Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdPolitische Betrachtungen zur Niederländischen Frage besonders zur Zollpolitik Belgiens. Vom geschichtlichen Standpunkte.
| |
[pagina 226]
| |
Frankreich verloren gehe. Zu diesem Zwecke hatten auch England, Russland, Oesterreich und Preussen auf eigene Kosten eine Reihe von Festungen in diesem Lande aufgeführt, welche die Grenze gegen Frankreich deckten. Die Furcht vor den ehrgeizigen Plänen Frankreichs war nicht unbegründet. Wir sehen dies an den Vorschlägen PolignacsGa naar voetnoot(1) vom September 1829. Dieser rieth in der augenblicklichen Orientkrise zu einer Verständigung mit Russland. Es heisst in seiner Denkschrift: ‘Man müsse bei der Orientkrise immer das Ziel ins Auge fassen, wie die Seeherrschaft Englands zu brechen wäre. Der Wiener Congress habe den Fehler begangen, um die Unabhängigkeit des Continentes zu retten, die englische Seeherrschaft zu befestigen. Jetzt müsse im Gegensatz dazu Frankreich seine alte traditionelle Politik für das Prinzip der Freiheit der Meere wieder aufnehmen. England schrecke den Continent mit dem russischen Gespenst, und doch habe sich die russische Offensivkraft verhältnissmässig nicht bedeutend gezeigt, während die Kriegsmarine der ganzen Welt der englischen nicht gewachsen sei.’ Um diesem unerträglichen Zustande ein Ende zu machen, entwickelte Polignac den Plan zu einer völligen Umgestaltung der Karte Europas. Ich erwähne aus demselben nur den Punkt, dass Holland an Preussen, Belgien aber bis zur Maas und an die Scheldemündung an Frankreich fallen sollte. Als der Dauphin dagegen einwandte, dass England nie zugeben werde, dass Antwerpen in Frankreichs Hände komme, sagte Polignac: ‘Das beweist eben nur dass wir Antwerpen haben müssen. Entweder wir lassen uns auf ewig die Verträge von 1815 gefallen oder wir entschliessen uns, die Feindschaft Englands auf uns zu nehmen. Mit Russland, Preussen, Bayern und dem grösseren Theil des übrigen Deutschlands im Bunde können wir England zwingen.’ Nur die rasche Lösung der orientalischen Wirren hat damals die französische Regierung verhindert, mit dieser | |
[pagina 227]
| |
Sache hervorzutreten. Aber die belgische Revolution des Jahres 1830, welche mit der Loslösung Belgiens von Holland endigte, liess den Gedanken einer Annexion dieser Lande in Frankreich von neuem lebendig werden. Besonders war es Talleyrand, der leise anklopfend, bald hier bald dort dieses Geschäft betrieb. So erfuhr StockmarGa naar voetnoot(1) der Agent König Leopold's in London vom dortigen preussischen Gesandten, dem Herrn von Bülow: ‘Talleyrand spreche ihm Tag und Nacht von einer Theilung Belgiens vor und suche ihn zu überzeugen, dass, wenn nur Frankreich, Preussen und Holland sich darüber verständen, die Einwilligung Englands dadurch zu erlangen sei, dass man Ostende und Antwerpen zu Freihäfen erkläre.’ Auch weiss StockmarGa naar voetnoot(2) noch später in eine Brief vom Juni 1832 zu berichten, es habe ihm schon längst jemand versichert, dass zwischen Frankreich und Holland ein geheimer Tractat, die Theilung Belgiens betreffend, bestehe und dass dleser Tractat das Werk Talleyrands sei. Unter diesen Umständen erschien die französische Intervention in Belgien vom August 1831 fast wie der Versuch einer Annexion. Ludwig Philipp war von König Leopold zu Hilfe gerufen worden, um das Land von den Holländern zu befreien. es gelang ihm auch, dem Vormarsch jener mit seinen Truppen ein Halt zu gebieten, nur wusste man nicht, ob er auch selbst das Land wieder räumen würde. Das erregte den Argwohn und die Eifersucht der Mächte, vor allem Englands und Preussens, und der nachdrücklichen Forderung dieser, das Land mit seinen Truppen zu räumen, wich endlich FrankreichGa naar voetnoot(3) Man darf wohl sagen, dass die belgische Neutralität erfunden war eigens zu dem Zwecke, diese Länder vor Frankreich sicher zu stellen. Im Kreise der vier andern Mächte, England, Russland, Oesterreich und Preussen, welche mit | |
