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[Nummer 8]
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Die Friedensliebe des europäischen Festlandes und der angelsächsische Kriegsmut.
Nach der amtlichen Auskunft des französischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten an die Volksvertretung steht es fest, dass die Grossmächte während der Südafrikanischen Kriegswirren trotz der Abmachungen und Vorschriften der Haager Friedensconferenz keinen Finger zu Gunsten der Einstellung der Feindseligkeiten, geschweige denn für die fraglos vergewaltigten Buren gerührt haben. Von den europäischen Grossmächten scheiden freilich zuerst Italien und Oesterreich aus, da ihr Einfluss von keiner Bedeutung ist. Italien fährt ausserdem seit der Entzweiung mit Frankreich im englischen Fahrwasser. Der Abschluss des Handelsvertrages mit dem Alpennachbar scheint es auch nicht der lateinischen Schwesternation so genähert zu haben, um das stille englische Bündnis zu zerstören. Im Falle eines egyptischen Aufstandes hat England sogar die italienische Besetzung des Niltales angeregt und wäre von Italien sicherlich diesem Ersuchen bei Bedarf entsprochen worden. Diese italienische Politik ist verständlich. Bisher ist das unglückliche Land freilich in Afrika von England bitter getäuscht worden und es liegt kein Anlass vor zu glauben, dass der ehrliche John Bull Italien nicht wieder geprellt hätte. Oesterreich ist zu einer Macht zweiten Ranges in Folge des Sprachenstreites herabgesunken und hält das Länder- und Völkerbündel der Habsburger nur noch notdürftig zusammen. Seine Stimme wird nur noch im Morgenlande gehört, wo es alte Handelsinteressen wirklich noch zu vertreten hat, die auch sein eignes Dasein lebhaft berühren.
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Die Weltpolitik liegt in den Händen der übrigen Grossmächte des Festlandes, das seit langer Zeit in einen Gegensatz zum britischen Inselreich getreten war. Die englischen Uebergriffe führten sogar zu einem tatkräftigen Einverständnis in Ostasien. Doch zerfiel dieser zeitweilige Bund gar bald. Selbst Faschoda vermochte keine Erneuerung bei der günstigen Gelegenheit des Burenkrieges zu bringen. Russlands Haltung ist klar. Vor Fertigstellung der grossen siberischen Bahn sucht es tunlichst jede Verwicklung zu vermeiden, ohne jedoch sich zu scheuen, gelegentliche Vorteile einzuheimsen, wie das eigentlich dauernd in Ostasien geschieht. Es widerstrebt also der russischen Politik keineswegs aus der englischen Verlegenheit einen kleinen Nutzen zu ziehen, wo er sich bietet. Jedenfalls schreitet gerade jetzt der russische Einfluss in Persien nud Afghanistan rüstiger, als bisher vor, und in Peking ist der russische Gesandte der unbeschränkte Herrscher. Es ist jedoch die Annahme gerechtfertigt, dass Russland noch kräftiger auftreten würde, wenn nicht die Friedensseligkeit und Waffenscheu des jungen Zaren weiter gehende Ziele unmöglich machte. Die englische Damenpolitik hat dem schwachen Selbstherrscher das gern gegebene Versprechen entlockt, England in Südafrika nicht in den Weg zu treten. Freilich entspricht der wohlerwogenen und im guten Sinne selbstsüchtigen Politik des St. Petersburger Cabinets ein kriegerischer Machtspruch ebensowenig. Aber ein Machtwort dort unten hätte den mahomedanischen Indern die Schwäche Englands noch mehr als die anfängliche Ueberlegenheit des burischen Volksaufgebots offenbart. Sonstige politische Interessen bestehen jedoch in Südafrika für Russland nicht. Die militärische Schmach Englands genügt seinen asiatischen Absichten. Die aufrichtige Friedensliebe des Kaisers und die Rücksicht auf den
armen englischen Verwandten decken sich also mit der heuchlerischen Zurückhaltung der verschlagenen russischen Politik, die fortwährend das Maass ihrer Kriegsrüstungen erhöht. Russland handelt, wie stets, durchaus zielbewusst und
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dient durch seine gegenwärtige Haltung seinem Interesse. Ob es schliesslich doch nicht als offizieller Friedensvermittler auftritt, dem sich auch das stolze Albion trotz seiner schwer erkauften Siege willig beugt, ist dadurch nicht ausgeschlossen und bildet den Lohn einer unbekümmerten Interessenpolitik.
