Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdLord Byrons einfluss auf die deutsche Litteratur.Ungleich tiefer als auf seine Heimat hat Byron auf Deutschland eingewirkt. Seine blendende Erscheinung ist während einer langen Zeit das helle Traumbild der deutschen Jugend gewesen, lange haben alle Kreise unserer guten Gesellschaft in der Vergötterung des Dichters gewetteifert. Sein Weltschmerz und Skepticismus, die sich aus leidenschaftlicher Genusssucht und Blasiertheit, aus Ekel am Leben, aus Begeisterung und | |
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wieder negierender Ironie vielfach mischen, fanden schon bei Lebzeiten Byrons glühende Bewunderer in Deutschland. Wie die ganze englische Litteratur in Deutschland seit den Tagen Lessings eine zweite Heimstätte gefunden hatGa naar voetnoot(1), so namentlich auch Byron, obschon seine Poesie nicht, wie diejenige Shakespeares dauernd mit der deutschen verwebt ist. Immerhin haben aber seine Schöpfungen, seine Ideen in umfassender Weise auf die Entwicklung der deutschen Litteratur eingewirkt. Hinsichtlich der Teilnahme und Bewunderung für Byron war Goethe der Vertreter Deutschlands. In seinen Schriften ‘Zur auswärtigen Litteratur und Volkspoesie’, in seinen ‘Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller’ und in ‘Eckermanns Gesprächen mit Goethe’ finden sich zahlreiche Urteile Goethes über den grossen Britten. ‘Je mehr man sich’, schreibt Goethe im Jahre 1817, ‘mit den Eigenheiten dieses ausserordentlichen Geistes bekannt machte, gewann er immer grössere Teilnahme, so dass Männer und Frauen, Mägdlein und Junggesellen, fast aller Deutschheit und Nationalität zu vergessen schienen. Bei erleichterter Gelegenheit seine Werke zu finden und zu besitzen, ward es auch mir zur Gewohnheit, mich mit ihm zu beschäftigen. Er war mir ein teurer Zeitgenoss, und ich folgte ihm in Gedanken gern auf den Irrungen seines Lebens’. An einer anderen Stelle sagt Goethe: ‘Die Originale sind in den Händen aller Gebildeten - die Zahl der Nachdrücke und Uebersetzungen, die aller Orten in Deutschland aufgeschossen, ist Legion’. Von Byrons ‘Don Juan’ übersetzte Goethe den Eingang, von Byrons ‘Manfred’Ga naar voetnoot(2), den Monolog und den | |
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Bannfluch. Im Euphorion, im zweiten Teile des ‘Faust’, hat Goethe Byron dargestellt und ihm dort den majestätischen Trauergesang gewidmet: ‘Nicht allein! - wo du auch weilest,
Denn wir glauben dich zu kennen;
Ach! wenn du dem Tag enteilest,
Wird kein Herz von dir sich trennen.
Wüssten wir doch kaum zu klagen,
Neidend singen wir dein Los:
Dir in klar und trüben Tagen
Lied und Mut war schön und gross.
Ach! zum Erdenglück geboren,
Hoher Ahnen, grosser Kraft,
Leider! früh dir selbst verloren,
Jugendblüte weggerafft;
Scharfer Blick, die Welt zu schauen,
Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesglut der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei ins willenlose Netz;
So entzweitest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Mut Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen, -
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? - Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt!
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.’
