshoffnung hält der Entschluss der Pariser aufrecht, ihre Glocken zu Kanonen umzugiessen. Der Gedanke an Rache für die Einnahme von Metz und Strassburg aber würde die Bewohner der Hauptstadt zur höchsten Kraftentfaltung anspornen (Desgranges, a.a. O.; ‘Des Canons’, S. 17 ff.). Auch die Montpézat in ‘Spiritus Lutetiae’ (Chants de Guerre, S. 307 und 308) spricht es aus, dass der Heroismus der Pariser, der auch die Bewunderung Europas gefunden, allen Franzosen zum lindernden Trost dienen könnte. In ähnlicher Weise rühmt Banville in ‘Idylles Prussiennes’, (S. 145 ff.) die Opferfreudigkeit der gesamten Bevölkerung und besonders auch die Entsagung und Unerschrockenheit der Frauen. Das Gedicht ‘Paris’ schliesst: ‘Tel fut Paris en ses désastres. Tel ce héros, dont le ront fbout
Tint son coeur plus haut que les astres, Saignant et lasse, mais de bout!’
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V. Charlot gereicht es zur grössten Genugthuung, unter den ‘Chansons des Allemands contre la France’ auch solche anführen zu können, in denen der heldenmütigen Tapferkeit des französischen Soldaten volle Anerkennung gezollt wird (Charlot a.a. O., S. 20 ff.). Jules Mothès, volontaire de la 3e de marche, vergleicht nach dem Vorgang anderer Dichter die Franzosen mit den Athenern an Geist, mit den Spartanern an Ausdauer. Sein Bataillonskommandeur erscheint ihm nicht anders wie Leonidas (Chants de Guerre, S. 221). Einen andern Dichter, Albert Delpit, begeistert die heldenmütige Verteidigung einer Fahne, welche er in ‘La légende du drapeau’ (L'invasion 1870, S. 9 ff.) berichtet, sogar zu dem Ausruf: ‘Was haben die vielgerühmten Spartaner, die mit Leonidas starben, anderes gethan, als jene 28 Franzosen, die bei ihrer Verteidigung den Heldentod fanden?’ Mit derselben stolzen Gesinnung erklärt Paul Déroulède, der spätere Führer der deutsch-feindlichen Patriotenliga, der als Kriegsfreiwilliger Zeuge der ersten Niederlagen Frankreichs war und bei Sedan schwer verwundet wurde, in dem Gedicht: ‘Vive la France!’ (Chants du soldat, 31e édition, Paris 1889, S. 3-6), dass Pflichtgefühl und Heldenmut trotz den bitteren Enttäuschungen den französischen Soldaten doch niemals verlassen, Verwundete noch blutend weiter gefochten, ja ganze Regimenter sich dem Tode geweiht hätten, damit ihre Fahnen wenigstens noch als stolze Leichentücher betrachtet werden könnten. Die tapfere Verteidigung von Strassburg, Belfort, Pfalzburg, Chaleaudun und Paris könne der Hoffnung auf bessere Zeiten neue Nahrung geben. Für die Bethätigung des Heldenmutes der französischen Truppen könnten auch kleinere Episoden als Beweise gelten (a.a. O. ‘l'Arrière-Garde’, S. 17). Neben Jules Favre, Bourbaki. Faidherbes, Garibaldi und Gambetta preist endlich die Dichtung den Marschall Mac Mahon, an dessen vorwurfsfreie Person, wie Charlot a.a. O. p. 22 rühmend hervorhebt, sogar der Spott der Deutschen sich nicht herangewagt habe. Die Dichter Bergerat (Poëmes de la Guerre 1870-71. Paris, Lemerre, S. 4) und Delpit (L'invasion 1870, Paris, Lachaud, S. 23 ff.: ‘La charge des cuirassiers’) verherrlichen den Todesritt der 2000 Kürassiere, welche vom Herzog von Magenta nach der Schlacht bei Wörth den Befehl erhielten, den Rückzug zu decken und gegen 100,000 Preussen mindestens eine Stunde aufzuhalten. General Michel beantwortete den Befehl mit dem Rufe: ‘Vive la France!’ Die Mannschaft, obwohl aufs äusserste erschöpft, stimmte begeistert ein. Nach Delpits Angabe überlebten nicht mehr als 39 diesen Kampf. Die französische Kriegsdichtung bemächtigte sich namentlich König Wilhelms, der Bundesfürsten, Bismarcks, Moltkes und einiger Truppenführer, sowie des deutschen Heeres. Je näher König Wilhelm an der Spitze seines siegreichen Heeres Paris kam, desto leidenschaftlicher wurde der Ton, welchen die gegen ihn gerichteten Lieder anschlugen. Mit dem Namen eines Nero belegt ihn Desgranges in ‘Épître au roi de | |