Die nervöse Marianne an der Seine schwankt zwischen der Kriegslust nach zwei Seiten und dem wirtschaftlichen Gebote, im Interesse seiner grossartigen Weltausstellung um jeden Preis Frieden zu halten. Die thörichte Rede des Kammerpräsidenten Deschannel hat gezeigt, dass zur Volkstümlichkeit eines Präsidentschaftskandidaten eine starke Gabe Rachedurst gegen den bösen Vogesennachbarn gehört und die Rheingrenze auch jetzt noch im geheimen zu den Hoffnungen der französischen Staatskunst gehört. Deutschland ist vielleicht etwas übertrieben höflich gewesen ohne gerade zu aufdringlich zu sein. Aber diese Liebenswürdigkeiten, wie der kaiserliche Besuch auf der Iphigenie sowie das Entgegenkommen und der grosse Aufwand für die Ausstellung, beweisen schliesslich nur die deutsche freundnachbarliche Friedensliebe. Indessen verfangen haben sie zu höheren politischen Zwecken bei den Franzosen trotz aller Bemühungen nicht. Ein Bund Frankreichs mit Deutschland gegen England ist auch nach all der britischen Anmassung unmöglich. Freilich dürfen wir nicht vergessen, dass bei der deutschen Anglomanie der regierenden Kreise ein solcher Plan in Berlin kaum auf fruchtbaren Boden gefallen wäre. Die Herrschaft der englischen Grossmutter in Deutschland bei aller Abneigung des Volkes gegen die unwürdige Bevormundung wider das eigne Interresse ist auch am Quai d'Orsay zu wohl bekannt, als dass man sich einer Ablehnung hätte aussetzen wollen. Der Deutschenhass und die deutsche Engländerliebe wirkten einträchtig zusammen, um das arggeängstigte Grossbritannien vor einen gefährlichen Verbindung seiner stärksten Gegner zu bewahren. Tatsächlich hat Frankreich nur einen ernstlichen politischen Widersacher, der es aus Egypten vertrieben und auch im übrigen schwär- | |
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zen Erdteil mit ziemlichem
Geschick übervorteilt hat. Das ungesunde Senegambien mit der unwirtlichen Wüste Sahara kann es nicht für die Zugeständnisse entschädigen, die es im östlichen Afrika hat machen müssen. Das französische Kolonialreich ist daher in Afrika noch wesentlich Zukunftsmusik. Die Angliederung von Tripolis verwehrt ihm unter englischem Einfluss das schwache Italien, sodass das mittelländische Meer noch heute unter der englischen Seegewalt steht. Südafrika liegt kolonialpolitisch ausserhalb des französischen Enflussgebietes. Von Madagaskar aus kann es dagegen im Kriegsfall die Strasse nach Indien sperren, weshalb die Verstärkung der europäischen Besetzung der ungesunden Insel um ein Fremdenregiment in London ernstliche Beklemmungen erregte. Sonst ist Frankreich blos wirtschaftlich in Südafrika durch Bergwerksanteile in Mitleidenschaft gezogen. Die geringe Anzahl huguenottischer Abkömmlinge unter den Buren rechtfertigt ein nationales Interesse nicht; zum Teil sind diese angeblichen französischen Protestanten nur Wallonen, d.h., französirte Vlamen. Ja sogar der scheinbare Franzose Joubert, der verstorbene Oberbefehlshaber der Buren, ist ein echter Vlame, der sich richtig Jaubert schreibt und spricht. Das in den Diamantenfeldern und Goldgruben angelegte Kapital ist zwar häufiger als deutscherseits in selbstständigen Unternehmungen tätig, grösstenteils jedoch unter überwiegender englischer Mitwirkung. Finanziell gehen daher die französischen und englischen Interessen parallel. Eine Ausdehnung der englischen Verwaltung auf ganz Südafrika würde daher wirtschaftlich Frankreich nicht schädigen. Auch ist kolonialpolitisch der burische Länderteil bei dem sonstigen landschaftlichen Uebergewicht Albions für die Gestaltung der afrikanischen Besitzungen Frankreichs belanglos, da deren Schwerpunkt
in Nord- und Westafrika liegt.
