Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDas deutsche Belgien
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bezw. reichsdeutschen Grenze eine, wenn auch nicht sehr grosse, so doch immerhin beachtenswerte Zahl von Ortschaften, deren Bewohner deutschen Stammes sind und noch jetzt nur das Deutsche als ihre Muttersprache betrachten. In Arlon, der deutschen Hauptstadt der Provinz Luxemburg, hat sich bereits 1893 ein ‘Deutscher Verein zur Hebung und Pflege der Muttersprache im deutschredenden Belgien’ gebildet. Derselbe hat zwei Jahre im Stillen gewirkt und am 26. December 1895 eine erste öffentliche Versammlung abgehalten. Seither ist er ziemlich thätig gewesen. Sein erster BerichtGa naar voetnoot(1) bringt ausser den Mitteilungen über den Ursprung, die Gründung und die bisherige Thätigkeit des Vereins einen Vortrag von Prof. Bischoff über die deutsche Sprache und eine Abhandlung von Prof. G. Kurth (beide Deutsch-Belgier) über das hier in Betracht kommende Gebiet. ‘Deutsch-Belgien’ zählt etwa 50,000 Einwohner. Es umfasst die Kreise Arlon und Metzig (Messancy) fast vollständig, vom Kreise Feiteler (Fauvillers) 5 Ortschaften, vom Kreise Vielhaben die Ortschaft Bockholz (Beho), vom Kreise Aubel 6 und vom Kreise Limburg 4 Ortschaften. Die jetzigen Bewohner dieser Gegend können natürlich nicht alle zum deutschen Stamm gerechnet werden, da vielfach Einwanderung von Wallonen stattgefunden hat. Dieses ist besonders in Arlon der Fall, wo schon 1500 Personen nur französisch reden. Uebrigens sind von den Deutsch-Belgiern viele auch im übrigen Belgien verbreitet. Prof. Kurth teilt u.a. folgendes über die Sprachenverhältnisse mit: In den neun Lütticher Gemeinden der Kreise Aubel und Limburg ist eigentlich die lokale Mundart nicht hochdeutsch, sondern niederdeutsch, oder, wie man dort zu sagen pflegt, niederländisch, d.h. vlämisch. Die aus der Vorzeit dieser Dörfer erhaltenen Urkunden sind vlämisch verfasst, jedoch hat seit einigen Menschenaltern das Hoch- | |
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deutsche auf diesem Boden so tiefe Wurzeln geschlagen, dass gar nicht vorauszusehen ist, wie es künftig verdrängt werden könnte. In der Schule und auf der Kanzel wird hochdeutsch gesprochen; die Kinder gewöhnen sich an den Gebrauch des Hochdeutschen, lesen dieses in den Büchern, finden es später in der Zeitung - denn es gibt dort auch eine deutsche Zeitung - und gebrauchen es auch wohl im gewöhnlichen Verkehr. Schon im 17. und 18. Jahrhundert war es dort die Kultursprache. Die Stifter Aachen und Hertogenrade, welche sich in das Kollationsrecht der betreffenden Pfarreien teilten, besetzten dieselben gewöhnlich mit deutschen Pfarrern. Wie leicht übrigens jetzt der Anschluss an das Deutchtum dort stattfindet, erhellt aus dem Beispiel der kleinen Pfarrei Klaus (La Clouse), einer Section der dreisprachigen Gemeinde Aubel, wo es dem jetzigen Pfarrer gelungen ist, eine förmliche Abstimmung unter seinen 184 Pfarrkindern zugunsten der deutschen Sprache hervorzurufen, infolge dessen er es dem Schullehrer zur Pflicht machte, sich derselben als Hauptsprache beim Unterricht zu bedienen. Dasselbe gelang vor einigen Jahrzehnten dem Pfarrer des nahe an der besprochenen Gruppe liegenden Remersdael, wo indessen seine Abberufung und seine Ersetzung durch einen niederländischen Pfarrer die Rückkehr der Gemeinde zum niederländischen Sprachgebiete zur Folge hatte. Wo aber, wie in einer Anzahl der erwähnten Gemeinden, die