[pagina 228]
| |
Frankreich die Neutralität Belgiens garantirten, war man eigentlich mit der Schöpfung dieses neuen Staates unzufrieden und hätte es viel lieber gesehen, wenn er mit Holland vereinigt geblieben wäre. Dies zeigte sich bei jeder Gelegenheit, besonders aber bei der Frage der belgischen FestungenGa naar voetnoot(1). Jetzt nach der Trennung beider beschlossen die vier vorgenannten Mächte, einen Theil der von ihnen hier errichteten Festungen wieder zu beseitigen. Das sollte nicht ein Zeichen des Vertrauen's, eine Artigkeit gegen Frankreich sein, wie die Regierung dort behauptete, sondern es geschah gegen Frankreich aus Misstrauen, in der Ueberzeugung, dass Belgien allein nicht mehr im Stande wäre, alle diese Festungen wirksam zu vertheidigen, und dass Frankreich dann ein leichtes Spiel hätte, sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Trotz der allergrössten Anstrengungen seiner Staatsmänner hatte Frankreich bei diesem Handels nicht erreicht. Weder die Theilung Belgiens, noch eine geringe Berichtigung seiner Grenze, noch endlich die Ordnung der Festungsfrage in seinem Sinne, es hatte sich vor dem vereinigten Europa in allen Punkten zurückziehen müssen. Man fügte sich drein und die belgische Frage war für Frankreich vorläufig begraben. Erst im Jahre 1840 feierte sie ihre Wiederauferstehung, aber das Werben Frankreichs um diese Gebiete nahm jetzt eine ganz neue Gestalt an. Man hatte die Entstehung und das Wachsthum des Zollvereins in Deutschland mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt und dabei entdeckt, dass hier gleichsam auf friedlichem Wege politische Eroberungen gemacht werden konnten. Dieses Verfahren wünschte man in Frankreich auf Belgien anzuwenden und die Gelegenheit dazu war günstig, da Belgien selbst am dringendsten das Bedürfnis einer wirtschaftlichen Anlehnung empfand. Seit 1836 liess König Leopold durch seinen | |
[pagina 229]
| |
Gesandten Le HonGa naar voetnoot1) in Paris die Frage einer Zolleinigung erörtern, aber erst seit 1840, noch unter dem Ministerium Thiers, fing man in Frankreich an, die Sache ernst zu nehmen. Was für Belgien auf dem Spiele stand, lehrt ein Gutachten StockmarsGa naar voetnoot2) vom August 1841, wo es heisst: ‘Ich sehe in dem Projekt grosse politische Gefahren für die belgische Nationalität und Unabhängigkeit. Von der Bereitwilligkeit, mit welcher Frankreich dem belgischen Verlangen entgegenkommen wird, können die belgischen Staatsmänner einen Massstab für die Grösse der Gefahr entnehmen. Meiner Meinung nach wird sich Frankreich auf jeden Fall zu der Sache bereit finden lassen. Sollten materielle französische Interessen dagegen sprechen, so wird die Regierung trotzdem darauf eingehen, weil die eventuellen politischen Vorteile zu lockend und bedeutend sind.... Sind die durch die Zolleinigung geförderten Interessen Belgiens nur partiell und gehen sie nur einzelne Provinzen z. B. die wallonischen an, so dürfte die Zollunion in einiger Zeit ein wahres Zersetzungsmittel für die belgische Einheit und Nationalität werden. Die grössere Beweglichkeit der Wallonen, ihre geringere Katholizität wird sich mit dem materiellen Elemente verbinden, um sie durchaus zu französieren und geneigt zu machen, beim geringsten äusseren Anstosse sich von den übrigen Provinzen zu trennen, um sich Frankreich einverleiben zu lassen. Und was bliebe dann dem verlassenen Reste übrig, als sich Holland anzuschliessen? Vielleicht wäre auf solche Weise die so oft besprochene Teilung Belgiens sicherer und ruhiger einzuleiten und zu bewirken, als durch die Gewalt der Waffen. Nehme ich aber an, dass die materiellen Interessen von ganz Belgien durch den Zollbund gefördert würden, ... so könnte Belgien vielleicht noch lange dem Namen nach als Staat figurieren, in Wirklichkeit würde es aber wenig mehr als eine französische Provinz sein.’ | |
