Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdPolitische Betrachtungen zur Niederländischen Frage besonders zur Zollpolitik Belgiens. Vom geschichtlichen Standpunkte.
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man dabei rechnet, sind ausser Elsass - Lothringen, Belgien und die Schweiz, denn hier ist es, wo noch Leute ihrer Sprache und ihrer Abstammung wohnen, die man hofft, auch politisch assimilieren zu können. Wenn ihm das nicht gelingt, ist Frankreich verloren, wenn es ihm aber gelingt, auch nur Teile von Belgien und der Schweiz sich anzugliedern, so wird es dies als den Weg nach Elsass - Lothringen betrachten. Welches ist nun die Haltung Deutschlands in dieser Frage gewesen? Seit dem Auftauchen derselben ist das A und O der Preussischen Politik die Forderung gewesen: Belgien darf nicht französisch werden! In der Konferenz war es der preussische Gesandte, von dem der Vorschlag ausging, Belgien als einen neutralen Staat unter den Schutz der Grossmächte zu stellen. Das sollte eben das Mittel sein, die Begehrlichkeit Frankreichs zu zügeln. Auch dem Drängen Talleyrands auf Teilung setzte man eine kühle Zurüchkaltung entgegen. Herr von BülowGa naar voetnoot1) erwiderte nur, dass Preussen nicht darauf eingehen könne, weil es die Kombination eines unabhängigen und neutralen Belgiens für die bessere Politik halte. Auch als man erörterte, wie man Holland zur Nachgiebigkeit gegen Belgien zwingen könne und die verschiedenen Möglichkeiten erwog, erklärte AncillonGa naar voetnoot2) dass Preussen jede Massregel billige, nur die eine nicht, das Einrücken einer französischen Armee in Belgien. Dem werde man sich aus allen Kräften widersetzen. ‘Marschieren die Franzosen, so marschieren wir Preussen auf das rechte Maasufer und Palmerston wird einsehen, dass in einem solchen Fall, wenn auch Franzosen und Preussen die gute Absicht haben können, den Frieden zu erhalten, doch niemand für die Folgen stehen könne.’ Freilich kam dieser kräftigen Sprache die Haltung der preussischen Politik selber nicht gleich, denn als wenige Monate später die französische Intervention wirk- | |
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lich erfolgte, hütete man sich in Berlin ängstlich, dem Worte eine That folgen zu lassen. Doch war man im Verein mit England eifrig bemüht, die Franzosen wieder zum Verlassen Belgiens zu bereden und hatte wenigstens den diplomatischen Erfolg, dass man in Paris der Aufforderung endlich Folge leistete. Fast mit noch grösserer Besorgnis aber wurde man in Berlin durch die Verhandlungen Frankreichs mit Belgien über einen Zollbund erfüllt. Bei seinem Besuche in England im Januar 1842 erörterte König Friedrich Wilhelm IV. mit Stockmar auch die belgische Frage.Ga naar voetnoot(1) ‘Er sei der natürliche Vertreter der Ehre und des Wohles Deutschlands. Als solcher sei er verpflichtet, die Gefahr zu überwachen, die Deutschland von Belgien aus kommen könne. Er betrachte die independente Existenz Belgiens als eine höchst prekäre, die schwerlich zwei Generationen dauern werde. Die Gefahr, die Belgien drohe, könne allein von Frankreich kommen. Sein Wunsch sei daher, dass es Belgien möglich werde, sich Deutschland anzuschliessen, sich in den Bund aufnehmen zu lassen. Nur auf diese Weise könne er Belgien und seine Unabhängigkeit auf die Dauer geschützt denken. Er übersehe indessen die Schwierigkeiten nicht, die die gegenwärtige Konstellation der Politik der Erfüllung seines Wunsches entgegenstelle.’ Stockmar antwortete hierauf, ‘dass eine Ausführung des Wunsches des Königs, Belgien dem deutschen Bunde beizugesellen, in den politischen Konjunkturen des gegenwärtigen Augenblicks rein unmöglich sei, sintemal die Politik des nordöstlichen Europas seit 1830 alles gethan, um Belgien von Preussen und Deutschland ab- und nach Frankreich hinzudrängen.... Nach seiner Ansicht müsse die Einverleibung Belgiens in den französischen Zollverband dieses gerade so französisch machen, wie es durch Eintritt in den deutschen Zollverein deutsch werden würde. Das letztere sei | |
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eine Sache, die Frankreich in seiner jetzigen Stellung und Stimmung weder zugeben könne noch werde.’ Die Furcht vor dem Anschluss Belgiens an das französische Zollsystem führte im September 1844 zum Abschluss eines Handelsvertrages der Zollvereinsstaaten mit Belgien, der sehr zum Vorteil des letzteren ausfiel.
