Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Zur Geschichte Belgiens.
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standen sind und die mannigfaltigsten Schicksale erlitten haben, zu einem geschichtlichen Gesamtbilde zu vereinigen. Er übergab das Manuskript seinem Freund und ebenfalls Mitglied des Berliner historisch akademischen Vereins Dr. Fritz Arnheim, welcher im übrigen sich vorzugsweise auf die Geschichte Schwedens und Norwegens geworfen hat. Derselbe hat das Werk übersetzt. Ein drittes Mitglied desselben Vereins, Dr. Alexander Kartelieri, hat einige Abschnitte mit bearbeitet. Und so liegt das umfangreiche Werk, 500 Seiten stark, heute vor uns (Gotha bei Friedrich Andreas Perthes). Es ist für mich als viertes weiteres Mitglied desselben historischen Vereins ein besonderer Reiz, in der Germania, welche die Aufgabe hat, zwischen den Vlamen und den Reichsdeutschen zu vermitteln, auf das Werk hinzuweisen und einige Auszüge aus ihm zu geben. Die Anlage des Werkes lässt ohne weiteres erkennen, wie sehr der Verfasser in deutscher historischer Schule gross geworden ist. Die politische Geschichte wird stark ergänzt durch grosse Abschnitte, welche die Verfassung und Verwaltung und das politische, geistige und wirtschaftliche Leben behandeln. Die ersten Kapitel erörtern mehr einleitend die römische und fränkische Zeit, worauf zur Karolingischen und Lotharingischen Zeit übergegangen wird. Der Verfasser verlässt im Laufe seiner Arbeit seine ursprüngliche Absicht, die gesamten Niederlande zu behandeln, und beschränkt sich, was er in der Vorrede schon andeutet, hauptsächlich auf Brabant und Flandern. Das ganze Mittelalter hindurch zerklüftet das heutige Belgien jene verhängnisvolle Teilung, durch die das germanische Flandern im Vertrag von Meersen endgültig zum französischen Lehnsverbande geschlagen wurde, während die wallonischen Teile von Lüttich und Hennegau samt Brabant, Limburg und Luxemburg zum deutschen Reich fielen. Wie ganz anders und wie viel glücklicher würden sich die Schicksale gestaltet haben, und wie viele Ströme von Blut wären | |
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gespart worden, wenn man schon damals Volksgrenzen und Reichsgrenzen hätte zusammen fallen lassen. Naturgemäss musste Frankreich versuchen, den Lehnsverband mit Flandern in einen unmittelbaren Besitz umzuwandeln, während auf der anderen Seite das Zerfallen des deutschen Reiches die Bemühungen Frankreichs verstärken mussten, nebst Flandern auch andere deutschsprechende Teile des Reichs an sich zu reissen und zu verfranschen. In diesem Uebel liegt der Urgrund aller Kämpfe von den Erhebungen der flandrischen Städte bis zur Schlacht von Kortrijk und weiter bis zum Freiheitskriege der nördlichen Niederlande und der Schlacht bei Waterloo. Die scharfe klare Teilung nach der Volks-grenze hätte die Erhebungen des Landes gegen Franzosen, Kapetinger, Bourbonen, Habsburger, Spanier und schliesslich die geistige Erhebung gegen die Wallonen unnötig und überflüssig gemacht. Ich muss es mir versagen, hier ausführlich auf die einzelnen Kapitel des Buches einzugehen, welches vorläufig seinen Abschluss mit der Schlacht bei Kortrijk findet. Das Buch ist zunächst für Fachleute, aber doch lebendig und kraftvoll und in einer Sprache geschrieben, welche es auch für Laien anziehend macht. Das Buch ist für jeden, der sich mit der niederländischen Geschichte beschäftigt oder als Führer des vlämischen Volkes dessen Rechte vertreten will, unerlässlich. Es wird die Leser interessieren, wenn ich zwei Auszüge aus dem ersten und fünften Abschnitt folgen lasse, welche sich mit dem Kampfe der französischen, vlämischen und niederdeutschen Sprache befassen:
