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Blut ist dicker als Wasser.
Dieser altenglische Spruch, der heute so vielsagend in der Welt ausgelegt und gebraucht wird, der beinahe ein geflügeltes Wort geworden ist, soll eigentlich verkünden, dass trotz des trennenden Wassers da Blut dicker ist, folglich oben schwimmt, die durch Meere getrennten Engländer sich überall zusammenfinden und zusammenhalten. - Leider kann der Deutsche diesen Spruch noch nicht in seiner ganzen Tragweite für sich in Anspruch nehmen, denn das deutsche Blut findet sich mit oder ohne Schuld seiner eigenen Regierung nicht zusammen, es bleibt geschieden nicht blos durch weite Meere, sondern auch da, wo man sich die Hand unmittelbar reichen kann. Die Auslegung aber, dass wir durch Bande des Blutes den Engländern so nahe stehen, näher als den Niederdeutschen, das wollen und können eben die meisten Reichsdeutschen und noch weniger die Engländer selbst gelten lassen. - Wir glauben daher unserer uns gestellten Aufgabe entsprechend zu handeln, wenn wir unsern niederdeutschen Lesern Zeitungsstimmen aus Deutschland vorführen, die klar und deutlich beweisen, wie das deutsche Volk über den bewussten Sinnspruch und seine Deutung denkt.
- Die ‘Schles. Zeitung’ macht mit bezug auf die Sammlungen für die Hungersnot in Indien darauf aufmerksam, dass Höflichkeitsbezeugungen, die darauf berechnet sind, das englische Volk davon zu überzeugen, dass es in Deutschland einen zuvorkommenden Freund hat, gerade die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen:
‘Diese Höflichkeit, die sich bei Banketts und dergleichen äussert, macht auf den Engländer, der es nicht kennt, sich vor jemandem zu beugen, den Eindruck der Kriecherei, die unverlangte Sammlung von Almosen für
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Indien in Deutschland berührt ihn unsympathisch, weil er nicht glaubt, dass sie aus mildthätigem Herzen kommt. Es ist in der letzten Zeit in Deutschland wieder über die Frage diskutiert worden, ob es im Interesse der deutschen Politik liege, mit England auf gutem Fusse zu stehen oder nicht. Zweifellos könnte ein Handinhandgehen dieser beiden Reiche für beide die segenreichsten Folgen haben. In England weiss man das sehr genau, und wenngleich die höheren politischen Kreise sich darüber ganz klar sind, dass eine englisch-deutsche Allianz, so schön sie auch wäre, doch praktisch unmöglich ist, so ist es doch immerhin wertvoll, zu wissen, dass England, und zwar auch das grosse Publikum, eine Vorstellung von dem Werte Deutschlands als Freund hat. Es sind also alle Grundbedingungen für eine Freundschaft zwischen den beiden Nationen gegeben; wenn trotzdem heute diese Freundschaft auf englischer Seite nicht existirt, so ist der Grund hierzu in erster Linie darin zu suchen, dass Deutschland und die deutschen Politiker es im grossen und ganzen nicht verstanden haben, England Respect einzuflössen. Der Grundton fast jeder englischen Kritik über Deutschland ist der der Geringschätzung nicht der deutschen Industrie, des deutschen Handels oder der deutschen Armee, sondern des deutschen Charakters, der dem Engländer so lange minderwertig und unsympathisch erscheinen muss, als er sieht, dass der Deutsche sich eifrig um seine Gunst bemüht. Man hat sich in England daran gewöhnt, im Deutschen einen Mann zu sehen, der sich alles Mögliche bieten lässt und schliesslich stolz ist, wenn man ihn gelegentlich einmal als seines Gleichen behandelt; dass gegenüber einer solchen Auflassung, die so ziemlich überall in England und, allerdings in wesentlich ungeschwächtem Maasse, auch in gewissen englischen Dependencen vorherrscht,
jede neue deutsche Höflichkeit und Gefälligkeit nur schädlich ist, liegt auf der Hand. Das erste, was der Deutsche, der nach England kommt, zu lernen hat, ist, dass er vor keinem Manne den Hut abnimmt oder gar sich verneigt und dass er vor allen Dingen sich nicht in Handreichungen und dergleichen gefällig zu zeigen sucht (ausser höchstens gegen Damen). Keinem Engländer fällt das dem anderen Engländer gegenüber ein. Wenn man in Deutschland gelernt hahen wird, in politischen Angelegenheiten vor dem Engländer sich nicht durch Verbeugungen lächerlich zu machen oder sich durch Gefälligkeiten in seinen Augen als Bedientennatur hinzustellen, wenn man mit einem Worte eine Politik des ruhigen und sicheren Selbstvertrauens mit ihm treibt, wird man sehr bald sehen, dass mit dem Engländer vorzüglich auszukommen ist.’