Damit war die belgische Frage für einige Zeit aus der Welt geschafft, es waren andere Dinge, welche die Aufmerksamkeit der europäischen Diplomatie auf sich zogen. Aber kaum waren die welterschütternden Ereignisse der Jahre 1848 bis 1859 vorüber, kaum hatte sich in Frankreich eine neue Regierung, das zweite Kaiserreich befestigt, so lebten die alten Forderungen und Wünsche Frankreichs nach einer Ausbreitung seiner Grenzen wieder auf. Die Spaltung, welche sich im Deutschen Bunde vollzog und zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Preussen und Oesterreich führte, schien diese Pläne zu begünstigen. Allein Bismarck war nicht der Mann, der über der Gegenwart die Zukunft aus dem Auge verlor und Halbpart machte, wo er das Ganze wollte. Der Sirenengesang der französischen Diplomatie, welcher ihm freie Hand in Deutschland versprach, wenn man ihr Belgien überlasse, konnte ihn nicht verlocken und hat bei ihm kein Nein! aber auch kein Ja! gefunden. Welches freilich in dieser Frage die letzten Ziele seiner Politik sein mochten, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn es gehört zu der geheimnisvollen. Grösse dieses Mannes, dass wir stets nur ein Stück seines Willens und seiner Absichten erblicken. So viel aber steht fest, dass es für ihn keinen Preis gab, der hoch genug gewesen wäre, um dafür Belgien an Frankreich zu verhandeln. Ausführlicher auf die Belgische und Luxemburger Frage in jener Zeit einzugehen, verbietet mir der Raum, und ich hebe deshalb nur einige allgemeine Gesichtspunkte daraus hervor. | |
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Die Luxemburger Frage entstand dadurch, dass Bismarck nach dem Kriege gegen Oesterreich sich weigerte, die Ansprüche des deutschen Bundes auf Luxemburg und Limburg preiszugeben. Das erregte in Holland die ärgsten Befürchtungen für seine eigene Unabhängigkeit. Es schrieb der französische Minister des Auswärtigen der Marquis de MoustierGa naar voetnoot(1) an den Gesandten im Haag am 27. Februar 1867: ‘das Kabinet im Haag scheint zu fürchten, dass Preussen, nicht zufrieden mit den Begünstigungen, die seinem Handel in Holland selbst und dessen Kolonien zu Teil würden, die Absicht habe, sich auf eine gewisse Rassengemeinschaft und die geographische Lage Hollands stützend, eine aussergewöhnliche Verbindung mit diesem Lande anzustreben und so eine intime Allianz anzubahnen, deren Resultat wäre, sein eigenes Handels- und Militärsystem, namentlich mit Bezug auf die Marine, zu vervollständigen. Solchen Strebungen einer Regierung gegenüber, welche so notorische Beweise von der Schnelligkeit ihrer Entschliessungen und ihrer Handlungen abgegeben, war es für den Haag von grösster Wichtigkeit zu wissen, welche Haltung Frankreich in dem Falle einnehmen würde, dass ohne Provocirung seinerseits Holland von Deutschland aus bedroht würde.’ Moustier unterliess in seinem Schreiben nicht, darauf hinzuweisen, dass, wenn diese Gefahren für die Unabhängigkeit der Niederlande wirklich bestehen sollten, Frankreich demgegenüber nicht gleichgültig beiben könnte. Ja, er benutzte diese Gelegenheit zu einem Vorstoss gegen Preussen. Man trat mit dem König von Holland in geheime Verhandlungen über einen Verkauf Luxemburgs an Frankreich.Ga naar voetnoot(2) Allein die Erklärung Bismarcks im Norddeutschen Reichstag vom 1. April 1867, dass ‘die verbündeten Regierungen glaubten, dass keine fremde Macht zweifellose Rechte deut- | |
