Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdPolitische Entschlossenheit im Deutschen Reiche.Die deutsche Kolonialgesellschaft hat an den Reichskanzler eine Eingabe gerichtet, worin unter Beifügung einer sehr kurzen und wohl etwas oberflächlichen Denkschrift um Vermehrung der südwestafrikanischen Schutztruppe, behufs Verstärkung unserer gegenwärtigen Machtstellung im Süden des schwarzen Erdteils gebeten wird. Vielleicht plant die Reichsregierung angesichts des Uebermutes Englands bereits ähnliches und ist diese Anregung bestellt, da die Kundgebungen der Kolonialgesellschaft ihrer Leitung nach ein besonderer Wagemut nicht auszeichnet. Die gewünschten Protestversammlungen der Abteilungen gegen die jüngsten Vergewaltigungen deutscher Schiffe durch englische Kreuzer entsprechen sonst nicht dem vielleicht zu vorsichtigen Verhalten der Gesellschaft, deren Führer freilich dafür auch einen besonderen Regierungseinfluss schon ihrer ganzen Stel- | |
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lung nach besitzen. Recht unglücklich wird die Erhöhung der Mannschaftszahl dieser rein deutschen und daher schlagfertigsten Schutztruppe mit der Gefahr einer burischen Einwanderung begründet. Man hört ordentlich die schwächlichen Berichte der dortigen Beamten, die nach schlechtem europäischen Muster vor dem Freiheitsdrange etwas ungestümer niederdeutscher Bauern zittern. Die hervorragende Leitung der Burenpolitik und die wohlgeschulte Kriegsführung dieses Volksheeres dürften doch die deutschen Kolonialbureaukraten davon überzeugt haben, dass der angeblich ungebildete und ungeschlachte Bure besser als sein englischer Ruf ist. Es mag sein, dass der gemeine englische Goldjobber aus anscheinend gutem Hause äusserlich mehr gentleman ist. Aber selbst die gewissenlosen deutschen Millionäre und englischen Helfershelfer Wernher und Beit stehen politisch und sittlich tief unter dem Buren, der seine Heimat mit seinem Blute verteidigt, während diese deutschen Börsenleute den deutschen Namen schänden und durch eine bestochene oder abhängige Presse die öffentliche Meinung irreleiten. Bismarck hat uns durch seine Erfolge verwöhnt, da der Deutsche stets ein höchst mässiger Politiker gewesen ist. Der grösste deutsche Staatsmann, der 3 Kriege mit kühlem Blute veranlasst hat und dies musste, hat trotzdem in kritischen Zeiten nach der Ansicht seines allein ebenbürtigen kriegerischen Genossen 2mal die Gelegenheit versäumt, die seine politischen Vorgänger von Hardenberg an freilich fast mit Vorsatz zu vergessen pflegten. Moltke hielt 1867 und 1875 die drohende Kriegsgefahr für vorteilhaft und den Erfolg der deutschen Waffen für sicher. Die Luxemburger Frage hatte den deutschen Michel endlich wieder einmal aus dem unpolitischen Schlummer gerüttelt und alle sonst gegenseitig hadernden Parteien geeint. Während es 1870 noch der berühmten Emser Depesche bedurfte, um den Kriegsfall zu schaffen, war er 1867 bereits gegeben. Deutsches Bundesland sollte von einem Fürsten deutschen Geblütes billig verschachert | |
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werden. Frankreich war ungerüstet, die süddeutschen Verträge geschlossen und die süddeutschen Heeresteile nach preussischem Muster umgeformt. Bismarck fürchtete aber noch die offene Wunde des vergangenen Jahres und holte mit genialer Geschicklichkeit 1870 die absichtlich nicht benutzte Gunst des Augenblicks ein. Freilich der Anlass von 1875 hat sich nicht wieder geboten. Frankreich dürstete nach Rache und hatte sich seiner Meinung nach so erholt, um den Angriff wiederholen zu können. Militärisch aber hielt der berufenste Beurteiler, der Sieger dreier Kriege, den Feind auch jetzt noch für minderwertig. Deutschland durfte nicht satt sein, wenn es seines deutschen Berufes nicht vergessen wollte. Unkundige Diplomaten hatten zweidrittel von Lothringen, das erst 100 Jahre vom Reiche getrennt war, und den kerndeutschen Südgau des Elsasses bei Frankreich gelassen, sich auch in bedauerlicher Geschichtsunkenntnis nicht erinnert, dass ein breiter Ring niederdeutschen Volksbodens den Norden Frankreichs bis zur Somme umschliesst. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass später Boulanger in diesen Landstrichen seine Kundgebungen in vlämischer Mundart verbreiten lassen musste, um sie dem Volke verständlich zu machen, das 1870 die deutschen Siege bejubelt und selbst illuminirt hatte. Damit wäre auch Belgien der französischen Umklammerung auf immer entzogen gewesen. Bei der Schnäbeleangelegenheit hatten sich unter Boulanger und trotz dieses unfähigen Maulhelden die militärischen Verhältnisse zu unsern Ungunsten verschoben. Die deutsche Ueberlegenheit war nicht mehr unbestritten. Moltke fühlte sich alt. Gewiss hatte Bismarck gewichtige Gründe zu seiner friedfertigen Haltung, da Furcht diesen kühnen Geist sicher nicht beschlichen hat. Freilich hat das Schicksal uns auch eine gleiche politische Sachlage nicht wieder gewährt. Am wenigsten stichhaltig unter den Beweggründen des grossen Kanzlers waren sein und seines alten Herrn hohe Lebensjahre, die jedoch die Zurückhaltung menschlich erklären. | |
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Thatsächlich wollten beide keinen Krieg mehr führen, der zu vermeiden war ohne ein neues Olmütz. Diese menschliche Empfindung hat aber dem neuen Reiche die Auswetzung der alten Scharte gekostet, die ihm die Waffen und die Ränkesucht der französischen Lilien geschlagen hatte. Selbst der spanische Carl hatte schon fast 150 Jahre vor dem Falle Strassburgs das kaiserliche Wort gesprochen: ‘Wenn Wien und Metz zu gleicher Zeit bedroht sind, eile ich zuerst nach Metz.’ Und thatsächlich verblutete sich des sonst so siegreichen Weltenherrschers Macht beim vergeblichen Entsatz der bisher unbezwungenen Magd Lothringens. Damals war das Herzogtum Lothringen selbst mit seinen deutschen Städten Nanzig, Leuk (Toul) und Wirten (Verdun) noch ungefährdet. Doch wer will dem erfolgreichsten deutschen Staatsmann einen Vorwurf daraus machen, den zweiten französischen Krieg aufgeschoben zu haben, der freilich kommen muss und wird, aber auch für den Sieger ein schweres Unglück bedeutet. Bismarck war der Volksführer. Damals schaute der bescheidene Sinn der Reichsgenossen noch nicht über die Grenzpfähle. Die öffentliche Meinung verlangte noch nicht die völlige Abrechnung mit dem welschen Erbfeinde, der noch Perlen urdeutschen Landes in seinen Händen hält und mittelbar auch politisch Belgien, Holland und die Schweiz beeinflusst.Ga naar voetnoot*) Selbst unter einem solchen Staatsmann und einem solchen Feldherrn haben wir den vollen Siegespreis nicht errungen, der unserm Volke geschichtlich gebührte. Wir haben an unserm Volkstum schweren Schaden dadurch gelitten, denn weder Lothringen, noch Hochburgund, noch selbst die französischen Niederlande fühlen mehr deutsch, die Renegaten sind ja stets die schlimmsten Feinde ihres eigenen Blutes und nur deutsche Schwäche hat ihren Abfall verschuldet und trotz mancher Gelegenheit diese Schmach nicht | |
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gesühnt. Die Schweiz verwelscht gerade seit 1870 in erschrecklichem Masse dank des zielbewussten Vorgehens der alliance française. Diese unleugbaren Unterlassungssünden sind unter Bismarcks unvergleichlicher Herrschaft erfolgt und Niemand wird in ihrer Erwähnung eine Verunglimpfung seines ehrwürdigen Namens sehen. Denn ohne ihn hätten wir vielleicht trotz aller Begeisterung noch kein neues Reich. In dieser Thatsache liegt ja auch die Entschuldigung für den Mangel an Thatkraft seitens seiner Nachfolger. Leider ist der dritte Kanzler überhaupt nur verfassungsmässig der verantwortliche oberste Reichsbeamte, da in Wirklichkeit die ihm nachgeordneten Staatssekretäre der einzelnen Reichsämter die Verantwortlichkeit für die Reichspolitik tragen. Ob freilich der Kanzlerposten dann noch 100,000 M. für den Reichssäckel wert ist, dürfte man billigerweise bezweifeln. Die unglückliche aktive Rolle Caprivis steht an Schaden für