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Prusse’ (Pendant l'orage, Poëmes nationaux et historiques, S. 23), da er zur dauernden Besiegung der Franzosen die Beschiessung und Eroberung von Paris für unerlässlich hielt. Gleich jenem Kaiser, der Rom in Brand stecken liess, empfinde er seine helle Freude darüber, dass er sich an dem Schauspiel des Brandes der ‘schönsten Stadt der Welt’ weiden könnte. Der blinde Hass des Dichters erreicht seinen höchsten Grad, indem er zum Schluss den König als ‘opprobre de la Prusse’ und ‘monstre à tous les yeux’ bezeichnet und sich über nichts mehr wundert, als dass sich noch kein moderner Brutus gefunden, der ihm den Mordstahl ins Herz gestossen. Voll der ärgsten Schmähungen ist Soularys ‘Cantique du roi Guillaume’ (Pendant l'invasion, Paris, Lemerre, 1871, S. 1-38), welcher auch gegen deutsche Feldherrn wie von der Tann, von Werder, von Treskow schwere Anklagen erhebt. Welchen hohen Grad von Leidenschaft der Nationalhass selbst bei einem Mitgliede der Akademie zu entfachen vermag, das beweisst das Gedicht von Victor Laprade: ‘Au roi Guillaume de Prusse’ vom Dezember 1870 (Poëmes civiques, Paris, 1873, S. 349 ff.), welches den ehrwürdigen, in jeder Weise so massvollen und wahrhaft frommen Fürsten mit Bezeichnungen wie: ‘Guillaume le Maudit, bandit, piétiste hypocrite’ (scheinheiliger Mucker) belegt, ihm in der Walhalla einen Platz neben Attila anweist und sich sogar nicht entblödet, ihm das Schicksal Marats (den Tod durch den Dolch), zu wünschen. Zum einzigen Trost nur gereicht es dem Dichter, dass der Fluch des gesamten französischen Volkes auf dem König laste und die Geschichte über ihn nicht günstiger als über einen Bonaparte oder Marat urteilen werde. Dass auch Paul Déroulède in seinen von dem unversöhnlichsten Deutschenhass eingegebenen ‘Chants du soldat’ (Paris, 1889, S. 125 ff.), sein ‘Vae Victorious’ nicht nur dem preussischen Volke, sondern auch seinem König entgegenschleuderte, dürfte uns weiter nicht in Erstaunen setzen. Als einen Kenner deutscher Verhältnisse zeigt er sich in diesem Gedichte nicht. Mit Bestimmtheit rechnet er auf den baldigen Ausbruch einer Revolution in Deutschland, da nach seiner Ansicht das geknechtete niedere Volk nur auf den günstigen Augenblick warte, um das Feuer des Aufruhrs zu entzünden. Ein häufig verwendeter Gegenstand der französischen Kriegsdichtung ist: ‘Le rêve de Guillaume’, so auch in dem Gedicht von G. Vicaire (Les Chants de Guerre de la France, Paris, Lachaud 1872, S. 129 - 140). Die Bilder, welche die Dichter vor das geistige Auge des Königs treten lassen, sind fast immer dieselben. Nur die Ausschmückung und Farbengebung ist verschieden. Die Schatten der toten Krieger ziehen an ihm vorüber. Betrunkene deutsche Soldaten suchen durch wüsten Gesang das herzzerreissende Stöhnen der Verwundeten und das erschütternde Wehklagen der Bräute, Mütter und Kinder der Gefallenen zu übertönen. Mit schwerer Gewissensqual und banger Sorge denkt er schaudernd an den Augenblick, wo er vor Gott erscheinen und Rechenschaft ablegen muss. Ein anderes Gedicht ähnlichen Inhalts nennt sich; ‘La nuit de Versailles’ | |