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scher Staaten und deutscher Bevölkerungen beeinträchtigen werde’, enthielten doch eine zu eindringliche Warnung, als dass man hätte wagen können, auf seinem Plane zu bestehen. Der König von Holland benutzte dies, um seinerseits vom Vertrage zurückzutreten und nun musste auch Frankreich an einen Rückzug denken, den man aber in der geschicktesten Weise gegen Preussen auszunutzen verstand. Man verzichtete auf den Erwerb Luxemburgs, erklärte aber in England und bei den übrigen Grossmächten, dass man früher oder später auf dem Abzug der preussischen Besatzung aus Luxemburg bestehen müsse. Denn die Verhältnisse in Deutschland hätten sich geändert, der alte Bund habe nur den Zwecken der Vertheidigung gedient und sei in seiner Kriegsbereitschaft langsam und schwerfällig gewesen, jetzt aber vereinige Preussen alle Kräfte in einer Hand, und seine Besatzung in Luxemburg wäre nicht mehr eine Vertheidigungs- sondern eine Angriffsstellung Deutschlands gegen Frankreich geworden. Preussen sah sich gezwungen, dem Drängen der Grossmächte, die Streitfrage einer Conferenz zu unterbreiten, nachzugeben, und Bismarck erklärte am 27. April, dass Preussen bereit sei, die Räumung und Schleifung der Festung zuzugestehen, wenn die Conferenz gleichzeitig für die Neutralität Luxemburgs eine der belgischen gleiche Garantie gewähren wollte. Das war ja thatsächlich das Ergebniss dieser Conferenz, die im Mai 1867 in London tagte, aber in Deutschland war man damit nicht recht zufrieden und der Abgeordnete Bebel tadelte im Norddeutschen Reichstage die Regierung, dass sie nicht selbst auf die Gefahr eines Krieges hin die Rechte Deutschlands im Grossherzogthum gewahrt habe. Bismarck benutzte diese Gelegenheit zu der Erklärung, dass es ein Irrthum sei, wenn man annehme, als sei nunmehr Luxemburg, seit der Begründung der norddeutschen Verfassung, von Deutschland losgerissen worden. ‘Das ist’, wie er sagte, ‘thatsächlich nicht richtig’ Das Land Luxemburg befindet sich genau in derselben Situation, in der es sich vorher be- | |
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funden hat, es wird genau nach derselben Verfassung, von derselben Dynastie regiert, wie früher. Was aufgegeben ist, ist das Garnisonrecht, welches der König von Preussen in Luxemburg übte.’ Immerhin hatte man so viel erreicht, dass das Grossherzogthum im deutschen Zollverein blieb, denn in der Conferenz hatte die Erklärung des luxemburgischen Vertreters Tornaco, dass die Neutralität des Landes dessen Freiheit zum Abschluss von Zoll- und Handelsverträgen in keiner Weise beschränke, Zustimmung gefunden. Wenn man auch Preussen gezwungen hatte, auf sein Besatzungsrecht in Luxemburg zu verzichten, so war das für Frankreich doch nur ein halber Erfolg, denn der Versuch einer Grenzerweiterung nach Nordosten war misslungen. Doch wollte der Gedanke bei den Staatsmännern des zweiten Kaiserreiches nicht wieder zur Ruhe kommen und man versuchte es von neuem mit Preussen ‘die Bestrebungen des französischen Gouvernements’, heisst es im Rundschreiben Bismarcks vom 29. Juli 1870, ‘seine begehrlichen Absichten auf Belgien und die Rheingrenze mit preussischem Beistande durchzuführen, sind schon vor 1862, also vor meiner Uebernahme des Auswärtigen Amtes an mich herangetreten!’ Man hat dies wohl in Frankreich abzuleugnen gesucht, allein es war dies richtig. Schon im Frühjahr 1863, als Theodor von BernhardiGa naar voetnoot(1) in Belgien weilte und staunend das gewaltisge industrielle Leben dieses Landes sah, drängte sich ihm immer wieder die Beobachtung auf, dass die Bewohner alle mehr oder minder von einem unbehaglichen Gefühl beherrscht wären, dass nämlich die Zukunft des Landes eine unsichere sei. Und die stets wiederholte Versicherung, dass sie durchaus kein Verlangen trügen, Franzosen zu werden, sprach ihre Besorgniss mittelbar aus. Ja, in Lüttich hörte er ohne Umschweif sagen, wenn der König die Augen schliesse, sei es mit Belgien vorbei. ‘La France prendra le pays!’ Und bei seinem | |
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Aufenthalt in England im Frühjahr des folgenden Jahres, hörte er schon von Theilungsplänen, welche in Paris geschmiedet wurden und wonach zwischen Frankreich und den Niederlanden völliges Einvernehmen erzielt worden wäre. Bernhardi bemerkt dazu: ‘Dem französischen Kaiser ist es vornehmlich um die Eisen- und Kohlenminen Belgiens zu thun. Antwerpen hat für ihn keine entscheidende Bedeutung, seitdem Cherbourg erweitert und vollendet ist. Dagegen weiss er sehr wohl, dass es zu den Traditionen gehört, über die John Bull keinen Spass versteht, dass Antwerpen nicht in die Hände Frankreichs fallen darf. Er weiss, dass John Bull Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um das zu verhindern, dass er Antwerpen nur haben kann um den Preis eines Krieges mit England und mit einer Coalition, die England dann zusammenbringen würde.’ Zum Gelingen dieser Pläne aber gehörte vor allem eine Verständigung mit Preussen. Frankreich hörte, wie Bismarck es ausdrückt, nicht auf, ‘uns durch Anerbietungen auf Kosten Deutschlands und Belgiens in Versuchung zu führen.’ In der Hoffnung, dass sich in Frankreich selber die Dinge ändern könnten, habe er über die gemachten Zumuthungen geschwiegen und dilatorisch verhandelt, ohne seinerseits jemals auch nur ein Versprechen zu machen. Schon im Mai 1866 bot man ihm auf dieser Grundlage ein Schutz- und Trutzbündniss gegen Oesterreich an, und während der Friedensverhandlungen in Nickolsburg verlangte man ‘Compensationen’. Dann kam die Luxemburger Frage und nun, da man einsah, dass man auch nicht einen Fuss breit deutschen Landes erhielt, forderte man Belgien. Bekannt sind ja die berüchtigten Artikel Benedettis, von denen Bismarck die Vorsicht gebrauchte, sie sich schriftlich geben zu lassen.Ga naar voetnoot(1) Anfang März 1868 kam auch Prinz Jérome nach Berlin und erklärte Bismarck, dass im Falle einer französischen Occupation Belgiens Preussen sein Belgien ander- | |
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wärts finden werde. Aber wie Lord Loftus meldete, war der Prinz ohne eine neue Provinz in seiner Tasche nach Paris zurückgekehrt. Auch erhielt die französische Regierung aus London die vertrauliche Mitteilung, dass ein Zollverein oder gar eine Militärkonvention mit Frankreich für Belgien durch die von Europa gewährleistete Neutralität des Landes ausgeschlossen sei. Aber man liess sich in Paris nicht abschrecken und versuchte auf andere Weise, seinem Ziele näher zu kommen. Durch Vermittelung der französischen Ostbahngesellschaft schloss man mit zwei belgischen und einer holländischen Bahn einen Kaufvertrag, welcher die französische Regierung in den Besitz und Betrieb jener Strecken bis Brüssel und Rotterdam brachte.Ga naar voetnoot2) Das geschah im Dezember 1868. Allein es entstand in Belgien selber eine