das Reich kaum der passiven des dritten Kanzlers nach, der sogar manchmal höchst unheilvoll in die innere Politik eingreift, die ihm jedenfalls in Preussen ein unbekanntes Arbeitsfeld ist. Hier beschäftigt uns aber die Auslandspolitik in der Richtung einer grossdeutschen Politik. Eingangs sahen wir, dass die Reichsleitung kleinmütig in Südafrika die Haltung des Vogel Strauss angenommen hat, um ja nicht anzustossen, dafür aber kräftiger angestossen zu werden. Wir thaten für das kräftige Krügertelegramm Busse in dem englisch-deutschen Abkommen über das afrikanische Erbe Portugals, das finanziell schon Albion gehört. Der Kaiserbesuch war für unser Volksempfinden eine englische Anmassung. Die Beschlagnahme von Reichspostdampfern mit dem freundlichen Rate der Times, von Amtswegen in den deutschen Heimatshäfen selbst die Ladung unter Bruch der Neutralität prüfen zu lassen, setzte dieser deutschen Langmut die Krone auf. Das Gejammer nach einer starken Flotte erscheint dabei doch blos als das Geständnis der eigenen Ohnmacht, das eines Grossstaates wie | |
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Deutschland entschieden unwürdig ist. Wir haben eben jede Entschlussfähigkeit verloren und wursteln diplomatisch blos weiter. Erst trieben wir eine unfruchtbare Versöhnungspolitik mit dem Vogesennachbarn, den selbst Faschoda nicht in unsere Arme trieb. Bismarck hat nie an einen ewigen Frieden mit dem welschen Erbfeind gedacht, wie grossmütig er auch die französischen Nadelstiche übersah. Jetzt lassen wir uns nach Zanzibar, Delagoa und Samoa noch weiter von England misshandeln, um unsere Schutztruppe gegen die stammesgleichen natürlichen Verbündeten zu vermehren. Handelte es sich um einen geschickten diplomatischen Vorwand, um einige Tausend gedienter Krieger nach Südafrika zu werfen, so müssten wir diese Fortsetzung der Bismarckschen Politik bewundern. Aber leider denkt kein massgebender deutscher Staatsmann an eine solche thatkräftige Handlungsweise. England kann sich nur durch äusserste Anstrengungen unter gröblicher Verletzung der neutralen Rechte aus der Burengefahr retten. Statt als rücksichtslose Politiker nach dem guten englischen Rezept der Selbstsucht diese Verlegenheit unseres schlimmsten überseeischen Widersachers zu benutzen, überlassen wir anderen Mächten diese Thätigkeit, und schon sind sie an der Arbeit. Die Gährung in Indien, Afghanistan und Egypten ist doch wohl auch ein Werk des reisenden Rubels, dem sich der Franken zugesellt hat. Die ewigen Friedensbeteuerungen stehen einer selbstbewussten Grossmacht, die fortwährend ihre Streitmittel vermehrt, doch kaum an. Wozu rüsten wir denn, wenn wir nicht das Schwert in die Wagschale werfen wollen? Produktiv sind die grossen Heeres- und Flottenausgaben nur dann, wenn unsere Machtmittel zur Stärkung unserer Stellung Anwendung finden. Die Ereignisse sind auf dem Festlande für uns zum Stillstand gekommen. Nur ausserhalb unseres Erdteils sind wir jetzt in der Lage, das Reich zu mehren. Die Brosamen vom englischen Kolonialtisch sind doch blos als diplomatische Artigkeiten zu betrachten, deren Unwert zu Tage liegt. | |
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Südafrika ist der Prüfstein unserer Kraft oder richtiger die Probe auf die Geschicklichkeit unserer Diplomatie, die seit 10 Jahren nach dem Scheiden ihres grössten Meisters nur Schlappen erlitten hat, soweit eine Politik grossen Stils in Frage kam. Selbst die anatolische und jetzt die Bagdadbahn sind mehr unserem Geld, als diplomatischen Künsten zu danken, wie der Vorschuss an die stets geldbedürftige Pforte beweist. Die kleinen Erfolge wollen wir keineswegs unterschätzen, sind wir doch in dieser Hinsicht schon bescheiden genug geworden. Es handelt sich aber um grosse Ziele, von deren Erreichung nicht nur unsere Weltstellung, sondern auch unsere Zukunft abhängt. Südafrika und Südamerika sind unsere überseeischen Kampfplätze, wo die künftigen Schlachten unseres Volkstums geschlagen werden, ohne dass uns auch