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und hat zum Verfasser Emile Bergerat (Poëmes de la Guerre 1870-71, Paris, Lemerre, 1871, S. 79-106). Es versetzt uns in das Schloss von Versailles zur Zeit der Belagerung von Paris. König Wilhelm stattet dem ‘heiligen Tempel der verstorbenen Fürsten, Staatsmänner und Heerführer aus Frankreichs grosser Zeit’ in Begleitung der Bundesfürsten, einen Besuch ab. Nach Verabschiedung seines Gefolges, der ‘meute’, wie es im Gedichte heisst, und nach kurzem Rundgang durch den viel bewunderten Spiegelsaal zündete er sich eine Havanna an, schlummerte ein und träumte. Die grossen Toten der Ruhmesgeschichte Frankreichs haben Fleisch und Bein angenommen und erscheinen dem Schläfer im Traum. An ihm ziehen die Scharen der Franken vorüber, mit ihrem König Clodwig an der Spitze. Als helle Lichterscheinungen im Dunkel der Nacht treten Karl Martel und Karl der Grosse mit seinem getreuen Knappen Roland hervor. Auch die Zeit der Kreuzzüge entsendet ihre Helden. Als glänzendes Meteor zeigt sich am Himmel die ‘christliche Minerva’, die Jungfrau von Orléans. Den Reigen der Staatsmänner eröffnet der den Franzosen unvergessliche Richelieu. Besonders dramatisch wirksam in aller seiner Hoheit und Würde lässt das Lied Ludwig XIV., den ‘Sonnenkönig’, mit seinem Feldherrn Condé ein treten. Zu einem feierlichen Zuge gruppieren sich alle die Kämpfer, welche zur Zeit der französischen Revolution das Banner der Freiheit entfalteten und durch ihre grosse Anzahl den König von dem ‘Adel der Gesinnung’ der Franzosen überzeugen sollen. Gleich einer furchtbaren Gewitterwolke erscheint der grosse Korse Napoléon I., bei dessen Anblick der König erwacht. Ueber den Hauptzweck der phantastischen Schilderung dieses schauerlichen Traumes kann man keinen Augenblick in Zweifel sein. Eine gerechte Würdigung der erhabenen Grösse Wilhelms I. aber kann man von einem Dichter der Revanche ebensowenig erwarten, als ein richtiges Verständnis für die Stellung der Bundesfürsten zu Kaiser und Reich. Sonst wären ihm Ausdrücke wie ‘demi-roi, semi-majestés, nains und meute’ nicht so leichthin aus der Feder geflossen. Der Satire setzt der Dichter zum Schluss die Krone auf, indem er Bismarck seinem König den Vorschlag machen lässt: ‘Et quant aux objets d'art je ne suis point Sarmate;
Sire, je vais les faire emballer pour Berlin!’
Wieder ein anderes Gedicht von de Banville führt dem König ganz ähnliche Bilder vor Augen, nur lässt es ihn zur Abwechslung bei einer sternenhellen Nacht ‘im Champagnerrausch’ im Schlosspark von Versailles herumirren (Idylles prussiennes, Paris, Lemerre 1871, S. 11-14.). Die dem König Wilhelm gern zugeschriebene Ländergier verspottet das Gedicht ‘La Lune’ von demselben Verfasser (a.a. O., S. 32-35). In einem Zimmer zu Ferrières befinden sich bei König Wilhelm Bismarck und Moltke. Moltke studiert, ohne ein Wort zu sagen, die Karte. Graf Bismarck spricht von der Eroberung aussereuropäischer Erdteile. Sein Losungswort ist: ‘Nous empochons tout’. Nur eine offene Frage blieb übrig, den Mond könnte man nicht | |