kirchliche Verwaltung einige Menschenalter hindurch in deutschen Händen geblieben ist, da gedeiht das Hochdeutsche vortrefflich neben der lokalen Mundart. In der südlichen Gruppe, wo in 20 Gemeinden hochdeutsch gesprochen wird, befinden wir uns in des Deutschtums fernstem Westen. Das Dorf Hertzig, zwei Stunden westlich von Arlon, ist nämlich der vorgeschobenste Posten, den das hochdeutsche Sprachgebiet einnimmt. Im Laufe der Jahrhunderte sind dort nur einige Ortschaften dem romanischen Gebiet anheimgefallen; einzelne erinnern noch jetzt durch | |
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ihren Namen an ihren deutschen Ursprung, so Meix-le-Tige Deutsch-Meer), Steinbay (Steinbach) u.s.w. Im allgemeinen, aber sind seit etwa 1500 Jahren die romanische und die germanische Welt im südöstlichen Belgien auf demselben Punkte stehen geblieben. Die Markgrafschaft Arlon war ursprünglich mit dem Herzogtum Limburg verbunden, kam aber 1212 an die Grafschaft Luxemburg, deren Geschicke sie bis in unser Jahrhundert teilte. Auch in sprachlicher Hinsicht erlebte sie dasselbe Schicksal, wie das Grossherzogtum, wo das Deutsche von dem Französischen in den Schatten gestellt wurde. Die Verhältnisse, die dazu führten, bespricht G. Kurth ohne jene Bitterkeit, die den parteipolitischen Tagesschrift-stellern bei der Beurteilung dieser Frage eigen ist. Seine Ausführungen werden um so mehr beachtet werden. Das Französische wurde seit dem 12. Jahrhundert nicht bloss die Verkehrssprache der höheren Kreise, sondern auch die Urkundensprache. Dass in dieser Hinsicht das Grenzland Luxemburg sich von Frankreich bevormunden liess, ist wegen der Beziehungen zu diesem Lande erklärlich. Von dem 1309 auf den deutschen Kaiserthron erhobenen Luxemburger Heinrich VII. berichtet Albertino Mussato sogar, seine gewöhnliche Sprache sei die französische gewesen. Zu dieser Nachricht stimmt, dass wie der luxemburgische Geschichtschreiber Würth-Paquet hervorhebt, nicht eine einzige Urkunde dieses Kaisers deutsch verfasst ist. Deutsche Städte, wie Luxemburg und Arlon, erliessen französische Urkunden. ‘Man würde irre gehen “sagt G. Kurth,” wenn man die Vertrautheit der Luxemburger mit der französischen Sprache nur durch ihre Eingenommenheit für die feinere Kultur des Nachbarlandes erklären wollte. Nein, der Grund liegt vielmehr in der späteren Entwicklung des Deutschen, dessen Anfänge als Urkundensprache ja nicht über die letzte Hälfte des 13. Jahrhunderts hinausgehen, während es je nach den verschiedenen Gegenden Deutschlands noch viel später zur Geltung kam. Sollte man es den Luxemburgern verübeln, dass sie unter diesen Um- | |
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ständen sich des schon vorhandenen und auch bequemeren Verkehrsmittels bedienten, welches ihnen in der Sprache Frankreichs zugebote stand?’ Später wurde allerdings auch das Deutsche berücksichtigt, aber da das Archiv der vielfach durch Krieg und Brand beimgesuchten Stadt Arlon gänzlich verschwunden ist, so ist es unmöglich, den Zeitpunkt des Eindringens der deutschen Sprache in ihr Urkundenwesen genau festzustellen. Nur das erhaltene Chartular der in der Nähe von Arlon gelegenen Abtei Clairefontaine bezeugt, dass das Deutsche erst von der Mitte des 14. Jahrhunderts an gebraucht wurde. Als die Gegend dem grossen Länderbestand der burgundischen Herrscher einverleibt wurde, kam aber das Französische wieder mehr zur Geltung. Von da an wurde dieses beständig von der