Derjenige, welcher heutzutage auf der Landkarte von Dünkirchen bis Maastricht die Sprachgrenze verfolgt, welche in den südlichen Niederlanden die Bewohner mit romanischer Sprache von ihren Landsleuten mit germanischer Mundart scheidetGa naar voetnoot(1), wird sogleich zwei sehr eigentümliche Erscheinungen gewahr. Jene Grenze bildet thatsächlich | |
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eine ununterbrochene Linie. An keinem Punkte hat sie eine Lücke aufzuweisen. Die Scheidewand, welche sie zwischen den beiden Völkerschaften aufrichtet, ist haarscharf. Gleichwie die Meeresfluten längs des Gestades, berühren sich überall längs ihrer Trace das vlämische und das wallonische Idiom, ohne ineinander überzugehen: innerhalb der linguistischen Gruppen, die sie voneinander sondert, lässt sich nirgends das Vorhandensein von fremden Sprachinseln oder Enklaven nachweisen. Der Zustand würde sehr leicht seine Erklärung finden, wenn die linguistische Grenze mit einer geographischen zusammenfiele und beispielsweise den Lauf eines grossen Stromes oder den Fuss einer Gebirgskette begleitete. Aber eigentlich nirgends wird sie durch Bodenerhebungen oder durch Flussläufe bestimmt. Vielmehr durchschneidet sie überall die Ebene, und der Reisende wird nur dadurch ihre Uberschreitung gewahr, dass er beim Durchwandern zweier aufeinander folgende Dörfer plötzlich einen Wechsel des Idioms bemerkt. Diese so merkwürdige Erscheinung, von welcher vielleicht kein anderes Land Etwas Aehnliches aufzuweisen vermag, wird durchaus verständlich, wenn man die historischen Bedingungen, unter denen sich die germanische Eroberung vollzogen hat, und die damaligen Zustände in Jener Gegend in Betracht zieht. Nicht gleich einem verheerenden Strome haben sich die Salier im fünften Jahrhundert über die Niederlande ergossen. Es hiesse einen schweren Irrtum begehen, wollte man etwa die Vorstellung hegen, dass sie kurzer Hand zum Angriff gegen die Provinzen geschritten wären. Seit dem Tage, wo das römische Reich ihnen gestattete, sich in Toxandrien festzusetzen; seit dem Tage, wo ihre hundertjährigen Bemühungen, am linken Rheinufer festen Fuss zu fassen, mitErfolg gekrönt wurden, haben sie für langeZeit der Bekämp fung der römischen Heere ein Ende gemacht und angefangen, scharenweise den Boden ihres neuen Vaterlandes zu kolonisieren. Diese Aufgabe war für sie um so leichter, als die Urbevölkerung die durch einen unaufhörlichen Krieg verwüsteten Gegenden verlassen hatte; verödet lagen die Niederungen, wo die neuen Ansiedler ihre ersten Niederlassungen gründeten. Später, als die Rückberufung der nordischen Legionen nach Italien ihnen den Weg gen Süden erschlossen hatte, setzten sie sich nach dem Innern des Landes in Bewegung und nahmen die Thäler der Leie (Lys) und der Scheide in Besitz. Anscheinend vollzog sich alles dies, ohne dass es grosser kriegerischer Anstrengungen bedurft hätte; quer über die einsamen Weideplätze der Menapier drangen die Franken vorwärts, ohne auf Widerstand zu stossen. Die wenigen keltoromanischen Landleute, welche man in jenen offenen und seit langem feindlichen Einfällen ausgesetzten Landstrichen noch als Nach- | |
