Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die deutschen Reichshäten und das Zollbündnis mit den Niederlanden.
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des Alldeutschen Verbandes im Abdruck eine Eingabe vom 8. August versandt haben, welche an das Königlich Preussische Staatsministerium gerichtet ist, sich mit der Mittelland-Kanalfrage befasst und dabei in wohlbegründeter Form die allgemeine Frage einer Förderung der Deutschen Reichsseehäfen aufwirft. Die genannten Handelskammern erachten mithin den Verband für eine befugte Instanz und rufen sein Urteil an. Der Ausschuss hat geglaubt, sich dieser Aufforderung nicht entziehen zu dürfen. In Fortführung dieser Untersuchung habe ich dann weiter die Frage eines Zollbündnisses mit denjenigen Ländern zu prüfen, welche an den Mündungen des Rheines, der Maas und der Schelde dem Deutschen Mittel-Europa vorgelagert sind. Ich werde es dabei streng vermeiden, an den Gang der Weltgeschichte anzuknüpfen. Historische Erinnerungen sind wertlos; wir haben uns auf den Boden der Thatsachen zu stellen, und der Westfälische Frieden, wie der Wiener Kongress sind nicht ungeschehen zu machen. Wir Alldeutsche beanspruchen in allererster Linie für uns die Anerkennung, nicht eine sentimentale und gemütvolle Politik zu treiben, sondern, auf dem Boden nüchterner Erwägungen stehend, im Gegensatz zur Politik der Höflichkeiten, der Grundsätze, der Dynastien, die Politik der Belangen des Deutschen Volkes zu verfolgen. Wir leben nicht im Mittelalter, und nur der vermag die Frage der unzeitlichen Politik zu beurteilen, welcher nicht in den Erinnerungen an die Zeiten des Grossen Friedrich, des Grossen Kurfürsten, des Kaisers Rotbart und Karls des Grossen stecken geblieben ist. *** Die Handelskammern von Harburg and Altona leiten ihre Eingabe ein mit einem wertvollen ziffermässigen Ueberblick über die Entwickelung der Häfen an den Mündungen der Elbe, der Weser, des Rheines und der Schelde. Nach dieser Statistik klarierten ein in: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Es ergiebt sich daraus, dass allerdings unsere deutschen Häfen einen gewaltigen Aufschwung zu verzeichnen haben. Die Elbhäfen stiegen um 319 %, Bremen um 267 %, aber Antwerpen um 289 %, und Rotterdam gar um 413 %.Ga naar voetnoot(*) Die Deutschen Nordseehäfen haben sich im dem genannten Zeitraum um insgesammt 6,3 Millionen t. oder 305% gehoben, Antwerpen-Rotterdam aber um 342 % oder 9,1 Millionen.Ga naar voetnoot(*) Die Tonnenziffer allein der 2 Häfen der beiden kleinen Länder Holland und Belgien ist also weit höher, als die Tonnenziffer der gesamten Deutschen Nordseehäfen. Eigene | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Kraft ist es nicht gewesen, die die Häfen Hollands und Belgiens so gewaltig gefördert hat. Sie sind genährt worden von dem grossen Deutschen Hinterlande, das zugleich auch das Mutterland dieser beiden Staaten gewesen ist. Auch hier sind wir Deutschen wieder so ein klein bisschen ‘Völkerdünger’. Wir haben mit unserer Kraft - wir wollen diesmal nicht sagen fremde - aber doch nicht-reichische