Zentralverwaltung gebraucht, während die Lokalbehörden und das Volk meistens am Deutschen festhielten. Insbesondere bezeigte die österreichische Regierung, welcher die luxemburgische Provinz in Jahre 1713 anheimfiel, nicht die geringste Theilnahme an den Interessen der deutschen Sprache. Nachdem 1830 Belgien sich von Holland losgerissen, wurde 1839 das jetzige Grossherzogtum abgetrennt. Dadurch wurden die bei Belgien gebliebenen deutschen Ortschaften isoliert und der Französierung preisgegeben. Die belgische Regierung hat seit jener Zeit redlich das Ihrige gethan, um das Deutsche zu verdrängen. In Arlon wurde es aus der Stadtverwaltung und der Schule entfernt, und nur die Geistlichkeit hielt bis auf den heutigen Tag an der deutschen Muttersprache des Volkes fest. Diese ist aber vielfach mit französischen Wörtern vermischt worden und oft noch unverständlicher, als die Luxemburger Mundart. In den Dörfern hat sich die deutsche Sprache ungetrübter erhalten, und dort werden noch die alten deutschen Volksbücher, der Lahrer Hinkende Bote u.s.w. mit Vorliebe gelesen. Die Deutsch-Belgier besitzen drei eigene Zeitungen, die | |
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‘Arloner Zeitung’, das in Dolhain erscheinende ‘Freie Wort’ und die schon seit 56 Jahren in Aubel erscheinende ‘Fliegende Taube’, vielleicht mehr Zeitungen, als es bei dem beschränkten Leserkreis wünschenswert ist. Nachdem die Bewohner sich lange die Verwälschungsmassregeln hatten gefallen lassen, traten eine Anzahl gebildeter Männer zusammen, um eine Bewegung zugunsten der Erhaltung des Volkstums ins Leben zu rufen. Der Arloner deutsche Verein hat den Zwtreck, ‘in den deutschredenden Teilen Belgiens die deutsche Sprache zu neuem Leben zu erwecken, der Bevölkerung dieser Landesteile Achtung und Liebe für ihre Muttersprache einzuflössen und ihr die Erhaltung derselben ans Herz zu legen; er will den Deutsch-Belgiern mit ihrer Sprache auch ihre deutsche Religiosität und Gesittung zu wahren suchen’. Zu diesem Zwecke hält der Verein öffentliche Versammlungen ab, veranstaltet populäre Vorträge, gibt Flugschriften heraus, gründet deutsche Volksbibliotheken u.s.w. Bemerkenswert ist, dass fast sämtliche Mitglieder des deutschen Vereins deutsche Namen tragen. Die Männer, die an der Spitze des Vereins stehen, gehen übrigens sehr gemässigt vor. Sie verwahren sich ausdrücklich gegen den Gedanken, ‘eine Bewegung zugunsten des Deutschtums hervorzurufen oder gar die französische Sprache zu bekämpfen’. Eine solche Bewegung wäre unter den jetzigen Verhältnissen dort auch ebenso aussichtslos, wie im Grossherzogtum Luxemburg. Man muss schon zufrieden sein, wenn sich die Bewohner bemühen, ihre Muttersprache zu erhalten. Auf dem Lande herrscht in den Schulen das Deutsche noch vor, aber es wird schon vielfach zugunsten des Französischen vernachlässigt. So lernen die Kinder zuweilen weder die eine noch die andere Sprache genügend. Vorläufig sucht man zu erreichen, dass das Deutsche in allen Abteilungen als Unterrichtssprache benutzt wird, sogar beim Unterricht in der französischen Sprache, der, wie es im Vereinsbericht heisst, dabei nur gewinnen würde. | |