so grosse Aufregung über die Sache, dass in der Kammer ein neuer Gesetzentwurf eingebracht wurde und durchging, wonach diese Verträge für ungiltig erklärt wurden. Noch dachte Napoleon nicht im mindesten daran, nachzugeben, aber er bemühte sich vergebens, Frère-Orban, den belgischen Minister, einzuschüchtern. Dagegen erhob sich in Frankreich selbst wieder eine lärmende Opposition der allmächtigen Partei der Grossindustriellen, welche nichts von einer wirthschaftlichen Annäherung an Belgien wissen wollten, sondern vollständige Abschliessung davon verlangten. Und endlich brach in England ein Sturm des allgemeinen Unwillens los, weil man die von Europa verbriefte Neutralität von Frankreich bedroht sah. Nur Preussen, dessen grösste Interessen ja hierbei auf dem Spiele standen, verhielt sich kühl und schweigsam, nicht etwa weil Bismarck die Gefahr unterschätzt hätte, sondern weil er wusste, dass andere ihm die Mühe, dagegen zu protestieren, schon abnehmen würden. In der That sah sich Napoleon auch gezwungen, schon am 27. April die eben erst geschlossenen Verträge wieder zurückzunehmen. | |
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Bekanntlich hat Bismarck bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges die Verhandlungen Frankreichs mit Preussen über die geplante Annexion Belgiens ans Licht gezogen und urbi et orbi verkündigt. Es war dies der letzte und empfindlichste diplomatische Schlag, welchen er dem Kaiserreich versetzte. Denn er lenkte die Aufmerksameit der Garanten wieder auf diesen Punkt und sicherte sich vom neuen die damals für uns so wertvolle Neutralität Belgiens. Denn jetzt griff England ein und machte sich durch die SeparatverträgeGa naar voetnoot(1) vom 9. und 11. August 1870 mit Deutschland und Frankreich anheischig, die Neutralität gegen jeden, der sie verletzte, mit den Waffen zu verteidigen. Wir haben das Ringen zwischen Frankreich und Deutschland um den Einfluss in den Niederlanden verfolgt und müssen zum Schluss wenigstens noch einen kurzen Blick darauf werfen, wie sich die anderen Grossmächte zu dieser Frage stellen. Von ihnen treten, wie wir schon gesehen haben, Russland und Oesterreich so ziemlich in den Hintergrund und allein England scheint ein grösseres Interesse an der Lösung dieser Frage zu haben. Seit mehr als vierhundert Jahren hat sich England in fast ununterbrochenem Kampfe bemüht, Frankreich von einer Besitzergreifung dieser Küstenländer abzuhalten. Es war in den Tagen der Königin Elisabeth, als zum ersten Male der Plan auftauchte, in das Schicksal dieser Länder einzugreifen. Damals waren die Niederlande noch spanischer Besitz und König Philipp II. benutzte sie als Angriffsstellung gegen Frankreich und England, um der Ausbreitung des Protestantismus in Europa zu wehren. Aber der endlosen Bürgerkriege müde, in denen man sich um des Glaubens willen und zum Vorteile Spaniens verblutete, tauchte in Frankreich einen Augenblick der Gedanke auf, die innere Fehde zu begraben und sich mit vereinten Kräften auf Spanien zu werfen, um es aus seiner beherrschenden Stellung in den Niederlanden zu vertreiben. | |