das europäische Ringen erspart bleiben wird, sofern wir nicht 25 Millionen Deutsche ausserhalb unseres kleindeutschen Reiches den Franzosen und Slawen preisgeben wollen. Ein günstiges Geschick hat in Südafrika den Stein ins Rollen gebracht, der vielleicht den stolzen Bau des britischen Weltreiches einst begräbt. Sehr rühmlich ist es nicht, dass ohne unsere Mitwirkung die südafrikanische Frage zum Austrag kommt, ja, dass wir sogar als versteckte Freunde Albions gelten. Die englische Vorherrschaft ist unheilbar in Afrika erschüttert, trotzdem selbst Herr v. Kardorff die britische Macht für so gefestigt hält, dass sie als Siegerin aus diesem Strausse hervorgeht. Aber der wünschenswerte Erfolg der Buren ist leider nicht uns zu danken. Ihr Selbstvertrauen wird nun erst recht der deutschen Hülfe entraten können und Niederund Hochdeutschtum werden sich kaum auf den Tafelbergen versöhnen, es sei denn, dass das holländische Mutterland aus berechtigter Angst vor der englischen Vergewaltigung sich an die grosse deutsche Heimat enger anschliesst. Widersprechen die englischen Neigungen deutscher Höfe nicht nur den deutschen Interessen, sondern noch mehr der einmütigen | |
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Volksstimmung, so ist es freilich unverständlich, wie auch solche Höfe, die in keinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu London stehen, dem schlechten Beispiel folgen. Sonst pflegt der Partikularismus doch stets eine entgegengesetzte Haltung anzunehmen. Thatsächlich fürchten aber deutsche Kleinfürsten den republikanischen Sinn unserer burschen Landsleute, deren deutscher Sondergeist nur zu sehr dem bundesfürstlichen Partikularismus entspricht. Erst der gemeinsame Engländerhass hat die unabhängigen Buren geeint, die kapländischen haben mit dem offenen Abfall noch gezögert. Der Deutsche jeglichen Stammes ist eben nur schwer unter einen Hut zu bekommen. Die südafrikanischen Niederdeutschen wollen daher auch nicht im grossen Mutterland aufgehen, sondern ihre staatliche Selbstständigkeit behalten, wie dies viel ungerechtfertigterweise selbst Lippe und Reuss bewahrt haben. Trotzdem muss der Bur Anlehnung an uns suchen, auch wenn wir, Gott sei es geklagt, noch keinen Finger zu seinen Gunsten gerührt, ihn eigentlich politisch im Stiche gelassen haben, nachdem wir im Krügertelegramm die moralische Verpflichtung der Hülfe auf uns genommen haben. Früher hat Transvaal thatsächlich unsere Unterstützung erbeten, aber nicht erhalten. Jetzt in der höchsten Not hat es stolz auf sie verzichtet, da wir uns bereits für ein Butterbrod von England hatten einfangen lassen. Unsere Sucht, wenigstens kleine Vorteile zu erringen, um der staunenden Welt das Ergebnis unserer unsteten Geschäftigkeit zu zeigen, hat uns einen bösen Streich gespielt, da wir darüber dauernde und grosse Erfolge versäumt haben. Aber zu höheren Zwecken mit Einsetzung unserer ganzen Kraft und unter Verzicht auf kleinliche persönliche Schwächen fehlte uns eben der Entschluss. Nur die Gunst der Verhältnisse oder Ohnmacht und Thorheit unserer Gegner können diesen Verlust ausgleichen. Die öffentliche Meinung Deutschlands, mit der Bismarck Napoleon in Schrecken setzte, wird von seinen zwerghaften Nach- | |
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folgern bei Seite geschoben und verpaffen ihre sonst unwiderstehlichen Kraftäusserungen in harmlosen Kundgebungen ohne irgend welchen greifbaren Vorteil und Zweck. Ein starkes Königtum wird stets ein wertvolles Gut unseres Volkes sein, darf aber nicht zur Missachtung wertvoller Volkskräfte verführen, die selbst eine mächtige Regierung auf die Dauer nicht entbehren kann. Die Leitung der Politik soll auch das Volk führen, aber sie darf nicht im Widerspruche mit dem Volkswillen die Geschäfte des Auslandes besorgen, ohne es selbst gewahr zu werden, eine solche Haltung grenzt sonst an Hochverrat. In der Flottenfrage hat selbst nach dem Zeugnis Bebels, als sicherlich erfahrenen Sachverständigen, die Regierung