Tief greifenden Einfluss hat Byron auf die folgenden Dichtergenerationen ausgeübt. Goethe hatte sich mit seinem ‘Wer- | |
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ther ‘von dem Weltschmerze befreit. Dazu stand er den staatlichen Verhältnissen fern und auf einer olympischen Höhe des Lebens, wo ihn die äussere Umgebung nicht berührte. Anders war es mit den Dichtern, welche mit ihrem Leben und Schaffen wesentlich in die ersten Decennien des 19. Jahrhunderts fallen. Der von Byron neu in die deutsche Litteratur eingeführte Weltschmerz war das Zeichen einer inneren Revolution und ein Vorbote des Sturmes, der bald auch die allgemeinen Verhältnisse zerrütten sollte. Die europäische Atmosphäre, hatten wir bereits früher gesehen, war mit ungesunden Dünsten, welche die Stagnation eines langen Friedens darin gesammelt hatte, gefüllt. Man zehrte von den Reminiscenzen der Vergangenheit und schien auf die Zukunft zu verzichten. Die heilige Allianz hatte sich als etwas anderes herausgestellt, wie man anfangs erwartet hatte. In ihr feierte die Reaktion ihren ersten Triumph. Denn diese Verbindung war wesentlich gegen das Volk gerichtet, in welchem Freiheitsideen sich regten. Der ‘revolutionäre’ Geist wurde in Deutschland mit Strenge gebannt. Im Sommer 1819 trat zu Karlsbad ein neuer Congress zusammen, auf dem die unglücklichen Karlsbader Beschlüsse gefasst wurden. Alles politische Leben wurde erstickt, die Idee der Nationaleinheit niedergehalten. Damit machte man sich einer schweren Sünde schuldig. Gerade durch die Befreiungskriege war der politische Sinn unseres Vaterlandes wieder aus seinem Schlummer geweckt worden. Wäre er mit Mass weiter ausgebildet worden, so hätte sich unter den einzelnen Stämmen das Gefühl der Zusammengehörigkeit lebendig erhalten. Grollend hockte jetzt das Volk in dumpfer Verstimmung, in Missmut und engherziger Philistrosität zusammen. In der Litteratur machte sich die Schicksalstragödie breit in dieser Zeit der Enttäuschung, welche auf die hoffnungsvollen Tage der Befreiungskriege folgte. Zur leichten Unterhaltungslektüre, | |
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zu den lüsternen Romanen eines Clauren u.s.w. griff das Volk, bis endlich ein neuer Geist dasselbe wieder mit sich fortriss. Lord Byron war der Mann, dessen Dichtungen nach allen Seiten hin den Samen des Sturmes ausstreuten. Er war der Genius mit dem Kainsstempel des unruhigen und schuldvollen Gedankens. ‘Auf den Höhen des Lebens geboren, und doch voller Begeisterung für die Freiheit, ein Bezauberer aller Herzen und doch mit unglücklichem Streben fortwährend einem beständig schwindenden Ideale nacheilend; skeptisch bis zur Blasiertheit und bis zum übermütigen Hohn, und doch voller Sehnsucht nach den Heiligtümern, welche die Menschheit eingebüsst, war er die letzte und bedeutendste unter allen poetischen Gestalten, deren Zauber sich die Welt, wenn auch mit unwilligem Widerstreben, unterwarf’. Missmut und Unzufriedenheit hatten sich aller strebenden Geister bemächtigt; eine allgemeine Opposition gegen die Restauration in Staat und Kirche, Recht und Sitte, fasste festen Fuss. Die Verstimmung über die Thatlosigkeit der Zeit, die ganze Sachlage gewann in den Geistern jenen zwischen blasierter Weltmüdigkeit und polemischer Verbitterung schwebenden Ausdruck, der in der poetischen Gestalt Byrons typisch geworden ist. Seine dämonische Erscheinung war ein gewaltiges Ferment dieser Epoche. Man lauschte trunkenen Ohres seinen Lauten, alle unterdrückten Nationen, für welche er die lebhafteste Sympathie äusserte, richteten sich an ihm empor. Die Romantik, welche in Deutschland ihren Ursprung genommen, hatte sich von hier allen Ländern mitgeteilt. Unter den Romantikern hat allein Wilhelm Müller (1794-1824) von Byron Anregung empfangen. Seine ‘Griechenlieder’ entstanden unter dem frischen Eindrucke von Byrons Aufopferung für die hellenische Sache. Bekannt ist sein herrliches Totenlied auf Byron: ‘Siebenunddreissig Trauerschüsse? Und wen haben sie gemeint?
Sind es siebenunddreissig Siege, die er abgekämpft dem Feind?
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Sind es siebenunddreisig Wunden, die der Held trägt auf der Brust
Sagt, wer ist der edle Tote, der des Lebens bunte Lust
Auf den Märkten und den Gassen überhüllt mit schwarzem Flor
Sagt, wer ist der edle Tote, den mein Vaterland verlor?