Freilich stossen sonst die französischen Interessen mit denen Englands überall zusammen. In allen Weltteilen sind ihre beiden Kolonialreiche benachbart. Stets hat sich aber der eng- | |
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lische Nebenbuhler als der stärkere erwiesen, wie gewaltig auch die französische Uebersee gewachsen ist. Ja Egypten ist wohl dauernd für Frankreich verloren, während das dritte Kaiserreich dort unbestritten herrschte und durch den Bau des Suezkanals auch eine Berechtigung hierzu hatte. Angesichts dieser kolonialen Spannung hätte den empfindlichen Franzosen eine Abrechnung mit dem in seiner kriegerischen Schwäche erkannten Nachbarn am Ärmelkanal erwünscht sein müssen, zumal sich bei ernstlichem Wollen doch wohl Genossen wider das verhasste Grossbritannien gefunden hätten. Das Seeübergewicht Englands wäre kein Einwand gewesen. Zum Ueberfall der gegenüberliegenden Kalkküste hätte die französische Flotte ausgereicht, da blos 35 Schlachtschiffe zum Schutze der britischen Inseln verfügbar sind. Ein glücklicher Vorstoss hätte auch den unkriegerischen Zaren mitgerissen und von der Beute sich Deutschland auch nicht ausgeschlossen. Die anfänglichen schweren Niederlagen Englands beraubten das Mutterland jeglicher Wehrkraft und tatsächlich liegt es militärisch völlig offen und wäre jeder festländischen Kriegsmacht unbedingt preisgegeben. Amerika hätte keine nennenswerte Hilfe leisten können; denn Frankreich ist nicht Spanien, dagegen die amerikanische Flotte nur eine mässige und schlecht geführte, vom kläglichen Landheer von Söldnern und Milizen nicht zu reden. Aber die Weltausstellung und die Angst vor einem cäsarischen Generalissimus im Kriegsfall, der die bürgerliche Republik über den Haufen werfen könnte, hielten das
französische Schwert in der Scheide. Das tolle Krähen des gallischen Hahnes erscheint daher wenig tapfer und schädigt blos die goldene Ernte dieses Sommers. Eine treffliche und billige Gelegenheit zur Rache am kolonialen Nebenbuhler ist verpasst, ohne dass der Einsatz für Frankreich gefährlich gewesen wäre, da sein Handel nicht gross genug ist, um nicht unter fremder Flagge ungestört weiter betrieben zu werden, und sich auch des Schutzes einer beträchtlichen Kriegsflotte erfreut. Die bisherige französi- | |
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sche Rüstung zur See konnte blos gegen England gerichtet sein und ist also nutzlos gewesen. Nach der südafrikanischen Erfahrung wird England seine Flotte in ganz anderem Maasse als bisher vermehren und zugleich folgen Deutschland und Russland seinem Beispiel, sodass Frankreich nicht mehr das alte Uebergewicht zur See behaupten wird, das es an die Spitze der Festlandsstaaten stellte und England näherte. Die Kriegsscheu der Demokratie fürchtet eben jede ernste Verwickelung, zumal England in der Faschodaangelegenheit mutig die Zähne gezeigt hat. Freilich ein nationales oder koloniales Interesse Frankreichs ist durch den Burenkrieg nicht berührt; politisch erscheint jedoch seine lärmende Zurückhaltung als ein Zeichen der Ohnmacht und Angst, die sonst nicht französische Fehler waren. Die Zeiten der Vormacht Europas in 3 Jahrhunderten sind jetzt unwiederbringlich vorbei. Die französischen Lilien und der kaiserliche Adler waren vor dem englischen Leuen nie in solcher Weise zurückgewichen.