ihre rührige Agitation geschickt der günstigen Volksströmung angepasst und damit sich und dem Vaterland den Erfolg gesichert. Die Zähigkeit in der Durchführung ist des höchsten Lobes wert und einige mituntergelaufene Geschmacklosigkeiten sind nicht der Rede wert. Warum fehlt denn diese thatkräftige Geschicklichkeit auf dem Gebiete, wofür doch allein die Stärkung der Flotte bestimmt ist, für eine kräftige Auslandspolitik, die zur Zeit durch doppelte Klugheit den Mangel an Schiffen und Kanonen ersetzen muss? Die vorhandene gute Absicht hindert nicht die englische Bethörung und die unwürdige Angst vor europäischen Verwicklungen, denen jedenfalls Deutschland Dank seiner Waffenrüstung am meisten gewachsen ist. Unser häufig etwas allzu hochtönend geäussertes Kraftbewusstsein steht in scharfem Widerspruch zu unsern Thaten, die ein rücksichtsloses Vertrauen auf die eigene Macht gar oft vermissen lassen. Es mag ja anmassend erscheinen, über die berufsmässige Diplomatie zu Gericht zu sitzen, wenn man seine Meinung selbst am grünen Tisch schreibt, ohne überhaupt die Akten zu kennen. Aber die Erfahrung hat seit Bismarcks Weggang gelehrt, dass die Veröffentlichung der Verhandlungen und deren Ergebnis die stolze Verachtung laienhafter Kritik nicht | |
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gerechtfertigt hat. Die auswärtige Staatskunst führt jetzt nicht mehr die öffentliche Meinung. Einsichtige Politiker haben früher die neue Lehre vom grösseren Deutschland ausgesprochen, ehe der alldeutsche Gedanke auch hohe Kreise ergriff. Die amtliche Welt hat sich am längsten kühl gegen eine nationale Weltpolitik verhalten. Eher noch begeisterte sie sich für unsere Weltmarktstellung. Jeder Diplomatie, besonders aber der deutschen als des Kindes unseres weltbürgerlichen Volkes, klingt die nationale Seite am spätesten, da der ausländische Verkehr sie dem eigenen Volkstum entfremdet. Die nationale Aufgabe des Reiches ist weit über die Grenzen hinausgewachsen, die ihr Bismarck einst gesteckt hat. Ist doch selbst der Reichsgründer halbwiderwillig unter dem gewünschten Druck der Volksstimmung an die Kolonialpolitik herangegangen, um ohne Flotte das halb englische Südafrika Albion wieder zu entreissen. Dass die Beschränkung auf unseren unbedeutenden Kolonialbesitz keine wirkliche Ueberseepolitik bedeutet, wo auch die nationalen Faktoren die wirtschaftlichen weit überwiegen, leuchtet wohl ein. Sonst mussten thatsächlich unsere südafrikanischen Goldjobber den Ton angeben, da immerhin eine halbe Milliarde deutsches Geld in den Diamant- und Goldgruben steckt, für deren Ausbeutung es einerlei ist, ob sie unter englischer oder burischer Herrschaft geschieht. Geschäftlich ist vielleicht sogar der Engländer vorzuziehen. Dieser politische Mammonismus ist ja sehr bequem, auch bedarf dessen politische Vertretung keiner grossen Kraftanstrengung. Die Wahrung der endlich erkannten nationalen Interessen erfordert aber eine zielbewusste Thatkraft, die gewohnte Geleise verlässt und auf diesen neuen Bahnen unser Volkstum zur verdienten Höhe emporführt. Wir haben wohl ähnliche Worte schon gehört, aber entsprechende Thaten nicht gesehen. Keine phantastische Kaisermacht wollen wir begründen, sondern eine wirkliche, indem wir unsern zerstreuten Volksteilen den nötigen staatlichen Rahmen geben, dessen fester Halt | |
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unser kleindeutsches Reich ist. Die Diplomatie der alten Schule mag vielleicht finden, dass eine solche unruhige Politik überall anbinden und den Staat in unabsehbare Schwierigkeiten verwickeln würde, aber wollten wir denn nicht bereits jetzt überall mit dabei sein, wo keinerlei nationale Interessen im Spiele waren? Diese nervöse Zerplitterung muss einer vorausscheidenden Zusammenfassung unserer Kraft auf die wenigen Weltgegenden weichen, wo thatsächlich unser Volkstum des staatlichen Schutzes unter Entfernung jedes fremden Einflusses bedarf. v.S. |
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