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In Arlon sind die Schulen schon ganz dem Französischen überlassen. Der Unterrichtsminister Schollaert hat sich aber dahin ausgesprochen, dass die deutsche Sprache in den Volksschulen des deutschredenden Belgiens erhalten bleiben soll. Die Anregung zu dieser Erklärung hatte übrigens ein Wallone, der Abgeordnete für Neufchâteau, namens Heynen gegebenGa naar voetnoot(1). Die Maristenbrüder in Arlon gehen mit gutem Beispiel voran, indem sie in ihrer Schule eine deutsche Abteilung gründen. Der Verein verlangt auch, dass in Deutschelgien nur solche Beamte angestellt werden, die der deutschen Sprache mächtig sind. Dieses wäre um so leichter, als Deutsch-Belgier überall im Lande angestellt sind und meistens recht gern in ihre engere Heimat zurückkehren würden. Das neueste Gesetz über die Gemeindewahlen wurde dahin abgeändert, dass in Zukunft die Mitglieder der Wahlkollegien im deutschen Gebiete den verlangten Eid in deutscher Sprache ablegen dürfen. Das sind immerhin schon einige Erfolge, und es wird dem Deutschen Verein gewiss gelingen, noch weitere Forderungen durchzusetzen. Die Deutschen erheben nicht dieselben Ansprüche, wie die Vlamen, sie wollen nur ihr Volkstum und ihre Sprache erhalten, und eine vernünftige Regierung wird sich diesen Bestrebungen gegenüber nicht ablehnend verhalten. Schon weil das Französische als die Sprache der Gebildeten gilt, ist für die deutsche Sprache keine günstige Aussicht mehr vorhanden. Die Bewohner gebrauchen die Luxemburger Mundart im gewöhnlichen Umgang. Nimmt aber Jemand, der dieser Mundart nicht mächtig ist, an dem Gespräch Teil, so findet dieses in französischer Sprache statt; zum Hochdeutschen wird wohl nie gegriffen. Die Mundart, die man als Kind gelernt hat, verlernt man nicht leicht. Der von Harold Arjuna erwähnte Fall, wo ein Student aus Arlon sich nicht einmal eines Wortes seiner Mundart mehr entsinnen konnte, dürfte doch sehr selten | |
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vorkommen. Viele Luxemburger befinden sich in Belgien in staatlichen Stellungen und in den meisten Städten kommen sie, wie auch die Studenten des Grossherzogtums regelmässig zusammen, wenn sie nicht gar einen förmlichen Verein bilden, und dort gelangt die Muttersprache wieder zu Ehren. Es wäre gewiss sehr lobenswert, wenn etwas für die Erhaltung des Deutschtums in der Provinz Luxemburg geschehen könnte. Der belgischen Regierung wäre allerdings eine solche Einmischung nicht erwünscht, da sie bekanntlich mit den Vlämen Sorgen genug hat und nicht auch noch die Deutsch-Luxemburger als eine eigene Nationalität berücksichtigen möchteGa naar voetnoot(1). In Arlon sieht man es schon beinahe als selbstverständlich an, dass die Regierung nur in französischer Sprache sich an das Volk wendet. Wenn man damit vergleicht, wie hartnäckig französische Lothringer, Dänen, Polen u.s.w. an ihrer Sprache festhalten, so sieht man wieder recht deutlich, wie sehr der Deutsche, besonders wenn er nicht mehr in engen Beziehungen zu seinen Stammesgenossen steht, geneigt ist, seine Nationalität aufzugeben. Die Unterstützung des ‘Deutschen Vereins’ in Arlon würde gewiss ein empfehlenswertes Werk sein. Von besonderem Nutzen wäre es, wenn einem solchen Verein deutsche Bücher und Schriften zur Verfügung gestellt würden, da die Bevölkerung eigentlich gar keine Lektüre in deutscher Sprache hat. Sollte sich auf die Dauer das jetzige Deutschtum nicht erhalten lassen, so wäre es jedenfalls erwünscht, dass Belgisch-Luxemburg sich der vlämischen Bewegung anschlösse. Aber leider ist dieses aus geographischen Rücksichten - wegen des von drei Seiten eindringenden Wallonen- und Franzosen- tums - nicht möglich. (Fortsetzung folgt.) |
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