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Deutschland. Die Buren sind Niederdeutsche, deren Vorfahren zum Teil im heutigen Reichsgebiet gewohnt haben. Südafrika ist eine holländische Kolonie, deren Kern sogar nach dem 2. Pariser Frieden sich wider die britische Herrschaft empörte. Hierdurch wurde die Gründung Natals und der beiden heutigen Burenstaaten veranlasst, da die unversöhnten Buren das Kapland verliessen. Südafrika blieb im regen Verkehr mit dem holländischen Mutterland und erhielt auch zahlreichen Zuzug von dort. Infolge dessen ist die niederdeutsche Bevölkerung auf mehr als 400.000 Köpfe angewachsen, worunter natürlich auch viel reichsdeutsches Blut sich befindet. Die hochdeutsche Einwanderung neuerer Zeit beläuft sich jedoch nur auf den 10. Teil der niederdeutschen und wird von der englischen erheblich überflügelt. Das zähe Niederdeutschtum hat genau wie in Amerika der Verengländerung erfolgreich widerstanden, was man leider sonst am Deutsch- | |
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tum im Allgemeinen nicht behaupten kann, obschon die Angelsachsen ja selbst Niederdeutsche und daher den Holländern völklich näher als dem Reichsdeutschtum stehen. Ohne den burischen Bestandteil der Bevölkerung wären sicher die Hochdeutschen schon längst in den Engländern aufgegangen, mit denen sie in bekannter Fremdenliebe besser als mit den stammesgleichen Niederdeutschen stehen. Das internationale Händlertum der Deutschen Südafrikas hat sogar durch seine Londoner Drahtzieher den englischen Chauvinismus übertrumpft, wie der Jamesonsche Raubzug offenbarte. Bezeichnender Weise war der Hamburger Beit der Haupturheber neben Rhodes, was sich die noch heute anglomanen Hanseaten ins Stammbuch schreiben wollen. Dies ist die nationale Sachlage, die sogar Grossbritannien hauptsächlich zur gewaltsamen
Unterdrückung niederdeutscher Bauern trieb, die sich dem Weltreiche nicht gutwillig angliedern wollen und sogar parlamentarisch die englische Kolonie des Kaplandes beherrschen. Das neue deutsche Reich ist bekanntlich blos ein kleindeutsches, auch wenn wir von Oesterreich ganz absehen. 3 grosse urdeutsche Lande stehen sonst noch ausserhalb des Reichsverbandes und sind der Gefahr der fremden Aufsaugung ausgesetzt, am schlimmsten die Schweiz; sodann sind Belgien und auch Holland vor der drohenden Verwelschung nicht sicher. Die holländische Sprache ist mehr als die vlämische von französischen Fremdwörtern durchsetzt, dass sich diese mit dem verunzierten Hochdeutsch besonders des vorigen Jahrhunderts vergleichen lässt. Die beiden Niederlande umfassen das Mündungsgebiet des grössten deutschen Stromes und enthalten die Ausfuhrhäfen des wirtschaftlich am höchsten stehenden deutschen Westens. Eine nähere Verbindung dieser uns nur in den Zeiten unserer nationalen Schwäche entfremdeten Staaten ist national und wirtschaftlich geboten. Die vlämische Bewegung in Belgien und die holländische Furcht vor dem Verlust der Kolonien an das ländergierige England haben auch das alte Misstrauen in den alten
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deutschen Niederlanden gegen die grössere Heimat beseitigt und dort selbst den Gedanken einer engeren Verbindung angeregt. Weniger das schwache gemeinsame Nationalgefühl, als die Hoffnung auf die deutsche Grossmacht und deren oft bewiesene Uneigennützigkeit haben diesen Erfolg gezeitigt. Jetzt bot sich für das waffenstrotzende Reich die Gelegenheit. auch das Herz der Niederlande, das den burischen Brüdern wie auch in Deutschland gehörte, zu rühren und zugleich den Kraftbeweis zu liefern, selbst das