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zügler antraf, wurden hingemordet oder in die Sklaverei geschleppt. Mit jedem Fortschreiten der Eroberung ging die Besitznahme des Bodens durch die Eroberer Hand in Hand. Manche vlämische Dörfer haben von jener Zeit an bis auf den heutigen Tag den durch das Suffix ‘inghem’ kaum veränderten Namen des Kriegers bewahrt, welcher daselbst einstmal seinen Familiensitz gründeteGa naar voetnoot(2). Die Kolonisation des nördlichen Belgiens durch die Franken ist ein Werk, dessen Urheber sich nicht nennen lässt; denn sie ist das Werk eines ganzen Volkes, welches, ohne einen vorgefassten Plan, unter einem ganz natürlichen Impulse handelt, der es dazu treibt, seine allzu engen Grenzen zu verlassen und sich über die vor ihm liegenden verödeten Landstriche zu verbreiten. Als jedoch der Vortrab der Eindringlinge bei Fortsetzung seines Marsches längs des Laufes der Scheide bis in die Gegend von Tournai gekommen war, galt es einen Kampf zu bestehen. Die Truppen des Aëtius, welche sich auf die römische Heerstrasse stützten, verteidigten den Übergang. Damals war es, wo uns Chlodio (Chlogio) an der Spitze der Salier begegnet, ihr erster König, dessen Name bis auf unsere Zeit gekommen ist. Unter seiner Führung bemächtigten sie sich mit Gewalt des oberen Thals der Leies und der nördlich von der Somme belegenen Landschaften, während sie im Osten die Stadt Tournai eroberten. Nur in der Umgebung von Boulogne, deren Bevölkerung schon seit langer Zeit durch die Küstenpiraten beunruhigt worden war und daher sehr dünn gesät sein musste, liessen sie sich scharenweise bis zur Canche nieder, und nur dort ersetzte ihre Sprache den bisherigen romanischen Dialekt. Im Süden und Nordosten hingegen - sowohl im Thal der Somme, wie in der Umgegend von Cambrai, Tournai und Arras - vermischten sie sich mit den Urbewohnern, die allzu zahlreich waren, als dass sie von ihnen hätten zurückgedrängt oder aufgesogen werden können. In dem Augenblick, wo die Franken die römische Heerstrasse von Boulogne nach Köln berührten, besassen sie übrigens in den Niederungen bereits ein Kolonisationsgebiet von hinreichender Ausdehnung. Nicht mehr behufs Gründung neuer Heimstätten setzten sie künftig ihre Eroberungen fort. Vielmehr hatten dieselben jetzt einen politischen Charakter; sie nützten dem Könige, nicht aber mehr dem Volke. Unzweifelhaft war die Zahl der Salier, die sich im Hennegau und in Artois festsetzten, gleichfalls beträchtlich. Allein die durch sie in romanischen Landen gebildeten germanischen Enklaven waren dem Untergang geweiht. Zersplittert inmitten von Ange- | |
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hörigen einer fremden Rasse und in steter Berührung mit einer überlegenen Kultur, teilten diese vorgeschobenen Posten schliesslich das Los der burgundischen und westgotischen Niederlassungen im Süden Galliens. Nur vermöge eines unaufhörlichen Zuflusses frischer Kräfte hätten sich ihre Bewohner ihren Nationalcharakter unversehrt bewahren können. Aber der Strom war versiegt und die fränkische Invasion zum Stillstand gekommen, so dass die unter romanischen Völkern zerstreut lebenden Salier sich bald mit ihnen vermischten. Man kann die Frage aufwerfen: Weshalb haben sich denn die Salier, als sie die Grenzen Toxandriens überschritten, in südwestlicher Richtung ausgebreitet, anstatt durch Brabant direkt gen Süden ins Innere Galliens zu ziehen? Die Beantwortung dieser Frage ist leicht. Wenn auch heute in der That die Landschaft, die sich von Antwerpen bis nach Mons erstreckt, einem von Norden her kommenden Eindringling kein natürliches Hindernis entgegenstellt, so herrschten doch im fünften Jahrhundert ganz andere Zustände. Damals war der ganze nördliche Teil der Niederlande von einem dichten Walde bedeckt, dessen undurchdringliches Laubwerk ohne Unterbrechung von den Ufern der Schelde bis zu den Einöden der Ardennen reichte Man nannte ihn den KohlenwaldGa naar voetnoot(3). Dieser ‘Schutzwall aus Holz’ war es, der die Franken in den Niederungen des Kempenlandes (Campine) und Flanderns zurückhielt. In jenen flachen und offenen Gegenden war die Kolonisation bequem. Die neuen Besitzer fanden einen Boden vor, der kein