Keine Siege, keine Wunden meint des Donners dumpfer Hall,
Der von Missolunghis Mauern brüllend wogt durch Berg und Tha
Und als grause Weckerstimme rüttelt auf das starke Herz,
Das der Schlag der Trauerkunde hat betäubt mit Schreck und Schmerz;
Siebenunddreissig Jahre sind es, so die Zahl der Donner meint:
Byron, Byron, deine Jahre, welche Hellas heut' beweint,
Sind's die Jahre, die du lebtest? Nein, um diese wein' ich nicht:
Ewig leben diese Jahre in des Ruhmes Sonnenlicht,
Auf des Liedes Adlerschwingen, die mit nimmer müdem Schlag
Durch die Bahn der Zeiten rauschen, rauschend grosse Seelen wach.
Nein, ich wein' um andere Jahre, Jahre, die du nicht gelebt
Um die Jahre, die für Hellas du zu leben hast gestrebt,
Solche Jahre, Monde, Tage kündet mir des Donners Hall:
Welche Lieder, welche Kämpfe, welche Wunden, welchen Fall!
Einen Fall im Siegestaumel, auf den Mauern von Byzanz,
Eine Krone dir zu Füssen, auf dem Haupt der Freiheitskranz!’
Der romantischen Richtung in Deutschland setzte sich am entschiedensten August Graf von Platen-Hallermünde (1796-1835) entgegen. Eine Einwirkung der ganzen Zeitverhältnisse und des englischen Dichters auf Platens Dichtungen liegt offen zu tage. Platen ist, wie Byron, ein Meister der Form; aber durch seine Schöpfungen geht ein Zug innerer Unzufriedenheit; jedes Gift der Welt hat er erprobt; ihm ist Leben Leiden und Leiden Leben. Eine geistige Dissonanz stört die Harmonie seiner Rythmen und seine Erzeugnisse sind daher, wie diejenigen des englischen Dichters, zumeist fragmentarisch geblieben. Ein Gefühl des Ungenügens an der Welt vermag kein vollendetes Kunstwerk zu schaften. Platen lebte in derselben politischen Restaurationsepoche, wie Byron; er erinnert an diesen nicht nur durch den hinreissenden Schwung seiner Rythmen, durch die Koketterie einer inneren Zerrissenheit, sondern auch durch die Heftigkeit seiner politischen Erbitterung. In Platen zeigt sich auch | |
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der Byronische Weltschmerz, wie er durch den Engländer auf das Gebiet der politischen Lyrik geführt wurde. Wie Byron die Verhältnisse seines Landes aus England, so trieb Platen die Unzufriedenheit mit den deutschen Zuständen aus seinem Vaterlande; 1826 ging er nach Italien, wo er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tode verblieb. In Byronischem Sinne dichtete er seine schwungvollen ‘Polenlieder’, an welche Dichtweise - wie wir später sehen werden - sich Herweghs politische Lyrik anschliesst. Unter dem Einflüsse Lord Byrons steht auch Adalbert von Chamisso (1781-1878). Er hat von dem Britten die Sucht nach grösseren Reisen, welche dieser zur Mode erhob. Chamissos ‘Salaz y Gomez’ zeigt den Ausdruck der Weltverlassenheit und der bitteren Verzweiflung. Er verfasste ferner: Lord Byrons letzte Liebe.
Byron ist erschienen! Der Kamönen
Und des Ares Zögling strahlt, ein Held,
Unter Hellas' heldenmüt'gen Söhnen
Auf dem blutgedüngten Freiheitsfeld.
Und ihm schlagen aller Griechen Herzen -
Eines nicht, nach welchem er doch ringt;
Und er schafft sich unablässig Schmerzen,
Wo er selbst das Heil den Völkern bringt.
‘Wie mein Volk, so will ich dich verehren!’
Mild, doch ungerührt die Jungfrau spricht;
‘Magst die Krone von Byzanz begehren,
Meine Liebe nur begehre nicht!’
Eilig ward er einst zu dir entboten,
Die der Stern ist seiner innern Nacht;
Stürmend folgt er, ahnungsvoll dem Boten. --
Welch ein Schreckensbild vor ihm erwacht! u.s.w.