[pagina 230]
| |
Welchen Gefahren man auf diesem Wege entgegenging, sahen die belgischen Staatsmänner allerdings, aber sie wussten auch, dass es für sie keinen anderen Ausweg gab. Schon im November 1836 fasste Le HonGa naar voetnoot(1) der Unterhändler in Paris, seine Aufgabe wie folgt: ‘Dans cette affaire tous mes efforts tendent à concilier le caractère distinct et l'intérêt essentiel de notre unité nationale avec la fusion des rapports industriels et commerciaux, donner une base solide à notre prospérité matérielle sans ébranler ou affaiblir celle de notre indépendance politique: voilà le problème.’ Ja das war das Problem, ein Rätsel, wie das gelingen sollte! Man wollte Frankreich nur den kleinen Finger reichen und es nahm die ganze Hand. Schon im November 1840 erklärte König LéopoldGa naar voetnoot(2), dass es unerlässlich sei, dem Vertrag einen rein commerciellen Charakter zu geben und jede Bestimmung davon auszuschliessen, die irgendwie die Verwaltung beträfe. Und am 27. Januar 1841 schrieb er an Le Hon: ‘Seien Sie versichert, dass es uns besonders bei der gegenwärtigen Haltung der grossen Politik in Europa unmöglich ist, etwas anderes als einen Differentialzollvertrag mit Frankreich abzuschliessen. Vielleicht einen kleinen Vertrag, der sich auf zwei oder drei Industriezweige erstreckt, oder einen grossen Vertrag, welcher sämtliche Erzeugnisse beider Länder umfasst. Es ist eine Zollgrenze zwischen beiden Ländern notwendig, man muss dem übrigen Europa einen handgreiflichen Beweis geben, dass es sich um keine Einverleibung handelt. Die vier übrigen in unserem Vertrag (vom 19. April 1839) mit unterzeichneten Mächte (England, Russland, Oesterreich und Preussen) haben sich schon gegen eine Zollvereinigung ausgesprochen, sie erklären, eine solche Vereinigung würde der Stellung, welche der Vertrag uns sichert, ein Ende machen, unsere Neutralität würde dadurch thatsächlich und rechtlich aufgehoben, wir würden nur noch eine französische Provinz sein.’ | |
[pagina 231]
| |
GuizotGa naar voetnoot(1), welcher als Minister die Verhandlungen leitete, sagt von seinem französischen Standpunkte aus: ‘Nous ne voulions pas faire payer trop cher à notre industrie et à nos finances, l'avantage politique que devait nous valoir l'union douanière, et les Belges voulaient payer au moindre prix politique possible l'avantage industriel qu' ils recherchaient.’ Es scheint, dass in den Konferenzen, welche im September 1841 in Paris stattfanden, die Belgier etwas von ihrem Standpunkte preisgaben, denn Guizot berichtet, dass sie die Beseitigung jeder Zolllinie zwischen beiden Ländern und die Errichtung eines einheitlichen und gemeinsamen Zolltarifs an den übrigen Grenzen vorgeschlagen hätten. Nur in einem Punkte blieben sie fest, der getrennten Zollverwaltung, denn wie einer der belgischen Unterhändler offenherzig erklärte: ‘L'admission de quelques milliers de soldats français sur le territoire belge, en uniforme de douaniers, serait une atteinte mortelle à l'indépendance et à la neutralité de la Belgique.’ Die französischen Unterhändler erklärten darauf ebenso offen: ‘que la France ne pouvait confier à des douaniers belges la garde de ses intérêts industriels et financiers.’ Inzwischen begann in Frankreich in der Presse und im Parlament, unterhalten von dem Gelde der Grossindustrie, eine so stürmische Agitation gegen ein Handelsabkommen mit Belgien, dass sogar die Minister wieder zaghaft wurdenGa naar voetnoot(2). Das verschlechterte natürlich die Lage der belgischen Unterhändler und Thiers, an den sie sich gewandt hatten, erklärte offen, dass man nur für den Fall einer Zollunion auf eine Mehrheit in der Kammer für ein französisch-belgisches Zollabkommen rechnen dürfe, und fügte noch hinzu: ‘mais je ne conçois pas la possibilité du succès pour aucune autre | |