englische Weltreich in Schranken zu halten. Ein holländischer Diplomat sprach mir das schmerzliche Erstaunen aus, dass Deutschland den sicheren Sieg der Engländer über die kleinen Burengemeinwesen nicht durch einen Machtspruch verhindert habe, da eine Warnung des Reiches das englische Schwert in die Scheide zurückgestossen haben würde. Die Vermittlerrolle zwischen England und den Buren hätte uns die grösste moralische Eroberung am Niederrhein und der Schelde gebracht, wenn sie vor dem Kriegsausbruch erfolgt wäre. Jedenfalls sind wir hierdurch in Südafrika sogar doppelt national in Mitleidenschaft gezogen, was bei den andern Grossmächten nicht der Fall ist, die dort keine nationalen Interessen zu vertreten haben. Auch die Buren sind gleich den Holländern keineswegs deutschfreundlich gesinnt gewesen und fühlen sich irrigerweise durchaus als selbständigen Volksstamm. Aber wie die Holländer sich aus Angst vor der eventuellen englischen Vergewaltigung ihres Mutterlandes wieder erinnert haben, so näherten sich die Buren bereits unter Bismarck der Stammmutter Germania. Die mit unserer Hilfe siegreiche Unabhängigkeit der Buren in ihrem gegenwärtigen andgebiet hätte notwendig zur Aufrichtung einer deutschen Herrschaft in Südafrika geführt, da die
schwachen Freistaaten der Anlehnung an das mächtige deutsche Reich bedürfen. Die Leichtherzigkeit Kaprivis, der die Hälfte unseres südlichen Einflussgebietes England schenkte, wäre dadurch wieder ausgeglichen. Die Vernichtung der burischen Selbständigkeit bedeutet daher
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einen schweren nationalen Verlust für uns in Afrika und in - Europa. Diese gesunde nationale Selbstsucht bedürfte gar nicht der einmütigen Zustimmung der gesamten gesitteten Welt noch des begeisterten Mitgefühls des ganzen Volkes mit dem Schicksal der aus gemeinster Geldgier gemisshandelten niederdeutschen Brüder, um unserer kurzsichtigen Politik des Augenblicks die Augen zu öffnen. Es ist keine gefühlsselige, unfruchtbare Stimmungspolitik, sondern eine echt Bismarckische Realpolitik, die Europa mit der öffentlichen Meinung des geographischen Begriffes ‘Deutschland’ in Schrecken setzte und sein Ziel erreichte.
Witschafflich liegen die Verhältnisse ähnlich und boten die Gelegenheit uns vom englischen Kapital endlich zu emancipieren, das schon Südwestafrika mit Beschlag belegt hatte. Welcher Stolz erfüllt jetzt die Diskontogesellschaft, dass sie es nach mühseligen Verhandlungen und finanziellen Opfern erreicht hat, dass die Mehrzahl der Direktoren und der grössere Teil des Kapitals deutsch geworden sind. Die zweitgrösste Bank des Reiches hat nicht einmal die völlige Verdeutschung einer Erwerbsgesellschaft in einem deutschen Schutzgebiet durchsetzen können. Die Engländer hätten in solcher Lage die widerwilligen fremden Gesellschaften einfach so mit Verwaltungsauflagen geärgert, dass sie Land und Konzession im Stiche gelassen hätten, wie wir es am eigenen Leibe auf den Bayainseln und sonst noch auf den Archipelen der Südsee sattsam erfahren haben. Aber der streng rechtliche Deutsche darf den guten Engländer nicht mit gleichem Maasse messen. Eine halbe Milliarde deutschen Kapitals ist in Südafrika angelegt. Was dort infolge englischen Börsenschwindels noch an Geld verloren gegangen ist, wäre besser im benachbarten Schutzgebiet angelegt worden. Aber unsere Bankwelt verleitet ja so gern die kleinen Kapitalisten zum Erwerb exotischer Werte. Die verlorene Milliarde, die uns der Kurssturz der Argentinier, Griechen, Portugiesen und italienischer Baubanken gekostet hat, würde uns die eindringlichste Erschliessung