Eigenart gestärkt. Es ist bekannt, dass Antwerpen und noch mehr Rotterdam im riesigsten Massstabe von Deutschen Gütern und von Deutschem Kapital gespeist werden. Der Seeverkehr des Deutschen Reiches mit Rotterdam und Antwerpen ist nicht sehr bedeutend; hier überwiegt England bei weitem. Naturgemäss kann der Seeverkehr Deutschlands mit den Häfen in der Hauptsache nur darin bestehen. dass ozeanische Dampfer auf der Fahrt von oder nach Deutschland die Häfen anlaufen, um dort zu laden, zu löschen, zu bunkern u.s.w. Ein ganz anderes Gesicht aber nimmt die Sache an, wenn man den binnenländischen Verkehr heranzieht, vor allem aber den binnenländischen Verkehr auf dem Rheinstrome. Nach der amtlichen holländischen Statistik betrug (wenn nichts anderes angegeben ist, wird stets das Jahr 1897 zugrunde gelegt) in Rotterdam die Menge der eingeführten Waren 9.008.000 t. dieselbe Statistik ergibt aber, dass die Rheinschiffahrt aus Deutschland heranführte 703.000 t. und nach Deutschland beförderte sogar 5.746.000 t., d.h. also, von dem gesamten Verkehr entfielen in Höhe von 9.000.000 t. rund 65 % auf das Deutsche Reich. Der Rheinschiffartsverkehr mit Amsterdam war im Verhältnis zur geringeren Bedeutung dieses Hafens auch nicht gerade klein; er betrug 464.000 t., und derjenige ganz Hollands mit Deutschland nicht weniger als 9.189.000 t. Man sieht, welche enorme Bedeutung der Rhein als Speisekanal für West- und Süddeutschland einerseits und für die Niederlande andererseits besitzt. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Die natürlichen Verhältnisse der Wasserwege schränken diesen Verkehr nach Antwerpen ausserordentlich ein. Im binnenländischen Verkehr kamen in Antwerpen an auf dem Wasserwege 2.031.881 t., davon aus Deutschland 281.000 t; es sind abgegangen 999.000 t., davon nach Deutschland nur 26.000 t. Antwerpen hat eben keine unmittelbare Wasserverbindung mit dem Reiche; es wird gefüttert nicht zu Wasser, sondern zu Lande mit Hülfe des riesigen Eisenbahnnetzes, welches sich strahlenförmig von Antwerpen über Belgien und von da in das westliche Deutschland und Mitteleuropa ausbreitet. Man sieht, um welch riesige Mengen es sich handelt, welche unglaublichen Tonnenmassen hinüber und herüber über die Grenze geworfen werden; man sieht, wie Deutschland das grosse Staubecken ist, von welchem aus die ozeanischen Häfen der Niederlande befruchtet werden. Es muss die Frage erwogen werden: ist es nicht möglich, einen Teil dieser Massen für den eigenen Deutschen Handel zu bewahren, mit anderen Worten: wird es möglich sein, mit Rücksicht auf unsere nationalen Belangen die Deutschen Häfen wirtschaftlich zu heben? Indem ich diese Frage prüfe und sie im allgemeine bejahe, muss ich doch von vornherein erklären: wir haben uns von überschwänglichen Hoffnungen fern zu halten; ich muss mehrfach Wasser in den schäumenden Sekt der Deutschen Wünsche giessen. Es ist zwecklos, mit Phantasterei und mit Schlagworten wirtschaftliche Fragen zu behandeln, sondern wir haben ernst zu untersuchen, was geht und was nicht geht, und uns darnach zu entscheiden.