langes und mühsames Ausroden und Urbarmachen erforderte. Die Eindringlinge machten daher auch keine Anstrengung, um quer durch den Wald zu dringen; an dem Saume desselben hörten ihre Massenansiedlungen auf. Das salische Gesetz, die erste Urkunde, in welcher uns der Name des ‘Kohlenwaldes’ erhalten geblieben ist, betrachtet ihn, bezeichnend genug, als Markstein für die Grenze des fränkischen Volkes. Jenseits dieserGrenze, in den Lichtungen und Thälern des Waldes, behaupteten sich die romanisierten Kelten, welche von den Germanen mit dem Namen ‘Wala’ bezeichnet wurden und die direkten Vorfahren der Wallonen Belgiens sind. Wie bedeutend aber auch vor und bei den Einfällen deutsche Einflüsse in jener Waldregion gewesen sein mögen, so genügten dieselben doch nicht, um den Charakter oder die Sprache ihrer Bewohner auch nur einigermassen gründlich zu verändern. | |
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Der Wald ist für sie eine ebenso wirksame Schutzwehr gegen die Eindringlinge gewesen, wie es in derselben Epoche die Alpen für die Rätoromanen und die Italiener des Kantons Tessin, oder die Hügel von Wales und Cornwall für die Briten Englands waren. An ihrer nördlichen und westlichen Flanke durch den Kohlenwald gedeckt, wurden die Wallonen im Osten durch das noch minder zugängliche Gehölz der Ardennen geschützt. Die Ripuarier gelangten nicht über die Ebene, des Hasbengaus (Hesbaye) hinaus. Auch die Horden von Alemannen, welche das Heideland der Eifel durchzogen hatten, fanden einen Wall von Bäumen vor sich. Heutzutage giebt es vom Ardenner Walde nur noch geringe Überreste, und der ‘Kohlenwald’ ist fast vollständig verschwunden. Durch ein langwieriges Studium der Ortsnamen ist nicht nur die äusserste Grenze festgestellt worden, welche die alemannische Kolonisation im Osten, sowie die fränkische Kolonisation im Norden und im Westen erreichte, sondern gleichzeitig auch der frühere Umfang der grossen Wälder, welche, gleichwie ein mächtiger Schutzdamm, die Fluten der feindlichen Invasion zum Stillstand brachten und, inmitten der Germanen, den nördlichsten romanischen Volkstamm schützten. Noch heutzutage, nach mehr als 1400 Jahren, hat sich im modernen Belgien der ursprüngliche Zustand nicht verändert. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, behaupten Vlamen und Wallonen nach wie vor einander gegenüber dieselben Stellungen, die ihre Vorfahren um die Mitte des fünften Jahrhunderts eingenommen haben. Auch in den Niederungen des Nordens waren es natürliche Hindernisse, welche die von den Eindringlingen besetzten Territorien voneinander trennten. Die Ripuarier machten, nach Überschreitung der Maas, am Rande der Sümpfe des Kempenlandes (Campine) HaltGa naar voetnoot(1). Das Gebiet der Salier, welches westlich von diesen Sümpfen seinen Anfang nahm, erstreckte sich nicht bis ans Meer. Seine äusserste westliche Grenze scheint vielmehr durch die öde Waldregion bestimmt worden zu sein, die in Form einer Diagonale Flandern von St-Nikolaas bis Thourout durchschneidet und deren letzte Spuren erst vor einigen Jahren verschwunden sindGa naar voetnoot(2). Die Hauptmasse der Salier umging diese öden Landstriche, wie sie dem | |
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‘Kohlenwalde’ ausgewichen war. Nur sehr wenige von ihnen drangen bis in die Küstengebiete Flanderns. Friesen - möglicherweise untermischt mit Sachsen, die auf dem Seewege gekommen waren - kolonisierten jene Gegend, wo man noch heute in der SpracheGa naar voetnoot(1), in den Gesetzen und Sitten, ja sogar in dem Aussehen der Bewohner unverkennbare Beweise ihres Ursprungs findet. (Schluss folgt). |
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