Karl Lebrecht Immermann (1796-1840), welcher sich in seinen späteren Dichtungen ganz von der Romantik lossagte, ist gleichfalls hier zu erwähnen. Das Gefühl des Mangels innerer Befriedigung prägt sich in seinen Werken aus; sein | |
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Weltschmerz führt sich auf seine Empfindung der Unwürdigkeit der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit zurück. Er bezeichnet seine Zeit als die Epoche der Epigonen. In seinem Roman ‘Die Epigonen’ (1836) waltet die Poesie der Verzweiflung. Auf demselben Boden steht sein Roman ‘Münchhausen’ (1838-39). Doch findet er, dass noch eine Stelle der Welt von der allgemeinen Heuchelei, Lüge und Ohnmacht unberührt geblieben sei: der Hohlheit des Zeitalters, welche in seinem ‘Münchhausen’ zur Darstellung gebracht wird, setzt er in seinem ‘Oberhof’, insbesondere in seinem ‘Hofschulzen’ die starre und feste Naturkraft des westfälischen Volkes gegenüber. Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) hat Byronische Ideen in sich aufgenommen. Er ist ein Dichter von zerrissenem Gemüt; schon in seinem Erstlingswerk ‘Herzog von Gotland’ ist Grabbe vom bittersten Skepticismus angefressen. Sein ‘Don Juan und Faust’ erinnert uns in manchen Seiten an Byrons ‘Don Juan’. Ehe wir auf den eigentlichen Hauptvertreter des Byronismus in Deutschland eingehen, auf Heinrich Heine, haben wir noch eines charakteritischen Zuges der Dichtungen Byrons zu gedenken, welcher auf die deutsche Litteratur von Einfluss war. An den schwäbischen Dichterkreis, aus welchem wir Wilhelm Waiblinger (1804-1831) als einen Dichter hervorheben, welcher in seinen ‘Erzählungen aus Griechenland’ in Byrons Spuren wandelte und infolge seines zügellosen Lebens srüh zu Grunde ging, ferner Gustav Pfizer, welcher viele Griechen-und Polenlieder dichtete und dessen Balladen ‘El Sospiro del Moro’ und ‘Das Schicksal’ einen an Byron anklingenden Schwung haben, schliessen sich die Vertreter der orientalischen Lyrik. Gewiss hat schon Goethe durch seinen ‘Westöstlichen Divan’ dieser Dichtungsart die Bahnen geebnet; indes ist es Byron, der recht eigentlich die Farbe und den Duft des | |
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Orients in Europa eingeführt hat. ‘Childe Harold’, ‘Giaour’, ‘Belagerung von Corinth’, ‘Sardanapal’ u.s.w. zündeten die allgemeine Phantasie mehr an als Goethes ‘Westöstlicher Divan’. Die Vertreter der orientalischen Lyrik: Rückert, Daumer, Bodenstedt, Hammer und Leopold Schefer haben Byrons glutvolle orientalische Schilderungen auf sich einwirken lassen und haben, wie er, die Länder des Orients bereist. - Kurz vor der Julirevolution richteten sich die Augen des Volkes auf zwei Männer, welche in ihren Schriften einen grell dissonierenden Ton anschlugen. Es waren Börne und Heine; beide Vertreter des jüdischen Elements. In der deutschen Litteratur sind Börne und Heine diejenigen; welche vor der Julirevolution dem unter Byrons Einflüssen veränderten litterarischen und politischen Geiste zuerst in Deutschland Bahn gebrochen und die Gemüter reizbar gestimmt haben. Seit Börne und Heine datiert eine neue Phase der deutschen Litteratur. Bei ihnen packte der Reiz und die Macht der neuen Ideen, das kecke Erfassen des Nächsten in Staat und Gesellschaft und ihr Freiheitsdrang. Dazu kam ihr ausgeprägter Witz und ihre Ironie, verbunden mit einem glühenden Reformdrang. Überreizte Hoffnungen und rasche Enttäuschung hatten Ludwig Börne (1786-1837) zur Verzweiflung gebracht. Die französische Julirevolution führte ihn nach Paris. Seine ‘Briefe aus Paris’ (1832-34) sind in einer witzigen, geistreichen Sprache abgefasst, aber verneinenden Geistes und von Byronischer Skepsis. Mit Börne brach Heinrich Heine (1800-1856) der neuen Zeit Bahn. Was Byron für die europäische Litteratur ist, das war Heine für die deutsche. Er war früh mit den Dichtungen Lord Byrons bekannt geworden. In Berlin verkehrte er in dem Kreise (1820-24) der Dichterin Elise von Hohenhausen, welche damals eine begeisterte Verehrerin des englischen Dichters war und seine Dichtungen zum Teil übersetzte. Sie war es, | |
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welche den 21 jährigen Heine zuerst als Nachfolger Byrons n Deutschland proklamierte. Zu den männlichen Besuchern des Hohenhausenschen Kreises gehörten ausser Varnhagen, Chamisso u.s.w. auch der Dichter und Epigone Byrons, Graf Georg Blankensee. Heines erste Gedichte erschienen im Jahre 1822 und enthalten viele an Byron anklingende Gedichte; dazu eine Übersetzung des Geisterliedes aus Byrons ‘Manfred’. Ausser Varnhagen besprach Immermann die Heineschen Gedichte im ‘Kunst- und Wissenschaftsblatte’ des ‘Rheinisch-Westfälischen Anzeigers’ (Nr. 23 vom 31. Mai 1822). Es heisst darin zur Charakteristik derselben unter anderen: ‘Aus allen seinen Liedern spricht sich der Unmut, der sich oft bis zur Wut und Verzweiflung steigert... Es ist ganz natürlich, dass ein dunkles Gefühl oder die klare Erkenntnis von diesem trostlosen Stande der Dinge diejenigen ergreift und verstimmt, welche mit Anlagen ausgerüstet sind. Daher treten alle Talente in unseren Tagen gereizt und kränkelnd auf, mehr als je stellt sich der Dichter in offene Opposition gegen die übrige Welt; er, der eigentlich berufen ist, zwischen und über allen Parteien stehend, alle aufzulösen und zu beschwichtigen, bildet jetzt die heftigste Partei, und wie er sonst friedlich, wohlempfangen in die Hütte und in den Palast trat, so muss er nun, in Stahl und Eisen gepanzert, sein Schwert immer zum Ausfall bereit halten. Jenen bitteren Grimm über eine bittere und unempfängliche Gegenwart, seine tiefe Feindschaft gegen die Zeit, scheint nun die kraftvolle Natur unseres Heine ganz besonders stark zu hegen, und daraus wird es mir erklärlich, warum ein Jüngling unter 53 Gedichten auch nicht einziges zu geben vermochte, aus dem Freude und Heiterkeit spricht. Mit dem, worüber er unmittelbar sich beklagt, würde er leichter und harmonischer fertig geworden sein, läge nicht das oben angedeutete Bewusstsein eines tiefen Zwiespaltes in seiner Seele... Oberflächliche Ähnlichkeit findet man zwischen diesen Produktionen und | |
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den Werken Lord Byrons, zu welchen unser Landsmann eine besondere Neigung zu haben scheint. Die Vergleichung Beider würde aber teils zum Nachteil teils zum Vorteil des Deutschen ausfallen. Gewaltiger und reicher als Byron kann Niemand den Abgrund einer zerstörten Seele zeigen, er ist Roquairol à cheval, und unser Dichter kommt ihm darin auch nicht von fern nahe. Der Britte dünkt mich wie jener Fisch, den die Römer zu grausamer Ergötzung auf ihren Tafeln zuschneiden liessen, und der im Moment des Sterbens das herrlichste Farbenspiel sehen liess. Dagegen ist der Deutsche viel frischer und lebensmutiger. Es ist ihm noch möglich, seinen Geist an einer einzelnen Erscheinung auszulassen, während der Lord alles Göttliche und Menschliche, Zeitliches und Ewiges gleichmässig verhöhnt’. Immermann lagen nur die ersten Dichtungen Heines zur Recension vor; in seinen späteren Werken hat Heine in den