[pagina 232]
| |
combinaison.’ Vergebens stellte man in Brüssel den Franzosen vor, dass man durch eine solche Abweisung Belgien in die Arme Deutschlands treibe, man kam ihm in Paris keinen Schritt mehr entgegen. Ja, man erhöhte plötzlich im Juni 1842 den Eingangszoll für Garn und Linnen, eine Massregel, die gegen England gerichtet war, die aber vor allem Belgien traf, und erst im Laufe neuer Verhandlungen gab man etwas nach, indem man durch ein Abkommen vom 16. Juli für Belgien diese Verfügung auf 4 Jahre zurücknahm. Obwohl in der französischen Kammer für eine Zolleinigung mit Belgien keine Stimmung gewesen war, so gab die Regierung diesen Plan doch nicht auf. Man fürchtete nämlich, was König Leopold in einem Schreiben an Louis Philipp angedeutet hatte, dass in Folge der französischen Abweisung in Belgien wieder die orangistische Strömung überhand nehmen möchte, die das Land an Holland auszuliefern suchte. Aber es hatte noch eine andere Drohung der belgischen Staatsmänner Eindruck gemacht. Wie Guizot sagt: ‘Nous avions de plus quelque crainte que la Belgique repoussée par la France ne se tournât vers l'Allemagne et ne cherchât à entrer dans le Zollverein prussien. Nous n'ignorions pas que des hommes d'Etat, belges et allemands, étaient favorables à cette combinaison et essayaient de la préparer.’ Man fürchtete also, dass Deutschland die Gelegenheit ergreifen könnte, die Frankreich verscherzt hatte, und dass Belgien ein Glied des preussischen Zollvereins würde. Das wünschte man zu verhindern, und Guizot rechtfertigte in der Kammer seine Politik gegen die Angriffe, als ob er leichtsinnig die wirthschaftlichen Interessen Frankreichs den Belgiern opfern wollte, mit den Worten, dass allerdings die Interessen der Industrie ein Anrecht hätten auf den Schutz und die Förderung der Politik, dass sie aber ebensosehr auch sich den Forderungen der auswärtigen Politik wie dem Fortschritt im inneren Staatsleben anpassen müssten. Schon aber fühlte man die versteckte Thätigkeit der übri- | |
[pagina 233]
| |
gen KabinetteGa naar voetnoot(1). Am 21. Oktober 1842 richtete Lord Aberdeen ein Schreiben an König Leopold, worin er ihn vor einer Massregel warnte, ‘die, wie man behaupten darf, gefahrvoll ist für die Interessen Ew. Majestät und für die Ruhe Europas.’ Kaum einen Monat später erging eine ähnliche Zurechtweisung an Ludwig Philipp. Lord Aberdeen sagte eines Tages zu Saint-Aulaire, dass man gegen einen französischbelgischen Handelsvertrag in England um so weniger etwas einzuwenden habe, als man so viel englisches Kapital in belgischen Unternehmungen angelegt hätte. Anders freilich wäre es mit dem Gedanken einer Zolleinigung, denn in Antwerpen würde England französische Zollwächter schwerlich willkommen heissen und man müsse sich diesmal auch auf den Widerstand Deutschlands gefasst machen. In der That hatte man bereits am 28. Oktober die Höfe von Berlin, Wien und Petersburg verständigt und unter Berufung auf die belgische Neutralität und das Protokoll vom 20. Januar 1831 erklärt, dass die Kabinette ein Recht hätten, sich einer Kombination zu widersetzen, welche eine Gefahr für das europäische Gleichgewicht bedeute. Und am 6. Dez. sagte Lord Aberdeen zu Sainte-Aulaire mit dürren Worten, dass man in England eine Zolleinigung zwischen Frankreich und Belgien als einen Angriff auf die Unabhängigkeit Belgiens und demgemäss auch auf die Verträge, die sie verbürgen, betrachten müsse. Da die Stimmung in Preussen eine ähnliche war wie in England, hielten es die französischen Staatsmänner für rätlich, auf den Plan einer Zolleinigung mit Belgien zu verzichten. In einer Note vom 30. November 1842, welche an alle betheiligten Höfe nach Berlin, London, Wien, Petersburg. Brüssel und Haag gerichtet wurde, vertheidigte Guizot noch einmal den Standpunkt Frankreichs mit der Versicherung, dass nichts gegen die Unabhängigkeit oder Neutralität Belgiens geplant wäre. Dann aber zog man zurück, um sich nicht der Gefahr eines Kollektiv- | |