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erobern. Aber selbst vor diesem Wagnis schreckt man nicht zurück; denn die beissende Satire schliesst mit den Worten: ‘Si, dit alors de Moltke, j'ai fait mes calculs: on peut la prendre!’ Keine Demütigung empfanden die Franzosen schmerzlicher als die, den verhassten Deutschen, jenen ‘Hunnen und Vandalen’ auf Gnade und Ungnade sich ergeben und vor einem ‘gekrönten preussischen Korporal’ die Waffen strecken zu müssen (‘La Honte’, Albert Delpit, L'invasion 1870, Paris, Lachaud S. 21 Und wenn derselbe Dichter indem Gedicht ‘La fin de Guillaume’ (a. a. O., S. 115 ff.) dem König ein langes schmerzliches Krankenlager wünscht, auf welchem er von den heftigsten Gewissensbissen gequält werde, so erklären das seine sonstigen Ausbrüche blinder Wut und Leidenschaft zur Genüge. Ein Ausfluss gleicher Gesinnung ist es, wenn er den so friedliebenden Herrscher als rücksichtslosen Eroberer und grausamen Tyrannen hinstellt. - Die Schrecken seiner Sterbestunde, in welcher die blutigen Opfer des Krieges mit bitteren Vorwürfen und Anklagen vor ihm erscheinen würden, schildern die Dichter mit um so grösserer Vorliebe, als ihnen die Frömmigkeit König Wilhelms hinreichend bekannt war (‘Spiritus Lutetiae’ in Chants de Guerre, S. 304). Welchen tiefen Eindruck die Kaiserkrönung in Versailles hervorrief, ersehen wir am deutlichsten aus dem Gedicht von Blanchmain: ‘Le couronnement du roi Guillaume’ (Chants de Guerre, S. 160-164) und aus den Versuchen, die Feier selbst ins Lächerliche zu ziehen. Nach der Darstellung des Verfassers lässt ‘der moderne Attila’ die Scharen von Majestäten, welche schon am frühen Morgen vor dem Schloss erschienen, lange warten und dann von allen seinen kaiserlichen Stiefel küssen. Bei seinem Eintritt in die Kathedrale beugten sich alle tiefer vor ihrem Herrscher als vor Gott. In gleicher Weise überzeugen uns noch mehrere Gedichte, so ‘Cri de guerre’ von Vacher (Chants de Guerre, S. 172 ff.) u.a., mit welcher Absichtlichkeit man in Frankreich darauf ausging, die Fürsten Deutschlands, namentlich die Könige von Sachsen, Bayern und Württemberg als ‘Schattenkönige’ herabzusetsen. Am meisten war Graf Bismark den Pfeilen des Spottes ausgesetztGa naar voetnoot1). Hatten die Journalisten zum Ergötzen der Pariser ihn als ‘l'élève de Macchiavel’, ‘le grand Prussien’ (an den Grosstürken erinnernd), ‘ce Beelzebub, ce Richelieu de la Prusse’, ‘l'ogre (Menschenfresser) de la Wilhelmstrasse’ (eine Leistung des klerikalen ‘Monde’), ‘cette incarnation du mal’, ‘Jupiter tonnant de la Sprée’ und ‘le dieu Bismarck’ (vom ‘Moniteur’) bezeichnet, so bietet sich auch in der Dichtung eine passende Gelegenheit, über den von den Franzosen aufs tiefste gehassten ‘weissen Kürassier’ die volle Schale des Spottes auszugiessen. Von seinem Aeusseren entwirft Albert Delpit (L'invasion 1870, S. 41 ff.) | |
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ein wenig schmeichelhattes Bild. Wohl verrate sein feuriger Blick Thatkraft und Entschlossenheit, am bestimmtesten aber komme Hinterlist, Lug und Trug in seinem Auge zum Ausdruck. Seinen Schnurrbart vergleicht er mit den Borsten des Wildschweines. Weit leidenschaftlicher flammt der Hass des Dichters Desgranges auf in seinem ‘Épître à Bismarck’ (Pendant l'orage, Paris, Lemerre 1871, S. 27-33), welches ihn als ‘Henkersknecht, Mundschenk Wilhelms, vil serpent, misérable vampire, Satan, nouveau Tristan’ anredet. Von ihm behauptet der Verfasser, dass er seinem König von einem hohen Berge aus das schöne Frankreich gezeigt und ihm seine Eroberung in sichere Aussicht gestellt habe. Der Wunsch eines Sterbenden, dass Bismarck an beiden Beinen aufgehängt werden, ein Geier ihm dann die Augen aushacken und die Leber und die rauchenden Eingeweide herausreissen, und die Hölle ihn endlich verschlingen möge, ist offenbar dem Sinn und Wunsche des Dichters vollständig entsprechend. Die Ausbrüche leidenschaftlicher Erregung fasst er noch einmal in den Worten zusammen: ‘Bismarck, je te maudis! Guillaume, je te hais!’ Ergüsse glühender Leidenschaft und tötlichen Hasses sind endlich de Banvilles Gedichte in seinen ‘Idylles Prussiennes’: ‘Le cuisinier’ (S. 67 ff.) und ‘Les rats’ (S. 88 ff.). In der Kleidung eines Kochs, angethan mit weisser Jacke und Schürze, die weisse Mütze auf dem kahlen Haupte, stösst Bismarck das Messer in die Kehle seines Opfers und fängt mit sicherer Hand das Blut auf. Indem er nach alter griechischer Sitte Fett und Eingeweide der Geopferten weihte, ist er glücklich, nunmehr von den Parisern das sagen zu können, wonach er schon längst ein teuflisches Verlangen empfand: ‘Ils étaient bons, j'en ai mangé’. In dem zweiten Gedicht vom November 1870 (Idylles Prussiennes, Paris, Lemerre 1871, S. 88 ff.,) welches dem früheren Reichskanzler gewidmet ist, schwören ihm die zur Zeit der Belagerung von Paris aufs heftigste verfolgten Ratten tödlichen Hass und bittere RacheGa naar voetnoot1). | |
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Von den Zerrbildern, welche den Reichskanzler zur Zielscheibe hatten, erwähnen wir nur das eine, bei welchem der Kopf Bismarcks auf einem Bierglas befestigt ist, und der Schaum nach allen Seiten von demselben herabfliesst. Die Erklärung zu diesem ‘symbole mousseux’ giebt das darunterstehende vierzeilige Gedicht: ‘Sur une mousse de verre, Bismarck, on t'a placé,
Ton rêve ambitieux, rêve d'un insensé,
Inspiré par la bière, a pour base l'argile;
Avant peu tu verras combien elle est fragile.’
(A. Borchardt, Litt. franç. pendant la Guerre de 1870-71.) An die Spitze der Angriffe, welche die Kriegslieder gegen das deutsche Heer und Volk richten, können wir das Gedicht ‘Dernière promenade’ von Papa-Cadet (Chants de Guerre de la France, S. 60 und 61) setzen, welches an die Franzosen die eindringliche Mahnung richtet, den ‘scharfen Zähnen der deutschen Hunde’ den heiligen Boden Frankreichs wieder zu entreissen, und Paul Déroulèdes ‘Vae victoribus!’ (Chants du soldat, S. 125 ff.) mit dem Kehrreim: ‘La France et les Français n'ont qu'un seul but: détruire
La Prusse et les Prussiens!’
Die Kriegslyrik hat ihren eigenen Jargon geschaffen. Bezeichnungen wie maudits, Vandales, bandits infâmes, les Huns d' Attila, exemple de Vandales, butors triomphants, bourreaux ivres, lâches, vils assassins, essaim de moucherons, tigres rechauffés au fumier d' Attila, soudards grisés par le vin et les crimes, lâches cannibales, ces comparses (Statisten), schlagués, loups, hiboux, chacals, corbeaux, ces hommes roux, Teutons furtifs, tas de bigots, hypocrites, chiens obscènes (V. Hugo, S. 40) für die Deutschen kehren namentlich bei Viktor Hugo, Déroulède, Desgranges und Delpit häufig wieder. Ebenso geläufig sind den Dichtern Anklagen stärkster Art, wiederholt ist die Rede von Grausamkeiten gegen Kinder und Frauen, von der Beschädigung französischer Verbandsplätze, der Bibliothek und Kathedrale von Strassburg, von Leichensteinen auf Friedhöfen (Desgranges in: ‘Vengeance’, S. 10 fl.), auch in ‘Les Chants de Guerre’, S. 30 oder in ‘Le Serment d' Annibal’ [Albert Delpit, L'invasion, S. 47] und in ‘Bazeilles’ [Déroulède, Chants du soldat, 1889, S. 69 ff.]. Wie vorauszusehen war, deuteten die Franzosen die grossmütige Schonung, die man deutscherseits dadurch übte, dass die in Paris einrückenden | |