vorerwähnten Punkten den Britten noch übertroffen. Wir können nicht umhin, noch eine Stelle aus einem längeren Aufsatze anzuführen, von dem der Verfasser leider nicht bekannt ist. Derselbe erschien am 7. Juni 1822 gleichfalls in demselben ‘Kunst- und Wissenschaftsblatte’. ‘In unserer Litteratur’, so heisst es daselbst, ‘hat noch nie ein Dichter seine ganze Subjectivität, seine Individualität, sein inneres Leben mit solcher Keckheit und solcher überraschender Rücksichtslosigkeit dargestellt, als Herr Heine in seinen Gedichten. Da die streng objective Darstellung dieser ungewöhnlichen, grandiosen Subjectivität ganz das Gepräge der Wahrheit trägt, und da die Wahrheit eine wundersame allbesiegende Kraft besitzt, so haben wir wieder einen Grund aufgefunden, weshalb Heines Gedichte bei den Lesern einen so unwiderstehlichen Reiz ausüben. Aus dem Grunde machen Lord Byrons Gedichte in England so viel Aufsehen; das Edinburgh Review und die Magazins und die ganze Kritikergilde schreien ‘Zeter’, und das lesende Publikum schreit ‘göttlich!’ Man hat noch ausserdem zwischen Herrn Heine und dem | |
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sehr edlen Lord eine geheime Verwandtschaft bemerkt. Es ist etwas Wahres an dieser Behauptung. Die geistigen Physiognomien beider sind sehr ähnlich; wir finden darin dieselbe Unschönheit, aber auch denselben Hochmut und Höllenschmerz. Bei dem jüngeren Deutschen blickt noch immer die deutsche Gutmütigkeit durch und seine humoristische Ironie ist sehr entfernt von der eiskalten brittischeri Persiflage... Durch seine Ubersetzungen aus Byrons Werken nimmt Herr Heine ganz und gar unsere unbeschränkte Achtung und unser höchstes Lob in Anspruch’. Im Jahre 1823 veröffentlichte Heine die beiden unbedeutenden Tragödien ‘Ratclif’ und ‘Almansor’ (Berlin 1823). ‘Ratclif hat eine unverkennbare Aehnlichkeit mit der beliebten Byronschen Gestalt des Abtrünnigen, des gefallenen Engels, der zum Teufel wird. Bezeichnend für Heines Stimmung, wie für die Grundstimmung des ‘Ratclif’, ist die in ein für seinen Freund Friedrich Merckel bestimmtes Exemplar geschriebene Widmung. Dieselbe lautet nach Adolf Strodtmann, in dessen Besitz sich das genannte Exemplar später befand: ‘Ich habe die süsse Liebe gesucht,
Ich habe den bitteren Hass gefunden,
Ich habe geseufzt, ich habe geflucht,
Ich habe geblutet aus tausend Wunden.
Auch hab' ich mich ehrlich Tag und Nacht
Mit Lumpengesindel herumgetrieben;
Und als ich all' diese Studien gemacht,
Da hab' ich ruhig den Ratclif geschrieben.’
In ‘Ratclif’ klingen die Gedanken des modernen Socialismus durch. Heine teilt die Menschen hier in zwei Klassen ein, die sich wild bekriegen, nämlich in ‘Satte’ und ‘Hungerleider’. Es findet sich bei Heine bestimmter als bei Byron der Charakter einer Anklage der Armen gegen die Reichen, der niederen gegen die höheren Klassen. Im Jahre 1824 hauchte Lord Byron zu Missolunghi seine Seele aus. Der Tod des englischen Dichters bewegte Heine | |
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schmerzlich. ‘Er war der einzige Mensch, mit dem ich mich verwandt fühlte’, schrieb er an Moser, ‘und wir mögen uns wohl in manchen Dingen geglichen haben... Der Todesfall meines Vetters in Missolunghi hat mich tief betrübt’. Auf Byrons Leichenfahrt aus Griechenland nach England dichtete Heine die Verse: ‘Eine starke schwarze Barke
Segelt trauervoll dahin,
Die vermummten und verstummten
Leichenhüter sitzen drin.
Toter Dichter, stille liegt er,
Mit entblösstem Angesicht:
Seine blauen Augen schauen
Immer noch zum Himmelslicht.’