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unseres Kolonialbesitzes gestattet haben. Indessen sind die wirklichen Grubenunternehmungen durchaus ergebnisreich und werfen tatsächlich ungeheure Gewinne ab, die in absehbarer Zeit nicht abnehmen werden und von der Kurstreiberei unabhängig sind. Unsere Geldbeteiligung in Südafrika ist sogar ein Gebot der Entfaltung unserer wirtschaftlichen Kräfte und nur der besondere gewerbliche Aufschwung im eigenen Lande hat uns so lange vom Goldmarkte ferngehalten, wie er ja auch das Maass an der Ausbeute der Goldfelder beschränkt hat. Weniger lobenswert ist denn freilich unsere mangelnde Selbständigkeit in der Verwaltung der Gruben. Alles ist englisch. Die Firma Görtz & Co. ist natürlich limited auch als Gründung der deutschen Bank, freilich wenigstens sonst deutsch. Bezeichnenderweise sind die Hauptmacher in den grössten englischen Gesellschaften Deutsche, wie Wernher, Beit, Eckstein, Wagner u. A., die sogar, wie bereits erwähnt, bei dem Jamesonschen Raubzug dem deutschen Stamme Unehre gemacht haben. Dieses wirtschaftliche Verhalten ist unklug, ja es schädigt den deutschen Kredit, der sonst im Weltverkehr ein hoher ist. Die Abhängigkeit von London legt die Leitung der gesamten Diamanten und Goldausbeute in englische Hände und entzieht daher dem deutschen Kapital wesentliche Vorteile klingender Münze. Der Hauptgewinn fliesst nach London statt auch nach Deutschland. Die Direktorstellen sind fast ausnahmslos in englischer Hand und damit die ungeheuren Gehälter und Gewinnanteile. Der Geldkrieg gegen die Buren wäre schon wirtschaftlich unmöglich gewesen, wenn das deutsche Kapital selbständige Unternehmungen besessen hätte. Das englische Kapital allein reicht zur Entfesselung des Dampfes wider den friedlichen deutschen Willen nicht aus. Wir hätten den kriegslustigen englischen Kapitalisten und Jobbern den Frieden
aufgezwungen. Jetzt sind wir wirtschaftlich stark genug, um des englischen Gängelbandes entbehren zu können. Etwas mehr Kaufmannsstolz wäre uns auch finanziell nützlich, was leider unsere Bank- | |
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leute nicht einsehen wollen. Das Gerede von der Freiheit des internationalen Handels ist eine schlaue englische Erfindung, um die nationale Eitelkeit der übervorteilten Genossen der anderen Völker zu beschwichtigen. Der Welthandel ist auch trotz unseres Emporkommens noch vorwiegend englisch. Hamburg sollte sich garnicht so als alte Hansastadt fühlen; es ist englischer, als unser Selbstgefühl es gestattet. Früher brüstete man sich sogar dort noch mit der lächerlichen Anglomanie. Jetzt ist man vorsichtiger geworden, da im Reiche diese Auffassung glücklich überwunden ist. Aber gerade in der grössten deutschen Hafenstadt und des ganzen Festlandes hat man sich zu dieser höheren Anschauung von dem nationalen Werte des Welthandels noch kaum aufgeschwungen. Alte Vorurtheile aus der Zeit der deutschen Schmach lassen sich nicht gleich ausrotten und wir wollen mit den tüchtigen Nachkommen der alten Hansa nicht rechten, sondern ihnen für ihren sonstigen kühnen Unternehmungsgeist von Herzen dankbar sein. Auch die alten Hansen mussten ohne den Reichsschutz ängstlich bei fremden Völkern unterkriechen, was nicht ihre Schuld war. Es fehlte aber eine achtunggebietende kaiserliche Flotte.