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Truppen nur in der Nähe, nicht innerhalb der Stadt die Nacht vordem ersten März verbrachten, als erbärmliche Feigheit und Schwäche (‘Le premier Mars’, Desgranges, Pendant l'orage, S. 50 ft.). Ein Schmähgedicht niedrigster Art ist das des Akademikers V. de Laprade: ‘Bons Allemands’ (Poëmes civiques, Paris, 1873, S. 363 ff.), in welchem er dem ‘Volke der Denker’, die im Feindesland ihre Maske abgeworfen, die ärgsten Schandthaten vorwirft. In dem Gedicht ‘A. Gretchen’ (a.a. O., S. 373 ff.) versucht er seine Verleumdungen in eine andere wirksame Form zu kleiden. Im süssen Traum verloren sitzt die Holde am Fenster und schaut nach dem Rhein hin. Sie gedenkt ihres Geliebten, der mit ins Feld gezogen ist. Sie hat den mit Citaten aus Schiller, Goethe, Dante reichlich versehenen Liebesbrief kaum beendet, als sie in heftiger Erregung das Gänseblümchen-Orakel befragt, ob ihr Fritz ein wenig, viel oder unermessliche Beute, Batisttaschentücher und Spitzen in die Heimat mitbringen werde. Deutsche Frauen kämen an Adel der Gesinnung den Französinnen nicht gleich. Pariser Grisetten würden, wenn ihre Geliebten ihnen getragene Hüte und Kleider zu schenken versucht hätten, sie ihnen entrüstet ins Gesicht geworfen haben. ‘Ganz ähnlichen Inhalts ist das ‘Marguerite Schneider’ überschriebene Gedicht von Théod. de Banville (Idylles Prussiennes, Paris 1871, S. 132 ff.). Im Mittelpunkt steht die Antwort, welche der Dichter auf einen aufgefangenen Brief giebt, in welchen Marg. Schneider (allerdings ohne nähere Bezeichnung des Ortes der Absendung) ihrem Geliebten Johann Dietrich, der mit vor Paris steht, den Wunsch zu erkennen giebt, beim Plündern auf ein Paar Ohrringe für sie bedacht zu sein. Der Dichter verehrt ihr an Stelle des gewünschten Geschmeides zwei Blutstropfen, welche, wie verzaubert, jeden Augenblick auf ihr weisses Kleid niederzufallen drohen. Mit den Frevelthaten der Deutschen seien die erhabenen Geister der Vorzeit, ein Lessing, Kant, Goethe, Herder, Schiller nicht einverstanden. Trotzden führen ihre Fürsten fort, Länder und Städte zu erobern, wie uns de Banville a.a. O. in seinem Gedicht: ‘La Flèche’ berichtet. Sogar die Vögel, wie wenigstens Eugène Bour im Gedicht: ‘Vae Victis!’ (Chants de Guerre de la France, Paris 1872, S. 165) versichert, teilten die Verachtung gegen die ‘hässlichen Blutsauger’, indem sie beim Klange der fremden rauhen Sprache ängstlich in den Avenuen von Zweig zu Zweig hüpften. Gleich einer Anzahl anderer Dichter entwirft Emile Bergerat in seinem Gedicht: ‘Strasbourg’ (Poëmes de la Guerre 1870, Paris 1871, S. 31-37) von den deutschen ‘Vandalen’ ein wenig schmeichelhaftes Bild. Er schildert sie als Leute mit knechtischem Sinn, deren breite Rücken wie dazu geschaffen seien, noch Stockschläge zu erhalten. Unmöglich könne ein fast noch im Zustande der Leibeigenschaft befindliches Volk die tonangebende Stimme im europäischen Konzert auf lange Zeit behalten. Bisher hätten sie ja nur dazu getaugt, den Besen zu führen. | |
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Jene ‘Träumer’ verständen aber den Krieg so zu führen, wie man Wucher treibt und wüssten in allen Geldgeschäften so gut Bescheid, wie in der biblischen Geschichte. Die Zugehörigkeit Strassburgs zu Frankreich erscheint dem Dichter selbstverständlich. Wir hören es dieser Sprache an, wie heiliger Ernst es ihm mit dieser Auffassung war. Hier die bezeichnendste Stelle: ‘C'est l'air de Strasbourg qu'il nous faut!
Strasbourg toujours, Strasbourg bientôt!
Là sont nos foyers - ou nos tombes!’
In den Schlussworten des Gedichtes schreckt eine stürmische Leidenschaft auch vor starker Uebertreibung nicht zurück. ‘Dieu sera dans l'obscurité
Le jour où s'éteindra la France!’
(Fortsetzung folgt.) Prof. Dr. FRITSCHE, (Zwickau). |
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