Im Jahre 1826 erschien der erste Band von Heines ‘Reisebildern’; die Fortsetzungen folgten bis zum Jahre 1831. Sie sind in voller Subjectivilät befangen; auf die Jugend besonders, welche sich durch hundert Fesseln beengt fühlte, wirkten sie zündend. Die Anregung zu dieser Dichtungsart empfing Heine offenbar von Byron; speciell diente ihm ‘Childe Harold’ als Vorbild. Sie sind voll reizender Naturbilder, kokett, aber melancholisch und von einem grauen Skepticismus durchzogen. Im Jahre 1827 gab Heine sein ‘Buch der Lieder’ heraus. Es enthält die entzückendsten Perlen lyrischer Poesie, welche an Einfachheit und Melodie, an Anmut und Gedankenschwung kaum ihresgleichen haben. Allein seine Byronische Skepsis, sein massloser mephistophelischer Hohn vernichten jedes Gefühl. Die Lieder sind aus einer Dissonanz geboren. Das Meer und die Sterne müssen dem Weltschmerze und der Skepsis antworten. Die herrschende Sentimentalität seiner Zeit schuf Heine zum Weltschmerze um, in welchem das Ich sich zum Mittelpunkte des Alls machte. 1844 erschien Heines ‘Deutschland, ein Wintermärchen’. Es ist eine boshafte, cynische Schilderung deutscher Zustände, | |
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wie ‘Atta Troll’ voll Hohn und Spott über die neuen dichterischen Bestrebungen ist. Seine ‘Hebräischen Melodien’, welche wir hier noch erwähnen, erinnern schon durch den Titel an Byrons ‘Hebrew melodies’. Heines letztes Werk, sein ‘Romancero’, (1852) durchziehen zersetzende Ironie, beissender Spott und düsterer Byronischer Skepticismus. Er wendete sich gegen die höchsten Fragen der Menschheit, Gott und die Unsterblichkeit, in frivoler Weise, er, der weder den sittlichen Ernst noch die philosophische Bildung besass. Heine ist stark von Byron beeinflusst worden, ohne ihn als Vorgänger wäre der deutsche Dichter gar nicht denkbar gewesen. Heine selbst hat sich gern mit Byron vergleichen lassen; er hat einmal sogar behauptet, er sei doch viel tugendhafter als der englische Lord. Beide Dichter lebten zu einer Zeit, wo ihre Heimatländer tiefe sociale und politische Schäden zeigten; beide starben in der Fremde. Aber obschon Byron gegen die Schwächen der englischen Gesellschaft eiferte, sank er doch nie so tief, sein Vaterland, wie Heine es that, zu verhöhnen. Byron war durch und durch Gentleman; selbst dem verbannten Engländer blieb sein Volk noch das erste der Erde. Bei Byron ist der Missklang besonders der Wiederhall seiner verstimmten, tief unglücklichen Seele. Heine kokettiert mit einem Gefühle, das vielfach hohl ist. Immerhin ist man Heine den Dank schuldig, dass er in mancher Hinsicht dem heutigen Geschlechte den Weg gebahnt hat, dass die schmerzliche Klage über die Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Einrichtungen der Menschheit all ihr Leid zum Bewusstsein brachte. Freilich hatte das Spiel seines Witzes auch wieder seine schädliche Seite bei einem Volke, das in politischer Hinsicht seinen Staat erst suchte. Auf die deutsche Litteratur hat Heine den allergrössten Einfluss ausgeübt. | |
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Sein Weltschmerz, den er von Byron wesentlich überkam, wurde später zur jungdeutschen Epidemie. Auch schloss sich an ihn eine Anzahl Schriftsteller, denen die Emancipation des Fleisches und der Kultus der Sinnlichkeit gemeinsam war. Börne und Heine waren für Deutschland die Vertreter einer neuen Zeit, die Sturmvögel der herannahenden Revolution. Diesen revolutionären Geist hatte aber keiner so gefördert wie Byron. Er war der Vorkämpfer der unterdrückten Völker; er ist der Vater der modernen politischen Lyrik, welche sich in ihrer oppositionellen und negativen Richtung von der patriotischen oder auch der Kriegslyrik wesentlich unterscheidet. Als Führer in der politischen Lyrik trat Oesterreich auf, denn so wenig behaglich sich auch Deutschland in seinen politischen Zuständen fühlte, so lag doch der Druck des reaktionären Systems am schwersten auf Oesterreich. (Schluss folgt). Dr. Otto Weddingen. Charlottenburg. |
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