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Einen Bundesgenossen musste man in England finden, dessen Königin unter den Nachstellungen der Spanier für ihre Krone und ihr Leben zitterte. Aber seltsam, als der Aufstand in den Niederlanden gegen die spanische Herrschaft losbrach, und als Köning Karl IX. von Frankreich in Verbindung mit Coligny England zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Spanien zu gewinnen suchte, weigerte es die Beihilfe. Ja in einem Rathe der Königin wurden sogar Stimmen laut, die ihr riethen, den Spanier Alba, ihren Glaubens- und Todfeind, zu unterstützen, einzig nur aus dem Grunde, damit sich nicht Frankreich dieser Provinzen bemächtige. Denn der Spanier schien ihnen hier minder gefährlich, als der Franzose. Die Sicherheit Englands beruhe eben darauf, dass es allein dieses Meer beherrsche, und Frankreich würde hier ein zu mächtiger Nachbar sein, der dem Engländer die unbeschränkte Herrschaft dieses Meeres gefährde und seine Handelsprivilegien in den Niederlanden vernichte. Diese Beweggründe haben für England auch im Laufe der Zeiten nichts an überzeugender Kraft verloren. Nur deshalb setzte man sich dem Ansturm Ludwigs XIV. und Napoleons I. entgegen, nur deshalb hämpften auf diesem Kriegsschauplatz auch englische Truppen unter Marlborough und Wellington, um die Interessen Englands zu vertheidigen. Das also ist der Zweck der belgischen Neutralität, über welcher, wie die Augustverträge des Jahres 1870 zeigen, kein anderer Staat so schlau wacht, wie gerade England. Diese ‘Neutralität’ bedeutet nämlich die Sicherung, ja die Herrschaft Englands. Auch für die Neutralität Luxemburgs hatte es eine Garantie übernommen, aber es hatte dies nur ungern gethan und Lord Derby scheute sich nicht, gleich nach der Konferenz im Oberhause zu erklären, dass man hierfür aller Verpflichtung los und ledig sei. Warum war man denn dort so ängstlich und nahm es wieder hier so wenig genau? Wir haben oben schon an verschiedenen Punkten gemerkt, dass das Interesse, welches England der belgischen Neutralität ent- | |
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gegenbringt, vor allem dem Hafen von Antwerpen gilt. Antwerpen ist der Schlüssel zur Nordsee, die natürliche Basis für jeden Angriff einer Kontinentalmacht auf England, der Punkt, von dem aus man der englischen Politik Schach bieten kann. Was endlich Oesterreich betrifft, so ist es richtig, dass es in den früheren Jahrzehnten der belgischen Frage ein beschränktes Interesse entgegengebracht hat. Metternich soll seiner Zeit an Graf Appony geschrieben haben,Ga naar voetnoot(1) dass er sehr wenig Wert auf die Verhandlungen zwischen Belgien Frankreich wegen einer Zollvereinigung lege und dass mann sich in Berlin unnötig darüber aufrege. Frankreich möchte am liebsten Belgien hinunterschlingen und Belgien möchte sich gerne an der reichen Tafel Frankreichs mästen. Aber bei solchem Handel wäre es immer der Kleinste, welcher am meisten auf seiner Hut wäre. - Gewiss, Oesterreich war in diesen Dingen fern vom Schuss und konnte in aller Gemütsruhe die Entwickelung der Dinge mit ansehen. Man kann vielleicht sagen, dass es die Verhandlungen Belgiens mit Frankreich im Hinblick auf die Bestrebungen Preussens mit seinem Zollverein nicht ungern gesehen habe. Nach dem Kriege von 1866 aber brach man mit der bisherigen Zurückhaltung insofern, als man sich bemühte, Belgien geradezu in die Arme Napoleons zu treiben. Bei dem Abommen über die belgischen Eisenbahnen war Beust der einzige Staatsmann Europas, welcher Napoleon das Wort redete und die Belgier ermahnte, den Vertrag mit den Eisenbahnen gutzuheissen und selbst in einen Zollverein mit Frankreich zu treten.Ga naar voetnoot(1) |
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