Freiherr Karl von Thüngen veröffentlicht in der ‘N. Bayr. Landesz.’ einen offenen Brief an den deutschen Kaiser, worin er anknüpfend an das Telegramm an den Vicekönig von Indien, im Namen des süddeutschen Volkes sich dagegen verwahrt, dass wir Sympathie und Liebe für Indien hätten, sondern höchstes Mitleid mit dem armen, seit Jahrhunderten geknechteten indischen Volk. Thüngen schliesst:
‘Findet sich denn kein Mann in der Umgebung des Kaisers oder im Reichstag, welcher ihm über die wahren Gesinnungen des deutschen Volkes den Engländern gegenüber, sowie über seine Art, zu regieren, und besonders seine auswärtige Politik aufklärt, damit endlich einmal die immer wiederkehrenden Freundschafts- und Sympathie-Beweise an die Adresse der Engländer, welche jeder Deutsche als Schlag ins Gesicht empfindet, ihr Ende erreichen?’
Die ‘Tägliche Rundschau’ schreibt:
‘Die Kundgebung des Frhrn. von Thüngen schiesst in ihrer Schärfe
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und Unumwundenheit über das Ziel hinaus; aber wer könnte sich darüber wundern? ... Wir glauben, dass sich eine selbsständige und feste Politik führen lässt, ohne dass die mit ungewöhnlicher Deutlichkeit hervortretenden Neigungen und Stimmungen der besten und zuverlässigsten Volkskreise ohne Noth vor dem Kopf gestossen werden, und wir wünschen im Interesse des Thrones, wie im allgemein-nationalen Interesse, dass uns die Beruhigung der erregten Volksmeinung nicht unnötig erschwert würde. Wenn übrigens, so schliesst das Blatt, Herr von Thüngen im Namen des süddeutschen Volkes zu sprechen glaubt, so wissen wir natürlich nicht, in wie weit er dazu autorisirt ist, möchten aber jedenfalls bemerken, dass auch in Norddeutschland kaum eine andere Auffassung über die nach Indien gesandte Unterstützung bestehen dürfte.’
In den Alldeutschen Blättern lesen wir:
‘Vor kurzem wurde in einer Sitzung, die unter dem Vorsitz des Reichsbankpräsidenten Koch stattfand, unter den Vertretern der hiesigen Hochfinanz eine Sammlung für die unter der Hungersnot in Indien Leidenden eingeleitet, die sofort den erheblichen Betrag von 400000 Mk. ergab; dass diese “Wohlthätigkeit” nicht der Nächstenliebe entsprang, sondern politischen Motiven, lag auf der Hand, und es war erfreulich, zu sehen, dass der grösste Teil der deutschen Presse bis weit in die Reihen der offiziösen Blätter, wie beispielsweise der “Hamb. Korresp.”, dieser Aktion wenig Geschmack abgewinnen konnte und es auch sehr bezweifelte, dass dieselbe den von den Spendern erhofften Erfolg haben werde. Als sofort in der englischen Presse die Nachricht auftauchte, die Sammlung erfolge auf eine Anregung des Kaisers, glaubte man es mit einem Missbrauch des kaiserlichen Namens zu thun zu haben, wie er in der englischen Presse in der letzten Zeit öfter vorkam, und verschiedene Blätter forderten ein energisches Dementi. Zu einem solchen war aber in der That kein Anlass vorhanden, denn bald darauf wurde ein Telegramm des Kaisers an den Vizekönig von Indien veröffentlicht, in dem der Kaiser ihm das Ergebnis dieser Sammlung mitteilt, und das mit dem Satze schliesst:
“Möge Indien in dieser Handlung seitens der Hauptstadt des Deutschen Reiches ein tiefes Gefühl der teilnahmsvollen Liebe zu Indien erblicken, welche mein Volk bewegt und welche aus der Thatsache entspringt, dass Blut dicker ist als Wasser.”