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Ein einheitliches Zentrum für die westdeutsche oder gar süddeutsche Industrie ist nichtvorhanden. Von dem Wunsche geleitet, Sie möglichst mit Zahlen zu verschonen, die an Ihrem Ohre vorbeiklingen, ohne im Gedächtnis sitzen zu bleiben, habe ich mir meine tarifarischen Berechnungen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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auf Essen begründet, welches als Mittelpunkt des Niederrhein sch-Westphälischen-Montanbezirkes immer eine ziemlich gute Grundlage abgibt, da gerade dieser Bezirk ausserordentlich starke Frachten empfängt und entsendet. Ich hätte auch Düsseldorf, Mannheim u.s.w. wählen können - mit ziemlich denselben Ergebnissen, nur dass, je weiter südlich man kommt, die Sachlage sich etwas zugunsten Antwerpens verschiebt. Es beträgt nun, in der Luftlinie gemessen, die Entfernung von Essen nach Antwerpen 178 km., nach Rotterdam 180 km.; beide Häfen stehen also ziemlich ebenbürtig da. Mit 180 km., aber kommt man in der Richtung auf Emden noch nicht aus; man gelangt nicht einmal bis Leer, sondern die Linie endet in der Gegend von Aschendorf, und Emden selbst ist bereits 220 km. entfernt. Diese Messkette nach Bremen zu geworfen, kommen wir nur bis Barnsdorf; Bremen ist (immer nur in runden Zahlen) 225 km. entfernt. Hamburg aber steht mit 305 km, am ungünstigsten. Die Eisenbahnlinie nach Hamburg läutt sogar 357 km, d.h. also das Doppelte, wie nach Antwerpen und Rotterdam. Ihr Urteil, wird beim Anhören dieser Ziffern schon rasch überschlagen haben, wie die Sache steht. Der Wettbewerb zwischen den genannten Häfen ist ein ungleicher. Der natürliche Zug der geographischen Entfernung schlägt zu Ungunsten der Deutschen Häfen aus. Um dies weiter zu untersuchen, bitte ich Sie, mit mir in eine der trockensten Materien, die es im Wirtschaftsleben gibt, für einige Minuten hereinzusteigen: in die Frage der Tarife. Ich sehe von einer nur annähernden Wiedergabe der Fülle des vielgestalteten Tarifgewirres ab; ich muss mich darauf beschränken, Ihnen an Hand einiger weniger bedeutsamer Tarife die Sachlage zu erläutern. Die kilometrische Entfernung von Essen beträgt mit der Eisenbahnlinie nach Antwerpen 220 km, nach Rotterdam | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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231 km, nach Emden 255 km, nach Bremen 258 km, nach Hamburg 357 km. Greifen wir nun zuerst den Eisenbahntarif für Steinkohlen heraus, wie er sich auf Grund der kombinierten von Preussen und von den Niederlanden gewährten Ausnahmetarife darstellt. Es beträgt die Bahnfracht für den Doppelwaggon Steinkohle von Essen nach
Scheinbar sind also hier die deutschen Häfen noch wettbewerbsfähig; ich werde weiter unten darlegen, weshalb ich hier das Wort ‘scheinbar’ besonders betone. Der Erztarif kommt nicht in Betracht, das Erz kommt zu Wasser und behandle ich die Erzfracht weiter unten. In diesem Verkehr der Eisenbahn-Hafen-Ausnahmetarife beträgt weiter der Frachtsatz für Roheisen nach Hamburg M. 8.40, nach Bremen und Emden M. 6.20, nach Antwerpen M. 6.52 und nach Rotterdam M. 4.90. Gehen wir über zu Spezialtarif I., welcher in der Hauptsache die schweren Montan-Erzeugnisse umfasst, z. B. Achsen, Wagenfedern, Ambosse, Anker, Dampfkessel, Geschützrohre, Winden u.s.w., so beträgt für eine t die Fahrt nach Hamburg M. 11.10, Bremen M. 8.30, Emden M. 8.90, Rotterdam M. 8.00, nach Antwerpen M. 9.92. Nach dem Spezialtarif II, welcher die leichteren Eisen-und Stahlwaren umbegreift, (z. B. Stabeisen, Winkeleisen, Bleche und Röhren, Draht, Schrauben, Nieten und dann das Eisenbahnmaterial, wie Schienen, Unterlagsplatten, Laschen, Weichen, Achsen, Räder und Radsätze u.s.w), beträgt die | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Fracht