Die politische Seite geht zunächst die Regierung an. Die gegenwärtige Staatsleitung hat sicher einen schweren Stand. Sie musste die unglückliche Erbschaft des Grafen Caprivi übernehmen. Das Geschick war ihr aber günstig, indem es den Buren den Jamesonschen Raubzug bescheerte. Der deutsche Kaiser fand das rechte Wort in dem Drahtglückwunsch an den Präsidenten Krüger, der in vollem Einverständnis mit dem doch sicher bedächtigen greisen Reichskanzler abgesandt wurde. Das Telegramm war eine Staatshandlung trotz der persönlichen Form, abgesehen davon, dass schliesslich ein solcher Schritt des höchsten Vertreters des deutschen Volkes bedeutsam ist. Die Engländer sahen uns daher mit Recht aus ihrem Fahrwasser entschwinden und suchten nach einem Köder, Die zunehmende Verschul- | |
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dung Portugals und das freilich nicht unbestrittene englische Vorkaufsrecht auf die Delagoabucht gewährten den willkommenen Anlass. Sicherlich kann England die ganzen portugiesischen Kolonien aufkaufen, ohne dass einer Macht ein Widerspruchsrecht zusteht. Nur bei dem gedachten Küstenstrich könnten sich Verwickelungen ergeben, wie ja Deutschland selbst noch in der Kaprivischen Zeit die Delagoabucht für ein ‘Rührmichnichtan’ der Reichspolitik amtlich erklärt hat. Jetzt erbot sich England, freilich für unser gutes Geld, uns die nördliche Hälfte der portugiesischen Ostküste Afrikas zu überlassen und sich mit dem Süden zu begnügen. Ein solcher Antrag war verlockend und territorial unbedingt vorteilhaft für unser ostafrikanisches Schutzgebiet, dass zu 9|10 aus dürrer Steppe besteht. Damit musste aber unser Einspruch gegen die Besetzung der Delagoabucht durch England fallen, worin der Nutzen für diesen Staat bei dem Handelsgeschäft lag. Gleichzeitig rückten
wir von den Burenrepubliken ab und näherten uns wieder England, das uns im Zanzibarvertrag übervorteilt hatte und uns dadurch wieder Genugtuung gab. Die Buren hatten seit Bismarcks Weggang keine Neigung zum Anschluss an das deutsche Reich mehr verraten, auch früher an eine Aufgabe ihrer Selbständigkeit zu Gunsten des grösseren Mutterlandes ebensowenig wie ihre holländischen Brüder gedacht. Unser südwestafrikanisches Schutzgebiet war durch die List Englands am gedachten Vertrage so beschnitten worden, dass eine territoriale Verbindung mit den Burenstaaten nunmehr für immer ausgeschlossen war. Alle diese Thatsachen liessen den geheimen deutsch-englischen Vertrag in günstigem Licht erscheinen und würde es ungerecht sein, den Abschluss politisch der Reichsregierung zu verübeln. Den unleugbaren nationalen Nachteil haben wir bereits hervorgehoben. Auch war diese Abmachung ein formelles Hindernis zur Einmischung vor Ausbruch des Krieges. Dass uns England im jüngsten Samoahandel wieder betrogen hat, ist bei der Beurteilung des Delegoabuchtvertrages be- | |
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langlos. Nationale Politiker sind der Ansicht, dass wir die Not Englands bei der Aufteilung Samoas hätten ausnutzen und es durch unsere Neutralität ohne territoriale Entschädigung abfinden sollen. Eine etwas schroffere Haltung hätte Albion gegenüber kaum geschadet. Auch überschätzen wir wohl die nordamerikanische Macht. Wenn wir auch nicht mehr 20 Millionen Deutschamerikaner in Rechnung stellen können, sondern nur noch auf 9 Millionen Deutschredende bauen dürfen, so sind diese doch ein Bleigewicht für die angelsächsische Republik im Falle einer Zwistigkeit mit dem deutschen Mutterland. Ein Krieg gegen Deutschland bedeutet zugleich eine Auflehnung des deutschen Elements gegen die englische Vergewaltigung in der Union. Der wüste
Kriegslärm ist eitel Dunst, dagegen der Deutschenhass echt. Freundschaft kann zwischen den Vereinigten Staaten Nordamerikas englischer Zunge und dem deutschen Reiche nur noch in bedingtem Masse bestehen. Ob unsere Staatsmänner diese nationalen Vorgänge in Nordamerika richtig beurtheilen, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls haben wir in Samoa nur die Friedensflöte gespielt und kommt es ja auf ein Stück wildes Land mehr oder weniger nicht an. Die Hauptsache war tatsächlich den bösen Zankapfel der Dreiherrschaft aus der Welt zu schaffen, was wir den Buren selber mit zu danken haben. Unsere Diplomatie hat freilich die Gelegenheit benutzt und den glimmenden Brennstoff im rechten Augenblick entfernt.