Durch diesen letzten Satz ist das Telegramm zweifellos als politischer Akt gekennzeichnet, und es erscheint uns ganz ausgeschlossen, dass es abgesandt worden sein könnte, ohne dass unsere leitenden Staatsmänner davon Kenntnis genommen und es gebilligt hätten; sie übernehmen damit die volle Verantwortung, und die Person des Kaisers kann daher bei einer Kritik desselben völlig aus dem Spiele bleiben. Unsere leitenden Staatsmänner mögen noch so sehr in höheren Sphären wandeln, das eine ist ihnen jedenfalls doch nicht verborgen geblieben, dass sich in Deutschland kein Mensch um die hungernden Indier kümmert, und dass das deutsche Volk gewiss alles andere eher bewegt, als die teilnahmsvolle Liebe zu Indien. Die guten Lehren, die durch Jahre dem Volke der Idealisten gerade von seiten seiner Staatsmänner mit Fug und Recht gepredigt wurden, sich doch nicht von seinen guten Herzen hinreissen zu lassen, seine Nase in alles zu stecken und sich für unterdrückte Griechen und Polen, massakrierte Armenier u.s.w. zu begeistern, haben zweifellos so weit Früchte getragen, dass es das deutsche Volk heute einsieht, es habe eigentlich näherliegende Interessen, als die Hungersnot in Indien. Wenn nun unsere leitenden Kreise versuchen, unser Mitleid für diese armen Hindus zu erregen, so halten wir das im Interesse guter Beziehungen zu England für wenig zweckmässig;
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denn dieses Mitleid müsste sich naturgemäss paaren mit dem Zorn und der Entrüstung über die englische Regierung, die der seit Jahren herrschenden Hungersnot ruhig zusieht ohne irgend eine gründliche Massregel dagegen zu ergreifen, oder das Ausbeutungs- und Aussaugungssystem, durch welches dieselbe hauptsächlich verschuldet ist, im geringsten zu ändern. Es erscheint uns wirklich nicht angebracht, durch diese künstlich aufgestachelte Teilnahme für die hungernden Hindus unseren guten Beziehungen zu England zu trüben. Erfreulich berührt uns hingegen die Anerkennung und Billigung, die die Sympathien des deutschen Volkes für die Buren indirekt in dem Telegramm findet, indem das Rassenprinzip durch die Wendung: dass Blut dicker ist als Wasser so rückhaltlos anerkannt wird. Es geht zwar aus dem Wortlaut nicht ganz klar hervor, ob unsere Blutsveswandtschaft mit den Hindus gemeint ist, die allerdings so weitläufig ist, dass hier das Blut dem Wasser schon recht nahe kommt, oder mit den Engländern; auf jeden Fall ist es ganz sicher, dass uns weit dickeres Blut mit den niederdeutschen Buren verbindet, als mit den genannten beiden Völkern.