nach Hamburg M. 7.60, nach Emden M. 5.80, nach Bremen M. 5.60, nach Rotterdam M. 5.60, nach Antwerpen M. 7.68. Ich schliesse noch einen Tarif an, welcher in der Hauptsache Felle, Häute, Kaffee, Tabak und Talg umfasst. Es betragen die Tarife nach Hamburg M. 13.60, nach Bremen M. 10.20, nach Emden M. 10.80, nach Antwerpen M. 10.08, nach Rotterdam M. 9.40. Sie sehen hieraus zunächst, wie das preussische Ministerium der öffentlichen Arbeiten die preussische Hafenstadt Emden nicht nur nicht bevorzugt, sondern besonders gegenüber Bremen auffallend benachteiligt hat. Sie ersehen aber vor allem hieraus schon, dass Antwerpen schon nach diesen gewöhnlichen amtlichen Tarifen dem reichs-deutschen Wettbewerb gewachsen und Rotterdam ihm sogar überlegen ist. Neben diesen amtlichen Tarifen laufen noch die ausseramtlichen. Frachtermässigungen gegenüber den öffentlichen Normal- und Ausnahmetarifen finden in Preussen nicht statt, aber in Holland werden im offenen und im stillen bedeutende Refaktien gezahlt, so dass die obengenannten Tarife zum grossen Teil nur auf dem Papier stehen, während in Wirklichkeit aber die Frachten über Antwerpen - Rotterdam die meisten Frachten nach den deutschen Nordsee-Häfen noch viel stärker unterbieten. Während der amtliche Frachtsatz für Kohle nach Rotterdam von Essen M. 42. - beträgt, dürfte tatsächlich die Fracht bei Massenabschlüssen nicht viel über 32 bis 33 M. betragen, denen für Hamburg M. 56.00 gegenüberstehen. Der amtliche Tarif für Eisenerze, welche von Schweden oder Spanien kommen und zu den deutschen Hochöfen gehen, beträgt im amtlichen Tarif für die Strecke Rotterdam - Essen 51 M. Die grossen Vermittler und Verfrachter, welche oft in Bezügen von 10,000 t diese Erzfrachten abschliessen, erhalten aber von den holländischen Eisenbahnen besondere Vergünstigungen. Die Handelskammer zu Duisburg als Vertreterin der Rheinschiffahrts-Interessen hat im letzten | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Jahresbericht dargelegt, dass die Erzfracht nach Oberhausen thatsächlich nur auf 25 M. zu stehen kommt; das ergäbe für Essen umgerechnet etwa 27 M., also nicht viel mehr, als die Hälfte des amtlichen Satzes. Als Druckmittel wird dabei gegen die holländischen Bahnen stets der geschäftliche Hinweis auf den Wettbewerb des Rheines angewandt. Denn das ist das Entscheidende bei der Sache: neben den Bahnen der Niederlande rauschen die mächtigen Wasserwege des Rheins, der Maas und der Schelde und die Bahn mag wollen oder nicht, sie wird diesen sich aufdringlich anmeldenden Konkurrenten Rücksicht tragen müssen. Eisenbahnen und Wasserstrassen sind tatsächlich hier erbitterte Gegner geworden, weil sie nicht einem Willen gehorchen. Die Eisenbahnen sind preussisch, holländisch, belgisch oder in privatem Besitze, die Wasserstrassen sind hier tatsächlich res nullius. Die preussischen Staatseisenbahnen beispielsweise wehren sich gegen die Zumutung, nur Zubringer zum Rhein zu werden und versuchen, die an den Rhein gebrachten Frachten zu erhalten, indem sie dieselben zu billigen Sätzen weiter befördern, während sie anderseits sie, wohl nicht ohne jede Absicht, die sogenannten Hafentarife, d.h. die Tarife von den Produktionszentren nach den preussischen Binnen-Rheinhäfen ziemlich hoch schätzen und damit den Umschlag in das Wasser verhüten. Diese Politik greifen vor allem die holländischen Eisenbahnen auf und führen sie erfolgreich weiter, indem sie auf die vereinbahrten Ausnahmetarife noch gewaltige Rabatte gewähren in Gestalt der eben behandelten Refaktien. Gehen wir also nun für einen Augenblick zu diesen gefährlichen Nebenbuhlern der Eisenbahn über. Der Rhein ist zu allen Zeiten für das westliche Deutschland natürliche Verkehrsader und natürlicher Kulturzubringer gewesen. Seine Bedeutung ist in den letzten