Ueberblicken wir daher unser Verhältnis zu England beim Burenkrieg, so haben wir national doch schwere Einbusse erlitten. Als Bismarck vor Beginn der Schaffung eigener Schutzgebiete den Lüderitzschen Anspruch auf die St-Luciabucht eigentlich zu Gunsten von Transvaal England überliess, waren die Buren selbst der Anlass unseres übrigens gerechtfertigten Zurückweichens vor dem britischen Löwen. Jetzt könnten wir die Luciabucht als Schlüssel zum Meere den Buren bieten. Nach glücklichen Anfängen in Südafrika dank Bismarcks Meisterschaft und Englands Achtlosigkeit
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wurden wir territorial vom neuen Nachbarn beschränkt und zu seinem Kolonialfreund. Vor Beginn des Krieges war daher unser Verhältnis zu den Burenstaaten kühl und dafür Englands zweifelhafte Freundschaft eingetauscht. Politisch hatten wir kleine sichere Vorteile eingeheimst und das immer hin gefährliche Wagnis, Albion Hand in Hand mit den hol ländischen Empörern aus Südafrika herauszuwerfen, völlig aufgegeben. 4-500 000 Hoch- und Niederdeutsche waren damit der Verengländerung preisgegeben, der jetzt schon die deutschen Ansiedler des englischen Natals verfallen. Wirtschaftlich verzichteten wir auf die eigene Führung der grossen Bergwerksunternehmen. Freilich kann es uns rein geschäftlich einerlei sein, ob die englische Flagge oder die Vierkleur auf den Goldfeldern weht. Der überlieferte englische Freihandel steht vielleicht sogar dem fremden Handel und Gewerbefleiss freundlicher gegenüber, als der Bauernargwohn, der den fremden Goldsuchern nicht über den Weg traut. Ein deutsches Südafrika, das nicht ausser dem Bereiche der Möglichkeit lag, ist jedenfalls zu Wasser geworden. Das deutsche Ansehn ist bedenklich dort unten erschüttert und der unterliegende Bur rechnet nich auf die amtliche Hilfe Deutschlands. In der Burenbegeisterung finden wir aber überall Mitbewerber und gegebenenfalls erzwingen Frankreich und Russland doch den heimlich auch von England ersehnten Friedensschluss ohne die völlige Vernichtung der burischen Selbständigkeit. Wir stellen nur diese nicht eben erfreulichen Thatsachen fest, wiederum ohne damit der Reichsregierung einen Vorwurf zu machen. Die Verantwortung einer Einmischung in die südafrikanischen Verhältnisse vor oder während des Krieges ist freilich bei der gegenwärtigen europäischen Lage eine schwierige Frage und bedurfte wohl der Kühnheit
und Tatkraft eines Bismarcks, der übrigens in kolonialen Dingen auch sehr behutsam war. Die Folge hätte leicht ein allgemeiner Weltbrand sein können und zur See fehlt uns eine ausreichende Kriegsflotte.
Kurd von Strantz (Berlin).
(Schluss folgt).
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