Dass unsere Regierung das Verlangen hat mit England möglichst gute Beziehungen zu unterhalten scheint uns sehr verständlich, und wir würden jeden Schritt derselben begreifen, der diesem Zwecke dient; aber einen Schritt, der so ziemlich das Gegenteil dieser beabsichtigten Wirkung hat, begreifen wir nicht. Deutschland liegt doch schliesslich nicht so ausser der Welt, dass man in England nicht erfahren könnte, dass die zehn Bankiers, die die halbe Million hergegeben haben, kaum als Vertreter des deutschen Volkes betrachtet werden können; wenn also mit der Spende die Absicht verbunden war, in England den Eindruck zu erzeugen, als wäre die öffentliche Meinung Deutschlands englandfreundlich, so dürfte dieser Zweck kaum erreicht werden. Schon jetzt erklären englische Blätter, man solle vor den “Anbiederungsversuchen” der deutschen Regierung auf der Hut sein; ist der Krieg aber erst vorüber und England aus seinen gegenwärtigen Verlegenheiten heraus, dann sieht es in all diesen Liebenswürdigkeiten weiter nichts als ebensoviel Schwächebeweise; eines anderen Urteils ist der Engländer bei seinem Nationalcharakter gar nicht fähig, da er naturgemäss jede Handlung nur danach beurteilt, wie er in gleicher Lage handeln würde. Für gewisse, sagen wir “Höflichkeiten” hat der Brite nun einmal kein Verständnis, und der Ausländer, der nach England kommt und sozial geachtet sein will, thut gut, sich dieselben möglichst bald abzugewöhnen; er wird dann finden, dass gerade dies einer der schönsten Vorzüge des englischen Lebens ist. In der Politik handelt er nach den gleichen Grundsätzen; die Sammlung für Indien wird unsere Beziehungen zu England nicht verbessern, sondern verschlechtern, und es ist bedauerlich, dass von unseren leitenden Staatsmännern oftenbar
keiner mit den Eigentümlichkeiten des englischen Charakters genügend vertraut ist, um das vorauszusehen.
Kaum braucht man zu erwähnen, dass das Telegramm des Kaisers englisch abgefasst war und dass diese Höflichkeit vom Vizekönig von Indien nicht erwidert wurde, indem dessen Antwort englisch war; wo sind die Zeiten, wo Fürst Bismarck erklärt hatte: Die englischen Agenten haben uns englisch geschrieben, wir haben ihnen deutsch geantwortet.’
Wir möchten noch bemerken, dass die berühmte Januardepesche des Kaisers Wilhelm II an den Präsidenten Krüger den niederdeutschen Burenstaaten verhängnisvoll geworden ist. Dieses plötzliche Hervorquellen des Gefühls der Zusammengehörigkeit des Deutschtums, machte die Engländer stutzig. Ohne nach dem Raubzug Jamesons mehr Zeit zu verlieren als der nötigste Anstand erforderte, beschlossen die
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selben die Freistaaten zu unterdrücken um einen ihnen sich anscheinend vorbereitenden Anschluss an das deutsche Reich zu hintertreiben. Und das deutsche Reich, d.h seine Regierung, schwieg und schweigt dazu.
Zum Schluss noch ein Aktenstück, das ebenfalls Zeugnis ablegt von dem einstigen Gefühl, ‘Blut ist dicker als Wasser’.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preussen u.s.w. An den Herrn Präsidenten der Südafrikanischen Republik. Grosser und Guter Freund! Ich gebe Ihnen hiermit Kenntnis, dass auf das einmütige Ersuchen der deutschen Fürsten und der freien Städte, bei Errichtung des Deutschen Reiches die Kaiserliche Würde auf Mich zu nehmen, Ich es für Meine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland erachtet habe, diese Würde anzunehmen unter Dankbezeugung für das durch die deutschen Fürsten und Meine anderen Bundesgenossen bewiesene Vertrauen zu Mir und Meinen Nachfolgern auf Preussens Thron. Während Ich die feste Hoffnung hege, dass es Mir unter Gottes gnädigem Beistande gelingen werde, den mit der Kaiserwürde verbundenen Pflichten nachzukommen, versichere Ich, auch für die Zukunft die aufrichtigsten Wünsche für das Glück und die Wohlfahrt der Südafrikanischen Republik zu hegen und Ew. Ehren bei jeder sich Mir darbietenden Gelegenheit Beweise Meiner besonderen Hochachtung zu geben.
Versailles, den 29 Januar 1871.
Wilhelm. v. Bismarck.
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