Jahrzehnten bedeutend gestiegen; seine Frachtmenge wächst noch jährlich schnell, und seine Handelsflotte entwickelt sich überraschend. Es ist hier nicht der Ort, um die Ueberlegenheit der Schiffs- | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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gefässe vor dem rollenden Eisenbahnmaterial des näheren darzulegen; mit der Feststellung, dass diese Gelegenheit in manchen Fällen ganz unzweideutig erwiesen ist, will ich es mir hier genügen lassen. Wie schon berührt, ist diese Ueberlegenheit so stark in Westdeutschland geoffenbart worden, dass die Eisenbahnen mit ihr rechnen müssen. Die Wasserfrachten auf den Strömen schwanken natürlich ausserordentlich stark, so das es schwer hällt, eine feste Durchschnittsziffer zu greifen. Die Fracht für ausländische Erze von Rotterdam nach Ruhrort beträgt etwa 10 M., das heisst bis Essen etwa 27 M. Die Fracht für Kohle rheinabwärts von Ruhrort nach Rotterdam beträgt etwa 15 M., das heisst von Essen 32 M. Dagegen halte man z. B. nun den Tarif nach Hamburg mit 56 M. Das Getreide in grossen Kähnen ist von Rotterdam nach Mannheim für etwa 20 M. zu verfrachten, die Güter des Spezialtarifs I von Rotterdam nach Ruhrort etwa für 25 bis 30 M. Man vergleiche damit die Fracht von Hamburg nach Essen gleich 111 M. Man sieht, wie also die Wasserwege sich den Eisenbahnwegen zugesellen, um den niederländischen Ozeanhäfen einen gewaltigen Vorsprung zu geben. Ich habe mir ausgerechnet, dass, wenn unsere Nordseehäfen dem Wettbewerb Widerstand leisten sollen, die Kohle gefahren werden muss etwa nach Emden zu 1,3 Pf., nach Bremen zu 1,2 Pf., nach Hamburg zu 0,9 Pf. für das Tonnenkilometer, das Erz von Emden für 1 Pf., von Bremen für 0,9 Pf., von Hamburg für 0,8 Pf. das Tonnenkilometer; man nimmt an, dass die Eisenbahnen die Massenerzeugnisse zu 1 Pf. fahren können. Je weiter man zu den höherwertigen Erzeugnissen aufsteigt - zu den halbfertigen Stoffen und den Fertigstoffen - von den schweren Montanerzeugnissen zu den Chemikalien, Webstoffen etc., desto günstiger stellt sich die Frage für die Eisenbahnen, desto mehr scheidet der Wasserweg aus, d.h. es handelt sich nur mehr um einen Kampf der reichsdeutschen und niederländischen Eisenbahnen. Im Spezialtarif I und noch mehr | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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im Spezialtarif II würden die preussischen Eisenbahnen zweifellos so weit nachgeben können, um die Nordseehäfen widerstandsfähig zu machen. Ich ziehe daraus den Schluss, dass bei unseren gegenwärtigen Verhältnissen Emden und auch zum Teil Bremen wettbewerbfähig gemacht werden können. Aber leider fällt mir die unangenehme Aufgabe zu, hier erklären zu müssen: nach meiner Ansicht scheiden aus diesen Untersuchungen zukünftig Hamburg und die anderen Elbhäfen fast vollkommen aus. Ich wiederhole: leere Schlagworte und Phantastereien sind hier nicht am Platze, Hamburg ist meines Erachtens das natürliche Mundloch für Mitteldeutschland, die Provinz und das Königreich Sachsen, Brandenburg, Teile von Hannover und das ganze reiche Elbgebiet herauf bis nach Prag und Wien; das alles wird diese mächtige Handelsstadt, deren Gäste wir in diesen Tagen sind, stets beherrschen und niemand wird ihr diese Ländermassen wirtschaftlich entreissen können. Allein der Hafen für das westliche und südwestliche Deutschland wird Hamburg niemals werden können. Es ist zwecklos, sich Täuschungen hinzugeben, und wir müssen unseren hiesigen alldeutschen Freunden leider sagen, dass vom Westen für sie nicht viel zu erhoffen ist. Ich will im einzelnen nicht des weiteren ausführen, in welcher Weise den Nordseehäfen zur Hilfe zu kommen wäre. Es ist jedoch sicher, dass die Schienenwege allein nicht ausreichen, und dass Wasserwege ergänzen müssen. So lange nicht eine Ableitung des Rheins stattfindet, so lange nicht die mächtige Rheinflotte mit ihren 1500 t-Schiffen einen glatten Verkehr nach dem Norden nehmen kann, so lange werden unsere Eisenbahnen einen schweren Stand haben, dem natürlichen Hinneigen des industriellen Westens und Südens nach den ozeanischen Häfen entgegenzuwirken. Der Anfang einer solchen Kanalpolitik ist ja mit dem Dortmund-Ems-Kanal gemacht. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Ich versage es mir, hier in die vielumstrittene wirtschaftliche Tagesfrage näher hineinzusteigen. Die Elbhäfen haben sich zu meiner Verwunderung gegen den Mittellandkanal ausgesprochen. Ich kann ihre Beweise und Schlussfolgerungen nicht teilen; wenn durch den Mittellandkanal grössere Frachtmengen an die mittlere Weser und Elbe gebracht werden, so werden allemal diese Mengen hinterher Bremen oder Hamburg zuströmen, so gut, wie alle Frachtungen, die Ruhrort oder Duisburg zufallen, nachher Rotterdam oder andere niederländische Häfen speisen müssen. Und wenn die Handelskammern von Harburg und Altona in ihren bekannten Eingaben vom 27. Februar, 10. April und 8. August d. J. darauf hinweisen, dass ein Dortmund-Rhein-Kanal nichts anderes sein würde, als Zubringer zum Rhein, mithin Verstärker der wirtschaftlichen Herrlichkeit von Antwerpen - Rotterdam, so kann ich nur darauf antworten, dass, falls dieses zutrifft, es nur eine Fortsetzung des heutigen Zustandes bedeutete. Es träte keine Verschiebung zu Ungunsten der Nordseehäfen ein, da bereits heute die rheinisch-westfälischen Gegenden nach den niederländischen Häfen gravitieren. Es wird aber umgekehrt allein die Schaffung von grossen Kanälen, welche am Ende des deutschen Rheinstromes ansetzen, die physische Möglichkeit schaffen, den Rheinverkehr abzulenken nach deutschen Seehäfen, und der deutschen Rheinflotte ermöglichen, im deutschen Wasser die See zu erreichen. Ich habe es deshalb nicht begriffen, weshalb einige Küstenstädte sich der Kanalpolitik widersetzen. Ich leugne auch nicht die Erwünschtheit, einen sogenannten Küstenkanal zu schaffen. Das sind Fragen rein praktischer Natur. Ich fürchte, meine preussischen Landsleute werden auf dem Standpunkte stehen, dass Preussen besser thut, mit seinem Gelde die preussischen Städte, wie Hannover, Magdeburg, Berlin, Frankfurt a. O. zunächst aufzuschliessen, als für die Hansestädte neue Abfuhr- und Zufuhrwege zu schaffen, und ich fürchte auch, dass, wenn einmal | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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eine ernstliche Probe auf das Exempel gemacht wird, die Landwirtschaft es nicht sehr eilig haben wird, in Form dieses Küstenkanals neue Einfallsthore für fremdländische Getreide zu schaffen. Allein das sind Sorgen, die hier weder zur Beratung noch zur Beschlussfassung stehen. Ich bescheide mich, zu sagen, dass wir zur Durchführung einer nationalen Verkehrspolitik meines subjektiven Erachtens eine durchgreifende Kanalpolitik nicht vermeiden können. Es ist ferner da die Frage zu prüfen, aber heute nicht zur Erledigung zu bringen, wer den Kampt am längsten aushält. Wenn Preussen mit seinen Tarifen zu Wasser und zu Lande auch noch heruntergehen kann und damit die heutigen Tarife nach Antwerpen - Rotterdam erreicht, so wird damit die Frage noch nicht beantwortet, ob nicht die holländischen Eisenbahnen und die Rheinverfrachter auch weiter im Preise weichen können. Es wird sich zeigen müssen, wer am stärksten ist und es am längsten aushält. Allgemeine Fragen der Handelspolitik spielen hier herein: die Begünstigung des eigenen Handels durch Zollherabsetzung für See-einfuhren u.s.w.; ich begnüge mich, auf diese Fragen nur hinzuweisen.
Schluss folgt. |
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