[pagina 234]
| |
schrittes der übrigen Mächte auszusetzen. Langsam liess man die Verhandlungen über eine Zolleinigung fallen und begnügte sich schliesslich mit einem erweiterten Handelsvertrag, der am 13. Dezember 1845 zustande kam und auf 6 Jahre abgeschlossen wurde. GuizotGa naar voetnoot(1) fasste sein Urtheil über die Frage des Zollbundes mit Belgien dahin zusammen, dass er sagte, die Nachtheile davon würden für Frankreich die politischen Vortheile überwogen haben. Man hätte nur den Schein eines Machtzuwachses erringen können, denn Belgien mit seinem eben erst erwachten Drange nach Freiheit und nationaler Selbständigkeit würde sich nur unvollkommen mit Frankreich vermischt und verschmolzen haben, was zu beständigen Unruhen und Reibungen geführt haben müsste. Zudem aber war noch mit dem Widerstande der vier Mächte zu rechnen, die man bei hartnäckigem Festhalten an diesem Plane mindestens erbittert, wenn nicht gar in eine neue antifranzösische Koalition getrieben hätte. Endlich aber würde man in einer solchen politisch ungünstigen Lage auch noch im Lande selber die ernstlichste Unzufriedenheit und eine grosse Verwirrung in den hauptsächlichsten Industriezweigen angerichtet haben. Gewiss, dem Fuchs waren die Trauben, die er nicht erreichen konnte zu sauer. Aber die Gründe Guizots entbehren doch nicht jeder Berechtigung, und sind in ihrer allgemeinen Natur, als Lehren der Geschichte, auch für uns der Beherzigung werth. Freilich konnte Guizot sagen: ‘L'union douanière n'est point nécessaire à la France’, aber es fragt sich, ob Deutschland bei der eigenthümlichen geographischen Lage zu diesen Ländern dasselbe auch von sich behaupten kann. Jedenfalls hat Frankreich auch späterhin die Entsagung, welche Guizot predigte, nicht geübt. Wir erinnern uns, welche Rolle die belgische Frage noch in der Politik Napoleons III gespielt | |
[pagina 235]
| |
hat, und dass auch die französischen Staatsmänner unserer Zeit auf diesen Gedanken noch nicht verzichtet haben. In der That hat Frankreich heute mehr denn je ein Interesse daran, diese Gebiete für sich zu gewinnen, denn die Lage dieser Länder ist, militärisch betrachtet, die einer vorgeschobenen Bastion, welche den Feind bedroht und in der Flanke fasst. Im Besitze Frankreichs entziehen sie Deutschland für einen Theil seines Handels den natürlichen Zugang zum Meere. Je unsicherer es nun ist, ob Belgien in einem künftigen Kriege seine bisherige Neutraliät behaupten kann, um so wichtiger wird dieser Besitz für die Gegenwart. Aber mehr noch. Mit Elsass-Lothringen hat Frankreich die beiden Provinzen verloren, die ihm allein noch einen wesentlichen Geburtenüberschuss brachten. Der jetzige Stillstand seiner Bewohnerzahl erweckt in ihm die Besorgniss, dass es eines Tages von selbst aus der Reihe der Grossmächte schwindet. Die Befürchtung Napoleons III war die Consolidirumg eines Siebenzigmillionenreiches an Frankreichs Ostgrenze. Deshalb begünstigte er das Emporkommen Preussens neben Oesterreich, weil damit das Phantom eines grossen central-europäischen Reiches wieder in ein Nichts zerfloss. Jetzt aber geht man in Frankreich derselben Gefahr entgegen, indem neben dem übermächtigen Wachsthum der Bevölkerung in Deutschland Frankreich bei dem Stillstand seiner Kräfte immer weiter ins Hintertreffen geräth. (Fortsetzung folgt). |
|